Ausländer - Sündenböcke werden gemacht

Editorial

Dieses Heft ist Resultat einer längeren heftigen Auseinandersetzung in der WIDERSPRÜCHE-Redaktion. Von der Thematisierung der "Ausländerfeindlichkeit in uns allen" bis hin zu völliger Ablehnung des Themas ("Darüber ist genug geschrieben worden") reichten die Meinungen. Schließlich gelangten wir doch noch zu einem Konsens: Nicht über die Lage der Ausländer wollen wir schreiben, sondern über uns - die Deutschen -, die Ausländer nicht nur als Arbeitskräfte brauchen sondern auch als "Sündenböcke". Unser Thema sind also nicht die "Opfer", sondern die "Täter".

Diesen Gedanken entwickeln wir an den Beispielen von Schule, Medizin und Sozialamt, bzw. an deren Anteil an der Erhaltung des Sündenbocks "Ausländer". Reinhard Laux spitzt die "Täterorientierung" auf die Frage zu: "Wie heimatlos muß jemand sein, um sich ausländerfeindlich zu verhalten?" und untersucht den fatalen deutschen Zwang zur Wiederholung politisch-psychischer Prozesse.

Stephen Castles erweitert die Fragestellung und entwickelt Thesen zur Rollenveränderung der Arbeitsemigranten im westeuropäischen Kapitalismus. Anschauungsunterricht zum Thema "Täter" liefert Detlef Marzi mit den Sündenbockprojektionen eines erlauchten deutschen Parlaments (Bremer Bürgerschaft).

In seinem Beitrag, warum gerade die Türken zu "Supersündenböcken" geworden sind widerspricht Ozean Ayanoglu der - auch bei Linken zu hörenden - Meinung, das sei Folge der "kulturellen Fremdheit". Demgegenüber begründet er die Tatsache, daß es immer die rechtlosesten und sozial diskriminiertesten Teile der Bevölkerung sind, die sich besonders als Sündenböcke eignen.

Daß die Agenturen des Sozialstaats Spaltungen der Gesellschaft legitimieren und daß Hilfe und Herrschaft in ihnen untrennbar verbunden sind, sind u. a. Generalthemen der WIDERSPRÜCHE. Ingrid Haller untersucht entsprechend den Anteil der Institution Schule an der Erhaltung des "Ausländers", Ursula Brucks, Erdmann von Salisch, Wulf-Bodo Wahl rekonstruieren den Anteil der Medizin.

Als Praxisbeispiel wie mit den Widersprüchen und Konflikten in der "Täter-Opfer"-Beziehung umgegangen werden kann, versteht sich Christa-Berta Kimmichs Beitrag über ihre Arbeit auf einem Abenteuerspielplatz. Daß politische Arbeit sich nicht im Flugblätterverteilen erschöpfen muß und auch Spaß machen kann, zeigen Bericht und Szenenauszüge Ali im Wunderland von Eva Weber.

Den letzten Teil - Überlegungen wie es weitergehen kann - leitet Elisabeth Grundmann mit Überlegungen zu ihrer eigenen "kulturellen Identität" ein. Was dieser Begriff im Zusammenhang mit einer neuen Qualität von Ausländerpolitik heißen kann, damit setzt sich Lutz Peters auseinander. Zentral für seine Überlegungen ist das umstrittene Konzept einer subkulturellen Segregation d. h. daß den ausländischen Minoritäten Raum gelassen wird, ihre eigene Identität zu entfalten und zu verändern.

Bendix Klingeberg, Aktiver in einer Hamburger Ausländerinitiative, war von der Redaktion gebeten worden, zu einem weiteren Schwerpunkt in der WIDERSPRÜCHE-Konzeption Stellung zu nehmen: Der Perspektive einer multikulturellen Gesellschaft als Teil einer sozialistischen, anti-hegemonialen Strategie. Das tut er auch - indem er allzu idealistische Konzepte von "Ausländer"- und "Deutschen-Kultur" grundsätzlich kritisiert und nach der materiellen Basis derartiger Konzepte fragt.