Zur Politischen Produktivität von Gemeinwesenarbeit

Editorial

Vor knapp zwanzig Jahren haben Adrian Gaertner und Christoph Sachßse ein Buch mit dem Titel "Politische Produktivität der Sozialarbeit" herausgegeben. Der Buchtitel knüpft an eine damals im akademischen Bereich sehr heftig geführte Diskussion an, ob es sich bei Sozialarbeit um eine in Marx' werttheoretischem Verständnis produktive (= mehrwertschaffende) oder unproduktive Arbeit handelt. Mit der Formulierung "politische Produktivität" deutet sich aber schon an, daß diese Kontroverse, ja die gesamte Übertragung politökonomischer Kategorien von den in dem Buch vereinten Autoren und DiskutantInnen nicht als sonderlich sinnvoll erachtet wurde, um die Diskrepanz aufzuheben zwischen einem vielfach gebrochenen Selbstbewußtsein der im Bereich sozialer Arbeit Tätigen und der permanenten Zunahme der gesellschaftlichen und darin gerade auch politischen Bedeutung dieses Bereiches.

In diesem Buch ging es nicht zuletzt um die tiefgreifenden Änderungen im Bereich der Ausbildung zur sozialen Arbeit, wie sie sich vor allem mit dem Schlagwort der "Professionalisierung" verbinden. Auch für die professionelle Gemeinwesenarbeit - wie für alle anderen Formen staatlicher Intervention im Bereich der sozialen Reproduktion - wurde als charakteristisch angesehen, "daß sie auf die Herstellung sozialer Dispositionen der Betroffenen abzielen, die vorhandene Apathie abbauen und die kollektive Artikulation sozialer Bedürfnisse ermöglichen sollen. Denn durch solche Artikulationen werden die sozialen Bedürfnisse und Probleme der Betroffenen, die der Planungsprozeß berücksichtigen soll, für die zuständigen Bürokraten überhaupt erst deutlich. Zum anderen gewährleistet die Einbindung der Betroffenen, daß die Ergebnisse - als von ihnen mitgestaltet - leichter akzeptiert und damit Konfliktpotentiale abgebaut werden." (Blanke/Sachße 1978: 23)

Dem zu Trotz wurde es jedoch zugleich auch als Chance und Aufgabe von Gemeinwesenarbeit gesehen, ihre politische Produktivität in einer Erweiterung der Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten der Betroffenen zu entfalten. Ja für viele PraktikerInnen galt Gemeinwesenarbeit "als der Arbeitsansatz, der es SozialarbeiterInnen ermöglicht, gesellschaftsveränderende Absichten und berufliche Strategien in Einklang zu bringen. Inzwischen ist man" - wie Maja Heiner (1994: 90) treffend resümiert - "reichlich desillusioniert, sowohl was die Mobilisierbarkeit der BewohnerInnen als auch die Möglichkeiten grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen angeht. In unterschiedlichen Varianten blickt man auf die 'wilde Zeit' von damals zurück, mal spöttisch-hämisch, mal nachsichtig-besserwisserisch, mal trotzig-trauernd, mal zukunftsbesorgt" (vgl. Hinte 1985, 1986, 1987, Oelschlägel 1991, 1993, Wendt 1989, Langnickel 1989).

In all diesen Resümees wird jedoch übersehen, daß die in dieser "wilden Zeit" vertretenen Konzepte "parteilicher", "aktivierender" und "aggressiver" GWA zwar den Aspekt sozialstrukturell begründeter Notlagen als Ausgangspunkt gemeinwesenarbeiterischen Handelns zu recht hervorgehoben, zugleich aber jene spezifische Assymmetrie im Verhältnis von GWAlerInnen und AdressatInnen dethematisiert haben, die nur durch beharrliche Selbstreflexion, wenn nicht aufhebbar, so doch um einiges bewußter hätte gemacht werden können. Und auch das Schlagwort der "Professionalisierung" hat zu einer solchen Selbstaufklärung wenig beigetragen, sondern lediglich zu einer Verfachlichung und Veradministrierung sozialpolitischer Bereiche geführt. "Die begriffliche Engführung der GWA auf eine 'professionelle Tätigkeit sozialer Berufe' und das große Wort von der 'GWA als Arbeitsprinzip sozialer Arbeit' waren gedacht, Klarheit zu schaffen und haben" - wie Tilo Klöck (1994: 136) bilanziert - "zur Irreführung beigetragen". Beide Positionen sind als Arbeitsthesen entstanden und haben als Postulate in einer Zeitspanne Karriere gemacht, in der sich die GWA immer stärker, wie er es ausdrückt, in eine "Umklammerung durch die Sozialarbeit" hineinentwickelte.

