Mütter-Fallen? Krise und Weiblichkeit

Editorial

Schon einmal haben wir, Sozialarbeiterinnen, Studentinnen, Dozentinnen zusammengesessen und im Rahmen des "Informationsdienstes Sozialarbeit" ein Frauen-Heft vorbereitet und produziert: "Frauen und Sozialarbeit". Das war 1978. Nun, vier Jahre später, haben wir erneut den Versuch gewagt, ein Heft zum Thema: "Frauen und Reproduktion" zu machen. Unsere Redaktionsgruppe hat sich erweitert: zu den Sozialarbeiterinnen sind andere "Reproduktionsarbeiterinnen", Ärztinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern dazugekommen. Wir fanden es spannend, unsere damaligen Fragestellungen mit denen, die wir heute haben, zu vergleichen, um herauszubekommen: Wohin haben wir uns - bewußt und weniger bewußt - in diesen vier Jahren entwickelt? Was ist aus unseren Emanzipationsentwürfen geworden? Wie stehen wir heute zu ihnen? Wie wollen und können wir weiterleben, uns einmischen, widersprechen, uns trennen, Autonomie erwerben?

In unserem ersten Heft ging es schwerpunktmäßig um weibliches Arbeitsvermögen und um Mütterlichkeit in der bezahlten Reproduktionsarbeit, speziell in der Sozialarbeit. Wir haben versucht, die Zusammenhänge zwischen Sozialarbeit und Frauenbewegung (wie frauenbewegt ist die Sozialarbeit, und wie sozialarbeiterisch ist die Frauenbewegung?) herauszuarbeiten. Und wir haben die Sozialarbeit als weiblichen Beruf, als bezahlte professionelle Fortführung der Hausarbeit diskutiert. Schließlich haben wir diese Themen an einzelnen Praxisbeispielen verdeutlicht und danach gefragt, wie wir Reproduktionsarbeiterinnen Weiblichkeit im Beruf emanzipatorisch wenden können.

Inzwischen, vier Jahre später, merken wir, daß unsere Fragestellungen breiter, umfassender, integrierter geworden sind: Obwohl wir immer noch bezahlte Reproduktionsarbeiterinnen sind, wollen wir uns nicht mehr nur auf diesen Bereich unseres Lebens und unserer Aktivitäten beschränken. Unseren Emanzipationsprozeß erleben wir vielschichtiger und widersprüchlicher als vor ein paar Jahren. Und im Zentrum dieses Erlebens steht für uns die Erkenntnis, daß die Fähigkeit von uns Frauen, Leben produzieren und reproduzieren zu können, in der kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaft zum Muß und Zwang für uns geworden ist - qua Zuordnung dieser unserer Fähigkeiten zur "weiblichen Natur" und Unterordnung unter diese. Allgemeiner noch: Unsere Fähigkeiten in bezahlter und unbezahlter Reproduktionsarbeit werden allemal einseitig und einschränkend im Sinne einer kompensatorischen Kraft beim Prozeß der rationalen Naturbeherrschung ausgebeutet.

Was folgern wir nun daraus?

Um uns der Ausbeutung unserer Fähigkeiten widersetzen zu können, aber auch: um sehen zu lernen, wo wir selber Anteil an dieser Ausbeutung haben, müssen wir die Begriffe "Mütterlichkeit" und "weibliches Arbeitsvermögen" umfassender als bisher auf uns beziehen.

Mütterlichkeit bedeutet nun auch: unsere persönliche Einstellung und Entscheidung zum Mutter-Sein zu überdenken und zu thematisieren. In der Vergangenheit haben wir es uns "einfach" gemacht und als "Berufsmütter" auf privates Mutter-Sein verzichtet - sind dabei aber doch auch einem der gesellschaftlich vorgegebenen Frauenbilder aufgesessen; haben "vorgeführt", daß Emanzipation möglich ist unter Verzicht auf privates "Glück" (also nicht sonderlich erstrebenswert); haben darüber hinaus als professionelle Mütter den privaten Müttern ihre Unzulänglichkeiten und Defizite vorgehalten; haben schließlich so zur Spaltung unter uns Frauen in Mütter und Nicht-Mütter beigetragen.

