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Heft 142: Pädagogik des Sozialen - Ein Schritt zur Demokratie als Lebensform

2016 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

  • Dezember 2016
  • 148 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-012-7
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Joachim Weber
Freiheit als soziales Ereignis
Hannah Arendt sozialpädagogisch gelesen

Mit seinem Text 'Freiheit als soziales Ereignis' begründet Joachim Weber eine mit Hannah Arendt gelesene freiheitlich-politische Perspektive Sozialer Arbeit. Im Unterschied zu liberalen und fundamentalistischen Überzeugungen ist mit Hannah Arendt eine radikale Perspektive einzunehmen. Radikale Überzeugungen vergemeinschaften sich mit Liebe zur Welt, sind als eigene Überzeugungen intersubjektiv vermittelt und setzten sich für eine alternative Wirklichkeit ein. In diesem Bild vermittelt sich die Überzeugung, dass das Politische durch die historische Erfahrungen des Totalitarismus sowie der Möglichkeit einer Wiederholbarkeit, das Politische durch die Vernichtung von Handlungsfreiheit auf existentielle Weise bedroht ist. Um dies zu verhindern, ist Freiheit als Phänomen radikalen Neuanfangs zwischenmenschlichen Handelns zu verstehen. Menschliches Handeln ist also nicht als mechanisch interessengeleitetes Funktionieren zu sehen, sondern vielmehr als Interessiertheit durchsetzt von Momenten unerwarteter Reaktionen zu interpretieren. Hiermit kommen die spontanen Impulse, der Eigensinn menschlichen Handelns, die menschliche Spontaneität ins Blickfeld. Menschliche Spontaneität ist instabil, zerstörbar und insofern schutzbedürftig. Darauf hin orientiert entwickelt Joachim Weber Soziale Arbeit als Handlungszusammenhang eines Zwischen, welches Handeln und Freiheit ermöglicht. Ist eigensinnige Spontaneität eine Unterbrechung des Normalen, trifft sie im Zwischen auf die Anderen und formt sich als gemeinsamer Zusammenhang, als Netz der Beziehungen. Dies ermöglicht die Erfahrung von Handlungsfreiheit und führt zur weiteren Entfaltung von Freiheit. Leseprobe

Timm Kunstreich
Pädagogik des Sozialen als transversale Selbstregulierung
ein Versuch, lebendige Arbeit und Transversalität zusammen zu denken

Wie eine mögliche Praxis derart verstandener Handlungsalternativen als erlebter Freiheit aussehen könnte, untersucht Timm Kunstreich auf der Grundlage eines Fallbeispiels. 'Marias Bericht' dient ihm als Beispiel, die Idee einer transversalen Selbstregulierung als Perspektive einer Pädagogik des Sozialen zu verdeutlichen. Zentraler Ausgangspunkt hierfür ist die Vorstellung einer 'relationalen Individualität' und ihrer Verknüpfung mit den Alltagspraxen von transversalen Sozialitäten. Entwickeln sich diese in den sie realisierenden Aktivitäten, treten außerdem Bildungsprozesse in den Vordergrund, die sich im Handgemenge des Alltäglichen formen und ohne Vermittler auskommen. In diesem Kontext entwicklt sich Subjektivität immer in Relation zu anderen. Im Bild einer Dialektik von toter und lebendiger Arbeit umreißt Timm Kunstreich das Lebendige einer Subjektgruppe (lebendige Arbeit) und die Unterwerfung der Objektgruppe (tote Arbeit) als Pole, zwischen denen Transversalität oszilliert. Eine hierbei entstehende Aufwertung von Subjektivität betont deren unterschiedliche Vielfalt und zeichnet gleichzeitig den Gegensatz zu Vertikalität und Horizontalität. Was vertikal oder horizontal von Bedeutung ist, bestimmen die am Begegnungsmoment Beteiligten selbst. Das Ausbalancieren hiermit verknüpfter Konflikte und Widersprüche müssen die Subjekte aktiv gestalten und können so als Weise einer 'Bildung des Sozialen und Bildung am Sozialen' verstanden werden.