Daß sie, ohne dies zu intendieren, mit dazu beigetragen haben, diese Tendenz zu zementieren, dürfte auch damit etwas zu tun haben, daß mit Beginn der achtziger Jahre die "große Krise" (Altvater 1982) zu ersten Versuchen der Durchsetzung eines neuen Akkumulations- und Gesellschaftsmodells (vgl. Hirsch 1982) führten. Da "Normalität" nun nicht mehr, wie für den Fordismus charakteristisch, gesamtstaatlich vermittels eines "politischen Keynesianismus" (Blanke et al. 1975: 283 ff.) zu sichern war, mußten sich diese neuen Regulationsweisen auch in veränderten Formen der Institutionalisierung sozialer Arbeit umsetzten, welche sich oberflächlich durch Begriffe wie Rekommunalisierung und Renaturalisierung sozialer Leistungen charkterisieren lassen. Schon immer verstärkten sich in Zeiten der Verschärfung ökonomischer Krisen notgedrungen genossenschaftliche Ansätze und zivilgesellschaftliches Engagement, die nun in den achtziger Jahren jedoch als Alternative zu dem bürokratielastigen und eingriffsorientierten Image der zentralstaatlichen Einrichtungen sozialer Arbeit auch ein Mehr an Partizipation einklagten. So wurde in dieser Zeit die "Kommunalisierung der Sozialpolitik (...) in gewisser Weise 'von oben' und 'unten' gleichzeitig forciert" (Zander 1989: 39). Sicher konnte in dem Maße, wie kommunale Sozialpolitik auf Eigenaktivitäten und Selbsthilfe der BürgerInnen im weitesten Sinne angewiesen war, Konsensbildung im jeweils besonderen Fall immer weniger durch die Vorgabe von allgemein akzeptierten Normen und Werten ersetzt werden. Und es leuchtet auch ein, wenn viele engagierte VordenkerInnen von GWA daran die Hoffnung auf eine breitere Etablierung partizipativer Verfahren jenseits der klassischen repräsentativen Mechanismen knüpften. Zu Recht hat jedoch Friedhelm Peters (1983: 27) schon früh davor gewarnt, die sich neu herausbildenden Regulationsweisen nach dem klassischen Konzept von Subsidiarität zu interpretieren, "weil sie ja gerade 'geschlossene Lebenskreise' in den Verbund eines 'selbststeuernden' Systems überführen wollen, um die Steuerungskapazität der Sozialadministration zu erhalten bzw. zu erhöhen". Und genau in diesem Zusammenhang müssen dann auch die Ansätze, auf die Bedeutung von "Professionalität" einerseits und auf Formen von Gemeinwesenarbeit und Stadtteilorientierung andererseits zu rekurrieren, gesehen werden.

