Methoden, Techniken, Ziele? Die heimliche Anpassung?
Editorial
"Das 'Haus der Wissenschaft', dieser alte Prachtbau, ist anscheinend baufällig geworden, und weil die Renovierung vielen seiner Bewohner als zu aufwendig erscheint, zieht man es vielleicht vor, die Mauern mit eilig aufgestellten Balken abzustützen. Allerlei Gespenster und Irrlichter, von denen es hieß, man sei sie schon lange los, geistern nachts durch die Räume oder hämmern zumindest an die Kellertür; Unkraut dringt durch die Ritzen und der Putz fällt von den Wänden. Natürlich gibt es nicht wenige unter den Mietern, die dies bestreiten, aber immer häufiger - so scheint es - schauen auch sie abends unters Bett, und in den Keller trauen sie sich allemal nicht mehr." (H.P. DUERR: Vorwort, S. 9 in: Der Wissenschaftler und das Irrationale, 2 Bände; Syndikat, Frankfurt 1981).
So scheint es auch mit dem Thema dieses Heftes auszusehen. Methoden: ein Mittel an sich - oder ohne das Ziel, für das sie angewandt werden, nicht zu diskutieren? Ist schon über die Methode das Ziel erkennbar: Anpassung an den Status quo oder Emanzipation - oder ist Methode nur im Zusammenhang mit dem Ziel zu diskutieren? Das, worauf wir uns in diesem Heft eingelassen haben, bleibt so denn auch ein Fragment. Und vielleicht sollten wir es auch akzeptieren, daß die Fragen sich so einfach nicht beantworten lassen. Kommen doch auch Ungleichzeitigkeiten, die sich aus dem aktuellen Diskussionsstand der einzelnen Bereiche, ihrer historischen Entwicklung und sozialen Anwendungsweise ergeben, hinzu.
Es gibt Ansätze für Antworten und die haben wir in diesem Heft zusammengestellt. Vorangegangen ist eine lange Diskussion.
Uns scheint allerdings, verschiedene Fragen sind noch nicht gestellt bzw. dürfen nicht gestellt werden. Ein Beispiel: Ein als alternativ konzipiertes Frauenhaus hebt anfänglich die hierarchische Struktur auf, beginnt Beratung durch Frauen, die der Problematik selbst unmittelbar nahe stehen. Diese Form gegeninstitutioneller, unprofessioneller Arbeit wird in einem Bericht dargestellt und in ihrer Entwicklung problematisiert, die Anpassung geschildert. Welche Arbeit wird nun alltäglich gemacht? Die Autorinnen geben unter anderem "Gesprächstherapie" an - ohne Begründung, ohne Kommentar (vgl. Smith/Wartenberg, in: Sozialmagazin, Heft 6/1979).
Dieses Beispiel will stellvertretend aufzeigen:
- das klassische Instrumentarium hat sich in der Praxis nie in einer Krise befunden (vgl. Giovanni Jervis, Die offene Institution - Psychiatrie und Politik, Syndikat-Verlag, Frankfurt 1979);
- es wird in veränderte Strukturen unhinterfragt übernommen;
- damit wird nicht mehr deutlich, welche Ziele erreicht werden sollen und welche allenfalls erreicht werden können.
Die folgenden Beiträge zeigen, daß es zu dieser Problematik nicht "die" Meinung der Redaktion gibt. Zeitweilig floß uns das Problem unter den Händen weg. Und dieser Vorgang scheint symptomatisch: Nicht nur, daß die eigenen Tätigkeiten als "Linke" unterschiedlich gedeutet wurden; es wurde auch deutlich, daß es sich bei den Methoden um eine Fragestellung handelt, die inzwischen nicht mehr aktuell zu sein scheint. Methoden haben sich in unserer täglichen Praxis unhinterfragt etabliert.
Unterstützt wird dieser Prozeß durch die Konzentration auf die sich durchsetzenden Sparmaßnahmen beispielsweise im sozialen Sektor. Diese Konzentration hinterläßt einen blinden Fleck im Blickwinkel der Funktion von Sozialarbeit. Das Problem "kein Geld" gilt gleichsam als Alibi, sich über Sinn und Inhalt von Sozialarbeit keinen Gedanken mehr machen zu müssen.
Diese Diskussionen aber wieder aufzunehmen, dazu wollen wir auch mit diesem "Widersprüche"-Heft anregen.
Haben Methoden auch "befreienden" Charakter ? Dieser Frage gehen Ursula Schuch und Karl-Heinz Albers (beide in der Bildungsarbeit tätig) nach, losgelöst von den historischen Entstehungs- und den spezifischen Anwendungsbedingungen der Methoden, den Herrschaftscharakter allerdings stets im Hinterkopf.
