Von der Häßlichkeit der Technik

Vorbemerkungen

Technik-Begriff

Wir können in einem kleinen Zeitschriftenartikel keine solide umfassende Kritik an den Methoden der Medizin üben. Wir grenzen also zunächst ein auf Technik in der Medizin. Aber was heißt hier Technik? Ist die Anwendung eines Werkzeugs, einer Schere, einer Zange schon Technik? Oder wollen wir eher über Technologien reden, also über die industrielle Praxis der Naturwissenschaften? Technik wird außerdem im übertragenen Sinn fast synonym mit Methodik gebraucht (z.B. die Technik des Kaiserschnitt). Wir einigen uns auf Apparatemedizin (inzwischen ein modisches Schlagwort), das den Anteil an medizinischer Praxis bezeichnet, in dem mit Maschinen umgegangen wird, d.h. mit Produkten einer Industrie, die naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisse anwendet.

Heimliche Methodik

Die Eingrenzung ist problematisch. Die Art der Anwendung, die jeweilige Einbettung in menschliches Verhalten, dieser technisch-technologischen Methoden darf eigentlich nicht beiseite gelassen werden. Gemeint sind Vorstellungen und Eingriffe der Anwender in Bezug auf psychosoziale Einstellung und Verhalten des Patienten im Zusammenhang mit der Maschine. Im Schulbereich spricht man von offiziellem Curriculum und heimlichem Lehrplan. Eine heimliche Methodik gibt es auch in der Medizin, Methodik, die nicht mit Wissenschaft begründet wird, sondern im Laufe der Berufspraxis erlernt wird, das Alltagsverhalten betrifft, sozusagen vom gesunden Menschenverstand gespeist wird. Wir werden diese Anteile an der Behandlung im Artikel ausblenden. Es wäre gut, sich damit einmal gesondert ausführlich zu beschäftigen. Ein Aufsatz darüber könnte an folgenden Phänomenen ansetzen: Ein kranker Mensch muß isoliert werden, örtlich und sozial, entkleidet, auch aller Ämter und Würden, seiner Persönlichkeit, seines 'freien' Willens. Seine Körperteile und -funktionen werden meist voneinander getrennt betrachtet, in ihrer Wichtigkeit eingeordnet, an ihnen wird arbeitsteilig und hierarchisiert gehandelt - entsprechend der Klinikorganisation. Diese Methoden werden meist unbewußt angewandt. Die Aufzählung ist (noch) nicht wertend gemeint, obwohl darin Reizworte vorkommen, bei denen bei uns bestimmte Vorstellungen einrasten, z.B. Bilder vom Knast. Sie soll nur zeigen, wie wenig durch die Beschreibung eines spektakulären Therapieanteils (wie z.B. einer Operation) über die gesamte Methodik der Behandlung ausgesagt ist.

Im übrigen gibt es zu diesem Komplex eine Menge Literatur, zur Patientenkarriere, zur Arzt- und Patienten-Rolle usw. aus psychologischer, soziologischer und medizinsoziologischer Sicht.

Distanzierung durch Bilder

Wir versuchen uns dem Thema anzunähern, indem wir uns zunächst einmal distanzieren. Nicht mehr der Blick des Arztes, sondern der eines potentiellen Patienten. Das Umschalten wird natürlich nicht ganz gelingen (Es geht dabei nicht um den modischen Unterschied zwischen Kopf- und Bauch-Ansatz. Der zweite Blick ist auch kopfig und soll es auch sein). Der im Bild festgehaltene Ausschnitt soll uns vom Eindruck der Vertrautheit des für uns Gewöhnlichen, Alltäglichen befreien.

- Häßlichkeit Den Anblick eines Menschen, der in der Intensivstation mit Maschinen verbunden bewegungslos daliegt, finden wir häßlich. Es half, den subjektiven, emotional-sinnlichen Begriff der Häßlichkeit erst einmal so stehen zu lassen, ihn noch nicht weiter zu zerlegen.