Und heute sind wir grad wieder dabei, es uns "einfach" zu machen und damit an der Spaltung unter Frauen weiterzuwirken: So viele Kräfte haben wir verbraucht in den letzten Jahren beim Kampf um ein besseres und freieres Leben in dieser Gesellschaft - müde sind wir dadurch geworden, Ohnmacht haben wir während unserer Einmischungen erfahren... So ziehen sich viele von uns zurück ins private Mutter-Dasein, in die Innen-Welt und unterstützen - ohne es zu wollen - die Restauration reaktionärer Mütter-Ideologien.

Beim Versuch, uns der kalten und herrschaftlichen Realität zu widersetzen, uns von männlichen Normen (gerade auch in linken Organisationen), Verhärtungen und Ent-Sinnlichung zu emanzipieren, geraten wir jetzt in Widerspruch zu unserem Anspruch und Wunsch, die uns zugeschriebene "natürliche" Mütterrolle aufzukündigen. Die zwei Seiten des Widerspruchs, in dem wir stecken, haben wir Mütterfallen genannt. In den verschiedenen Beiträgen zu diesem Heft, durch unterschiedlichste Erfahrungen und Lebenszusammenhänge geprägt, versuchen wir, auf diese doppelte Widersprüchlichkeit einzugehen und Ansätze zum Umgang mit ihnen zu finden.

Untrennbar mit dem Themenbereich "Mütterlichkeit" ist der des "weiblichen Arbeitsvermögens" verbunden. Auch hierfür gilt: Wir sind ein Stückchen vorangekommen, haben durch Nachdenken über Beziehungsarbeit, durch Diskussionen über das Wesen der Hausarbeit und durch die Forderung nach Entlohnung von Hausarbeit Kriterien gewonnen, die den herrschenden Arbeitsbegriff grundsätzlich und qualitativ anders als es bislang in der linken Diskussion geschieht, infragestellen können. Aber auch hier lauern die Fallen von rechter und von grüner Seite: Wir müssen achtgeben, daß unsere neuen Stärken und Emanzipationsansätze nicht in die falsche Richtung, die weniger Staat zu Lasten von mehr Eigenarbeit, mehr Ehrenamtlichkeit, mehr Zwischenmenschlichkeit will, kanalisiert werden!

Über ein halbes Jahr lang haben wir also in den oben beschriebenen Zusammenhängen diskutiert, gestritten, uns auseinandergesetzt und uns einander angenähert... Dabei war es für uns alle fruchtbar und bereichernd, daß wir Frauen mit z.T. sehr unterschiedlichen Meinungen, Erfahrungen, Selbstverständnissen sind, verkürzt gesagt: Frauen, die sich stärker mit der autonomen Frauenbewegung identifizieren und Frauen, die sich schwerpunktmäßig eher der nichtdogmatischen Linken zuordnen mögen. Insofern werden wir mit diesem Heft weder den eher linken, noch den eher autonomen Frauen voll entsprechen - insofern knüpfen wir auch an der undogmatischen Tradition der "Widersprüche" an.

Zu den Beiträgen im Schwerpunktteil:

In einigen einleitenden Gedanken beschäftigen wir uns mit der aktuellen, der "neuen" Mütterlichkeit, fragen nach ihren objektiven und subjektiven Hintergründen und erläutern unseren Begriff "Mütterfallen".

Barbara und Inge-Meta reflektieren ihr "privates" Mutter-Sein und die darin eingebauten Mütter-Fallen: Barbara tut dies in bezug auf ihre Kinder, Inge-Meta in bezug auf ihre eigene Mutter. Beide zeigen, wie für Mütter kaum eine Lebensphase da ist, in der es akzeptiert wäre, Subjekt des eigenen Lebens zu sein. Sie zeigen aber auch Ausbruchsversuche.

