Genders neue Kleider?
Editorial
Seit dem geradezu legendären - und bald schon vergriffenen - Doppelheft 56/57 "Männlichkeiten", aus dem Jahr 1995, hat sich die Widersprüche Redaktion in regelmäßigen Abständen mit entsprechenden Themenheften, Beiträgen, Diskussionen und Rezensionen in den gender-Diskurs eingeschaltet. Das damalige Vorhaben, sich der Frage nach "Männlichkeit" als gesellschaftlicher Kategorie kritisch anzunehmen und diese im Kontext von Geschlechterpolitik als Gesellschaftspolitik zu begreifen, war in der Redaktion nicht unumstritten, ist doch bei diesem Thema die Gefahr besonders groß, sich in allen möglichen "Fallstricken" zu verheddern. Der für uns alle unerwartete Erfolg des Heftes hat uns jedoch signalisiert, wie groß der Bedarf ist, das Thema Männlichkeit explizit kritisch und politisch zu diskutieren.
Die Beiträge des damaligen Doppelheftes teilten alle mehr oder weniger stark die Intention, Formen von Männlichkeit als soziale Praxen von Macht und Machterhaltung im Gefüge gesellschaftlicher Ungleichheiten zu analysieren. In vielen der damaligen Beiträge ging es in diesem Zusammenhang überdies um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Dekonstruktivismus. Judith Butlers Forderung, der Feminismus müsse sich "in einen Prozeß verwandeln, der den Prozessen, die die Identitätskategorien produzieren und zugleich entstabilisieren, selbstkritisch gegenübersteht" wurde dabei auch von "männlicher" Seite aufgenommen. So verfolgten eine ganze Reihe der Beiträge explizit das Ziel, die identitätsstiftende und gesellschaftsordnende Kategorie der Männlichkeit anzugreifen und aufzulösen. Stärker als an Butlers Überlegungen orientierten sich die in diesem Doppelheft versammelten Beiträge jedoch an Connells Konzept der "Hegemonialen Männlichkeit". Denn "angesichts der beständigen Untergrabung bzw. Überschreitung jedweder Identität" - so z.B. die Argumentation von Tillner und Kaltenecker im Eröffnungsbeitrag des Doppelheftes - "ist auch das offensichtliche Funktionieren geschlechtsspezifischer Dominanz nicht durch ein allgemeingültiges Gesetz zu erklären".
Zehn Heftnummern später haben wir dann 1998 unter dem Titel "Multioptionale Männlichkeiten?" die Diskussion über die soziale Situiertheit von Männlichkeitsformen mit einer doppelten Intention weiterzuführen versucht: Zum einen wurde die sich gegen essentialistische Auffassungen richtende Männlichkeitskritik des ersten Heftes aufgegriffen. Diese richtete sich ja ähnlich wie Butlers Kritik des Sexes gegen ein biologistisches Verständnis von Männlichkeit als natürlich bzw. genetisch vorgegebenes Geschlecht. Mit dem ironisierenden - und zudem mit einem Fragezeichen am Schluss versehenen - Rückgriff auf das damals in Mode gekommene soziologische Label der "multioptionalen Männlichkeiten" wollten wir uns zudem aber bewusst von voluntaristischen, nichts desto trotz aber mit viel emanzipatorischer Hoffnung aufgeladenen, Konzeptionen abgrenzen, die für die Gegenwart eine unendliche Pluralisierung und freie Verfügbarkeit von Männlichkeitsmodellen postulieren. Meuser und Behnke haben dies in ihrem damaligen Eröffnungsbeitrag als zeitgemäße Fassung der "Sehnsucht nach der Normalität des Fraglosen" entlarvt und damit die Stoßrichtung des Heftes deutlich markiert.
