Soziale Arbeit als Lohnarbeit

Editorial

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Beschäftigungsverhältnisse in der Sozialen Arbeit haben im Zuge der anhaltenden Transformation des Sozialstaates und dem damit eng verbundenen Umbau öffentlicher Verwaltungen - ideologisch unterfüttert durch Programmatiken wie die des New Public Managements -, durch die Einführung von Quasi-Markt-Prinzipien und das Aufkommen eines damit eng verbundenen Sozial-Managerialismus einen folgenreichen Wandel erfahren. Die Einführung von Wettbewerbs- und Budgetierungssystemen, die Veränderung und Deregulierung von Tarifstrukturen sowie die zunehmende Bedeutung von kurzfristigen Projektfinanzierungen haben in vielerlei Hinsicht einen Taylorisierungs-, Flexibilisierungs- und zugleich Prekarisierungsschub bewirkt: sei es das Anziehen des Arbeitstaktes durch knapp bemessene Zeitkontingente und hohe Fallzahlen, die Zunahme befristeter Verträge, ungewollte Teilzeitbeschäftigung, das Aufkommen flexibler bzw. "atmender" Verträge oder die Legitimation von Dumpinglöhnen durch "Haustarife".

Diese Veränderungen vergegenwärtigen eine grundsätzliche, jedoch nicht unbedingt neue Einsicht: Soziale Arbeit wird primär in der Form von Lohnarbeit ausgeübt und basiert auf dem Verkauf der Ware Arbeitskraft. Auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind - jenseits jeden professionellen Ethos - zur Sicherstellung ihrer eigenen personellen wie sozialen Reproduktion meistens darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft warenförmig zu machen und sie zu Markte zu tragen. Der Status des Professionellen basiert somit auf einem Akt der Kommodifizierung.

Das vorliegende Heft der Widersprüche möchte die Dimension "Lohnarbeit" in der Sozialen Arbeit näher beleuchten und damit zusammenhängende Frage- und Problemstellungen sowie Spannungsverhältnisse diskutieren. Zum einen geht es dabei um eine Auseinandersetzung mit dem politisch forcierten Wandel der "Produktionsverhältnisse" Sozialer Arbeit, d.h. insbesondere den Veränderungen in den organisatorischen und (arbeits- sowie tarif)rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Soziale Lohn-Arbeit erbracht wird, wie auch den Konsequenzen, die sich daraus für die "Produktivkräfte" ergeben. Durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft werden SozialarbeiterInnen in der Regel zum Personal wohlfahrtsstaatlich orientierter Organisationen. Diese Organisationen - seien es nun Einrichtungen in öffentlicher, freier oder inzwischen auch gewerblicher Trägerschaft - haben sich während der letzten Jahre zusehends in Wohlfahrtsunternehmen transformiert (vgl. u.a. Bode 2010; Widersprüche 2010), teilweise (wenn auch nach wie vor nicht vorherrschend) sogar mit einer expliziten Gewinnorientierung (so insbesondere im Gesundheitssektor). Dieser Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund einer veränderten politischen Programmatik, die diesen Wandel sowohl arbeits- und tarif- sowie sozialpolitisch bewusst vorantreibt (vgl. Dahme/Wohlfahrt in diesem Heft). Statt der klassischen wettbewerblichen Subsidiarität mit Zuwendungen, Vereinbarungen und Verträgen kommt es immer häufiger zu Beauftragungsverhältnissen und Vergaben mit dem Preis als Hauptentscheidungskriterium. Gerade im Bereich der sogenannten Bildungsträger, aber auch in anderen Bereichen wie z.B. den ambulanten Erziehungshilfen oder dem Wohnen mit Assistenz, lässt sich seit einigen Jahren ein gegenseitiger Unterbietungswettbewerb seitens der Anbieter beobachten, in dessen Folge prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder auch untertarifliche und flexible Entlohnung Einzug in die Soziale Arbeit gehalten haben (vgl. Chassé in diesem Heft). Da das Interesse an einer möglichst effizienten Nutzung der eingekauften "human ressources" in sozialen Diensten somit tendenziell zunimmt, stellen sich hier auch dringende Fragen, die man in der politischen Ökonomie mit den Überschriften "Ausbeutung" und "Entfremdung" der Arbeitskraft umschreibt.

