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Heft 155 : Dialogisches Handeln und Forschen - Mit Freire die neoliberalen Verwüstungen überwinden

2020 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 155
  • März 2020
  • 144 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-025-7
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Heinz-Peter Gerhardt
Zorn und Hoffnung 2020

Der Beitrag von Heinz-Peter Gerhardt thematisiert zwei zentrale Begriffe des Freire'schen Denkens, Zorn und Hoffnung. Er parallelisiert sie mit den gleichfalls eschatologischen Konzepten "denúncio" und "anúncio". Ersteres, die Anklage, wird als Ergebnis von Untersuchungen im unterdrückerischen Umfeld interpretiert, die produktive Wendung des Zornes. Letzteres, die Hoffnung auf eine andere Welt, gibt Freire die im christlichen Glauben wurzelnden Gewissheit um die Möglichkeit von mehr Menschwerdung in Bildung und Gesellschaft. In einer ersten Annäherung an das Thema präsentiert Heinz - Peter Gerhardt Materialien in denen zornige Anklage und Hoffnung Wirklichkeit geworden sein könnten. In einer zweiten Annährung zeigt er Risse im Bildungssystem auf, die Widerstandmöglichkeiten beinhalten. Im Schlussteil entwickelt Gerhardt normative Leitlinien einer befreien Bildungsarbeit in unserer Gesellschaft. Leseprobe

Jutta Lütjen
Anthropologische Grundannahmen im Werk von Paulo Freire

Jutta Lütjen schreibt über Anthropologische Grundannahmen im Werk von Paulo Freire. In Theorie und Praxis wird Pädagogik prinzipiell von der philosophischen Deutung der menschlichen Existenz geprägt, die sich richtungsweisend in Bezug auf Ziele, Methoden und Techniken auswirkt. Infolge sind Erziehung und Bildung nach Freire niemals neutral, sondern ein Instrument entweder zur Domestizierung oder Befreiung des Menschen. Entsprechend wurde auch Freires befreiende Pädagogik durch ein grundlegendes Menschenbild initiiert, wenngleich er dieses selbst nie explizit als eine zusammenhängende Anthropologie verfasst hat. In diesem Artikel nun soll dargestellt werden, wie eine Anthropologie Freires wohl ausgesehen haben könnte.

Arnold Köpcke-Duttler
Paulo Freire, die Theologie der Befreiung und die Menschenrechte

Arnold Köpcke-Duttler zeigt in seinem einleitenden Teil die Freire und Gustavo Gutiérrez gemeinsame Proklamation der Annäherung an das irdische Reich Gottes. Die befreiende Praxis widerstehe Systemen der Unterdrückung und Ausbeutung der Armen. Der zweite Teil umreißt Gutiérrez' Aufruf, Befreiung heiße Bekehrung zum Nächsten, Gotteserkenntnis heiße, den Armen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Von diesen Grundzügen aus wird der Bogen der umfassenden Befreiung ausgespannt zu der Kinderrechtskonvention und zu der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Der abschließende Teil nimmt die Herausforderung einer "Politik der Befreiung" (Enrique Dussel) auf.

Timm Kunstreich, Michael May
Partizipation als Arbeitsprinzip
Zur Praxis gemeinsamer Aufgabenbewältigung

Lange hieß es überwiegend und manchmal hört man es heute noch: Paulo Freire ist gut für die Dritte Welt, aber er passt nicht in unsere Erste Welt. Michael May und Timm Kunstreich halten das für eine Ausrede, um sich vor den radikalen, d.h. an die Wurzeln gehenden Konsequenzen zu drücken. Insbesondere das professionelle Selbstverständnis wird herausgefordert. Das Handlungskonzept von Kodierung und Dekodierung steht im deutlichen Gegensatz zur Praxis klinischer Diagnostik. bzw. im Konflikt mit derartigen Objektivierungen. Die beiden Autoren haben ihre jahrzehntelange Erfahrung in der Umsetzung der "problemformulierenden Methodik" in Ihrem Text zu einem Ansatz partizipativem Handelns gebündelt, um zu zeigen, dass Paulo Freire außerordentlich aktuell ist.

Ronald Lutz
Von den Menschen ausgehen
Skizzen einer verstehenden und befreienden Sozialen Arbeit

Paulo Freire schuf mit seiner "Pädagogik der Unterdrückten" Methoden und Praxen, die es ermöglichen sollten, dass Unterdrückte und Ausgebeutete sich ihrer selbst bewusst wurden und den Mut fanden sich gegen ihre Unterdrückung zu wehren. Eine sich politisch konzipierende soziale Arbeit, die sich ihres Anspruchs Menschenrechtsprofession zu sein und sich ihren Gründungsmythen der Gerechtigkeit, der Freiheit und eines "Guten Lebens" aller Menschen verpflichtet fühlt, kann sich am Neulesen von Freires Gedanken in einer Zeit orientieren, die von ihr angesichts sozialer Verwerfungen eigentlich politische Positionen fordert, die sie aber offenkundig aufgegeben hat. Das beinhaltet auch einen kritischen Blick auf ihre Ökonomisierung und ihre Einbindung in eine neoliberale Neuerfindung des Sozialen.