Aus der Kritik an institutionellen Rahmenbedingungen und Beschränktheiten sozialer Arbeit mit Blick auf die Komplexität der Probleme, mit denen sie konfrontiert ist, wurde in dieser Zeit auch das Konzept der sozialpolitischen "Einmischung" (Mielenz 1981) entwickelt. Und während noch Norbert Preußer (1984: 76) forderte, zur "Einmischung" müsse die "Skandalisierung sozialer Not" kommen, entwickelte sich "der dominante Aktivitätstyp ... von der Mobilisierung über die Partizipation zum Typ einer Aktivität, die sich auf die Erweiterung des Spielraums der eigenen Autonomie beschränkt" (von Beyme 1991: 176). So sieht Maja Heiner, die als konsequente Weiterführung der Strategie von Einmischung für einen Aufbau "politischer Netzwerke" plädiert, deren zentrale Funktion darin, "den GemeinwesenarbeiterInnen einen Vorsprung zu verschaffen, der es ihnen ermöglicht, schneller, flexibler und angemessener zu reagieren, als es SozialarbeiterInnen in ihrer Position normalerweise können. In dreifacher Hinsicht sind sie bei der Durchsetzung ihrer Ziele auf einen solchen Vorsprung angewiesen: sie benötigen im Vergleich zu nicht politisch agierenden KollegInnen einen Informations-, Autonomie- und einen Loyalitätsvorsprung." (Heiner 1994: 100). Ihr zu Gute zu halten ist, daß sie zur Erweiterung der politischen Handlungsspielräume von GemeinwesenarbeiterInnen es für notwendig erachtet, drei Prozeßziele parallel zu "verfolgen:

  • die Überwindung von Hierarchie- und Arbeitsfeldgrenzen innerhalb der eigenen Institution,
  • die Aufstockung der materiellen und immateriellen Ressourcen der Institution und
  • die Vernetzung der sozialpolitischen Opposition" (Heiner 1994: 103).

So kann ihr zumindest nicht vorgeworfen werden, naiv mit der Assymmetrie im Verhältnis von GWAlerInnen und AdressatInnen umzugehen.

Sehr wohl trifft dies aber auf das besonders von Wolfgang Hinte (1985, 1987) propagierte Konzept "Stadtteilbezogene Sozialer Arbeit (SSA)" zu, mit dem er die Gemeinwesenarbeit nicht zuletzt deshalb ersetzen möchte, weil GWA bei den Trägern zu einem Reizwort geworden sei, das Unruhe, Konflikt usw. impliziere und daher kaum Innovation ermögliche. So legt das oberste Prinzip der SSA - sich an der Wohnbevölkerung zu orientieren: woran sie Interesse haben und wo sie bereit sind, etwas zu tun, oder in welchem Bereich sie externer Hilfestellung bedürfen - ein bloß sentimentales, wenn nicht gar symbiotisches Verhältnis von PädagogInnen zu den Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen nahe, das dieser Ansatz eingestandenermaßen in der Praxis angesichts weit verbreiteter rassistischer Orientierungen glücklicherweise so bruchlos nicht umsetzen kann. Der non-direktive, antipädagogische Impetus, dem sich die SSA verpflichtet weiß, vermag die Subjekt/Objekt-Dialektik sozialer Arbeit nicht aufzuheben. Im Gegenteil manifestiert sich in solcher Art vermeintlicher Parteilichkeit der zum Scheitern verurteilte Versuch, die Dialektik des pädagogischen Verhältnisses auf die Seite der AdressatInnen zu reduzieren. Wenn SSA beansprucht, Bedürfnisse und Hilfsquellen durch Organisation der Betroffenen und Kooperation unter den Trägern sozialer Dienste und anderen Organisationen im Stadtteil sowie die Verknüpfung der Aktivitäten mit Vorhaben anderer kommunaler Dienststellen und Planungen im politischen Raum aufeinander abstimmen zu können, dann unterscheidet sie sich trotz aufgepeppter neuer Rhetorik in ihrer konzeptionellen Substanz so gut wie nicht von den illusionären Ansätzen funktionalistischer GWA. Dies soll die reformerischen Erfolge dieses Ansatzes in den Städten des Ruhrgebietes, welche den engagierten PraktikerInnen und nicht zuletzt den Sozial- sowie Politmanagementkompetenzen der Protagonisten zu verdanken sind, keinesfalls schmälern.