Helmut Richter
Pädagogik des Sozialen
Bildungsbündnis in Demokratiebildung

Nach einem Überblick über den Begriff des Sozialen im Kontext einer interkulturellen Identitätsbildung, die auf eine kommunale Einheit von Arbeit ("bourgeois") und Interaktion ("citoyen") abzielt, wird am Begriff der Pädagogik entfaltet, dass es einer Sozialpädagogik, die sich als Vereinspädagogik begreift, um ein Bildungsbündnis in Demokratiebildung des "citoyen" geht - ein Bündnis, das nicht nur die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit, sondern auch die Betroffenen der traditionellen Nothilfe einbezieht, weil sie nicht durch die Fremd-Kontrolle der sogenannten stellvertretenden Deutung ausgeschlossen werden.

Thomas Wagner
Bildung von Acts of Citizenship
Theoretische Überlegungen zu einer politischen Pädagogik des Sozialen

Die in der Demokratiefrage eingewobene Frage nach Art und Qualität der Staatsbürgerschaft stellt Thomas Wagner in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Er fragt nach der Bedeutung von 'acts of citizenship' für eine Pädagogik des Sozialen. Die von ihm skizzierte Perspektive verdeutlicht, dass die Idee von Bürger_innenschaft eine von Widersprüchen durchzogene und umkämpfte Arena um Zugehörigkeiten und Formen politischer Gemeinwesen ist. In diesem Zusammmenhang verweist Bürger_innenschaft auf zwei verschiedene miteinander verschränkte Dimensionen, Status und Praxis. Die Perspektive der Praxen wiederum wird als 'acts of citizenship' diskutiert. Im Unterschied zur Idee einer Bürger_innenschaft als verliehener Rechte und Pflichten verweist die Praxis auf ein Verständnis, welches sich aus Bedürfnissen und Interessen ableitet, die beispielsweise Geflüchtete für sich reklamieren. Aus dieser Sicht sind sie bereits Bürger_innen. Anknüpfend hieran fragt Thomas Wagner danach, wie sich 'acts of citizenship' bilden oder bilden lassen, welche Lernprozesse sich hiermit verbinden und welche Machtmittel in diesem Kontext nutzbar gemacht werden können. Schließlich skizziert er unter Einbezug von Ideen der (Nicht-)Nutzerforschung Ansatzpunkte und Widersprüche für eine pädagogische und bildende Praxis des Sozialen 'von unten'. Abschließend umreißt er Perspektiven im Verhältnis Sozialer Arbeit und 'acts of citizenship' als einer Notwendigkeit zur Infragestellung bestehender Verteilungen von Rechten und Formen der Teilhabe durch Soziale Arbeit selbst.

Michael Winkler
Die vergessene Freiheit
Über Veränderungen des pädagogischen Denkens

Michael Winkler nimmt in seinem Essay den Faden nach der Bedeutung der Freiheit wieder auf und kritisiert den Bedeutungsverlust der Idee von Freiheit als Bezugspunkt von Erziehung und Pädagogik. Freiheit als konstitutives und regulatives Moment pädagogischen Geschehens spielt danach gegenwärtig keine Rolle mehr. Entsprechend verzichtet beispielsweise die Diskussion um Inklusion auf Gedanken der Unabhängigkeit und Selbständigkeit, verliert sich Pädagogik in den Tendenzen der Institutionalisierung oder zieht sich auf die Idee klarer Grenzziehungen punitiver Maßnahmen zurück. Ursächlich verknüpft sich dieser Wandel mit der Veränderung der Vorstellung von Freiheit unter einer neoliberal organisierten Gesellschaft. Dem Verständnis von Freiheit als sozialer Praxis aus Freiheit, Gleichheit und Solidarität steht die erzwungene Freiheit moderner Gesellschaften gegenüber. Die Idee einer Autonomie durch Konsum dominiert, löst die Menschen aus ihren sozialen Zusammenhängen und verdrängt die solidarische Praxis von Freiheit einer Sorge umeinander. Hieran knüpft sich die existentielle Frage, wie sich unter solchen Verhältnissen ein Subjekt bilden und noch gelebt werden kann. Deshalb ist die Ausarbeitung des Freiheitsbegriffs im Kontext der Pädagogik von zentraler Bedeutung und die Stellung von Freiheit als Abwehrbegriff gegen Vereinnahmung, als Handlungsmöglichkeit und als notwendig reale Erfahrung von Menschen in sozialen Zusammenhängen zu verteidigen. Dieser Gedanke wiederum ist in einem spezifisch dialektischen Verständnis von Pädagogik aufzuheben.