Christa Sonnenfeld will aufzeigen, daß es über Erfolge von Methodenanwendung keine überprüfbaren befriedigenden Aussagen gibt und daß bereits die Überprüfung, an welcher Stelle Methoden "gut, brauchbar oder schädlich" sind, immanent ideologisch ist. Ihr Erfahrungshintergrund ist dabei der Bereich Sozialarbeit, konkret die Heimerziehung. Im Vergleich zur Sozialarbeit vielleicht noch tiefer verwoben mit Herrschaftsinteressen einerseits, noch vermischter mit alten Freiheitsträumen der Menschheit andererseits, sind Methoden der Medizin. Der Artikel der beiden Mediziner Thea Kimmich und Reinhard Laux von der "Häßlichkeit der Technik" stößt sich an der häufig zu oberflächlich rückschauenden Technikkritik einiger "Alternativer", aber auch an Ansätzen wie: Es ist halt ein bißchen zuviel des Guten. Begonnen wird deshalb mit einer Rückschau auf die Zukunft: wie sehen die Wünsche nach Technik aus? Nur knapp kommentierend wird die "häßliche Realität" dagegen ins Bild gesetzt (im Wortsinn). Es werden dann Ansätze zur Kritik entwickelt, von der privaten Aneignung des Reichtums her, und von der inneren Gewalt, die sich in der Technik veröffentlicht. Um diese Zusammenhänge anschaulicher zu machen, wird im 2. Teil am Beispiel der künstlichen Beatmung dieses Herangehen nachvollzogen. Es werden "unwissenschaftliche" Triebkräfte des technischen Fortschritts entdeckt, blendende Triumphe der Gegenwart werden durch ihre Vorläufer enttarnt.
Das Arbeitsfeld Schule im Sozialistischen Büro Hamburg wählte das "literarische Verfahren" der Korrespondenz. In den Briefen der Lehrer wird nicht nur die Widersprüchlichkeit der Methodenanwendung in der Schule deutlich, sondern auch die Schwierigkeit, eine so gesellschaftlich immanente Institution zu verändern: Der Weg von der "verwalteten zur autonomen Schule" hängt leider nicht vom Engagement der dort wirkenden Lehrer ab. Im Gegensatz zum sozialen Bereich hat Schule auch den legitimen Anspruch, intellektuelles Wissen zu vermitteln und es kann nicht darum gehen, dies nicht mehr zu tun; es gilt indessen Formen und damit auch Methoden zu finden, diesen Anspruch auch umzusetzen.
Keine Rezepte, aber Möglichkeiten für den Pädagogen, werden in Gerd Koch's "Plädoyer für das Prinzip Theater in Lehr-Lern-Situationen" angedeutet. Möglichkeiten, auch gesellschaftliche Realität in den pädagogischen Alltag aufzunehmen, so daß das "utopische, nonkonformistische, normabweichende Element" geradezu ein bestimmendes Merkmal ist. Gerd Koch ist Fachhochschullehrer.
Mit den Methoden-Strickmustern der Bindestrich-Pädagogik setzt Rainer Lehmann sich in seinem Beitrag "Arbeiterbildung statt Unterprivi-Doping" kritisch auseinander. Selbst in der Bildungsarbeit tätig, versucht er, die unheilige Allianz zwischen sich kritisch gebenden Pädagogenkollegen und einer in Legitimationsdruck geratenen Administration zu entlarven. Er insistiert dabei energisch darauf, die in letzer Zeit (nicht nur im pädagogischen Bereich) mehr als zu kurz geratene Theorie-Diskussion wieder aufzunehmen, also Fragen nach dem "Was", "Warum", "Wozu" zu stellen und nicht lediglich nach dem "Wie", nach Rezepten zu suchen.
Kaum eine Stelle noch in der Sozialarbeit, in der nicht Zusatzqualifikationen gefordert würden. Kaum ein Sozialarbeiter, der nicht in den letzten Jahren von einer Fortbildung zu anderen gehetzt ist resp. gehetzt wurde. Neue Methoden, Fortbildungsangebote haben sich aus einem Instrument von Kompetenzaneignung tendenziell zur Heilserwartung entwickelt. In welche Widersprüche der kritische Sozialarbeiter dabei verstrickt wird, beschreibt Fridbert Hanke, Soziologe und zur Zeit in einer Supervisions-Ausbildung an der Gesamthochschule Kassel. Welche Rolle spielen die Methoden heute in psychiatrischen Großkrankenhäusern? Gibt es hier eine Beweglichkeit? Zu diesen Fragen interviewten wir Prof. Dr. Fegel.
Johanna Gottschalk-Scheibenpflug stellt im "Forum" die Frage, ob Sozialarbeit -hier exemplarisch im Feld Schule - nur Kontrolle ist, oder auch Jugendhilfe sein kann. Ob also eine Kontroll-Institution, die ja Sozialarbeit immanent ist, nicht auch emanzipatorischen Charakter haben kann, wenn sie sich nicht für die Betroffenen, sondern parteinehmend mit den Betroffenen versteht. Sie hat in dem Bereich Schulsozialarbeit als Sozialarbeiterin gearbeitet und in einem Modellprojekt wissenschaftliche Begleitforschung betrieben.
Im Magazinteil berichten wir über "10 Jahre Unabhängiges Jugendzentrum Kornstr. in Hannover", das "Widersprüche"-Seminar zur Sozialstaatskrise, die Auseinandersetzungen innerhalb der Initiativen "Ärzte warnen vor dem Atomkrieg" und stellen eine Broschüre "Haftbedingungen in der BRD" vor. Selbstverständlich fehlt auch diesmal die Nachrichtenbörse nicht.
Wir hoffen, daß die einzelnen Beiträge soviel an Zündstoff und Auseinandersetzung bieten, daß unsere Leser widersprechen.
Kritik, Auseinandersetzung, Diskussion: "Widersprüche" will dafür ein Forum bieten.
Redaktion "Widersprüche", Offenbach, September 1982