Klienten, Kunden, Könige oder
Editorial
"Dahergesagt wird das Wort ebenso häufig wie die Moden wechseln. Von der Industrie-, Arbeits-, Klassen-, nivellierten Mittelstands-, Leistungs-, Risiko-, Freizeit-, Erlebnis-, Zivil- bis zur Bürgergesellschaft. Man kann ahnen, was diesbezüglich noch alles feuilletonfüllend auf uns zukommen wird. Die Inflation der Wörter kann freilich nicht über die Schwierigkeit hinwegtäuschen, zu definieren, was der Begriff 'Gesellschaft' meint."
(Joachim Hirsch, links 9/10 '95)
"Von nun sind keine Knechte mehr, sind lauter Herren hin und her."
(Matthias Claudius)
Unter normalen Umständen, so könnte der aufmerksame Leser meinen, sei mit zwei WIDERSPRÜCHE-Heften zur "Dienstleistung" im Sozialbereich das Thema erschöpfend abgehandelt, seien die verschiedenen Positionen deutlich geworden, könne man also zur Tagesordnung übergehen. Dienstleistung - so what? Doch bestimmte Dimensionen scheinen uns bei dem Versuch, die Grundthemen aus der Polyphonie der Beiträge zum Dienstleistungsthema herauszuhören, nach wie vor ungenügend besetzt oder mangelhaft vertont.
Die Kontroverse über "Dienstleistung", wie sie sich in den beiden Heften: "Dienstleistung - Befreiung aus feudaler Entmündigung?" und "Dienstleistung in der Jugendhilfe" darstellt, kann grob in zwei Bereiche auseinandergelegt werden:
Hier die Auseinandersetzung im Rahmen der Rationalisierung der Verwaltungen - unter den Stichworten: "Neue Steuerungsmodelle" und "New Public Management". Dort die Versuche, einen theoretisch gehaltvollen Begriff von Dienstleistung zu entwickeln, der eine Neuorientierung, ja sogar einen Paradigmenwechsel (9. Jugendbericht) in der Sozialen Arbeit herbeiführen soll. Jedes der beiden Felder hat seine Protagonisten wie seine Kritiker. Letztere aber diskutieren häufig cross over - was die Reichweite der Argumente dann minimiert. Doch im Handgemenge ist das normal. Angesichts der gesellschaftlichen Umstände, unter denen die Dienstleistungsdebatte stattfindet, wird deutlich, daß es bei der Verwendung von "Dienstleistung" immer auch um Politik geht: Einerseits, um damit den Sozialstaat "umzubauen", ihn "leaner & meaner" zu machen; andererseits mit dem Anspruch eines neuen Paradigmas Sozialer Arbeit, das diese aus ihrer marginalisierten gesellschaftlichen Position in eine neue "Normalität" emanzipieren soll. Dienstleistung als Mittel für ein professionelles und disziplinäres Aufstiegsprojekt?
Eben dieser politische Rahmen, in dem die Dienstleistungs-Kategorie Verwendung findet, ist der Anlaß für dieses Heft. Vor fast 12 Jahren hat die Redaktion der WIDERSPRÜCHE versucht, eine neue Form "alternativer Sozialpolitik" zu konzipieren, die von den von Sozialpolitik betroffenen Menschen ausgeht und den aktiven Charakter ihres Handelns bei der (Re-)Produktion ihrer Lebensverhältnisse und der Bewältigung ihrer Lebensumstände in den Mittelpunkt stellte. "Produzenten-Sozialpolitik" war das Wortungetüm, das 1989 diese Dimension der aktiv handelnden Subjekte als reales wie als zugleich kontrafaktisch unterstelltes Prinzip zu markieren versuchte.
Damit war die Intention verbunden, mit einer hegemonialen Sozialpolitik - und entsprechenden Analysen, die diese Hegemonie nochmals verdoppelten - zu brechen, einer Sozialpolitik, die von den "Staatsapparaten", von der Logik institutioneller Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Probleme ausgeht und dabei die Lebensumstände und Handlungsperspektiven der davon "Betroffenen" - sei es in paternalistisch-fürsorglicher, sei es in sozialtechnokratisch-versachlichter Gestalt - präformierte und dominierte. Dieser Bruch mußte auch auf begrifflicher Ebene dokumentiert werden: Mit der Formulierung der "Politik des Sozialen" sollte genau diese Intention einer Politik, die von den aktiv ihre Lebensumstände produzierenden Subjekten ausgeht, auf den Begriff gebracht werden. "Politik des Sozialen" ist insofern ein kritisch-analytischer Begriff, mit dem die herrschende Sozialpolitik analysiert, konterkariert und transzendiert werden kann. Auch die Politiken, die die Kategorie der "Dienstleistung" verwenden, können aus der Perspektive einer "Politik des Sozialen" kritisch überprüft und diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund ist es dann möglich, die politischen Intentionen und Implikationen, die strategischen Optionen sowie die theoretischen Gehalte der Dienstleistungsdebatte zu untersuchen.
