Das Herz denkt rechts - Vereinigte antidemokratische Potentiale

Editorial

Im Jahr 1989 hat der Einzug der "Republikaner" in den Senat von Berlin und der Einzug der NPD in das Kommunalparlament der Stadt Frankfurt die Öffentlichkeit zusammen mit dem relativ "guten" Abschneiden der Rechten bei den Europa-Wahlen aufgeschreckt und die Aufmerksamkeit auf den organisierten Rechtsextremismus gelenkt. Nur ein Jahr später - 1990 - sieht die Situation, nicht nur durch die "deutsch-deutschen Ereignisse", so aus, als ob das "rechte Schreckgespenst" erst einmal abgewendet wäre. Verschiedene Gründe mögen hier eine Rolle gespielt haben:

  1. die internen politischen und persönlichen Querelen und Auseinandersetzungen der "Republikaner" selbst,
  2. der Rücktritt Schönhubers,
  3. die Wahlschlappe der "Reps" bei den Landtagswahlen in NRW und Niedersachsen und nicht zuletzt,
  4. daß trotz der "deutsch-deutschen Ereignisse" bisher keine nationalistische Euphorie ausgebrochen ist, die die "Republikaner" ideologisch für sich nutzen konnten.

All dies scheint dafür zu sprechen, daß sich momentan der organisierte Rechtsextremismus keiner breiten Akzeptanz erfreut. Gleichwohl bleibt für uns die Frage zu klären, inwieweit die "Republikaner" - und vor allem ihr geistig-politisches Umfeld, ob mit oder ohne Schönhuber - eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Schon allein deswegen, weil das "Republikaner-Phänomen", bzw. die hinter ihm stehenden rechtsextremen Orientierungen, keineswegs durch die anstehenden Wahlen beerdigt werden kann. Eine Antwort wird zunächst in der Analyse der Entstehungsbedingungen der organisierten Rechten zu suchen sein. Denn die Linke sollte 1990 nicht den von Ernst Bloch kritisierten Fehler der KPD der Weimarer Zeit wiederholen: Damals hatte sie es nämlich versäumt, sich mit den Ursprüngen der kleinbürgerlichen Wertnormen, den ungleichzeitigen Widersprüchen auseinanderzusetzen.

Daß sich Ende der 80er Jahre rechte Parteien wie die "Deutsche Volksunion", die NPD und die "Republikaner" weder parlamentarisch etablieren konnten, ist weder damit zu erklären, daß "der Staat" zu lasch im Umgang mit Rechtsextremen ist und zu wenig mit Verboten und Strafen agiert noch mit einer "Normalisierung", wie sie entwickelten westeuropäischen Gesellschaften immanent ist.

Nach unserer Auffassung hat ein komplexes Zusammenspiel von ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren die latent vorhandenen rechten, nationalistischen, rassistischen und autoritären Einstellungen zu einem rechten Wahlverhalten geführt. Das schon 1979 veröffentlichte Material der SINUS-Studie konstatierte - bei allen methodischen Mängeln - bei rund sechs Millionen Bundesbürgerinnen ein rechtsextremes Weltbild, das durch ein nationalsozialistisches Geschichtsbild, einen Haß auf Fremdgruppen, Demokratie und Pluralismus und einer übersteigerten Verehrung von Volk, Vaterland und Familie gekennzeichnet ist. War es bis 1982 vor allem dem nationalkonservativen Flügel der CDU/CSU gelungen, einen Teil dieses Potentials wähl- und machtpolitisch zu integrieren, hat die Sozial- und Wohnungspolitik im Zusammenwirken mit rasanten Strukturveränderungen das Nachlassen dieser konservativen Einbindung ausgelöst. Neben der "alten" Rechtspartei NPD, dem außerparlamentarischen, militant-jugendlichen Lager mit sozial deklassierten männlichen Jugendlichen als Aktivisten konnten sich die "Republikaner" als rechte, "unbelastete" Partei etablieren. Ihre Entwicklung von einer rechtskonservativen, auf Bayern beschränkten Partei (1983) zu einer Organisation, deren völkischnationalistische Phraseologie mit einer "intellektuell ansprechenden" Programmatik unterlegt wurde, zeigt aber vor allem eine Verschiebung in der politischen Kultur, die bedenklicher und gefährlicher ist als die bloßen Wahlerfolge rechter Parteien.