Hilde, Elke und Ute stellen an verschiedenen Politikbereichen dar, welche Frauenbilder und -realitäten gesellschaftlich erwünscht sind bzw. durchgesetzt werden sollen: Elke setzt sich mit dem § 218 auseinander und zeigt seine Doppelfunktion auf, politisches Verhinderungs- und gleichzeitig medizinisches Manipulationsinstrument zu sein.

Ute stellt dar, wie die Gleichberechtigungsforderung durch Alltagsgewohnheiten, Ungleichzeitigkeiten und systematisches Un-Recht verwässert wurde und warum sie gleichwohl immer noch eine radikale Emanzipationsforderung für uns sein kann. Hilde zeigt auf, wie Familienpolitik primär auf die gebärfähige Frau ausgerichtet ist, obgleich die meisten Ehe-Frauen ältere Frauen sind, deren Kinder bereits das Haus verlassen haben.

Elke schließlich beschäftigt sich mit der neuen Familienpolitik, deren Hintergründen, Absichten und Auswirkungen auf Frauen.

Thea und Ulrike haben zu dem Problem, jeweils genauer herauszufinden, was im politischen Alltag für uns Trennung und Einmischung ausmacht, geschrieben: Thea stellt an verschiedenen Erlebnisbereichen (an der Redaktionsgruppe der Zeitschrift "Widersprüche", an der Still-Diskussion, am pflegenden Beruf) die jeweiligen Notwendigkeiten für Trennungen oder Einmischungen dar; Ulrike thematisiert, wie sie im Prozeß ihres politischen Lernens, in der Zusammenarbeit mit Genossen und im Rahmen von SB-Politik die Grenzen von Frauen-Einmischung erfahren hat.

Zwei Beiträge setzen sich mit Frauen und Wissenschaft auseinander.

Christine, Natascha und Johanna analysieren, welche Dispositionen Frauen zur Wissenschaft und zum Wissenschaftsbetrieb haben und thematisieren, inwieweit die vorfindbaren Ansätze eines feministischen Wissenschaftsverständnisses uns einen anderen Zugang zu und eine andere Qualität von Wissenschaft ermöglichen können.

Brigitte und Brigitte wollen durch das Infrage-Stellen der scheinbaren Gegensätzlichkeit von Vernunft - Gefühl, Objektivität - Subjektivität, Kultur - Natur einige Konsequenzen für unsere gegenwärtige weibliche Praxis in der Wissenschaft formulieren.

Hildegunt, Nico und Marlies setzen sich mit Weiblichkeit im Beruf auseinander: Hildegunt schildert am Beispiel des Krankenschwestern-Berufs, wie dort Weiblichkeit als kompensatorische Kraft ausgebeutet wird und wie leicht Frauen der Gefahr erliegen, die Voraussetzungen dieser Ausblutbarkeit ständig zu reproduzieren. Nico reflektiert die "strukturelle Weiblichkeit" in der Sozialarbeit und beschreibt, wie er als Sozialarbeiter diese erlebt und fürs Gegenüber erlebbar macht: als "Krisen-Mutter, Kumpel und Lolita".

Marlies beschreibt am Beispiel der Sozialarbeit mit Behinderten zum einen den Widerspruch zwischen sozialstaatlichem Auftrag und ihren eigenen Ansprüchen, zum anderen stellt sie die als Frau und als Sozialarbeiterin häufig erfahrene Diskriminierung dar.

In einem unseren Schwerpunktteil abschließenden Interview entwickelt Rossana Rossanda einige Gedanken zum Stand und zur Zukunft der Frauenbewegung: Mächtig geworden und nicht mehr zurücknehmbar, fehlt der Frauenbewegung doch noch die Geschichte des gemeinsamen Kampfes; vor allem fehlt ihr die Unterstützung der linken Bewegung. Rossana appelliert an die Frauen, die Phase der Identitätsfindung abzuschließen, anzufangen, aggressiv zu werden, "Hürden zu überwinden und zu durchbrechen".

Hamburg, März 1983

Frauenredaktionsgruppe: Hildegunt Bexfield, Cecilie Eckler, Janni Hentrich, Thea Kimmich, Barbara Rose, Elke Schmid, Ursula Stielicke, Ulrike Stock.