Umbau des Sozialstaats? Die Debatte geht weiter

Editorial

Vor ungefähr 1 1/2 Jahren traten DIE GRÜNEN Baden Württemberg mit ihren Thesen für eine ökologische Sozialpolitik an die Öffentlichkeit. Die GRÜNEN haben sich damit an der Formulierung einer sozialpolitischen Alternative versucht, ökologische Sozialpolitik meint eine qualitative Kritik an der bürokratisch-kompensatorischen Form der sozialen Sicherheit und eine Alternative, die Selbsthilfe und "umgebaut"-selbstverwaltete, gesellschaftliche Sicherheit verbindet, nicht gegeneinandersetzt. Und - wichtig genug - sie versucht, in Kritik und Alternativen über den sozialpolitischen Tellerrand hinauszusehen, die herrschende Produktionslogik in den Blick zu bekommen. Die "Ökologische Sozialpolitik" der GRÜNEN war uns eine Auseinandersetzung wert und wir haben in Heft 8 sowohl die Thesen abgedruckt, eine Kritik daran, sowie einen Kriterienkatalog für qualitative Entscheidungen im Bereich der Sozialpolitik.

Für uns war klar, daß damit die Diskussion und Auseinandersetzung erst begonnen hat, ist doch auch bei den Grünen die sozialpolitische Diskussion noch nicht über ein Anfangsstadium hinaus, zu sehr auf die Experten beschränkt. Unser Ziel war es eine breite politische Debatte zur ökologischen Sozialpolitik zu organisieren. Im Herbst 1983 haben wir politische Parteien, Gruppierungen, Initiativen, linke Zeitungsredaktionen, Wissenschaftler, Sozialexperten angeschrieben und aufgefordert, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Wir haben im März 1984 unsere Diskussionsthesen zur "Alternativen Sozialpolitik" veröffentlicht und dazu eine Tagung durchgeführt. (siehe Kasten) Waren Tagung und die Veröffentlichung unserer Thesen relativ erfolgreich (die FR veröffentlichte diese auf ihrer Dokumentationsseite und der Sonderdruck der Thesen ist sehr gefragt), so kann man dies von der politischen Diskussion nicht behaupten.

Politischen Parteien und linken Gruppierungen ist die Auseinandersetzung mit den Thesen einer ökologischen Sozialpolitik anscheinend keine Zeile wert; sie haben noch nicht einmal reagiert, mit Ausnahme von SOST und DIE GRÜNEN. Unter Wissenschaftlern und Sozialexperten war daran gemessen die Resonanz etwas positiver, wenn auch die ursprünglichen Zusagen - aus unterschiedlichen Gründen - später nicht eingehalten werden konnten; damit muß aber eine Redaktion immer rechnen. Daß aber die linken Gruppen sich aus der sozialpolitischen Debatte heraushalten, zeigt welchen Stellenwert dieser derzeit zugemessen wird. Die Gefahr besteht, daß einerseits über den Sozialabbau weiterhin nur gejammert wird, andererseits sich ausschließlich auf spektakuläre Diskussionen beschränkt, wie die bisherige Diskussion um ein "Garantiertes Mindesteinkommen" befürchten läßt.

Neben der Bedrohung des Friedens durch Waffen und Aufrüstung, erleben wir seit einiger Zeit eine bedrohliche gesellschaftliche Situation durch Sozialabbau und Dauerarbeitslosigkeit, und dies ist nicht nur zur Kenntnis zu nehmen. Die sozialpolitische Debatte muß über die Tagespolitik hinaus fortgesetzt werden, sie muß politisiert werden.

Wir rufen unsere Leserinnen und Leser auf, sich daran zu beteiligen - auch in den "Widersprüchen" -, die Diskussion nicht den Sozialexperten zu überlassen, die neuen Denkanstöße mit der Praxis zu konfrontieren, nach neuen Wegen zu suchen.

Wir hoffen also, daß wir in den folgenden Heften weitere Diskussionsbeiträge veröffentlichen können. Von der Redaktion geplant ist für eines der nächsten Hefte die Auseinandersetzung mit dem "Garantierten Mindesteinkommen". Dazu wollen wir im Februar (zusammen mit der AG SPAK und evtl. anderen Gruppen) eine Tagung organisieren. Eine weitere Tagung "Produzentenpolitik" findet Ende Mai statt (siehe Terminkalender Seite 110).

Redaktion "Widersprüche", Offenbach, Oktober 1984