Ein zweiter Schwerpunkt liegt in den Konflikten und Kämpfen um die Gestaltung dieser im Wandel begriffener Arbeitsbedingungen innerhalb Sozialer Arbeit, d.h. in Hinblick auf Fragen nach den Optionen, Barrieren und existierenden Formen beruflicher Interessensvertretung sowie Selbstorganisation, und damit nach den Möglichkeiten von professionellen Fachkräften, auf die Transformation ihres Berufsfeldes politisch einzuwirken. Diese tiefergehende Auseinandersetzung ist hier vor allem deshalb dringend notwendig, da soziale Berufe im allgemeinen auf einem Feld ausgeübt werden, das im Hinblick auf seine "industriellen Beziehungen" - insbesondere in Einrichtungen kirchlicher Trägerschaft - besondere Spielregeln aufweist und ArbeitnehmerInnen in ihren (legalen) Möglichkeiten zum Arbeitskampf nach wie vor beschränkt werden (vgl. Segbers in diesem Heft).

Darüber hinaus gilt es auch, einen kritischen Blick auf den Anspruch der "Professionalität" innerhalb der Sozialen Arbeit zu werfen; ein Bezugspunkt, der in Hinblick auf sein Verhältnis zum Thema Lohnarbeit widersprüchlich und umkämpft bleibt. Zum einen bildet der Anspruch auf Professionalität zweifelsohne einen statusbezogenen Ankerpunkt, an dem politische Auseinandersetzungen um die eigenen Arbeitsverhältnisse produktiv ansetzen können; dies insbesondere derzeit, wo Ansprüche auf fachliche Autonomie sowie auf eine gehobene Mittelklasse-Identität, die sich traditionellerweise mit dem Projekt der Professionalisierung Sozialer Arbeit verbinden (u.a. Otto/Utermann 1971: 11), sehr offensichtlich in einen Widerspruch zu den tatsächlichen Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit innerhalb der Sozialen Arbeit treten und dies eigentlich zu Protest und Widerstand herausfordern sollte. Da Professionalisierung grundsätzlich aber auch eine Strategie der sozialen Schließung berufsbezogener Privilegien gegenüber anderen Berufsgruppen darstellen kann (vgl. u.a. Collins 2004; Wagner 2013) - man denke nur an die Interessensvertreterpolitik des Marburger Bundes - stellt sich hier auch die Frage, nach der Status- und Berufspolitik Sozialer Arbeit, insbesondere hinsichtlich der Frage ihres (solidarischen oder abgrenzenden) Umgangs gegenüber anderen Sozial- und Gesundheitsberufen bzw. überhaupt hinsichtlich der Bereitschaft, sich auf Kämpfe um die Arbeitsbedingungen einzulassen.

Dabei gilt es, sich auch in Erinnerung zu rufen, dass gerade die traditionelle Ideologie des Helfens bzw. der Sorge und damit verbundener Konstruktionen beruflicher Identität eine solche Bereitschaft zum Arbeitskampf kategorisch ausschlossen. So entwarf z.B. Hans Scherpner seinen Idealtypus des Fürsorgers bzw. Helfers in Abgrenzung zu seinem "Antityp" des Politikers. Während dem Politiker neben seinem Streben nach Macht auch das "Bewusstsein seines Rechtes" bescheinigt wurde, seine Interessen und Ziele "soweit als möglich in der politischen Auseinandersetzung zu verwirklichen" (Scherpner 1962: 133), wurde das Handeln des Helfers dadurch gekennzeichnet, dass er - wenn nötig - seine eigenen Bedürfnisse seinem grundsätzlichen Haltung zur Hilfebereitschaft unterordne. Ihn lasse "keine menschliche Not und keine persönliche Bedürftigkeit Ruhe, er habe denn wenigsten den Versuch gemacht, Abhilfe zu schaffen" (ebd.). Ein solches apolitisches "Helfer-Ethos" mag in fachlich-disziplinären Debatten heutzutage (weitgehend) als überwunden gelten. Ob dies jedoch auch für die Praxis in sozialen Diensten und Einrichtungen gilt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dort bildet die Argumentationsfigur: "Patienten/Klienten/Kunden etc. im Stich lassen ist unprofessionell!" nach wie vor ein wirkmächtiges Instrument des Sozialmanagements, sowohl, um unbezahlte Mehrarbeit einzufordern, als auch, um Arbeitskämpfe zu behindern (vgl. Nowak in diesem Heft).

