Warum Mütterfallen?

I

Warum entwickelte sich die neue Mütterlichkeit ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt - Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre? Mehrere Strömungen laufen da zeitlich und inhaltlich zusammen und verstärken sich teilweise gegenseitig:

Da sind erst einmal die Kriegs- und Nachkriegsmädchen, u.a. die alten 68er Frauen mit ihrer individuellen, meist mittelschichtigen Lebensgeschichte: Noch in den traditionellen Weiblichkeitsnormen aufgewachsen und erzogen, zu Zeiten von antiautoritärer Bewegung, außerparlamentarischer Opposition und den Anfängen der bundesdeutschen Frauenbewegung (erste §218-Kampagne) in der Berufsausbildung befindlich, haben sie sich damals - oft entgegen ihrer Erziehung - häufig erstmals öffentlich-politisch eingemischt. Sie sind ausgebrochen aus der Ausschließlichkeit der Perspektive 'Mutterrolle' in die der 'emanzipierten Berufstätigen' oder in beides zusammen - haben im Berufsleben nach den vorgegebenen, zumeist männlichen Leistungsnormen mit den Männern konkurriert, ohne von den Einengungen bzw. den Erwartungen an die 'normale' Frauenrolle befreit gewesen zu sein, und sind auch dabei auf allerlei Fallen scheinbarer Befreiung hereingefallen.

Wenn diese Frauen - heute ca. 35 bis 45 Jahre alt - die Erfahrung von Mutterschaft und mit Kindern leben bisher noch nicht gemacht haben, ist es jetzt allerhöchste Zeit, sozusagen die letzte Gelegenheit. Haben diese Frauen schon Kinder, vielleicht sogar schon größere, d.h. 10 Jahre alte und ältere, entsteht vielleicht der Wunsch nach noch einem Baby, um es heute anders, bewußter und besser zu machen, von der Geburtsvorbereitung bis zur Kindergruppenarbeit, die die frühere Kinderladenarbeit ablösen würde. War die inzwischen mehrjährige Erfahrung von Berufstätigkeit wenig selbstbestimmt, sehr konkurrenz- und machtorientiert, geprägt durch die übliche Zweckrationalität von Warenproduktion und Tauschgesellschaft, erscheint es zudem aussichtslos, eine solche Arbeitsplatzsituation grundsätzlicher als nur durch kosmetische Verschönerungen in Kleinigkeiten verändern zu können, so entsteht ein Kinderwunsch u.U. schon allein deswegen, um die ganz andere Erlebnisqualität von weiblicher Produktivität dagegenzusetzen oder diese Art von Berufstätigkeit einfach unterbrechen und doch was Sinnvolles erleben zu wollen.

Da ist weiter die Gruppe der Frauen - und wir glauben, die ist ziemlich groß -, die einen Beruf zwar haben, ihn aber eigentlich aus verschiedenen Gründen nie so richtig als wesentlichen Bestandteil ihrer Person und ihres Lebens betrachten und empfinden konnten, die sich 'eigentlich' hinreichend wohlfühlen in der tradierten Frauenmutterrolle und sich - meist mit mehreren Kindern oder z.B. in der Form der Tagesmutter - nach relativ kurzer Berufstätigkeit für die Ausschließlichkeit von Mutter- und Hausfrauendasein entscheiden - oft ohne Vorstellungen für die Lebenszeit danach, d.h. wenn die Kinder groß sind.

Schließlich: die vielen, vor allem jungen Frauen, die gar keinen Beruf gelernt haben, weil sie wenig Chancen und viele Schwierigkeiten hatten und weiter haben werden, einen Ausbildungsplatz oder sogar Arbeitsplatz zu finden, die doch sowieso bald heiraten und Kinder kriegen und sich dann auch mehr oder weniger freiwillig auf die Ausschließlichkeit des Hausfrauen- und Mutterdaseins einlassen, u.U. schon allein deswegen, weil ihre materielle Versorgung so erst einmal gesichert ist, ohne daß sie im elterlichen Haushalt bleiben müssen.

Und zuletzt: Frauen mit und ohne Beruf, die die Mütterproduktivität und das Hausfrauenleben auf eine andere als die tradierte Art und Weise zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Sie entscheiden sich selbstbewußt für's Kinderhaben vor/um 30, weil das zum Frausein gehört. Ebenso bewußt und selbständig definieren sie ihre Teilrollen z.B. als Erzieherin, als Köchin, als Gesundheitspflegerin usw.; sie sehen darin ihren Beitrag zur gesellschaftlich notwendigen Beziehungsarbeit, Ernährung, Gesundheit usw., vertreten dies auch offensiv nach außen und beziehen aus beidem zusammen den wesentlichen Teil ihrer Sicherheit und Bestätigung.

