Rechte Sozialpolitik in Europa

Editorial

In den vergangenen Jahren hat sich europaweit eine rechte Parteienlandschaft etabliert. Aus diesen Reihen werden im 21. Jahrhundert unterschiedliche Regierungsbeteiligungen realisiert und auch Regierungen geführt. Die unterschiedlichen autoritären, nationalistischen und chauvinistischen Parteien, wie die damit verbundenen zivilgesellschaftlichen Akteure, agieren – direkt oder indirekt – auch gesellschafts- und sozialpolitisch. Doch was verbirgt sich hinter dem Versprechen einer rechten Sozialpolitik als ‚nationaler Bevölkerungspolitik‘? Sind damit tatsächliche ‚exklusive‘ und damit exkludierende Unterstützungs- und Förderprogramme verbunden? Wie stellt sich die rechte Sozialpolitik in unterschiedlichen europäischen Kontexten auch im Angesicht ihres Bündnisses mit neoliberalen Ideologien dar? Diese Fragen bildeten den Ausgangspunkt des vorliegenden Schwerpunkts der WIDERSPRÜCHE.

Klar wird sehr schnell: Ein einheitliches europäisches Programm rechter Sozialpolitik liegt nicht vor. Die Programme der unterschiedlichen national-autoritären und radikal chauvinistischen Parteien und Bewegungen sind durchaus verschieden, wie die Parteiprogramme der Dansk Folkeparti in Dänemark, der ungarischen Fidesz – Magyar Polgári Szövetsé, des Rassemblement National in Frankreich [vormals Front National], der italienischen Fratelli d’Italia [vormals Fratelli d’Italia – Centrodestra Nazionale bzw. Fratelli d’Italia – Alleanza Nazionale] oder eben der Alternative für Deutschland verdeutlichen können. Auch im EU-Parlament spiegelt sich in den, nach der Wahl von 2024 vorhandenen, drei bestehenden rechten Fraktionen diese programmatische Ausdifferenzierung wieder: Die „Patrioten für Europa” (PfE), die vor allem unter französischer und ungarischer Führung klar für eine Stärkung nationalstaatlicher Regulierungen eintreten und Migration ebenso generell ablehnen wie einen europäischen Green Deal, die „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR/ECR), die eher national-konservative Positionen vertreten und sich eher partiell europäisch desintegrieren wollen, und die Fraktion „Europa Souveräner Nationen“ (ESN), als kleinste Parlamentsfraktion vor allem unter der Führung der deutschen AfD, deren gemeinsames Programm noch am undeutlichsten ist, stehen für programmatische Differenzen und damit verbundene Auseinandersetzungen, die eine rechte Sozialpolitik in Europa insgesamt kennzeichnet.