Blumige Formulierungen, wie: SSA strebe vor dem Hintergrund einer "ganzheitlich-systemischen Sicht" des Stadtteils ein "integratives Problemlösen" an - die sich, mit der "ökologischen Wende" populär geworden, auch in anderen Konzepten, wie z.B. dem der "Milieuarbeit" (Ebbe/Friese 1989) oder der "Netzwerkarbeit" wiederfinden -, bedeuten jedoch selten mehr als: alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Hegels für diese Zeitschrift, wie der Titel verrät, Programm gewordener Anspruch an "die denkende Vernunft", "den abgestumpften Unterschied des Verschiedenen, die bloße Mannigfaltigkeit der Vorstellung, zum wesentlichen Unterschiede, zum Gegensatz", zuzuspitzen, weil die "Mannigfaltigen erst, auf die Spitze des Widerspruchs getrieben, regsam und lebendig gegeneinander (werden) und (...) in ihm die Negativität (erhalten), welche die inwohnende Pulsation der Selbstbewegung und Lebendigkeit ist" (Hegel 1958: 549), wurde damit entgültig verabschiedet. Geradezu zynisch wird diese Art, "ökosozial zu denken und zu handeln", wenn Wolf Rainer Wendt (1982) - "die alte Ökonomik als ein Muster geschlossener lebenspraktischer Orientierungen in ländlichen Verhältnissen" (16f.) vor Augen - von einer Abstimmung von sich gegenüberstehenden "biosozialen Erfordernissen" (186) und "biosozialen Grundbedürfnissen" (187) im Rahmen von "Nischen" spricht, meint für ihn doch "das Konzept der Nische, es sei das natürliche Bestreben jedes Individuums, sich seine besonderen Beziehungen und darin die individuelle Eigenart zu erhalten (...) . Sie ist reich oder arm, je nach kreativer Lebendigkeit (Kompetenz), mit der es sie einrichtet, und die Nische ist eng oder weit in Konkurrenz zu den anderen, die sie berühren. Es gehört zur Lebenskunst, sich tätig seine Nische als Spielraum zu erhalten" (80).

Um "biosozialen Erfordernisse" und "biosoziale Grundbedürfnisse" aufeinander abzustimmen, sind für ihn Schritte der Planung, der Entscheidungsfindung, der Organisation und Koordination, der Ausführung und Kontrolle zu vollziehen. Ihre Verbindung in einer Führungslehre und Führungspraxis heißt "Management", was etymologisch nicht vom "Pferd-in-einer-Manege-Herumführen", sondern nach Wendt vom französischen ménager = haushalten abzuleiten sei (vgl. 1986: 70). Der griechische Begriff oikos, der die Bewältigung des Alltags an die Verantwortung für die Natur im Haushalt der Schöpfung bindet, dient ihm zur Begründung einer Fürsorgewissenschaft als Haushaltswissenschaft (1990: 16ff.). Die Verbindung von der "ökologischen Wende" zum Sozialmanagement ist aus dem Hut gezaubert. Das, was einmal die politische Produktivität der Gemeinwesenarbeit ausmachen sollte, ist wohl dabei, um es einmal in einer Kombination beider Rhetoriken auszudrücken, einem "ganzheitlichen" "Outsourcing" an bürgerschaftliches Engagement erlegen.

Bei denjenigen, die dem Gedanken einer politischen Produktivität von Gemeinwesenarbeit noch anhängen, spiegelt sich die nicht genügend reflektierte Assymmetrie im Verhältnis von GWAlerInnen und AdressatInnen in einer im Rahmen des Burckhardthauses und der AG SPAK leidenschaftlich geführten Kontroverse zwischen Strategien von Aktivierung und Interessenorganisation auf der einen Seite und fachpolitischer Eigeninititative sowie stellvertretender Einmischung auf der anderen Seite. Ob Tilo Klöcks Plädoyer für eine Synthese beider gleichrangiger und -wertiger Wege zur Machtbildung in "Verbundkonzepten" diese unproduktive Auseinandersetzung aufzulösen vermag, bleibt abzuwarten. Um "die feste Umklammerung der GWA durch die Sozialarbeit zu lockern und sie programmatisch, konzeptionell und methodisch zu bereichern" empfiehlt er eine "Wiederaufnahme von Community Organization", als "ein Element zur Wiederbelebung" der "Interessenorganisation von Menschen", die jedoch mit "stets kontextgebunden zu organisieren(den) und transparent zu machen(den)" "Ansätzen von stellvertretender Einmischung immer auszubalancieren" (Klöck 1994:151) wäre. Anknüpfungspunkt ist für ihn dabei das Konzept von "Empowerment" mit seiner Devise: "Nicht für sich Macht fordern oder erobern, sondern sie weitergeben, sie bei anderen wecken, ihnen dabei helfen, sie zu entdecken" (Keupp 1993: 366). Dem Versuch, "gezielte sozialpolitische Strategien dafür zu entwickeln, wie in den wachsenden gesellschaftlichen Randbereichen durch gezielte professionelle Ressourcenschöpfung Möglichkeiten von selbstorganisierten Initiativen angestoßen und systematisch gefördert werden könnten" (Keupp 1993: 380), ist auf jeden Fall zu wünschen, daß er an der damit noch nicht aufgehobenen Assymmetrie im Verhältnis von GWAlerInnen und AdressatInnen nicht scheitern möge.

