Neue Soziale Fragen?

Zur Diskussion um Arbeit, Mindestlohn und bedingungsloses Grundeinkommen
Editorial

Im vorliegenden Heft sind Beiträge versammelt, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf die aktuelle politische Diskussion sozialer Fragen des Arbeitens, des Einkommens und der sozialen Sicherung beziehen. Die Stichworte der laufenden Diskussion sind Grundeinkommen, Mindestlohn, Niedriglohn, Kombilohn und Veränderungen in der Erwerbsarbeit.

Da das vorliegende Heft keinen Überblick über alle derzeit kursierenden Konzepte für ein Grundeinkommen bieten kann, sei auf www.grundeinkommen.de oder www.existenzgeld.de oder www.labournet.de verwiesen, wo das plurale Spektrum von BefürworterInnen und GegnerInnen eines Grundeinkommens deutlich wird.

Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Wolfgang Völker versteht seinen Beitrag als erweitertes Editorial und verweist auf Rahmenbedingungen und hauptsächliche Konfliktlinien der derzeit kontroversen sozialen Fragen um Arbeiten, Einkommen und Auskommen. Die Positionen in der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommens werden in Bezug gesetzt zu den Diskussionen darüber seit Mitte der 1980er Jahre. Im Rückgriff auf Argumente im Rahmen der Diskussion der Widersprüche und in Betonung der Frage der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit werden Fragen für die weiterführende Diskussion und für eher tagespolitische Einmischungen gestellt.

Georg Vobruba stellt in seinem Text die hauptsächlichen Argumente für ein Grundeinkommen dar, die darauf hinauslaufen, dass den mit dem Ende der traditionellen Vollbeschäftigung verbundenen Armuts- und Ausschlussgefahren nur ein Grundeinkommen als politischer Entwurf entgegengesetzt werden kann. Die in der Diskussion vorgebrachten Argumente werden von Vobruba danach befragt, welche Moralausstattung sie bei den Menschen voraussetzt. Er kommt bei seinen Überlegungen zum Ergebnis, dass sozialpolitische Argumente moralisch unterstützt werden, die nicht notwendigerweise ein Grundeinkommen als politische Lösung nach sich ziehen. Argumentationsweisen, die nur ein Grundeinkommen als Lösung zulassen, widersprechen den in der Gesellschaft breit geteilten Moralvorstellungen.

Leroy H. Pelton fragt danach, wie in einer gerechten Gesellschaft Ressourcen in Form von Geld- und Sachleistungenso verteilt werden können, "dass Diskriminierung und Ausschluss bekämpft werden". Die Frage diskutiert er auf Basis eines US-amerikanischen Liberalismus, nach dem jedem Individuum die gleiche Unterstützung zusteht. Das Prinzip der Nicht-Diskriminierung einzelner BürgerInnen oder Gruppen ist der rote Faden, der sich durch seine Diskussion der Frage, was ein gerechtes Steuersystem sei, nach welchen Prinzipien eine universelle Sozialdividende gestaltet sein müsste und wie öffentliche Leistungen und Programme z.B. im Bereich der Bildung oder Gesundheit gestaltet sein sollen. Nicht-Diskriminierung beinhaltet für Pelton im Prinzip die Ablehnung von Eignungs- und Bedürftigkeitskriterien für den Erhalt der Sozialdividende oder den Zugang zu den öffentlichen Leistungen. In seiner Argumentation für eine universelle Sozialdividende in Kombination mit einer einheitlichen Besteuerung aller Einkommen knüpft er an in den USA vorhandene Mindeststandards sichernde Sozialleistungen für alte Menschen an und behält das liberale Konzept eines damit verbundenen "Anreiz zur Arbeit" bei, ohne politisch eine Pflicht zur Arbeit zu formulieren.

Welches prekäre Auskommen existierende soziale Grundsicherungssysteme mit sich bringen und welcher Politisierung sie zwischen Sozialmissbrauchskampagnen und behaupteten Kostenexplosionen erfahren, macht Anne Ames in ihrem Beitrag zu Veränderungen für Jugendliche und junge Erwachsene im Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV") deutlich.

Johannes Steffen analysiert in seinem Beitrag die laufende Diskussion um Kombilöhne, Niedriglöhne und Mindestlohn. Er stellt die hierher gehörenden politischen Vorschläge in den Zusammenhang des Umbaus der sozialen Sicherungssysteme durch die so genannten Hartz-Gesetze. Die in diesem Rahmen gewährte Höhe der Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums gerät in den aktuellen Debatten erneut unter Druck nach unten - gleiches gilt für die Löhne. Steffen kann deutlich machen, dass Niedriglohnstrategien in einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung nicht neue Arbeitsplätze schaffen, "sondern teure wird durch billigere Arbeit ersetzt". Bezogen auf die Mindestlohnforderung plädiert Steffen für eine gesetzliche Mindestlohnregelung, da nach Branchen differenzierte und tariflich vereinbarte Mindestlöhne nicht in der Lage sind, Hilfebedürftigkeit im Rahmen des Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV") zu vermeiden.

Michael Vester und Christel Teiwes-Kügler berichten in ihrem Beitrag aus dem Feld moderner Arbeitswelt, in der "Arbeit qualifizierter und eigenverantwortlicher wird". Auf Basis der These eines Widerspruchs zwischen gebrauchswertorientiertem Berufsethos und Kapitalverwertung stellen sie Forschungsergebnisse vor, die im Rahmen einer Pilotuntersuchung in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der IG Metall gewonnen wurden. Die Ergebnisse werden als exemplarisch für Konflikte interpretiert, in denen verschiedene Arbeitnehmertypen des modernisierten Arbeitnehmermileus stehen. Von besonderem Interesse ist in der Untersuchung auch die Diskussion über neue Anforderungen an gewerkschaftliches Handeln in diesen Sektoren. Im Zusammenhang der Fragestellung des vorliegenden Heftes ist der Beitrag nicht zuletzt deshalb von Gewicht, da er einen Einblick gibt in das Alltagsbewusstsein von Menschen aus dem Zentrum der Gesellschaft gibt. Ohne den Bezug auf die Entwicklung in der 'Mitte' zugerechneten Verhältnissen und Milieus ist weder eine Auseinandersetzung über Prozesse, die nach unten oder an den Rand der Gesellschaft zu führen, noch eine über Möglichkeiten, Ausschließungungsprozesse zu verhindern oder rückgängig zu machen. Die Frage nach vorhandenen Widerstands-Solidaritätspotenzialen bei der hier befragten Gruppe ist damit gestellt.

Die Redaktion