Dietlinde Gipser
Spielen, was ist, verändert die Welt
Die Theatermethoden von Augusto Boal als Praxis des dialogischen Forschens und Handelns

Dietlinde Gipser erörtert in ihrem Beitrag die Methoden des Theater der Unterdrückten - Theater der Befreiung von Augusta Boal als eine mögliche praktische Umsetzung des Konzeptes von Paulo Freire. Sie formuliert 12 Thesen zum Einsatz des Theaters im und als Bildungsprozess. Sie schildert ihre langjährigen Erfahrungen mit dem TdU und erläutert anhand von Beispielen seine Bedeutung für eine emanzipatorische Forschung und für die Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderungen.

Dirk Oesselmann
Schulparlamente in Brasilien
Gesellschaft von unten gestalten

Dirk Oesselmann berichtet über Schulparlamente in Brasilien. Sie wurden in den 1990 und 2000er Jahren zu einem wichtigen Arbeitsfeld, um den Ansatz und das Anliegen Paulo Freires verstärkt in das Bildungssystem zu tragen und weiterzuführen. Der Beitrag beruht auf Erfahrungen eines langjährigen Projekts im Amazonasgebiet, angesiedelt an der Universidade da Amazônia und unterstützt von UNICEF und dem Paulo-Freire-Institut in São Paulo. Deutlich wird, dass es dabei um mehr als Demokratielernen geht, sondern um eine veränderte Perspektive auf Bildung: Schule als Teil von Stadtteilentwicklung sowie Bildung als politische Teilhabe sind dabei zentrale Stichworte.

Philipp Andrae, Heinz-Peter Gerhardt
Bildung ist politisch
Warum Freire erneut aus Brasilien verbannt werden soll

HP Gerhardt und Philipp Andrae nehmen die aktuelle politische Situation in Brasilien in den Blick und berichten über die jüngsten bildungspolitischen Auseinandersetzungen in dem politisch und sozial gespaltenen Land. Im Mittelpunkt steht der Versuch der Regierung Bolsonaro ein Exempel an dem renommierten und weltweit anerkannten Pädagogen Paulo Freire zu statuieren und damit eine neue, neoliberale Ägide in der brasilianischen Bildungspolitik einzuleiten.

Manfred Peters
Das subversive Potential des sprachlichen Handelns
Judith Butler und Paulo Freire

Manfred Peters liefert eine Analyse: Paulo Freire (1921-1997) und Judith Butler (* 1956) haben beide ihre Zeit geprägt und prägen weiterhin unsere Gesellschaft. Freire wird weltweit als der bedeutendste Pädagoge (oder besser Andragoge) des 20. Jahrhunderts betrachtet, Butler zählt zu den einflussreichsten Denkerinnen der Gegenwart. Obschon sie sich nur indirekt mit dem Phänomen Sprache beschäftigt haben bzw. beschäftigen, geben sie auch den Linguisten wertvolle Anregungen. Freires Sprachmodell ist eindeutig handlungsorientiert; bei Butler steht der performative Aspekt im Vordergrund.

Heiner Zillmer
Denken - Sprache - Wirklichkeit
Politische Alphabetisierung mit Paulo Freire und Siegfried Landshut

Heiner Zillmer untersucht den Zusammenhang zwischen Denken, Sprache und Wirklichkeit, mit dem sich Paulo Freire sehr intensiv auseinandergesetzt hat. Karl Mannheim hat im Rückgriff auf Marx und dessen Maxime 'das Sein bestimmt das Bewußtsein' das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis in seinem Werk Ideologie und Utopie eingehend untersucht. Siegfried Landshut, einer der wichtigsten politischen Denker, der lange Zeit unbeachtet geblieben war, hat den Ansatz von Mannheim kritisiert und festgestellt, dass die theoretischen Ableitungen von Mannheim dazu führen können, dass der Kampf um die soziale Vorherrschaft total wird, die Rivalität politischer Gegner zur Todfeindschaft und die Brutalität des reinen Machtkampfes gerechtfertigt werden. Landshut plädiert für einen Begriff von Politik, der dem von Freire nahe kommt und mit dem demokratische Prozesse gefördert werden können.

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