Gesundheit als Mythos

Editorial

Gesundheit ist zum Schlagwort geworden, das sich in vielfältige Lebensbereiche eingenistet hat. Gesundheitsfragen sind allerdings nicht erst seit der hochtönenden Gesundheitsreform, welche den Kollaps eines euphemistisch als Gesundheitswesen bezeichneten kranken Betriebs aufhalten soll, in das ökonomische Blickfeld gerückt.

Spätestens seit der berühmten Definition von Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation als "Zustand vollkommenen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens" haben sich vielfältige Hoffnungen und Erwartungen an das säkulare Lebensideal geheftet. Obwohl gegenwärtig weiterhin die Faszination der Klinik ungebrochen ist und der Reiz des Pathologischen nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat, wovon der Therapiekult beredtes Zeugnis ablegt, ist gleichwohl der umstandslose Hang zum Moribunden und Maroden allmählich gegenüber dem modischen Trend zum Positiven etwas in den Hintergrund gerückt. Fast unbemerkt hat sich das Gesundheitsmotiv zum Generalnenner für richtiges Leben aufgebläht.

Alternative wie etablierte Propagandisten gesundheitlichen Glücks basteln seitdem eifrig daran, den neuzeitlichen Gesundheitsmythos als Ersatz für verlorenen Lebenssinn mit Nachdruck zu inthronisieren. Wo gesellschaftliche Spaltungen und Umweltbedrohungen das Handeln lähmen und blockieren, enthüllt sich Gesundheit als sinnstiftende Perspektive, welche das richtige Leben im falschen verheißt, unbekümmert um die Frage, ob nicht die beschworene Positivität des ersehnten Ganzen das verhüllte Unwahre sei.

Bei aller Sensibilisierung für Fragen der Gesundheit bleiben folglich mögliche Funktionen des Gesundheitsbooms verdeckt. Umso bedeutsamer werden daher Überlegungen zur Diskussion des Gesundheitsmotivs im Rahmen psychosozialer Praxis.

Georg Hörmann beleuchtet die Entwicklung und Ausbreitung des Gesundheitsmotivs und dessen Verknüpfung mit der zunehmenden Körperstilisierung. Wie statt einer Kultur beider Bereiche eher ein magischer Kult zelebriert wird, enthüllt sich an Gesundheitsmythen des Sports besonders anschaulich.

Eberhard Göpel wendet sich ausgehend von der Widersprüchlichkeit des Gesundheitsmotivs gegen therapeutische Entmündigung und Entmachtung im Gesundheitswesen und entfaltet Perspektiven einer sozialökologischen Gesundheitspolitik und Lebenskultur.

Hans Zygowski weist an Entwicklungstendenzen im Psycho-Sektor Medizinisierung und Klinifizierung als professionelle Strategien expandierender Berufsgruppen auf. Die Kehrseite der Fiktion von "gesunden" Verhältnissen erweist sich an der ausufernden Therapeutisierung von Lebensbereichen.