II

Diesen und anderen individuellen Situationen verschiedener Frauen kommen allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen entgegen:

Die wirtschaftliche und technologische Entwicklung produziert eine zunehmende Arbeitslosigkeit, die in besonderem Maße und in teils versteckter Form überproportional Mädchen und Frauen trifft. Die Anteile von Frauen an den Arbeitslosen, das Ausbildungsplatzangebot für Mädchen, die Verteilung von Frauen auf Berufe/Berufsgruppen mit niedriger bzw. hoher Qualifikation illustrieren dies. Da Frauen ja sowieso nur Mitverdienerinnen sind, sind sie eigentlich auch nicht richtig arbeitslos. Beschäftigungspolitische Maßnahmen/Angebote unterstützen diese Tendenz: So forderten Politiker in verschiedenen Bundesländern im öffentlichen Dienst berufstätige Ehefrauen auf, die allgemeinen Sparmaßnahmen zu unterstützen, und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem sie ihren Arbeitsplatz ganz oder teilweise räumen und natürlich auf die Gehälter verzichten sollten.

Mit der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung und Arbeitslosigkeit geht eine allgemeinere politisch-ideologische Stagnation bzw. Rück- und Rechtsentwicklung einher. Sie schlägt sich u.a. auch in der Diskussion/Bewertung um veränderte Rollennormen von Frau und Mann, um veränderte Beziehungs-, Lebens- und Wohnformen sowie um die Einschätzung der Kleinfamilie und des § 218 nieder. Zur Verdeutlichung einige Überschriften: Blüm's neue Mütterlichkeit - Kleinfamilie wieder höher im Kurs - Wohngemeinschaften finden keine Wohnungen mehr - Abfindungen von 1.500 DM als Angebot für Frauen, die mit dem ersten Kind aus dem Beruf ausscheiden (in Baden-Württemberg als Modell in Erprobung und in Planung auch für Berlin) und andere ähnliche familienpolitische Maßnahmen mehr - Dr. Heiner Geissler, der Mann im Familienministerium, der uns Frauen versteht und uns vertreten soll...

Die bundesdeutsche Gesellschaft, allen voran die linke, die frauenbewegte und die alternative Szene, entdeckt die Körperlichkeit, die Ernährung, die Gesundheit, die Natürlichkeit des Kinderkriegens, des Stillens, des Landlebens usw. Wenn schon die Berufsarbeit immer zerlegter und entfremdeter wird, wenn schon die Beziehungen zwischen den Menschen immer schwieriger befriedigend zu gestalten sind, wenn schon die Bedrohung durch einen Atomkrieg immer weiter voranschreitet usw. usw. - dann verstärkt sich das Bedürfnis, wenigstens den eigenen Körper, das ganz individuelle Leben unversehrt zu erhalten oder doch aktiv zu schützen. Kollektive Veränderung mit Erfolgsaussichten, kollektiver Widerstand erscheint so schwierig und so ausweglos, daß er - zumindest teilweise - ersetzt wird durch individuelle Vorsorge.

III

Es geht nicht darum, irgendeiner Frau den wohl sehr elementaren Kinderwunsch streitig zu machen, egal zu welchem Zeitpunkt im Leben er auftaucht und in welcher Praxis er ausgelebt wird. Es geht auch nicht darum, Entwicklungen wie der Entdeckung von natürlicher Körperlichkeit oder gesünderer Ernährung usw. ihren Wert abzusprechen. Zu diesen Entwicklungen tragen wir ja teils selber aus guten Gründen bei. Es geht uns eher darum, die Widersprüchlichkeit solcher Tendenzen deutlich zu machen - aufzuzeigen, wo da für uns selber Fallen lauern können.

IV

Motor all dieser Strömungen sind reale Bedürfnisse, deren Befriedigung ihren Platz verlangt. Schwierig wird es, wenn diese neu entdeckten Einzelbedürfnisse viele andere, bisher für wichtig erachtete Bedürfnisse, Gedanken und Handlungen überlagern, möglicherweise sogar schlagartig außer Kraft setzen und ihre Befriedigung bzw. ihre Verbreitung das einzig wichtige und richtige Ziel wird. Dann geraten die gesunde Ernährung, die natürliche Körperlichkeit, die Natürlichkeit des Stillens usw. in die Nähe von Weltanschauungsersatz oder sogar Ideologie. So benutzt, können solche Strömungen zur Rechtfertigung von Bedürfnissen und ihrem Ausleben herangezogen werden, wo es vielleicht gar nichts zu rechtfertigen gibt, wo vielleicht bisher verdrängte Bedürfnisse mit großer Wucht auftauchen und uns selber Angst machen, wo es vielleicht schwierig ist, eine Minderheitenmeinung in einer anders fühlenden, anders denkenden und anders handelnden Umgebung zu vertreten, wo es Auseinandersetzung, Unbequemsein, u.U. sogar ein Stück Isolierung kostet, das eigene Frausein nach wie vor anders definieren zu wollen, als wir es - in der Mehrzahl - zuhause gelernt haben und als es auch noch in uns steckt.