Julika Bürgin
Gewerkschaftliche Bildung und die Organisierung der Alltagspraxis

Welche praktischen Herausforderungen sich damit verbinden, untersucht Julika Bürgin in ihrem Text mit der Frage, was der Beitrag einer Gewerkschaft für eine 'Pädagogik des Sozialen' sein könne. Erst die Streikfähigkeit macht eine Gewerkschaft zur Organisation einer institutionalisierten Vertretung kollektiver Interessen. Am Beispiel des Streiks diskutiert sie dessen Möglichkeiten und Grenzen als Organisation von Gegenmacht. Trotz eines Erfolges verdeutlicht der Streik von ver.di und GEW in 2015 verschiedene Widersprüche und hieraus resultierende Fragen in der Vertretung und Durchsetzung von Nutzer_inneninteressen. Die Entwicklung strategischer Alternativen bedarf nicht nur einer solidarischen Haltung, sondern einer solidarischen Praxis. Solidarisches Handeln bildet und setzt gleichzeitig Bildung voraus. Hieran anschließend skizziert Julika Bürgin Dimensionen gewerkschaftlicher Bildungsarbeit, die für eine Herausbildung des Sozialen als solidarischem Handlungszusammenhang von Bedeutung sind. Es stellt sich die Frage, wie eine gewerkschaftliche Sozialität herauszubilden und anzueignen wäre. Hierbei könnte man von der Sozialpädagogik und insbesondere von den Erfahrungen der Offenen Jugendarbeit und ihrem Verständnis von Bildung lernen.

Friedemann Affolderbach
Demokratie als Lebensform oder die Frage nach Handlungsfähigkeit als Potential einer Pädagogik des Sozialen

Viele der in den bisherigen Beiträgen angesprochenen Themen bündelt Friedemann Affolderbach unter dem Stichwort der Handlungsfähigkeit. Im Kontext einer Diskussion von Demokratie als Lebensform wird Handeln als öffentlich vergemeinschaftende Dimension von Tätigkeit der Menschen verstanden. Exemplarisch hierfür steht Oskar Negt und dessen Bezug auf den Begriff des Handelns bei Hannah Arendt. Anknüpfend hieran erweitert Negt den Begriff des Politischen und kommt so zur Kritik an zweckrationalen, fremdbestimmten Vorstellungen und deren Reduktion des Politischen auf schlichten Machterhalt. Gleichzeitig versteht sich Handeln als das "Authentische" und erscheint dabei tendenziell frei von Macht- und Gewaltverhältnissen. Vor diesem Hintergrund muss der Begriff des Handelns kritisiert und durch die Perspektive erweiterter Handlungsfähigkeit als Potenz einer Pädagogik des Sozialen aufgehoben werden. In diesem Kontext erweist sich Handeln als Plural von Handlungsmöglichkeiten in den Widersprüchen der Gesellschaft. Hierbei auftretende Blockaden erkennen zu können bedarf der Bildung. Der Anknüpfungspunkt hierfür ist ein widersprüchlich zusammengesetzter Alltagsverstand. Eine Pädagogik des Sozialen ist hierbei als eine Kohärenzarbeit im Sinne Gramscis zu entfalten.

Stefan Kerber-Clasen
Aushandlungen von Reorganisationsprozessen in Kitas

Kitas werden in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahren durch die Einführung von Bildungsprogrammen und den Kita-Ausbau reorganisiert. Pädagogische Fachkräfte passen sich den Veränderungen nicht nur aktiv an, sie sind auch als AkteurInnen an diesen beteiligt. Wie sie innerbetrieblich ihre Bedürfnisse, Interessen und Ziele kollektiv und individuell zu verfolgen versuchen, wird nachgezeichnet. Damit wird der Blick geschärft für politische Handlungsmöglichkeiten in Kitas und im Kita-Bereich sowie für bestehende Machtverhältnisse.

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