Trotz dieser programmatischen wie organisationalen Unterschiede finden sich aber gemeinsame programmatische Eckpunkte in den Programmen dieser Parteien wie auch der mit ihnen verbundenen sozialen Bewegungen. Fokussiert man dabei auf gesellschafts- und sozialpolitische Fragen, lässt sich als ein erster Aspekt die Kulturalisierung politisch-ökonomischer Fragen ausmachen, so der Regulation von Warenproduktion und Finanzakkumulation: Suggeriert wird ein politisches Programm, mit dem durch die systematische Ausgrenzung von Zuwanderern soziale Sicherung auf ‚Einheimische‘ konzentriert werden solle. Eine entsprechende Position fand sich schon bei der Dänischen Volkspartei Anfang des 21. Jahrhunderts, die seit 2001 eine dänische Minderheitsregierung stützte. Das zeigt beispielhaft, dass die Kulturalisierung der politisch-ökonomischen Fragen ein prägendes Charakteristikum der in jüngster Zeit neu entstehenden bzw. reorganisierten rechten Parteien darstellt. In Korrespondenz dazu macht die Radikalisierung der Unterscheidung von ‚würden‘ und ‚unwürdigen‘ Anspruchsberechtigten einen zweiten Aspekt aus. Zwei Gruppen sollen von einer eher umfänglichen staatlichen Versorgung profitieren, also als ‚würdig‘ anerkannt werden: Die als ‚einheimisch‘ definierten Berufstätigen und diejenigen unter diesen, die sich an ein nationales Vergemeinschaftungsprogramm halten. Alle anderen werden mit deutlich verschärften Sanktionen und reduzierten Sozialleistungen im Fall von Erwerbslosigkeit und mit Abschiebedrohungen konfrontiert, wie die Politik der österreichischen FPÖ oder der italienische Fratelli d’Italia exemplarisch zeigen können. Damit ist ein dritter Aspekt der rechten Sozialpolitik in Europa benannt. Das ‚nationale Vergemeinschaftungsprogramm‘ zielt vor allem auf eine bestimmte binär-heterosexuelle Geschlechterordnung, die mit antifeministischen und antigenderistischen Positionen verbunden wird. An dieser Stelle wird die Beziehung zwischen gesellschafts- und sozialpolitischen Anstrengungen auf der einen Seite und bildungs- und kulturpolitischen auf der anderen sichtbar. Denn von rechten Positionen aus wird sehr deutlich auf die Kontrolle von schulischen Lehrinhalten und von Kulturprogrammen, z.B. in kommunalen Theatern, abgezielt. Dabei spielen wiederum antifeministische und antigenderistische Aussagen eine prägende Rolle. Dieser vierte Aspekt verweist mit seiner spezifischen biopolitischen Aufladung direkt auf einen fünften Aspekt rechter Sozialpolitik: Das Ziel eines Ausschlusses von Lebensweisen, die nicht dem Ideal eines ‚gesunden Volkskörpers‘ entsprechen. In parlamentarischen Anfragen im deutschen Bundestag hat zum Beispiel die deutsche Alternative für Deutschland das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen mindestens indirekt in Frage gestellt. 

 

Zu den Beiträgen im Einzelnen

Roberto Ciccarelli reflektiert in seinem Beitrag die Geschichte des Aufstiegs von Meloni über die letzten 30 Jahre und die Wurzeln ihrer Politik im italienischen Faschismus. Dabei vertritt Ciccarelli die These, dass die Politik der italienischen Rechten eine besondere Art des Neoliberalismus darstellt, die sich durch workfare-Programme, die gesellschaftliche Idee von Besitz-Individualisten und eine damit verbundene zunehmende Ungleichheit sowie eine neoliberale Sicherheits-Ideologie auszeichne. Dementsprechend führt die Sozialpolitik unter Melonis Regierung zu hohen Inhaftierungsquoten, den Gebrauch von Notstandsverordnungen, einer autoritären Bildungspolitik, einem wohlfahrts-chauvinistischem Nativismus und einem ‚Femonationalismus‘, der den Körper der Frauen zu instrumentalisieren suche. Mit dieser autoritären Wendung des Neoliberalismus etabliere sich ein Kampf ‚jeder gegen jeden‘. 

Im Gespräch mit Alban Knecht und Jörg Kress, diskutiert Magdalena Marsovszky den ideologischen Hintergrund der extrem rechten Politik in Ungarn. Als die Fidesz, die Partei Orbans, in einer Koalition mit den ungarischen Christdemokraten an die Macht kam, habe eine ihrer ersten Taten darin bestanden, das Staatsbürgerschaftsgesetz im Sinne eines ‚gattungserhaltenden Ahnenrechts‘ umzugestalten. Begründung fand das in der Vorstellung einer ‚Einheit des Volkstums der Magyaren‘, das auch ungarische Minderheiten in den Nachbarländern umfasse. Selbst offizielle Dokumente stützten sich auf eine esoterische und mythische Idee der ‚Kronenlehre‘, die angeblich ein abgegrenztes ungarisches Volk definiere. Diese Ideologie stelle die Grundlage für eine unmenschliche Ausgrenzung von Minderheiten wie den Roma und Migrant:innen dar, aber auch die Basis für antisemitischer Propaganda und eine Verneinung der Menschenrechte.