V

Aber nicht nur auf uns selber können wir hereinfallen. Die Verführungen werden auch von außen an uns herangetragen. Genaues Hinsehen ist nötig, um nicht in die aufgestellten Fallen hineinzutappen. Wenn z.B. die CDU fortschrittlich propagiert, alle Frauen, auch die Hausfrauen (dabei ist fast jede berufstätige Frau auch selbstverständlich Hausfrau) sollten das Mutterschaftsgeld bekommen, so daß es also ein Erziehungsgeld sei; aber leider ist das erst möglich, wenn die Finanzen wieder in Ordnung sind... - so Heiner Geissler in Brigitte Nr. 23, Herbst '82 -, soll uns das Sand in die Augen und ins Gehirn streuen, unsere Fragen und Forderungen zu vergessen. Zum Beispiel diese:

  • Soll das ein Angebot/Trostpflaster für Verzicht auf Berufstätigkeit sein in einer Zeit, wo die Arbeitslosigkeit eh' hoch ist?
  • Soll das ein ernsthaftes Angebot sein für Entlohnung der Erziehungsarbeit, die die Frauen tatsächlich leisten?
  • Soll damit das Muttersein gegenüber der Berufstätigkeit weiter und wieder mehr aufgewertet werden?
  • Soll, soll, soll...
  • Sollen wir uns wieder begnügen und schweigend mitmachen, weil es diesem unserem Lande ja so schlecht geht?

Die Vereinnahmung von unseren Inhalten und Zielen passiert aber nicht nur auf der Ebene ideologischer Argumentation, sondern auch auf der etwas greifbareren von Warenproduktion und Tausch. Wenn z.B. Verlage sogenannte Frauenthemen oder Fragen, die in den verschiedenen Subkulturen gerade in sind, in Windeseile in ganze Buchreihen umsetzen, so liegt darin nicht nur die Entdeckung bzw. Auffüllung von Marktlücken und eine - wenn auch möglicherweise nur vorübergehende - Erweiterung des Marktes. In der Regel hat eine solche Vermarktung auch eine Verwässerung der ursprünglichen Inhalte zur Folge und meistens in der Weise, daß die besonders kritischen und die besonders ganzheitlich einschätzenden Inhalte gestrichen werden oder doch unterrepräsentiert sind.

Was hat dieser Tatbestand mit Fallen für unser Frauenselbstverständnis und für unsere Frauenpolitik zu tun? Eine Flut an Frauenromanen, Frauensachbüchern, Radio- und TV-Sendungen zu Beziehungsproblemen zwischen Männern und Frauen usw. usw. können uns glauben machen, wir hätten es geschafft: die zunehmende Veröffentlichung der Situation von Frauen - beschrieben durch uns Frauen selber - bedeute die gesellschaftliche Anerkennung unseres gleichgewichtigen Platzes und unserer ungehinderten Entfaltung neben bzw. mit den Männern in dieser Gesellschaft. Aber: dürfen wir die zweifellos größer gewordene erreichte Öffentlichkeit gleichsetzen mit der vorurteilsfreien gesellschaftlichen Anerkennung der veröffentlichten Inhalte und mit der Veränderung von gesellschaftlicher Realität? Oder ist Veröffentlichung nicht auch oft Ausdruck von inzwischen gesellschaftsfähig gewordener Fragestellung, die aber genau den kritisch-ganzheitlichen Teil ausklammert, der die vorherrschende Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen und ihre gesellschaftliche Bewertung grundsätzlich in Frage stellt? Wo ist Veröffentlichung mehr Vereinnahmung und Verkürzung als Herausforderung? Und wo ist Veröffentlichung ein notwendiger Baustein von Veränderung, weil solche kritisch-ganzheitlichen, d.h. radikaleren Positionen gestärkt werden, die uns Frauen aufmuntern, die bestehenden Strukturen kollektiv und praktisch handelnd in Frage zu stellen ?

VI

Geschriebenes zu produzieren, das kritisch-ganzheitlich bleibt und herausfordert, ist schwer. Das wissen wir. Und trotzdem versuchen wir es mit diesem Heft, sehr wohl sehend, daß wir damit selber eine weitere der zahlreichen Frauenbroschüren auf den eben kritisierten Frauenbuchmarkt bringen. Die Produktion dieser Broschüre hat uns gestärkt. In eine Falle tappen wir allerdings nicht: zu meinen, damit hätten wir viel praktische Veränderung geschafft.

Und wenn wir diese Fallen - wo immer sie auch aufgestellt sind - nun rechtzeitig und klar erkennen, was dann? Reicht es zu sagen: nicht hineintappen?

Sind wir dann schon Sand im Getriebe, der verändernd den reibungslosen Ablauf behindert?

Schwer genug, dieses Nichthineintappen zu verwirklichen, zusammen mit anderen Frauen und erst recht einzeln und allein...