Soziale Arbeit. kritisch - reflexiv - radikal. Praxis der Kritik

Editorial

Wenn denn eine angemessene Selbstkategorisierung möglich wäre, könnten die seit über 30 Jahren erscheinenden Hefte der WIDERSPRÜCHE auch mit dem sperrigen Namen "Archiv für Praktiken der Kritik und des dialogischen Nachdenkens über eine Politik des Sozialen" betitelt werden. Zur Praxis dieses "Archivs" gehört es, von Zeit zu Zeit über den Gegenstand der Kritik, über den unauflöslichen, widersprüchlichen Zusammenhang von "Hilfe und Herrschaft" (so der Titel von Heft 1 im Jahr 1981) nachzudenken und bei den folgenden neoliberalen Varianten dieses Zusammenhangs Möglichkeiten und Bedingungen einer Politik des Sozialen, verstanden als "Gestaltung der Lebensverhältnisse durch die Subjekte selbst", zu analysieren, um die intellektuellen und politischen Praxen zu aktualisieren.

In recht kontinuierlich veröffentlichten Beiträgen zum "Stand der Diskussion über die Politik des Sozialen" (angefangen bei den Heften 11 und 12, 1984) und in zahlreichen Diskussionen unter den Mitgliedern der Redaktion, die die Durchsetzung der neoliberalen Klassen- und Sozialpolitiken "von oben" zum Gegenstand hatten (so etwa in den Heften 31 und 32 (1989), in Heft 66 (1997) und Heft 73 (1999), in den Heften 96 und 97 (2005) haben sich zwei Themen als besonders relevant herauskristallisiert: Bezogen auf die Seite der Ordnungsinstitutionen und ihrer Herrschaftstechniken kommt es bei der Weiterarbeit an einer Politik des Sozialen darauf an, mit der Lohnarbeitszentrierung, die kompensatorische und subsidiäre Logik des Sozialstaats zu überwinden, die Kritik theoretisch anspruchsvoller zu machen und über diesen theoretischen und empirischen Weg andere Organisationsprinzipien zu denken: solche, die Sozialstaatlichkeit zuerst von ihrem Gebrauchswert für die Leute bestimmen. Auf der Seite der Subjekte kam es darauf an, sich ihren Alltagspraxen zu nähern, ihrem Eigensinn, ihren "Sozialitäten", ihren Kämpfen um Teilhabe und, emphatischer ausgedrückt, ihren Kämpfen um "menschliche Verwirklichung".

Die Begriffe, die für und in diesem Lernprozess entwickelt wurden, sind verschiedenen Traditionen kritischer Theorien und der Reflexivität verbunden, denn die Politik des Sozialen entwickelt sich auch intern im Widerstreit von Argumenten. Keiner Position geht es jedoch darum, den Subjekten eine "richtige Politik" und eine "richtige Kritik" vorzugeben, wohl aber zielen alle Diskussionen auf einen Bildungsprozess. Zu dessen Notwendigkeiten gehört es, immer wieder einen Anfang zu machen, um die eigene Verstricktheit in den Gegenstand zu überdenken und um mittels Reflexion - im Sinn von Selbstaufklärung - die in den widersprüchlichen politischen und institutionellen Praktiken angelegten Emanzipierungsmöglichkeiten öffentlich zur Sprache zu bringen.

Die mannigfaltigen Antworten auf die Frage "Was ist heute kritische Soziale Arbeit?" des Heftes 100, gestellt an Leserinnen und Leser wie an die Redaktion selbst, haben einerseits Analysen weitergeführt, die gesellschaftliche, politische und ökonomische Rahmenbedingungen einer Politik des Sozialen fokussieren; die These der "Ökonomisierung des Sozialen" wurde differenzierend diskutiert; die Workfare-Politiken und Strategien der (professionellen) Bildung von Gegenmacht wurden thematisiert. In Heft 100 und schwerpunktmäßig in den nachfolgenden Heften "Wie selbstkritisch ist die Theorie Sozialer Arbeit"? (108) und: "Normative Fluchtpunkte" - Begriffe kritischer Sozialer Arbeit" (112) rückten im Modus von gegenseitiger Kritik, von Begründung und von deutlicher Abgrenzung widerstreitender Positionen, z.B. Ideologiekritik oder Machtanalyse, die Voraussetzungen von Kritik in den Vordergrund des Interesses und Anforderungen an anti-hegemionale Theoriebildung in der Sozialen Arbeit wurde betont: so die Notwendigkeit, die je durchgesetzten Produktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens zu reflektieren, die (grundsätzliche) Beschränktheit wissenschaftlicher Deutungsmacht zu berücksichtigen, das "Maßstabsproblem" von Kritik und die Frage des Normativen zu diskutieren.