Auch das Konzept von Empowerment ist nicht identisch mit der von ihren AdressatInnen ausgehenden "ProduzentInnen-Sozialpolitik", bleibt Empowerment doch auch im Gelingen ein professioneller Handlungsmodus. Demgegenüber ging es uns in der WIEDERSPRÜCHE-Redaktion mit unserem Begriff "Politik des Sozialen" (vgl. WIDERSPRÜCHE 1989) nicht allein darum, wie AdressatInnen professioneller sozialer Arbeit ihre Selbstbestimmung darüber zurückgewinnen können, was dort als Problem gelten und wie dies in einem Zusammenwirken mit Professionellen zu bearbeiten sein soll. Über eine solche Einbindung von Professionellen in einen Problembearbeitungsprozeß, "der 'von unten' kontrolliert, der vor Vereinzelung, Machtanhäufung und unausgewiesenen Normalitätskriterien schützt" (WIDERSPRÜCHE 1984: 131) hinaus, fokussiert der Begriff "ProduzentInnen-Sozialpolitik" als Zentrum einer "Politik des Sozialen" die Selbstregulierung von Subjekten, "die ihre Lebenszusammenhänge, Krisen und Probleme kollektiv und öffentlich bearbeiten und ändern wollen". Von einer solchen "ProduzentInnen-Sozialpolitik" als Zentrum einer "Politik des Sozialen" kann in Anlehnung an Negt/Kluge (1992: 16) dann geredet werden, wenn kollektives Handeln "seinen Gebrauchswert gewinnt aus der Bildung von Gemeinwesen, wenn es dem Schutz dieses Gemeinwesens dient und dessen Entwicklungsmöglichkeiten befördert. Ein Gemeinwesen darf nicht einzelne Bevölkerungsteile, einzelne Menschen, einzelne Realitätszusammenhänge, einzelne Rechtsansprüche ausgrenzen; es ist so reich, wie es Zusammenhänge herzustellen vermag." Genau daran auch müßte sich die politische Produktivität professioneller Gemeinwesenarbeit als das komplementäre professionelle Gegenstück zur "ProduzentInnen-Sozialpolitik" innerhalb einer "Politik des Sozialen" messen.

Zu den Beiträgen im einzelnen

Ausgehend von einer Kritik daran, wie in den "wilden Zeiten" der GWA mit jener spezifische Assymmetrie im Verhältnis von GWAlerInnen und AdressatInnen umgegangen wurde, geht Michael May in seinem programmatischen Beitrag dem Gedanken nach, wie im Rahmen von Gemeinwesenarbeit als "sozioanalytischer Interventionsstrategie" Politik zu einem Produktionsprozeß werden kann, der den gesamten Lebenszusammenhang der Menschen - und gerade auch das vermeintlich Private - durchdringt, aufsprengt und in einer Aufhebung der arbeitsteiligen und darin auch geschlechterpolarisierenden Spezialisierung der Sinne neu organisiert. Der Beitrag versucht, über Kritik und Programmatik hinaus, in seiner zweiten Hälfte auf konkrete Ansatzpunkte für eine solche professionelle Praxis hinzudeuten, ohne dabei vorschnell über die Dilemmata der Selbstorganisationsansätze von Marginalisierten und ihrer Unterstützung durch GWA hinwegzugehen.