Ein weiterer wichtiger Punkt, dem wir in diesem Heft jedoch keine direkte Aufmerksamkeit schenken, ist das Verhältnis bezahlter und unbezahlter Arbeit in der Sozialen Arbeit. Ein entscheidender programmatischer Eckpfeiler der neuen postfordistischen und aktivierenden Sozialstaatlichkeit stellt die Neukalibrierung des richtigen "Welfare-mixes" dar. Unter Überschriften wie z.B. "Engagementpolitik" sollen im verstärkten Maße ehrenamtliche Kräfte in sozialen Diensten "freiwillig" - weitestgehend unentgeltlich bzw. gegen überschaubare Aufwandsentschädigungen - arbeiten; es finden sich neue Mischformen wie z.B. der Bundesfreiwilligendienst oder die "Bürgerarbeit", deren Einsatz gegenüber den hauptamtlichen Kräften zum einen in gewisser Hinsicht ein neues Reservoir mit Reservearmee-Charakter generiert (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2011) und zweitens die Grenzen zwischen Ehrenamt, Niedriglohnsektor, aber auch vermeintlichen "Alternativen" zum regulären Arbeitsmarkt verschwimmen lässt. Neben dem Verweis auf einzelne Beiträge in früheren Ausgaben der Widersprüche, so u.a. Heft 119/120, möchten wir für diesen Aspekt der Debatte auch unser Forum zur Verfügung stellen, in dem die hier begonnenen Diskussionen weitergeführt und auch auf nicht behandelte Punkte ausgedehnt werden können.

Zu den Beiträgen im Einzelnen

Karl-August Chassé analysiert in seinem Beitrag den Prozess der Deregulierung Sozialer Arbeit. Er fasst die Entwicklungen der Aufgaben, Fallzahlen und Arbeitsverhältnisse in einzelnen Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit zusammen. Soziale Arbeit kann aus seiner Perspektive nicht nur als wachsender Arbeitsmarkt, sondern auch als Feld wachsender Prekarisierung und Flexibilisierung begriffen werden. In der Durchsetzung von Ökonomisierung und Neuer Steuerung sieht Chassé sowohl Prozesse der Deprofessionalisierung als auch die Herausbildung eines neuen professionellen Habitus. Demgegenüber plädiert er für eine Repolitisierung Sozialer Arbeit, zu der u.a. der Kampf um "gute Arbeit", gerade auch in kritischer Absicht, gehört.

Heinz-Jürgen Dahme und Norbert Wohlfahrt bestimmen in ihrem Beitrag Ursachen für diese Veränderungen im Feld Sozialer Arbeit. Diese Veränderungen begreifen sie als neue Rentabilitäts- und Akkumulationsbedingungen im Sozialsektor. Im Zuge der politischen Umarbeitung der so genannten Finanzmarktkrise zur Staatsschuldenkrise wird europaweit eine Austeritätspolitik etabliert, die auch Folgen für die Gestaltung sozialer Arbeit hat. Als besonders bedeutsam sehen Dahme und Wohlfahrt die Schaffung eines neuen Politikmodus von öffentlicher und privater Koordination in den Kommunen. Sie prognostizieren eine dadurch gesteigerte Ausweitung von Ungleichheiten und Zufälligkeiten in der Daseinsvorsorge. Dabei verändern sich sowohl die Arbeitsverhältnisse in der Leistungserbringung, wie auch die Leistungserbringung verstärkt auf die Adressaten als entweder partizipierende Selbst(ver)sorger oder kaufkräftige Kunden auf dem Sozialmarkt setzt.

Solche Entwicklungen können durchaus konflikthaft verlaufen, weshalb die weiteren Beiträge unter verschiedenen Aspekten nach rechtlichen Rahmenbedingungen und subjektiven Voraussetzungen von gewerkschaftlicher Konfliktfähigkeit oder politischer Einmischung fragen.

Franz Segbers setzt sich mit dem Streit um die arbeits- und tarifrechtliche Regulierung bei den größten Arbeitgebern des Sozialbereichs, den kirchlichen Trägern Diakonie und Caritas, auseinander. Dabei nimmt er auch eine Bewertung des jüngsten Urteils des Bundesarbeitsgerichts zur Frage des Streikrechts im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts über Arbeitsverhältnisse vor. Perspektivisch sieht er eine Lösung dieses Konflikts nur in einer gemeinsamen Politik für eine bessere finanzielle und fachliche Ausstattung des Sozialstaats.