Der Diskussionsprozess der WIDERSPRÜCHE vollzieht sich nicht unabhängig von öffentlich artikuliertem Protest und von Analysen und Positionierungen der Sozialen Arbeit, die beanspruchen, "kritisch-reflexiv-radikal" zu denken und zu agieren, sondern mittendrin, als einem von vielen, mag sein "kleinen" Orten von Praxen der Kritik. Es gehört zu den WIDERSPRÜCHEN der Intensivierung des neoliberalen "Umbauprojektes", eine kleine Konjunktur von Protest und Kritik befördert zu haben. Zum Anlass für einen Heft-Schwerpunkt der WIDERSPRÜCHE wird diese Konjunktur von Kritik nun nicht nur im Bereich der Sozialen Arbeit, weil mit "kritischer" oder "radikaler" Sozialer Arbeit, mit "kritischer Bildungs- und Sozialforschung" sowie mit Formen und Begriffen wie "reflexiven Kritik" oder "radikalen Reflexivität" spezifische Erwartungen verbunden bleiben: Distanz zu kultureller Hegemonie, Aufgeklärtheit über die kulturindustriellen Bedingungen von Wissensproduktion; Distanz zu herrschenden Logiken der Sozialen Arbeit (und anderer Ordnungsinstitutionen und ihrer Herrschaftstechniken); notwendig bleibt die Pflege der Kompetenz, das Widersprüchliche von institutionalisierten Konflikten zu denken und politisch nutzen zu können.

Gerade wenn Bündnisse von kritischen Fraktionen im Feld von Praxis bzw. von Wissenschaft (hoffentlich) wieder verstärkt in den Bereich des (Denk-)Möglichen rücken, ist es für alle politischen und Theorie-Projekte notwendig, "genau hinzusehen, geduldig nachzudenken und sich nicht dumm machen lassen" (Heinz Steinert) und damit - wie in der Hausarbeit - wieder und wieder "einen Anfang zu machen": um keinem neutralisierenden "Pluralismus" das Wort zu reden; um in der "Hochkonjunktur" nicht mit Kritik und Reflexivität Identitäts- oder Distinktionspolitik zu betreiben, damit selbst den herrschaftskritischen Stachel abzustoßen, noch bevor er einem gezogen wird; nicht zuletzt um der akademischen Drift in Rechthaberei entgegen zu arbeiten. Beim derzeitigen Stand der Diskussion scheint besonders wichtig, sich im "akademischen Feld" nicht durch beliebige Iteration von Kritik und Reflexion davon abhalten zu lassen, auch Erfahrungen und soziale Erfindungen für die Weiterentwicklung der Politik des Sozialen zu formulieren, die sich aus einer schwierigen und komplizierten, aber eben nicht unmöglichen (Selbst-)Analyse ergeben. Gründungen von lokalen wie überregionalen Bündnissen Kritischer Sozialer Arbeit verweisen aktuell auf eine Bereitschaft von professioneller Gegenmacht, alternative Hegemonien oder subversiv-taktische Initiativen. Mit diesen Zusammenschlüssen verbindet sich die Hoffnung, dass sie Scharniere zu kritischen Fraktionen im wissenschaftlichen Feld bilden. Mit dem aktuellen Heft versuchen die WIDERSPRÜCHE ihrerseits, Formen des Nachdenkens, Diskussionen und Gedanken zu Papier zu bringen, die als Scharnier zwischen getrennten Feldern und nicht deckungsgleichen Praktiken von Kritik in Gebrauch genommen werden können. Die bekannten Kritik- und Reflexivitäts-Fallen werden durch verschiedene Strategien versucht zu vermeiden: so etwa, indem "Praxen der Kritik", indem Tätigkeiten thematisiert werden - und zwar zuerst die je eigenen im "akademischen Feld" - nicht die "der anderen".

