Fragmente städtischen Alltags
Editorial
Versuche, "Subjekte und Soziales jenseits des institutionellen Blicks" auf einen Begriff zu bringen, wurden von der WIDERSPRÜCHE-Redaktion schon wiederholt unternommen. Will "Politik des Sozialen" mehr sein als bloß alternative Sozialpolitik, muss die Frage nach den Subjekten und der Subjektivität im Zentrum der Arbeit an einer theoretischen und politischen Vertiefung dieses Begriffes stehen. Ausgangspunkt entsprechender Überlegungen war immer wieder die Labilisierung der im Begriff des "keynesianischen Sozialcharakters" zu fassen versuchten Balance zwischen Selbstinstrumentalisierung und Warenglück. Keineswegs schien es uns ausgemacht, dass diese Labilisierung zwangsläufig zu mehr selbstkompetenten Aneignungsweisen der "inneren und äußeren Natur" sowie des Sozialen durch die Subjekte führt, wie sie unser emphatischer Begriff einer "Sozialpolitik der Produzierenden" anvisiert. Subjekte anders als mit den Augen der regulierenden Institutionen zu sehen, darf nicht dazu führen, das Ineinander von institutioneller Struktur und Psychodynamik der Subjekte zu unterschätzen. Hier stellt sich nachdrücklich die Frage nach den von einem "postfordistischen Sozialcharakter" zu verarbeitenden Widersprüchen.
Es stellt sich zugleich aber auch die Frage nach einer Theorie, die es erlaubt, die in diesen Widersprüchen gebundenen "objektiven Möglichkeiten" auszuloten, ein dergestalt verändertes Verhältnis zu "innerer und äußerer Natur" zu gewinnen, dass die unterdrückte und im Kapitalverhältnis verdrehte menschliche Sinnlichkeit als "Sozialpolitik der Produzierenden" zu sich selber kommt. Um das mit diesem emphatischen Begriff verbundene praktische Programm durch die Analyse der Praxis seiner Verwirklichung entgegenzuführen, hatten wir sowohl an Henri Lefébvres Konzept der "strategischen Hypothese" als auch an seiner "sozioanalytischen Interventionsstrategie" anzuknüpfen versucht. Letzteres meint, dass zunächst einmal eine "Dissoziation" der mit einer falschen Evidenz vermischten Aspekte der institutionalisierten Alltäglichkeit nötig ist, um auf Seiten der Subjekte eine "Assoziation" der bis dahin bloß äußerlichen Erfahrung überhaupt erst zu ermöglichen. Das Konzept der "strategischen Hypothese" erlaubt in diesem Zusammenhang, nicht nur zwischen den wirklichen Lebensverhältnissen und der Konkretisierung theoretischer Begriffe auf solche Situationen hin zu vermitteln, sondern ebenso zwischen den mit Widersprüchen in der Wirklichkeit hervortretenden Problemen und deren Lösung. Indem diese im Alltag sich stellenden Probleme Lösungen erfordern, eröffnen sie zugleich auch Möglichkeiten. Es geht dabei jedoch nicht um bloß subjektive Wunschvorstellungen, sondern um "Kraftlinien und Tendenzen des Wirklichen", wie sie der Begriff der "objektiven Möglichkeit" zu fassen versucht.
Nicht nur in dieser Hinsicht, sondern ganz grundlegend auch bezüglich der wechselseitigen Konstitution der Subjekte im Sozialen kommt der Vergegenständlichung des sozialen Raumes als territoriales Gemeinwesen und "materielle Basis" einer "Arbeit am Sozialen" besondere Bedeutung zu. Dies wurde in unserer Auseinandersetzung mit "Drittem Sektor" und "Zivilgesellschaft" als übergreifendes Leitmotiv der Schwerpunktthemen des aktuellen Jahrgangs der Widersprüche immer implizit vorausgesetzt. Obwohl sich mit beiden Begriffen Intentionen verbinden, kleinräumige Sozialstrukturen zu befördern, und sie damit ein besonderes Augenmerk auf regionale bzw. lokale Einheiten richten, wurden entsprechende Zusammenhänge in den bisherigen Heften jedoch kaum explizit thematisiert. Deshalb kam der Redaktion das Angebot der Gruppe spaceLab sehr gelegen, für die WIDERSPRÜCHE einen eigenen thematischen Schwerpunkt zur Transformation des städtischen Alltags und der damit verbundenen veränderten Wahrnehmungs- und Handlungsweisen von Kollektiven und Individuen zu gestalten. Sowohl in ökonomischer als auch in sozial- und ordnungspolitischer Hinsicht spielen Städte eine zentrale Rolle bei der Herausbildung jener neuen Regulationsweisen, die sich aus der Krise des fordistischen Wohlfahrtsstaates heraus zu entwickeln beginnen. Hier werden sich auch als erstes jene Widersprüche zeigen, die ein "postfordistischer Sozialcharakter" zu verarbeiten hat.
Nicht nur das Interesse an den damit verbundenen Veränderung von Subjektivität teilt die Gruppe spaceLab mit der WIDERSPRÜCHE-Redaktion. Es ist auch die theoretische Orientierung an Lefébvre, die eine gemeinsame Plattform der Diskussion liefert. Wir hoffen, dass sich die Kooperation für die Leserinnen und Leser der WIDERSPRÜCHE als ebenso anregend erweist wie für die Redaktion. Auf den üblicherweise das Editorial abschließenden Teil "Zu den Beiträgen im Einzelnen" wollte die Gruppe spaceLab bewusst zugunsten einer Einleitung zum Schwerpunkt verzichten.
Die Redaktion