In ihrem Beitrag stellt Vesna Leskošek die Sozialpolitik in Slowenien unter den rechtsgerichteten Regierungen Janez Janšas dar, der zwischen 2004 und 2022 dreimal als slowenischer Ministerpräsident an der Macht war. Prägend für die ‚sozialpolitischen‘ Strategien und Maßnahmen dieser Regierungen sei vor allem ihre familialistische Politik, die ein heterosexuelles Kleinfamilienmodell zum entscheidenden Orientierungspunkt machte und daher auch von einer klar antigenderistischen, aber nicht weniger deutlichen anti-migrantischen Ausrichtung bestimmt sei. Mit ihrer Politik, die die rechtsgerichteten slowenischen Regierungen bereits Anfang der 2000er Jahre grundlegten und in der jüngeren Vergangenheit konkretisierten, verbinde sich inzwischen eine klare Trennung zwischen Familienpolitik und anderen sozialpolitischen Feldern. Leskošek ordnet diese Entwicklung historisch in Bezug auf die neoliberalen Transformationen in Slowenien ein: Die rechtsgerichteten Regierungen hätten dieser entscheidend den Boden bereitet, ja die gesellschaftliche ‚Drecksarbeit‘ für sie übernommen.

Welche besondere Rolle die Schweizerische Volkspartei (SVP) in der Bekämpfung des ‚Missbrauchs‘ von Sozialleistungen als einem zentralen politischen Thema in der Schweiz spielt, diskutieren Stefanie Kurt & Lisa Marie Borrelli in ihrem Artikel. Kurt & Borrelli analysieren, wie die SVP in die die verschiedenen Ebenen der föderalen Sozialpolitik – durchaus kreativ – eingreift und die rechtlichen Grundlagen im Sinne ihres rechtsbürgerlichen Parteiprogramms verändern. Unter anderem am Beispiel der sogenannten ‚Sozialinspektor:innen‘ und ‚Sozialdetektiv:innen‘, die Leistungsbeziehende bespitzeln dürfen, zeigen Kurt & Borelli auf, zu welchen Leistungskürzungen die von der SVP maßgeblich initiierte Diskussion über unwürdige Sozialleistungs-Empfänger:innen führt. Im Fokus stünden dabei insbesondere Migrant:innen.

Alban Knecht & Roland Atzmüller nehmen die Sozialpolitik der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) in den beiden Regierungskoalitionen mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) in den Jahren 2000-2006 und 2017-2019 in den Blick. Während die Politik der ersten Koalition starke neoliberale Züge trug, konzentrierte sich die Politik der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Kanzler Sebastian Kurz darauf, so Knecht & Atzmüller, den Zugang zu Sozialleistungen so weit als möglich auf österreichische Staatsbürger:innen zu beschränken. Knecht & Atzmüller verdeutlichen das Gesicht einer rechten Sozialpolitik außerdem am Beispiel der Beschäftigungsförderung für Jugendliche. In beiden Regierungsperioden seien die Rechte der Arbeitnehmer:innen beschnitten worden sowie üppige Lehrstellenförderungen und andere Vergünstigen zugunsten ausbildender Betriebe eingeführt worden, die aber nicht zu mehr Ausbildungsplätzen führten. 2017-2019 schwächte die Regierung zusätzlich bisheriger Förderprogramme für Jugendliche, da diese nun als Konkurrenz zur betrieblichen Lehre angesehen wurden. Asylsuchende Jugendliche wurden so, gegen das mehrheitliche Interessen der Betriebe, vom Ausbildungsmarkt abgeschnitten. 

Den Schwerpunkt „Rechte Sozialpolitik in Europa“ ergänzt der Beitrag von Joshua Graf im aktuellen Forum: Graf formuliert hier eine Kritik der Intersektionalitätsperspektive: Diese könne zwar gesellschaftliche Ungleichverhältnisse überzeugend in Darstellung bringen, aber nichts Entscheidendes zu ihrer Erklärung beitragen. Timm Kunstreich bespricht die Schlüsselbegriffe der Sozialplanung, die von Mario Rund und Friedhelm Peters herausgegeben wurden. Dabei macht er deutlich, wie breit die Beiträge in dem Band die Frage der Planung – quasi zwischen den Polen der Partizipation, als Potenzial der Befreiung, bis zu Steuerung, als Ausdruck von Herrschaft, aufspannt.

 

Die Redaktion, in Kooperation mit Alban Knecht (Klagenfurt)