Zu den Beiträgen im Einzelnen

Der konkrete Anlass für den Heftschwerunkt, die beobachtete Konjunktur von Herrschafts- und Gesellschaftskritik - in der sozialen Praxis von politischen Bewegungen, in der Arbeit von Initiativen und in den Sozial- und Kulturwissenschaften wurde, fokussiert auf Soziale Arbeit und Sozialwissenschaften, zum Gegenstand einer Email-Diskussion zwischen Helga Cremer-Schäfer, Fabian Kessl, Michael May und Albert Scherr. Das Format einer "virtuellen Diskussion" zwischen Leuten, die sich aus ihren verschiedenen Theorie-, Kritikmodellen und Verständnissen von Reflexivität aufeinander beziehen, schien uns geeigneter, Leserinnen und Leser Gelegenheiten zum Einspruch oder Weiterdenken zu bieten, als abschließende "Positionierungen" und passender zu den nachdenklichen Einzelbeiträgen. Bearbeitet wird die Frage "Haben wir es mit einer Konjunktur von Kritik zu tun oder muss man, besonders in der Sozialen Arbeit, von einer "langen Welle" sehr unterschiedlicher Kritikformen, Identitätspolitiken und Distinktionspraktiken ausgehen, die das Feld von Reformbeginn begleiteten?" Die eigenen (Vor-)Annahmen und theoretischen Bezüge der Diskutant*innen wurden im Muster von "dichten Beschreibungen" einander gegenüber gestellt; die Gelegenheit der Diskussion wurde auch genutzt, die je eigenen Begrifflichkeiten in die der anderen zu "übersetzen". Sehr skeptisch haben die Beteiligten die aktuellen Bedingungen der Möglichkeit von Reflexivität und von herrschaftskritischem und radikalem Denken beurteilt. Das wird im Feld der Sozialen Arbeit unter der Bedingung neoliberaler Politikformen noch mehr behindert als in dem von Wissenschaft und Ausbildung. Das Interessante an der Diskussion liegt vielleicht weniger in den bekannten Gründen und den Begründungen der prekären Zukunft von Praxen der Kritik. Die Diskutant*innen legen dar, dass die Praktizierung gewohnter (wissenschaftlicher, professioneller und politischer) Tätigkeiten, also "Kritik - Reflexivität - Radikalität" dazu beitragen, Bedingungen der Möglichkeit, "Gesellschaft" anders zu tun, erhalten. Das von Albert Scherr, Helga Cremer-Schäfer, Fabian Kessl und Michael May vorgeschlagene Spektrum reicht von Praktiken der (Selbst-)Reflexivität in der Wissenschaft, über unterstützende gleichwohl Differenz und Verschiedenheit anerkennenden Arbeitsbündnissen zwischen "Theorie und Praxis" bis zu einem Komplex von Arbeitsbündnissen intellektueller Arbeit, die dem bisher "Nicht-Identisch-Gemachten" von Subjekten gesellschaftlich zur Sprache verhilft - als ersten Schritt zu anerkennenden Beziehungen - wie sie eine dialogisch zu entwickelnde "Politik des Sozialen" und "Pädagogik des Sozialen" voraussetzen und (hoffentlich) ermöglichen können.

Sue White und David Wastell stellen die Figur des "Trickster" vor und bieten den "klugen Schelm" als eine Metapher für "reflexive Professionelle" an. Es geht darum, das Vertraute fremd zu machen, sich in die Position des Nicht-Wissens zu versetzen, um fähig zu werden (oder zu bleiben) über sich selbst und andere "Geschichten" in "lebendiger Sprache" zu erzählen. Die Metapher des "Trickster" dient der Autorin und dem Autoren zum einen dazu, den Professionellen in der Sozialen Arbeit einen "Spiegel" zur Verfügung zu stellen, damit sie sich, in aller gebotenen Bescheidenheit für die Schwierigkeiten und Komplexität des Tuns, ihre Alltagsroutinen aufmerksam und selbstkritisch selbst beobachten können. Es geht um die (Selbst-)Analyse der Sprechhandlungen von Professionellen, d.h. die Art und Weise, wie sie, meist in "finalen Vokabularen" und "sicher wissend", d.h. kategorisierend und mit jeweiligen "Schlüsseldiagnosen" bzw. dominanten Theorien (das Beispiel der Autoren ist die Bindungstheorie) über sich selbst und andere sprechen. Auch um die Überschreitung der Grenzen zu ermöglichen, die machtvolles Wissen und Schlüsseltheorien festlegen, setzen die Autor*innen das schelmenhafte Ironisieren von "praktischen" Theorien ein: als einen Weg zu zeigen, dass die Dinge auch anders möglich sein könnten. Plädiert wird in der Sozialen Arbeit für die Haltung der "spielerischen Ethnographie", die es Sozialarbeiter*innen ermöglicht, sich empirisch mit ihren Praxis-Kulturen sowie deren "Evidenz" auseinanderzusetzen und so dem neuen Managerialismus ein alternatives Paradigma entgegen zu setzen. Und - so schwierig es sein mag - diese Praxis über Lehre zu vermitteln.