Diese gegen allzu optimistische Auslegungen der Möglichkeiten sowohl dekonstruktivistischer Parodie als auch neoliberaler Gender-Trainings gerichtete Intention, trug sich auch im Themenschwerpunkt des Heftes 84/2002 durch. Gegenüber der starken Konzentration des Genderdiskurses auf Bezeichnungspraxen bzw. die symbolische und interaktive Herstellung von Geschlechtlichkeit wollten wir mit dem Thema "Der oder die Sozialstaat? Doing Gender europäischer Wohlfahrtsregime" die strukturelle Seite des Geschlechterverhältnisses wieder etwas stärker ins Bewusstsein rufen. Obwohl sich darin ohne Zweifel auch eine zentrale Dimension "hegemonialer Männlichkeit" realisiert, kamen die Strukturprinzipien von Sozialstaat auch in unseren beiden "Männerheften" zu wenig in den Blick. In die jeweiligen Ausformungen sozialstaatlicher Regime sind nun nicht nur spezifische Vorstellungen von Männern und Frauen sowie Entwürfe über ihr Verhältnis zueinander eingelassen. Diese werden in der Alltagspraxis Sozialer Arbeit auch aktiv reproduziert, indem die dort im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen und Durchführungsverordnungen professionell Tätigen in ihren Entscheidungen und Handeln das Geschlechterverhältnis immer wieder neu interpretieren und damit auch ausgestalten. Zugleich wollten wir mit diesem Heft allerdings auch einer "neuen feministischen Staatsillusion" (Kontos) "vorbeugen", die über das top-down Prinzip des Gender Mainstreaming nun vermeint durchsetzen zu können, woran sie als staatsfremde, wenn nicht gar staatsfeindliche, "autonome" Bewegung scheiterte.
Im Herbst letzten Jahres erreichte uns als Redaktion nun ein Beitrag von Tove Soiland mit dem Titel "Kritische Anmerkungen zum Machtbegriff in der Gender-Theorie auf dem Hintergrund von Michel Foucaults Gouvernementalitätsanalyse". In diesem sahen wir einige der Diskussionslinien unserer drei Gender-Themenhefte nicht nur aufgegriffen und fortgeführt, sondern in spezifischer Weise zugespitzt. Die eigentliche Provokation dieses Textes liegt jedoch in der auf Foucault gestützten These, "dass eine der Strategien der Macht und sozusagen ihre List darin besteht, unsere Wahrnehmung und damit unseren Kampf gegen sie auf die ihr vorangehende Machtform umzulenken, indem sie zum Zeitpunkt ihres Auftretens die ihr vorausgehende Machttechnik als Theorie lanciert." In Soilands Text ist diese These zwar sehr stark bezogen auf den postfeministischen Dekonstruktivismus und seiner queering-gender-Strategien. Als Redaktion sahen wir in dieser These jedoch eine Herausforderung für den gesamten Gender-Diskurs. Deshalb schickten wir Soilands Text an verschiedene Protagonistinnen und Protagonisten in diesem Diskurs, mit der Bitte ihn von der eigenen Position aus zu kommentieren bzw. darauf zu antworten.
Zu den Beiträgen im Einzelnen
Die ersten beiden Kommentare von Susanne Maurer und Silvia Kontos sind aus der Perspektive der "Frauenbewegung" geschrieben, verstanden als soziale und politische Bewegung im weitesten Sinne. Beide betrachten die feministische Theoriegeschichte als einen, wie Silvia Kontos zu eingangs ihres Beitrages formuliert, "politisch-theoretischen Lernprozess, in dem die Theorie auf die Erfahrungen, d.h. auf die Erfolge, die Konflikte und Enttäuschungen der Frauenbewegung ... 'antwortet`". Und beide begrüßen in diesem Zusammenhang Soilands Beitrag als einen Erkenntnisgewinn.
Susanne Maurer mahnt jedoch, "die bisher gemachten politischen wie theoretischen Erfahrungen nicht einfach zu verwerfen, sondern kritisch mit aufzunehmen" und "im Hegelschen, dialektisch-doppelten Sinne zu 'aufgehobenen Erfahrungen`" werden zu lassen. Erst mit dem Wissen über "die (erkenntnispolitischen) Kämpfe der Vergangenheit", so Maurers These, "entsteht eine veränderte Wahrnehmung der (erkenntnispolitischen) Konflikte der Gegenwart" und "die eigenen Erfahrungen können, mit zeitlicher Tiefe versehen, auf einer anderen Ebene reflektiert werden".