Iris Nowak fragt in ihrem Beitrag nach Schwierigkeiten in Konflikten innerhalb der Sorgearbeit. Ausgehend von den Ergebnissen eines Forschungsprojektes zu Arbeitsbedingungen und Arbeitskampfbereitschaft in der (Alten)Pflege beschreibt sie die Wahrnehmung dieser Arbeit aus der Perspektive der Arbeitnehmerinnen selbst und nicht ihrer verbandlichen Interessensvertreter. Sie analysiert den betrieblichen Herrschaftsmodus, also die Art und Weise, wie in Pflegeeinrichtungen die Beschäftigten z.B. zu weiteren Leistungssteigerungen gebracht werden können, und stellt dabei Subjektkonstruktionen, subjektive Verarbeitungsweisen dieser Arbeitsanforderungen, dar. Hierbei wird der hohe Stellenwert "zwischenmenschlicher Komponenten" deutlich, welche verhindern, die Regelung von Arbeitsverhältnissen nicht als kollektiv verhandelbare und erstreitbare Verhältnisse zu begreifen. Gleichzeitig werden gerade in den subjektiven Ansprüchen an diese Arbeit und die permanente Verweigerung ihrer Verwirklichung Möglichkeiten einer Politisierung und Organisierung gesehen.

Auf eine Spurensuche nach organisierten Aktivitäten von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen begeben sich Barbara Rose und Jan Wulf-Schnabel. Sie betrachten frühere und aktuelle Aktivitäten und Positionierungen von Arbeitskreisen Kritischer Sozialarbeit, gewerkschaftlichen, berufsverbandlichen und anderen Zusammenschlüssen und geben so einen Eindruck der politischen Bewegung und Reflektion in der gegenwärtigen Sozialen Arbeit.

Dass Soziale Arbeit wie jede andere Lohnarbeit von den Arbeitenden selbst als Ambivalenz von sozialer Anerkennung und Unterordnung unter fremdbestimmte Zwecke erfahren wird, ist nicht neu. Gerade deshalb lohnt der Blick darauf, wie öffentlich über Belastungen durch und Folgen von dieser Form der Arbeit gesprochen wird. Im Diskurs über "Burn-out" - so die These von Ariane Brenssell in ihrem Text - wird der gesellschaftliche Normalzustand aufrecht erhalten, indem alltägliche Widersprüche als Krankheit individualisiert werden. Denn in diesem Diskurs werden gesellschaftliche Verhältnisse entnannt. Sie beleuchtet das Phänomen in der Sozialen Arbeit, wie es u.a. in Supervisionsforschungen erkennbar wird, und formuliert Eckpunkte einer emanzipatorischen Theoriebildung zum "Burn-out", zu denen es auch gehört, dass die Debatte über gesellschaftliches Leid und seine Ursachen öffentlich geführt werden.

Der Forumsbeitrag von Miriam Meuth schließlich ergänzt das Schwerpunktthema "Wohnen und Soziale Arbeit" aus Heft 127 mit einem wohnraumtheoretisch inspirierten Blick auf institutionelle Wohnformen wie dem Jugendwohnen. Auf diese Weise erschließt sie Widersprüchlichkeiten in der sozialstrukturellen und materiell-räumlichen Dimension sozialpädagogisch begleiteter Wohnangebote.

Die Redaktion

Literatur

Collins, R. 2004: Schließungsprozesse und die Konflikttheorie der Professionen. In: Mackert, J. (Hrsg.): Die Theorie sozialer Schließung. Tradition, Analysen, Perspektiven. 1. Aufl. Wiesbaden, S. 67-85

Dahme, H.-J./Wohlfahrt, N. 2011: Regulierung der Armut durch bürgerschaftliche Sozialpolitik. Zur Programmatik einer (volks-)gemeinschaftlichen Armutsbekämpfung im Rahmen einer radikalisierten Standortpolitik. In: Widersprüche Heft 31, S. 35-52

Otto, H.-U./Utermann, K. 1971: Einleitung. In: dies. (Hrsg.): Sozialarbeit als Beruf. Auf dem Weg zur Professionalisierung? München, S. 7-12

Scherpner, H. 1962: Theorie der Fürsorge. Göttingen

Wagner, T. 2013: Entbürgerlichung durch Adressierung? Eine Analyse des Verhältnisses Sozialer Arbeit zu den Voraussetzungen politischen Handelns. Wiesbaden