Die konservative Radikalisierung der politischen Mitte, das - wie Adorno formulierte - Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie und nicht das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie ist die aktuelle, nicht mehr nur potentielle Bedrohung. Die zunehmende Gewaltbereitschaft und Gewaltakzeptanz gegenüber AusländerInnen, Sinti und Roma, die blutige Randale zwischen rivalisierenden Fußballfans, die zunehmende Gewalt von Skins gegen Punks und Ausländer - auch in der DDR - sind nur augenscheinliche Beispiele einer solchen Entwicklung. Der "Historikerstreik", das "Gesetz gegen die Auschwitzlüge" (das ein vom Totalitarismustheorem gefärbtes Aufrechnungsgesetz ist), die Nichtanerkennung der polnischen Westgrenze, das jüngst im Bundesrat verabschiedete Ausländergesetz und eine Sozialpolitik, die fast sechs Millionen Menschen in Armut leben läßt, sind demokratie- und toleranzzerstörende Tendenzen.

Die Bedeutung des vom Verfassungsschutz registrierten rechten Lagers war nie eine machtpolitische; die Funktion rechter Gruppen lag vielmehr im Thematisieren antihumanistischer, antisemitischer, nationalistischer, fremdenfeindlicher und rassistischer politischer Einstellungen, die als Erwartungsdruck gegenüber Politikerinnen formuliert werden und sich so "normalisieren". Die auch in linken Kreisen übliche vorurteils- und ressentimentsgeladene Haltung gegenüber Aus- und Übersiedlern stabilisieren nur die Bilder vom "vollen Boot" und tragen mit dazu bei, soziale Probleme als nationale zu definieren und entsprechend zu lösen.

Die "Begleittöne" der Vereinigung beider deutscher Staaten, wie sie weite Teile der westdeutschen Linken kritisieren, zielen auf die schon angedeutete Nationalisierung von Politik, auf die nationale Überlagerung sozialer Konflikte und auf die ökonomische und damit machtpolitische Potenz des "neuen Deutschlands" und verweisen zurecht auf die sozialen, politischen und ökonomischen Kosten dieses Prozesses. Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, so die Befürchtung, würden auch dort rechten Gruppen parlamentarische Erfolge ermöglichen. Diese Erklärung korrespondiert mit der in der Bundesrepublik sehr verbreiteten These, daß ökonomische Krisen maßgeblich für Rechtsextremismus und Rassismus verantwortlich sind. Diese These erklärt aber nicht, daß schon jetzt in der DDR bei 10 bis 15 Prozent der Jugendlichen der Faschismus eine relativ große Akzeptanz besitzt und in der BRD signifikant häufig solche Personen die "Republikaner" gewählt haben, die sich real und in ihrer Einschätzung in einer mindestens zufriedenen wirtschaftlichen Lage befinden und diese auch optimistisch beurteilen. Ähnliche Ergebnisse liefert auch eine Untersuchung aus der DDR, die einen auffallend hohen Anteil von Facharbeitern mit stark ausgeprägter Arbeitsdisziplin als Kern des rechtsextremistischen Potentials beschreibt (Loni Niederländer, Neue Justiz, 1/90).

Für uns heißt das, daß der emotionale und psychische "Unterbau", der "objektive Faktor Subjektivität" stärker thematisiert und berücksichtigt werden muß. Birgit Rommelspacher hat in einem Gespräch in der taz vom 7. Mai 1990 darauf hingewiesen, daß diese Defizitthese (Verarmungs- und Deklassierungsängste, Bindungs- und Orientierungslosigkeit, Zukunftsangst) "hilft", an der Figur des von Deklassierung bedrohten Arbeiters oder des männlichen, arbeitslosen Jugendlichen, das Problem mit Hilfe von "Wohnungsbau, Sozialarbeit oder Polizei 'in den Griff zu bekommen' " und damit entlastend wirke. Die von ihr diagnostizierte Dominanzkultur, in der das Fremde aus dem Weg geschafft oder integriert wird, bis es verschwindet, wäre eine sinnvolle Ergänzung der kritischen Analyse, wie sie in diesem WIDERSPRÜCHE-Heft versucht wird.