Silvia Kontos sieht in Soilands Beitrag vor allem eine Erklärung für die aus ihrer Sicht "eigenartige politische Sterilität des feministischen Dekonstruktivismus". Teilt sie auch Soilands Kontextualisierung des Dekonstruktivismus in den politisch neoliberalistischen Reorganisationsprozessen der Gegenwart, so betont sie jedoch deren Widersprüchlichkeit, "in denen sich jede Geschlechterpolitik gegenwärtig verorten muss, und die keineswegs gradlinig zu einer Rücknahme von Zuschreibungen führt". Entgegen Soilands Vorschlag, Geschlechtlichkeit als "Code sozialer und ökonomischer Strukturen, die geschlechtshierarchisierende Effekte zeitigen" zu begreifen, setzt Kontos auf die "Formel von der Überlagerung bzw. Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse". Mit ihr versucht sie nicht allein eine Über- oder Unterordnung zu vermeiden. Diese Formel erlaubt ihr zugleich, in der Generativität nicht nur die Wurzel der Eigendynamik des Geschlechterverhältnisses auszudeuten, sondern diese auch als eine Dimension zu begreifen, "die der schlichten Einbindung in das hegemoniale Projekt des Neoliberalismus erheblich Widerstände entgegen bringt".
Schon Silvia Kontos hatte in ihrem Kommentar darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht "falsch" ist, "sich an den 'voran'-gegangenen Machtdispositiven abzuarbeiten", weil Frauen mit einem "unübersichtlichen Nebeneinander" verschiedenster Machttechniken konfrontiert und somit auch herausgefordert seien, "in allen Registern der Macht gleichzeitig zu agieren". Sabine Stövesand, die die Thesen von Tove Soiland zum Anlass für einen eigenen Beitrag genommen hat, geht in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter. Sie beschränkt sich nicht auf den auch schon bei Foucault zu findenden Hinweis, dass heute parallel zu gouvernementalen Regierungsformen, wie dem "Regieren über Freiheit", weiterhin "archaische" Machtformen, wie die der direkten Gewalt, der körperlichen Zurichtung, der Einsperrung, der Verbote, Erpressung, Bedrohung und Normierung existieren. Nachdrücklich fordert sie, dass "wer über Macht und Geschlecht nachdenkt, von der Gewalt in den Geschlechterverhältnissen nicht schweigen kann". Davon ausgehend, dass "Gewalt gegen Frauen und Mädchen in ihrem verschiedenen Formen weltweit die häufigste Menschenrechtsverletzung darstellt und tief in unsere Gesellschaftsstrukturen und individuelle Biographien eingelassen ist", kritisiert sie die Vernachlässigung der Themen, bei denen es um "Geld und Leben", d.h. um den harten Kern der Geschlechterhierarchie geht, in aktuellen Gender-Theorien.
Ein solcher Argumentationsstrang findet sich auch im Beitrag von Michael May. In dessen Zentrum steht jedoch der ambitionierte Versuch, Soilands nur andeutungshaften Überlegungen zu "geschlechtlichen Codes sozialer und ökonomischer Strukturen" in Weiterführung der britischen Theorie der Reproduktionskodes theoretisch auszuformulieren. Dargelegt wird in diesem Zusammenhang auch, wie die von dekonstruktivistischen Ansätzen ins Zentrum gerückten vergeschlechtlichenden Bezeichnungspraxen eingebunden und verwoben sind mit den Mystifikationen des Kapitalverhältnisses. So wird die vor allem auf einer Ebene der Machttechnik und zum Teil noch immer identitätstheoretisch argumentierende Kritik Soilands ihrerseits noch einmal einer Kritik unterzogen. Zugleich geht es dem Beitrag darum zu zeigen, wie vergeschlechtlichende Kodierungen auf diese Weise nicht nur Funktionen im Rahmen gesellschaftlicher Reproduktion erfüllen, sondern als Bewältigungsmuster im Rahmen der individuellen Reproduktion ebenfalls hohe Bedeutung erlangen können.
Die Redaktion