- Wünsche Der nächste Schritt war, nach unseren Wünschen an die Medizin zu fragen, gerade angesichts dieser Häßlichkeit. Wie sollte sie sein: nicht besser, sondern gut, d.h. fast gar nicht vorhanden oder so, daß sie mehr als gesund macht. Also zunächst nicht Wünsche, die sich eng reformistisch an der Realität entlang bewegen, sondern solche, die hoch hinaus wollen.

- Kapitalismus: Anwendung und Fundierung Schließlich ein mehr analytischer Ansatz: Was ist aus den Wünschen geworden, wer hat welche Pläne gemacht, wer hat Pläne vorangetrieben und damit stark geprägt? Es folgen also Gedanken zu spezifisch kapitalistischer Medizin-Technik, nur sehr kurz, als Ordnungsansatz gedacht, mit wenigen Beispielen.

- Konkretion Im zweiten Teil haben wir versucht, unseren Ansatz an der künstlichen Beatmung zu konkretisieren. Manches, was im ersten Teil noch zu enzyklopädisch allgemein war, wurde uns hier erst klar.

Es wurde uns auch klar, wie stark wir beide durch dieses Thema in unserer beruflichen Identität betroffen waren. Von verschiedenen Seiten: für Reinhard werden Dinge und Vorgänge seines Alltags beschrieben, ihre Geschichte betrachtet, Gefühle zerlegt. Wie weit muß er seinen Alltag verteidigen? Wie distanziert kann er überhaupt sein? Und für Thea, als zur Zeit sehr arbeitswillige arbeitslose Ärztin: Kann sie sich ihre gewünschte Zukunft madig machen?

Tatsächlich lag ein wichtiger Impuls, den Artikel zu schreiben im Bestreben, einer Medizintechnik-Kritik zu widersprechen, die hart und global war, teilweise zum Aussteigen aufforderte. Im Entwurf zu diesem Artikel stand noch: Dabei geht es uns auch darum, uns vor allem von zwei Arten zur Zeit wohlfeiler Technik-Kritik abzusetzen:

1. Gewerkschafter tendieren dazu, nur die Folgen neuer Technologien für die Arbeitsplatzsituation zu diskutieren. Über die Stumpfsinnigkeit bestimmter Arbeitsabläufe darf nichts gesagt werden, um nicht noch mehr Arbeitsplätze durch Rationalisierung zu gefährden (Beispiel: Schreibautomaten in Büros).

2. Gut verkäuflich, vor allem an die liberale Mittelschicht (Sternleser), ist eine Medizintechnologie-Kritik, die in oft recht jammriger platter Weise an allerdings real begründeten Ängsten ansetzt. Stichwort: seelenlose Technik. Zur Suche nach der Seele im Apparat gesellt sich die Illusion einer immer noch autonomen, sich selbst regulierenden und heilenden, äußeren und inneren Natur.

So also nicht, aber wie anders? In einem Leserbrief zu unserem Artikel in Widersprüche l waren unsere Vorschläge zur Verbesserung der Geburtshilfe wie folgt kommentiert worden: Das ist superreformistisch, also auch idealistisch und revolutionär zugleich. Weiß nicht, ob so die praktische Dialektik zwischen Reform und Revolution aussehen kann. (1) Es erwies sich auch beim genaueren Diskutieren und Schreiben, daß nicht geht, was noch im Entwurf steht: Der Schluß des Artikels soll nicht versöhnen, aber die Janusköpfigkeit mancher Technologien zeigen. Die Problematik ließ sich nirgends auf ein simples einerseits-andererseits reduzieren. Entsprechend schwierig sind also Stellung beziehende zusammenfassende Aussagen, wie wir sie gerne zum Thema Fortschritt und Medizintechnik machen würden. Aussagen, zu denen wir stehen, nicht nur, weil wir drin stecken und nicht aussteigen wollen.