Praktische Erfahrungen in der Umsetzung eines solchen Konzeptes von Gemeinwesenarbeit liefert der Beitrag der Projektgruppe Gemeinwesenarbeit der FHW. Der Wiesbadener Studiengang "Sozialwesen" ist sehr stark inspiriert von den Darlegungen Adrian Gaertners zu den Erfahrungen, die er als Planer eines "Modellversuchs" an der Gesamthochschule Kassel mit einem Studiengang mit integrierten Praxisphasen und Projektstudium gemacht hat (in Gaertner/Sachße 1978). Der Beitrag der Wiesbadener Projektgruppe skizziert die theoretischen Grundlagen ihres Gemeinwesenarbeitprojektes, das in seinen drei spezifischen Arbeitsformen von territorialer, funktionaler und kategorialer Gemeinwesenarbeit die unterschiedlichen Traditionen von community development, community organization und community education in einem dialektischem Sinne aufzuheben beansprucht. In der Reflexion der bisherigen Projekterfahrungen versucht er selbstkritisch aufzuarbeiten, was davon in der konkreten Projektarbeit einzulösen gelungen ist.

Praktische Erfahrungen verarbeitet auch der Beitrag von Helga Treeß. Im Zusammenhang mit dem Aufbau eines Jugendhilfezentrums wird in Hamburg versucht, Gemeinwesenarbeit als "intermediäre Instanz" zu profilieren. Der Aufsatz beschreibt nicht nur in systematischer Weise Ziele und Arbeitsstrukturen, sondern versucht auch, die Erfahrungen mit diesem Ansatz für eine konzeptionelle Konkretisierung und Weiterentwicklung des Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit fruchtbar zu machen.

Daß Gemeinwesenarbeit auf das äußere Gemeinwesen gerichtet ist, um das innere Gemeinwesen zum Ausdruck zu bringen und damit eine autonome Vergesellschaftung auf historischem Niveau zu ermöglichen, diese den beiden ersten Heftbeiträgen gemeinsame dialektische Denkfigur wird in dem Aufsatz von Maria Bitzan auf den weiblichen Lebenszusammenhang bezogen. Gemeinwesenarbeit kommt dabei als ein höchst ambivalentes Instrument zur Modernisierung des Reproduktionsbereiches in den Blick. Mit der Herausarbeitung der nur allzu oft vernachlässigten Dimension einer Arbeit am "weiblichen Gemeinwesen" eröffnet die Autorin der Gemeinwesenarbeit eine geschlechterpolitische Perspektive, die es erlaubt, auch neue Chancen auszuloten, in dieser Hinsicht eine politische Produktivität zu entfalten.

Einen Überblick über die begriffliche Fassung und Konzeptionierung von Lokaler Ökonomie, Sozialer Ökonomie und Gemeinwesenökonomie im europäischen Kontext vermittelt der Beitrag von Brigitte Voß. Der Aufsatz gibt zugleich einen Vorgeschmack auf das demnächst erscheinende Jahrbuch Gemeinwesenarbeit 6, dessen Schwerpunkt eine Verbindung von Konzepten von Empowerment und Gemeinwesenökonomie bildet und das hiermit allen unseren LeserInnen schon jetzt zur Lektüre empfohlen wird. Dieses Jahrbuch bündelt die im Rahmen des Burckhardthauses und der AG SPAK geführte Diskussion, wie Gemeinwesenarbeit in einer Lockerung der festen Umklammerung durch die Sozialarbeit nicht nur programmatisch, konzeptionell und methodisch bereichert werden, sondern auch eine politische Produktivität zurückgewinnen könnte.