Zu den Beiträgen im einzelnen
In diesem Heft sind Beiträge aus den verschiedenen, zuvor angerissenen Diskussionsfeldern vertreten. Sie zeichnen sich überwiegend durch eine explizit theoretische oder politische Herangehensweise aus.
Einführend veranschaulicht Matthias Schwabe den Stand der Diskussion auf professionell-administrativer Ebene. Er nimmt die 'marktgängige' Interpretation des Dienstleistungsbegriffs als Angebots-/Nachfrageverhältnis ernst und appliziert diese aus dem Blickwinkel eines "freien Trägers" auf die Akteurskonstellationen und Leistungsformen der Jugend-, insbesondere der Erziehungshilfe. Konsequent durchbuchstabiert läßt sich so einerseits zeigen, wie unterkomplex sich dieses Modell im praktischen 'Härtetest' präsentiert. Kehrt man den Maßstab um und fragt nach den Bedingungen, die praktisch erfüllt sein müßten, um eine 'gehaltvolle' Dienstleistungsorientierung zu gewährleisten, so wird andererseits deutlich, wie wenig eine solche als Vehikel einer "Verschlankung" Sozialer Arbeit im Sinne von Mittelkürzung, Effektivierung, Steuerung und Kontrolle taugt.
John Harris zeichnet eindrücklich nach, wie Soziale Arbeit mit der Politik der Neuen Rechten in Großbritannien qua Einführung von Marktprinzipien, von Managementverfahren und einer Zentrierung auf den Klienten als "Kunden" im öffentlichen Sektor zu einer Residualkategorie ausgedünnt wurde. Seine Analyse macht deutlich, in welche Widersprüche sich solche Politiken verstricken. So weist er darauf hin, daß - allem Gerede vom "Kunden" zum Trotz - diese einen konstitutiv anderen Status auf dem "Sozialmarkt" einnehmen als dies mit der Verwendung der Marktmetapher und entsprechend heroischer Axiome (wie vollständige Marktübersicht, 'angemessene' finanzielle Erstausstattung, Freiwilligkeit der Kaufentscheidung, Wahlmöglichkeit etc.) suggeriert wird und daß, würden sozialstaatliche "Leistungen" konsequent dem Profitmotiv folgen, das Sozialstaatsprinzip sich selbst außer Kraft setzen müßte. Für den bundesrepublikanischen Kontext ein Beispiel, das Aufmerksamkeit gerade angesichts der neuen Qualität der Angriffe auf die Grundstrukturen des Sozialstaates erfordert.
Albert Krölls stellt die "Ökonomisierung der Sozialarbeit" in eben diesen Kontext einer "Ökonomisierung von Staatsfunktionen". Gegen Interpretationen, die die Dienstleistungsorientierung gewissermaßen als Trojanisches Pferd zur Durchsetzung der "progressiven Ideale der sozialarbeiterischen Profession" betrachten - was zugleich deren 'fatal attraction' begründe -, argumentiert er mit der Untrennbarkeit von Form und Inhalt einer ökonomisierten Sozialarbeit. Vor diesem Hintergrund erweise sich der Streit um die definitorische Alternative 'Klient versus Kunde' allerhöchstens als Nebenschauplatz, da "die objektive Bestimmung eines Gegenstandes (sich) nicht aus dessen Bezeichnung ergibt, sich folglich mit der Änderung der Nomenklatura auch keine Änderung des Inhaltes der Sache bewirken läßt." - Der Kaiser darf seine neuen Kleider anbehalten, gestritten wird über die Farbe...