Hans-Gerd Jaschke geht der Frage nach, ob und inwiefern die "Republikaner" eine Gefahr für die Demokratie sind und nennt die Ursachen ihres Entstehens. Jaschke definiert die "Republikaner" als eine Brückenpartei zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus. Das "Republikaner-Phänomen" steht für eine längerfristige Veränderung des "common sense" und für die Transformation der sozialen in die nationale Frage. Die Werte der Industriegesellschaft werden dabei einer fundamentalistischen Kritik unterzogen. Hier sieht Jaschke auch künftig die eigentliche Gefahr des "Republikaner-Phänomens": im rechten Protest gegen Demokratie, Menschenrechte und Liberalismus.

Hajo Funke analysiert in Anbetracht des atemlosen Tempos der deutsch-deutschen Fusion die Gefahren nationalistischer Potentiale im Wahljahr 1990. Zurecht weist er daraufhin, daß mit dem bloßen Abstieg der "Republikaner" die Geisteshaltungen und Bewußtseinsformen, die sie hervorgebracht haben, noch lange nicht erledigt sind. Funke warnt vor ihrer verderblichen Hinterlassenschaft: der ausländerfeindlichen Einstellung, dem Gefühl nationaler Überlegenheit und der vorherrschenden Geschichtsverdrängung. Dies alles könne durch die deutsch-deutsche Dynamik noch forciert werden. Ebenso ist in der "Noch-DDR" ein nicht unbeträchtliches nationalistisches Potential vorhanden. Auch hier müssen 40 Jahre autoritäre Gängelung verarbeitet werden. Für Funke ist es deshalb politisch dringend geboten, auch in der DDR eine autonome Politik der Demokratisierung zu unterstützen, anstatt den raschen ökonomischen Anschluß zu betreiben.

Hilke Oltmanns thematisiert den Rechtsextremismus bei Mädchen und Frauen. Oltmanns macht deutlich, daß der Blick auf das Wahlverhalten junger Frauen allein in die Irre führen kann. Die Geschlechterdifferenz wird hier um so kleiner, je mehr man den Blick vom Wahlverhalten ab- und zu den Alltagsorientierungen junger Frauen hinwendet. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, schreibt Oltmanns, daß rechtsextreme Orientierungen bei Mädchen und Frauen sehr wohl vorhanden sind, sich aber nur zum Teil im Wahlverhalten äußern. Zu klären bleibt, warum junge Frauen vom "Opfer zur Täterin" werden, und worin die Verbindung von erfahrener Ohnmacht und weiblicher Akzeptanz rechter Ideologie besteht.

Peter Krahulec gibt eine profunde Analyse rechtsextremer Orientierungen in der DDR, die nach der dortigen Erosion des von oben "verordneten Antifaschismus" nun gesellschaftlich durchbrechen. All das, so Krahulec, was vorher nicht in das realsozialistische Selbstbild des SED-Staates paßte, wurde einer Realitätsverzerrung unterworfen und mystifiziert. Die Offenlegung dieser Mythen, jetzt, nach Ende der 40jährigen SED-Herrschaft, enthüllt gleichzeitig die Beschädigungen des intellektuellen und seelischen Lebens der DDR-Gesellschaft, durch die Diktatur des Realsozialismus. In dem "Erziehungsheim hinter Stacheldraht" (W. Biermann zur DDR) hat sich bereits in den 80er Jahren die neue Rechte organisiert: die "Skins" und die "Faschos". Angesichts dieses rechtsextremen Potentials in der DDR plädiert Krahulec, wie schon Heitmeyer, dafür, von einem verfassungsrechtlichen Extremismusbegriff Abschied zu nehmen, denn: Hüben wie drüben werden zwar rechtsradikale Organisationen überwiegend abgelehnt, rechtsradikale Orientierungen jedoch weithin geteilt. Notwendig sei jetzt, so Krahulec, ein demokratisch offenes Menschenbild.