Zukunft So könnte es sein: Technik als Entbindung und Vermittlung der im Schoß

der Natur schlummernden Schöpfungen. (2) Und Medizin in einer besseren Zukunft: damit sie (die Menschen) nicht mehr Leibeigene ihrer selbst bleiben, nachdem sie es in der Gesellschaft nicht mehr sind. (3)

1.1. Wunschbilder: Zwischen Kreuchen und Fleuchen

In der letzten Zeit haben wir oft Leute gefragt: Was wollt Ihr von der Medizin, von den Ärzten, was wünscht Ihr Euch von ihnen, was sollten sie können, wie sollten sie sein? Die meisten haben geantwortet: Erstmal wünschen wir uns, daß wir sie nie brauchen. Falls wir sie brauchen, wollen wir sie so schnell wie möglich wieder los sein. Dies sind also die Medizin und ihre Ärzte, wie es sie heute gibt. Wie wäre es mit einer vorgestellten guten Medizin (in einer guten Gesellschaft), mit viel besseren Ärzten?

In Grundrisse einer besseren Welt von E. Bloch befindet sich ein Kapitel über die ärztlichen Utopien. Zur Einleitung ist eine Inschrift abgedruckt: Der Geheilte muß sich als neuer Mensch fühlen, er müßte gesünder sein als vorher. (4) Wie neugeboren soll er wieder sein, der eben noch Totkranke. Das Lager, von dem der Kranke aufsteht, wäre erst vollkommen, wenn er erfrischt, statt nur geflickt wäre. (5) Wenn man nun noch hinzufügt, wie schnell das alles geschehen soll (Morgens im Blut geschwommen, mittags gesund und frisch auf zwei Beinen) (6), so ist man endgültig im Reich der Märchen angelangt. Dort ist es auch ein leichtes, lange oder ewig zu leben, dabei immer jung bleibend und das alles ohne schmerzliche Umwege. Mancher heutige Natur- und Kräuter-Heiler knüpft genau an diesen ungeduldigen Wünschen wieder an. Dort wo nicht mehr gezaubert werden kann, ist wieder kreuchen können gefragt, muß zunächst geflickt werden, findet Restauration dessen statt, was vor der Krankheit war. Das Bild zeigt, daß selbst hohe Kunst des Flickens noch Wünsche offen läßt.

Um den Leib aber gesünder zu machen als er vorher war, ist mehr als Wiederherstellungskunst notwendig: er muß umgebaut werden.

Wie das zuletzt in einer sehr späten Sozialutopie herauskommt, unverhohlen, in Swesens Limanora, The Island of Progress, 1903. Die Herrschaften auf dieser Insel lachen über den Gedanken, daß Medizin nur therapeutisch sei. Sie sind weit hinaus over the crude stage of mere cure of desease, sie greifen in das bloße laisser faire, laisser aller des Körpers zurückhaltend, befördernd, stimulierend, ordnend ein. So wird der Arzt hier überall nicht als Schuflicker gedacht, der schlecht und recht das Alte wieder herrichtet. Sondern er wird als Erneuerer gewünscht, das Fleisch nicht nur von seiner erworbenen, sondern sogar von seiner angeborenen Schwäche befreiend. Denn auch dem gesunden Leib könnte noch viel weiter geholfen werden. (7)

Umbauwünsche bis hin zum Fliegenkönnen sind älter als die Medizin und richten sich nicht oder nicht mehr an die Ärzte, sondern an die Ingenieure der äußeren Natur, früher auch an Priester und Magier. Die Medizin soll gattungsmäßige Übel des Leibes abschaffen, sie soll das Altern besiegen, sie soll künstliche Zuchtwahl betreiben, das Geschlecht beeinflussen. Nicht zufällig erinnert diese Aufzählung an die Nationalsozialisten, sie haben solche Pläne durchgeführt, am konsequentesten von allen, experimentiert wie für Tierversuchsanstalten der Landwirtschaft.