Den nahezu inflationären Gebrauch von Reflexivität in den Sozialwissenschaften durch Experten und, schon lange, durch die Kulturindustrie, nimmt Christine Resch zum Anlass, den Unterschied zwischen "affirmativer" und "kritischer" Reflexivität herauszuarbeiten. Sie diskutiert drei etablierte Begriffsbestimmungen und Tätigkeiten: Erstens den in soziologischen Handlungstheorien dominanten Begriff - Reflexivität als Steuerung, Optimierung und sekundäre Anpassung von Handeln; zweitens die Anwendung der Wissenssoziologie auf das Feld Wissenschaft - Reflexivität als Analyse der wissenschaftlichen Produktionsbedingungen; bei Analysen des methodischen Vorgehens unterscheidet Christine Resch drittens zwischen Fragen, die sich mit dem Ziel der Methodenperfektion auf "Verzerrungen" und "Fehler" durch Forscherinnen beziehen und einer Methodenforschung, die Forschungsbeziehungen analysiert. Schließlich wird, in der Tradition der Aufklärung, eine umfassendere sozialwissenschaftliche Perspektive beschrieben: Reflexivität als Analyse der Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens. Die genauere Bestimmung bringt den Bezug zu Analysen der und in der Sozialen Arbeit zum Ausdruck. In der Tradition befreiungstheoretischen Denkens kann unter "kritischer Reflexivität" die Analyse der herrschaftlichen Verfasstheit aller Interaktionen, Situationen, Institutionen bis hin zu zentralen Vergesellschaftungsformen einer Produktionsweise verstanden werden. Als "Übersetzung" der abstrakten und theoretischen Bestimmung von Reflexivität in Fragen einer (methodischen) Interpretation und eines (intellektuellen) Verstehens wird die "Analyse von Arbeitsbündnissen" zwischen Forschungsmaterial und Interpretinnen angeboten.

Der Abolitionismus als eine Praxis radikaler Kritik einzelner Herrschaftstechniken (Sklaverei, institutioneller Rassismus, Apartheit, Zwangsregelmentierung der Prostitution, Todesstrafe, Gefängis und Lager) steht im Mittelpunkt des Beitrags von Helga Cremer-Schäfer. Trotz Wahlverwandtschaft zur Bewegung für die "Abschaffung der geschlossenen Unterbringung", die in zwei aktuellen Heften der WIDERSPRÜCHE dokumentiert wurden, blieben bis heute die gegenseitigen Bezugnahmen wenig ausgeprägt. Um die Basis für eine (Theorie-)Politik der Abolition zu verbreitern, werden (implizite) anti-hegemoniale Theorien der durchaus moralunternehmerischen Politik der Abolitionisten rekonstruiert, die sich in anderen sozialen oder professionellen Bewegungen so heute kaum mehr finden. Es folgt eine Skizze, wie Abolitionismus zu einer Denkweise und reflexiven Perspektive erweitert werden könnte: Die wissenschaftliche "abolitionistische" Arbeit besteht in der Weigerung, an verdinglichenden Begriffen und Theorien mitzuarbeiten und damit "Möglichkeitssinn" zu entwickeln. Abolitionismus denken heißt, die Möglichkeiten einer Gesellschaft zu denken, auszukommen: ohne Ausschließungsregime, ohne Ausschließung durch Einschließung in all ihren Formen, zuerst ohne die Institution Verbrechen & Strafe, ohne institutionelle Diskriminierung durch integrierende Institutionen, ohne eliminatorische und technische Problemlösungsphantasien.

