Frauen Heute
Editorial
Wie auch immer die Bilanz ausfällt, die nach mehr als 20 Jahren Frauenbewegung in der Bundesrepublik gezogen wird: sicher ist, daß sich das Bild der Frau wie auch die öffentliche Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern radikal verändert hat.
Die Möglichkeiten der Frauen heute verschiedene Interessen zu realisieren, sind größer geworden. Ihre Ausbildung und dementsprechend ihre Qualifikation sind heute besser denn je. Die neuen Chancen für Frauen stellen allerdings auch andere Anforderungen an sie selbst, lassen neue Ansprüche entstehen (zum Beispiel die Organisation von Beruf und Familie, das Zusammenbringen von Eigeninteressen, Interessen der Kinder/Lebenspartner und beruflichen Interessen). Die unterschiedlichen Ansprüche, die sowohl die Frauen an sich selbst sowie die Männer als auch die Öffentlichkeit an die Frauen richten, stoßen auf gesellschaftliche Strukturen, die den veränderten Bedürfnissen von Frauen nicht nur nicht entsprechen, sondern regelrechte Bremsklötze sind. Daraus ergeben sich für die Frauen neue Konfliktlagen, bei deren Bewältigung sie nicht auf die Mithilfe der Männer rechnen können. Solche Hindernisse sind zum Beispiel: die in der Praxis immer noch geringe Beteiligung der Väter an der Kindererziehung, die immer noch gleichbleibende geschlechtsspezifische Arbeitsaufteilung, die trotz guter Qualifikationen immer noch schlechten beruflichen Positionen, die Frauen einnehmen, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten, die den individuellen Lebenslagen der Frauen nicht adäquat sind.
Die neuen Konflikte, denen sich Frauen gegenübersehen und mit denen sie alleine sind, auch weil die entsprechenden Politikkonzepte fehlen, um den Frauen die notwendige Förderung und Unterstützung zu geben, sind beileibe nicht nur den gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnissen anzulasten, auf die sich gerade die Männer - auch linke Männer - immer so gerne zurückziehen. Es ist vielmehr die Unbeweglichkeit der Männer selber - oft auch ihre Bequemlichkeit - die soziale Veränderungen zugunsten der Frauen verhindern. Denn das Interesse der Männer - sicher genährt von der Angst vor Macht- und Kompetenzverlust - ist zur Zeit ziemlich gering, sich für eine Veränderung im Geschlechterverhältnis - aktiv zu engagieren. Als Beispiel sei hier die 30-Stunden-Woche erwähnt, die die Männer und die von ihnen dominierten Gewerkschaften erstmals bis in das Jahr 2000 hinein "auf Eis" gelegt haben. Oder die Tatsache, daß es hierzulande kaum eine Männerbewegung gibt.
In unzähligen Forschungsprojekten, Veröffentlichungen und Diskussionen haben Frauen inzwischen die "blinden Flecken" der männlich dominierten Wissenschaft und Gesellschaftstheorie aufgedeckt. - Mit welchen Folgen? Ihre Ergebnisse und Einschätzungen sind zwar eingegangen in die Wahrnehmung des Geschlechterverhältnisses und in öffentliche Verlautbarungen, jedoch haben sich Wissenschaft und Gesellschaftstheorie bisher davon nicht in Frage stellen lassen.
In einem Interview nimmt Karin Windaus-Walser zum heutigen Verhältnis der Geschlechter Stellung. Ein Konflikt, der nach wie vor latent vorhanden ist, wird nicht ausgetragen, so ihre Bilanz. Immer noch - trotz Frauenbewegung - heißt Männlichkeit, vom weiblichen Geschlecht nicht auch bestimmt zu sein. In der Geschlechterfrage sieht sie die Notwendigkeit einer kritischen Selbstreflexion, nicht nur von Feministinnen, sondern gerade auch "der Linken".
Mit einer feministischen Position, die von einer spezifisch weiblichen Moral ausgeht, setzt sich Monika Frommel auseinander. Ist es sinnvoll, lautet die Frage, den herkömmlichen Gleichheitsgrundsatz in der Rechtsphilosophie (Rechtssprechung) durch den Differenzgrundsatz, so wie einige Feministinnen es fordern, zu ersetzen. Sie versucht darauf ein Antwort, "die das universalistische Konzept einer für alle verbindlichen Moral bewahrt, ohne eine kulturelle Geschlechterdifferenz zu leugnen".
Die Frage nach Frauenfördermaßnahmen und Quotierung war bereits heiß umstritten, noch bevor man reale Veränderungen zugunsten von Frauen in einzelnen Bereichen umzusetzen versuchte. Heide M. Pfarr und Christine Fuchsloch gehen auf die Argumente der Gegenseite ein, die bisher in den juristischen Auseinandersetzungen angeführt wurden und stellen diesen Argumente entgegen, die einen weiblichen Widerstand auf rechtlicher Ebene ermöglichen können. Ein "hoher Identifizierungsgrad" der Juristen mit den bisherigen männlichen Privilegien ist nicht zu verkennen; gerade die Entscheidung des OVG Münster, so die Autorinnen, stellt einen vorläufigen Höhepunkt in diesem Konflikt dar.
Mit dem Bild der "Neuen Väter" beschäftigt sich Marlene Stein-Hilbers. In ihrer Studie kommt sie zu dem Ergebnis, daß das neu erwachte Interesse der Männer an Kindern kaum eine neue Zuständigkeit und Verfügbarkeit signalisiert. Den "neuen Vätern", so die Autorin, geht es dagegen vielmehr um emotionale Nähe zu Kindern und entsprechende sinnliche Erfahrung, kurz: es ist das "Recht" am Kind, das man einklagt, und nicht die Verantwortlichkeit.
Gisela Wölbert berichtet aus einem Bildungsurlaubsseminar mit Frauen, in dem ein Thema in den Vordergrund rückte, das nicht vorhergesehen war: die Beziehungen von Frauen am Arbeitsplatz. In ihrem Beitrag wird deutlich, daß Konkurrenz unter Frauen umfassenderes bedeutet als nur Leistungswettbewerb, daß auch am Arbeitsplatz das "Privatleben", sprich: der gesamte Lebensentwurf einer Frau zur Debatte steht.
Offenbach, im Oktober 1991