Zwischen Umbau und Restauration gibt es viele Übergänge. Wir haben uns an einige schon gewöhnt: eine Plastikkonstruktion ersetzt eine kranke Herzklappe, aus einer Darmschlinge wird eine Art Magen gebaut, die Funktionen einer Niere übernimmt ein sich außerhalb des Körpers befindender Apparat usw. Viele Komplikationen, Anpassungsschwierigkeiten zeigen die Unvollkommenheit dieser Umbauten. Wir sind nicht zufrieden, wir wollen mehr: Dafür aber meinte der organische Wunschtraum mindestens einen Leib, auf dem nur Lust, nicht Schmerz serviert wird und dessen Alter nicht Hinfälligkeit als Schicksal ist. Es ist also dieser Kampf gegen das Schicksal, der medizinische und soziale Utopien trotz allem verbindet. Das Vermögen, verlorengegangene Teile zu ersetzen, ist im menschlichen Körper geringer als bei niederen Tieren, dafür wird erst im Menschen das utopische Vermögen zu bisher nie Besessenem wirksam. Es ist unwahrscheinlich, daß diese dem Menschen so wesentliche Kraft, die Kraft des Überschreitens und Neubildens, an seinem Leib stillsteht. Die Erforschung dieser Tendenz ist freilich nicht möglich ohne Kenntnis dessen, was im Leib selber schon auf sie hin angelegt ist; alles andere wäre Narretei. (8) Nicht nur Narretei, sondern oft unverantwortliches, ja verbrecherisches Experimentieren kommt heraus, wenn verfrüht und ohne solche Kenntnisse der Umbau gewagt wird. Es gab ihn nicht nur im Zusammenhang mit Rassismus und Krieg; wir denken, daß auch einige heute praktizierte Methoden dazu gehören, etwa die Psychochirurgie bei psychischen Erkrankungen und Triebtätern. Die Angst vor den Ergebnissen solchen Umbaus ist schon oft beschrieben worden, eindrücklich in den Geschichten von Dr. Jekyll und Mr. Hyde oder von Frankenstein. Verfrüht, d.h. vor allem dem Kampf gegen das soziale Schicksal weit, zu weit, vorauseilend.

Die Beherrschung des individuell-biologischen Habitus und die Abschaffung seiner als eines Schicksals sind gewiß ein Ziel, doch erst wird diese Planung die wirklichen Slums niederreißen, bevor sie den Slum des schwächlichen Leibes nahetritt. (9)

Wunschbilder

1.2 Bilder der Realität

Vom abstrakten Profittrieb her, die Verhäßlichung, welche Maschine und Maschinenarbeit über die Welt gebracht haben. (10)

Zum abstoßenden Gefühl der Häßlichkeit kommt das der Angst. Es gibt eine spezifische Angst des Ingenieurs, zu weit, zu ungesichert vorgedrungen zu sein, er weiß nicht, mit welchen Kräften er es zu tun hat und aus solcher NichtVermittlung stammt nicht zuletzt der sinnfälligste Effekt des ausgelassenen Inhalts: der technische Unfall. (11)

Der Technik fehlt, auf ihrem immer weiter vorgeschobenen Posten, der Anschluß an die alte gewachsene Welt, von der sich der Kapitalismus abgestoßen hat und ebenso den Anschluß an ein in der Technik selber Günstiges in der Natur, zu der der abstrakte Kapitalismus nie den möglichen Zugang finden wird. (12)

1.3 Medizinische Technologien im Kapitalismus - ein Ordnungsansatz

Aus manchen Wünschen sind Pläne geworden und Pläne müssen vorangetrieben werden. Kapitalistischer Antrieb fängt weit vorne an und deshalb dürfen wir natürlich nicht nur Anwendungsprobleme diskutieren.

- Fundierung: Zur herrschaftlichen Rationalität in der Wissenschaft Medizin. Es gibt (noch) keine Wissenschaft Medizin. Was an der Universität gelehrt wird, ist eine unreine Mischung aus versimplifizierter Naturwissenschaft plus Handwerk, der Rest Empirie und Pragmatik, das ganze seit neuestem gewürzt mit etwas Sozialwissenschaft, ebenfalls stark vereinfacht. Es ist darzustellen, woher Erfindungen, Innovationen zur Zeit kommen, nämlich: die große Masse der klinischen Forschungen sind Auftragsarbeiten der pharmazeutischen und technischen Industrien. Grundlegenderes ist oft unmöglich, da eine anstrengende Praxis begleitend und da nicht belohnt, wie bei der Auftragsforschung. Den angegliederten wirklichen Forschungsinstituten fehlen meist im großen Maßstab Mittel. Die innere Distanz, die sie zu den Kliniken halten, macht sie nicht besser. Aber ein gewisses Gefühl vo