Uwe Hirschfeld denkt über die Gründe nach, dass kritisches Denken zu lernen und zu lehren in der Hochschule erfahrungsgemäß auf Schwierigkeiten und Widerstände stößt - in einer Einrichtung und Veranstaltung, die sich selbst über Kritik und Reflexivität definiert. Unter dem Kürzel "kritische Lehre" versteht er keine Methode oder gar Didaktik, sondern, mit Bezug auf Gramsci, die "Kritik des Alltagsverstandes", der es darauf ankommt den Alltagsverstand (in den Begriffen von Gramsci) "einheitlich, homogen und kohärent zu machen". Was wiederum bedeutet, so die Interpretation von Uwe Hirschfeld, den Alltagsverstand als einheitliches, also allgemeines Bewusstsein Gleicher zu entwickeln, die so zusammenhängend gemeinsam handlungsfähig werden. Analysiert wird die Situation der Lehre daher als ein Konflikt: Eine kritische und somit gesamtgesellschaftlich umfassende Theorie trifft auf einen Alltagsverstand der Studierenden, der nicht so strukturiert ist, sondern so, wie es im Modell der "praktischen Lebensbewältigung" Sinn macht: nicht-kohärent, nicht-einheitlich, nicht-homogen, nicht-systematisch und selbstreflexiv. Die Bearbeitung der Konfliktsituation (mit einer bedrohlichen Seite für Studierende) stellt keine pädagogisch-technische Aufgabe, sondern eine politische Frage dar: Ein nicht lösbarer, aber auf der Grundlage von Erfahrungsbildung bearbeitbarer Konflikt. Pädagogische Settings müsse man, so Uwe Hirschfeld, glücklicherweise nicht völlig neu erfinden. So bietet das Projektstudium durchaus Ansätze, produktiv mit der Problematik umzugehen, wohl wissend, dass es keine Garantie für kritisches Lernen gibt.

Im Forum fragen Birgit Meyer und Ulrike Zöller, Mitglieder des Beirates der Anlauf- und Beratungsstelle Heimerziehung in Baden-Württemberg, wie das Ziel der Anerkennung, Würdigung und Rehabilitierung der von Heimerziehung Betroffenen realisiert werden kann. Sie schildern zum einen die Erfahrungen der Professionellen (Berater*innen) in der alltäglichen Begegnung mit den ehemaligen Heimkindern - die Erkennbarkeit der Folgen und Wirkungen erfahrener Gewalt. Zum anderen verdeutlichen sie die Kritik der Ehemaligen an der Konstruktion der Anlauf- und Beratungsstelle. Im Ergebnis geht es den Autorinnen um eine Sensibilisierung für und eine Auseinandersetzung mit Beziehungsmacht.

Im zweiten Beitrag des Forums untersucht Andreas Peuffer "die Ökonomie des medizinischen Kodierens". Zu den Zielen und Folgen dieser zentralen und umstrittenen Rationalisierungsmaßnahme des Krankenhauswesens gehört die Verbindung von Verwaltungslogik, betriebswirtschaftlicher und medizinischer Logik (so durch die Maxime der "Erlösoptimierung" durch "richtiges Kodieren" der ärztlichen Behandlung und Versorgung durch die Administration von Kliniken). Über die Ökonomisierungsthese hinausgehend untersucht der Teil des Beitrags die Folgen dieser Rationalisierungsmaßnahmen. Andreas Peuffer interessiert besonders der sich neu etablierende Beruf der "Kodierfachkraft", die die allseits ungeliebte Arbeit des Klassifizierens übernimmt und mit der Übernahme von "dirty work" nicht zuletzt dem ärztlichen Personal Gelegenheit gibt, zu den "Selbstschädigungen" durch die Profession keine weitere hinzufügen zu müssen, sondern "dirty work" delegieren zu können.

Errata

Im Heft 131 "Wem hilft die Kinder- und Jugendhilfe? II" sind der Redaktion gleich zwei Fehler unterlaufen, die wir hiermit korrigieren und uns vor allem für die Unaufmerksamkeiten bei den Autor*innen und Leser*innen entschuldigen möchten.

In der gedruckten Fassung des Heftes 131 fehlte der Beitrag von Birgit Meyer und Ulrike Zöller, "Die Stimme der Betroffenen. Ehemalige Heimkinder in Baden-Württemberg". Die Redaktion entschuldigt sich ausdrücklich für die Unaufmerksamkeit, die ausgerechnet einen Beitrag getroffen hat, dem es um die "Stimme der Betroffenen" geht. Wir veröffentlichen den Beitrag im Forum dieses Heftes.

Bei der Vorstellung des Beitrags von Marcus Hußmann im Editorial (S. 5) kann es in Bezug auf die teilgeschlossene und geschlossene Unterbringung selbstverständlich nicht um "wohnortnahe Unterbringung" gehen. Es handelt sich um eine "wohnortferne Unterbringung" von jungen Menschen. Wir bitten diesen Fauxpas zu entschuldigen.

Die Redaktion