Carl-Wilhelm Macke stellt das Phänomen des Rechtsextremismus in den europäischen Zusammenhang, er beschreibt die Situation der neuen Rechten in Italien. Italiens neue Rechte, die keinen Le Pen und keinen Schönhuber hat, befindet sich gegenwärtig in einer Umbruchphase. Die alten faschistischen Haudegen sind von der politischen Bühne abgetreten, eine neue Generation rückt nach, die der Partei ein modernes rechtes Profil geben will. Die momentan sichtbarste Aktualisierung reaktionären Denkens zeigt sich wie der von Macke zitierte Politologe und Kenner der neuen Rechten, Franco Ferraresi, äußert, im Rassismus. Daß rassistische Aktionen, so Ferraresi, in Deutschland und Frankreich derzeit noch stärker vorkommen als in Italien, liege allein daran, daß in Italien die Anwesenheit von Nicht-EG-Ausländern noch keine Massendimensionen erreicht hat. Die Aufgabe der Linken bleibe es deshalb, eine moderne antifaschistische Kultur neu zu definieren.

Benno Hafeneger und Walter Lochmann resümieren zehn Jahre in Schule und Jugendarbeit geführte Diskussionen über die pädagogische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Jugendlichen. Sie benennen dabei vor allem Dilemmata und Widersprüche, in denen hier die Pädagogik noch steht. In diesem Zusammenhang fordern die Autoren auch, daß sich Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme nicht im Kontext einer verkürzten Problemzuständigkeit aufdrängen lassen, sondern sie in die entsprechenden gesellschaftlichen und politischen Zuständigkeiten zurückgeben. Denn die Gesellschaft, so Hafeneger/Lochmann, hat sich mit rechtsextremen Verhaltensweisen von Jugendlichen auseinanderzusetzen und hier auch angemessene Lösungen vorzuschlagen. Damit sind die Pädagoginnen und Sozialarbeiterinnen aber keineswegs aus ihrer begrenzten Zuständigkeit entlassen, es gibt allerdings hier auch keinen "pädagogisch-politischen Königsweg" anzubieten. Dennoch sehen die Autoren Chancen für eine demokratische Jugendarbeit, die rechtskonservativen Entwicklungen entgegenarbeitet. Sie liegen zum Beispiel in der Selbstreflexion der Bildungsarbeiterinnen, im Eingeständnis der eigenen Allmachts- und Ohnmachtsphantasien, im Bemühen, autoritäre und fremdenfeindliche Anteile bei sich selbst zu bearbeiten, und in den Versuchen, "jugendadäquate", soziale und multikulturelle Utopien zu entwickeln.

Offenbach im Juni 1990

Nirgendwo in zivilisierten Ländern ist so wenig Grund zum Patriotismus wie in Deutschland, und nirgendwo wird von den Bürgern weniger Kritik am Patriotismus geübt als hier, wo er das Schlimmste vollbracht hat. Berlin, die Wiedervereinigung, die Gebiete jenseits der Oder, des zu Recht besiegten Deutschlands werden zu Stimulantien der neuen patriotischen Gesinnung, die von einem heimlichen Willen gegen inneren, ja gegen äußeren Widerspruch sich ausbreitet. Dahinter steht die Bereitschaft, in jenen fanatischen Patriotismus auszubrechen, der sich vor dem anderer Länder dadurch auszeichnet, daß er keine Idee hat, daß er in bloßer kollektiver Barbarei besteht. Nichts von Liebe ist drin, das beweist schon der offenkundig zum schamlosen Kitsch herabgesunkene Heimatrummel von landsmannschaftlichen presssure groups und Edelweißromanen. Nichts ist wahr als Machtgier und Aggression.

Der Patriotismus in Deutschland ist so furchtbar, weil er grundlos ist.

Max Horkheimer