Auch Timm Kunstreich greift die Unterscheidung zwischen einer analytischen und einer assoziativ-strategischen Ebene des Umgangs mit der Dienstleistungsdebatte und den mit ihr einhergehenden Begrifflichkeiten - hier am Beispiel der Neuen Steuerungsmodelle - auf und weist auf deren analytische Unangemessenheit hin; was übrig bleibt, sind "Chiffren". Diese gelten ihm jedoch nicht als 'bloße Namen' oder geschickt eingefädelte Täuschungsmanöver, sondern als Ausdruck eines neuen sozialpolitischen Konsenses, der das alte Modell der Befriedung und Kontrolle "des Abweichenden" und dessen Integration in eine homogenisierte Lohnarbeiterschaft verabschiedet hat und an dessen Stelle das "Management der Spaltung" (Schaarschuch 1994), die Akzep-tanz und Verwaltung "separierter Soziotope" setzt. Wenn es sich hierbei - so Kunstreichs These - tatsächlich um den Übergang fordistisch/tayloristisch geprägter Regulationsmodi zu denen des "Toyotismus" handeln sollte, dann heben diese auch den Grundwiderspruch zwischen den beiden Funktionen der "Produktivkraft Organisation" auf eine neue Ebene: Effektivierung von Kontrolle einerseits und Steigerung von Arbeitseffektivität (mittels Kooperation, Kreativität, freier Interaktion etc.) andererseits. Daß damit kein Automatismus der Aufhebung von Sozialpolitik bezeichnet ist, sondern daß die dabei mit einer neuen Bedeutung versehenen Formen von "Rationalisierung", "Professionalisierung" und "Kolonialisierung" selbst wiederum zu kritisieren, d.h. mit Freire: zu "decodieren" sind, dazu verweist Kunstreich auf die Begriffe "Aktivierung", "Solidarisierung" und "Selbstregulierung" und präzisiert so das Konzept einer "Politik des Sozialen".
Wie sehr die Dienstleistungskategorie auch in der Profession Sozialer Arbeit offene Aufnahme gefunden hat, hat manchen Beobachter verwundert. Vor dem Hintergrund des Beitrages von Ulrike Nagel wird verständlich, daß im Selbstverständnis der Professionellen Dispositionen und Orientierungen zu finden sind, die eine Basis für die aufgeschlossene Übernahme der mit dem Begriff der "Dienstleistung" in ihrer modernisierenden und rationalisierenden Variante verbundenen Vorstellungen und Ideen darstellen. Diese Orientierungen, von Nagel mit dem Begriff "Krisenmanagement" belegt, stellen in gewissem Sinne das professionelle Gegenstück zu den Modernisierungsstrategien der Administration dar. Wiewohl dieser Typus von Sozialarbeitsverständnis Momente in sich trägt, die frühere Deutungen des Hilfeengagements wie bspw. "Sozialanwaltschaft" - mit all ihren dilemmatischen Implikationen für die Identität des Professionellen - zu transzendieren scheinen, trägt gerade er zu einer fatalen Konsequenz bei: Es ist der Abschied von der Politisierung, der "Habitus engagierter Rollendistanz" (Nagel), der zur Veralltäglichung sozialer Probleme, zu ihrer 'Naturalisierung' und - tendenziell - Verewigung führt.
Der Beitrag von Andreas Schaarschuch schließlich stellt unter Rückgriff auf die Dienstleistungsdebatte der 70er und 80er Jahre einen Vorschlag dar, die Kategorie der Dienstleistung als theoretisch-analytischen Begriff neu zu füllen. Das geschieht im Rahmen einer relationalen Definition, die in einem dreistufigen Verfahren, das den Begriff der Dienstleistung in bezug zum "Erbringungsverhältnis", zum "Erbringungskontext" und zu den "gesellschaftlichen Bedingungen Sozialer Arbeit" setzt, präzisiert wird. Diese Konzeption von Dienstleistung wird auf andere Modelle professionellen Handelns bezogen und im Hinblick auf die 'Politik des Sozialen' diskutiert: Auch wenn es, so die These Schaarschuchs, zwischen Sozialer Arbeit als Dienstleistung und einer "Politik des Sozialen", wie sie im Verständnis der Widersprüche entwickelt wurde, viele Überschneidungen gibt, die sich bspw. auf die Orientierung am Gebrauchswert, die Frage der Demokratisierung und die der Rechte der Nutzerinnen beziehen, bleibt doch eine wesentliche Differenz mit dem Stichwort "Produzenten-Sozialpolitik" bezeichnet. Vordem Hintergrund dieses Ansatzes nämlich stellt sich die Dienstleistungsdebatte, so wie sie in weiten Teilen geführt wird, als beschränkt auf den Handlungsmodus der Professionellen dar.
Die Redaktion