Die Redaktion

Literatur

  • Altvater, E. 1982: Umbau oder Abbau des Sozialstaats? In: ProKla 12, S. 121 ff.
  • von Beyme, K. 1991: Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne. Frankfurt/Main
  • Blanke, B.; Jürgens, U.; Kastendiek, H. 1975: Kritik der politischen Wissenschaft. Frankfurt/Main
  • Blanke Th.; Sachßse, Ch. 1978: Theorie der Sozialarbeit. In: Gaertner/Sachße
  • Ebbe, K.; Friese, 1989: Milieuarbeit. Grundlagen präventiver Sozialarbeit im lokalen Gemeinwesen. Stuttgart
  • Gaertner, A.; Sachße, Ch. (Hg.) 1978: Politische Produktivität der Sozialarbeit. Frankfurt/Main
  • Hegel, G.W.F. 1958: Wissenschaft der Logik. In: ders.: Sämtliche Werke. Bd. IV. Stuttgart
  • Heiner, M. 1994: Aufbau und Nutzung politischer Netzwerke in der Gemeinwesenarbeit. In: Bitzan/Klöck (Hg.): Jahrbuch Gemeinwesenarbeit 5. München, S. 90-116
  • Hinte, W. 1985: Von der Gemeinwesenarbeit zur Stadtteilbezogenen Sozialen Arbeit - oder: Die Entpädagogisierung einer Methode. In: Brennpunkte Sozialer Arbeit: Gemeinwesenarbeit. Frankfurt/Main, S. 23 ff.
  • Hinte, W. 1986: Wider die Illusionen aus wilder Zeit. In: Sozial Extra 10, S. 33 ff.
  • Hinte, W. 1987: Von der Gemeinwesenarbeit zur stadtteilbezogenen sozialen Arbeit. In: Sozial extra 2/3, S. 8 ff.
  • Hirsch, J. 1982: Sozialstaatskrise und das sozialdemokratische Dilemma. In: Widersprüche 2, S. 51 ff.
  • Klöck, T. 1994: "Empowerment" in der Balance von Interessenorganisation und stellvertretender Einmischung als kombinierbare Prozesse der Machtbildung. In: Bitzan/Klöck (Hg.): Jahrbuch Gemeinwesenarbeit 5. München, S. 134-154
  • Langnickel, H. 1989: Gemeinwesenarbeit: Und sie bewegt sich doch. In: Sozialmagazin, S. 37-41
  • Mielenz, I. 1981: Die Strategie der Einmischung - Soziale Arbeit zwischen Selbsthilfe und kommunaler Politik. In: Neue Praxis, Sonderheft 6
  • Negt, O.; Kluge, A. 1992: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen. Frankfurt/Main
  • Oelschlägel, D. 1991: Gemeinwesenarbeit als ökosoziale Perspektive in der Sozialarbeit - gesellschaftliche Entwicklungen. In: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, S. 142-152
  • Oelschlägel, D. 1993: Gemeinwesenarbeit. Zwischen stadtteilorientierter Dienstleistung und Hilfe zur Selbsthilfe. In: Soziale Arbeit, S. 2-10
  • Peters, F. 1983: Gemeinwesenarbeit im Kontext lokaler Sozialpolitik - eine theoretische Skizze zur Einführung. In: ders. (Hg.): Gemeinwesenarbeit im Kontext lokaler Sozialpolitik. Bielefeld, S. 9 ff.
  • Preußer, N. 1984: 13 Thesen zur Neuorganisation Sozialer Dienste. In: Oelschlägel, D. (Hg.): Jahrbuch Gemeinwesenarbeit 1. München
  • Wendt, W.R. 1982: Ökologie und soziale Arbeit. Stuttgart
  • Wendt, W.R. 1986: Das breite Feld der sozialen Arbeit: Historische Beweggründe und ökologische Perspektiven. In: Oppl/Tomaschek (Hg.): Soziale Arbeit 2000. Bd. 1. Freiburg
  • Wendt, W.R. 1989: Gemeinwesenarbeit. Ein Kapitel zu ihrer Entwicklung und zu ihrem gegenwärtigen Stand. In: Ebbe/Friese, S. 1-34
  • Wendt, W.R. 1990: Ökosozial denken und handeln. Grundlagen und Anwendungen in der Sozialarbeit. Freiburg
  • Wendt, W.R. 1991: Managment in der Sozialarbeit. In: Blätter der Wohlfahrtspflege 1, S. 34 f.
  • WIDERSPRÜCHE, Heft 11/1984
  • WIDERSPRÜCHE, Heft 31/1989
  • Zander, M. 1989: Kommunalisierung der Sozialpolitik: Der Staat entlastet sich, die Kommunen haben kein Geld - wie sind die Perspektiven. In: Forum der AG SPAK 41/42, München