Zwischen Aufbruch und Resignation

Der brüchige Habitus der Hochschullehrerinnen

"Denn wer lehrt, herrscht" (Schelsky, 1975, S. 369)

HochschullehrerInnen sind überheblich, selbstdarstellerisch, bürokratisch, starr, kompromißlos, ganz fixiert auf ihr Spezialgebiet, können nicht ganzheitlich denken - wollen es auch gar nicht, so, daß sie Studentinnen klar machen, daß diese absolut nichts wissen und dumme kleine Würstchen sind, uninteressiert an studentischen Problemen, ängstlich ihren Kolleginnen gegenüber, viel Geld verdiendende, wenig Arbeit leistende hochprivilegierte Mitglieder dieser Leistungsgesellschaft, die das unmenschliche System durch ihr Verhalten stabilisieren, nie da, wenn ich sie brauche, verwahrlost - Äußerungen von Studentinnen.

Die Universität befindet sich in der Krise. Das Hochschulsystem erscheint dysfunktional oder ohne beschreibbare Funktion zu sein. Auf verschiedenen Ebenen äußern sich die Kritiker. Der Wissenschaftsrat fragt, weshalb die Studienzeiten an den unterschiedlichen Hochschulen so unterschiedlich lang seien - als zu lang erscheinen sie überall, denn das hohe Berufseintrittsalter der deutschen Hochschulabsolventen sei ein Nachteil in der internationalen Konkurrenz. Auch die Ausbildungsleistungen werden bemängelt.

"Wie werden die Probleme der Hochschulen gelöst?" war die zentrale Fragestellung auf einer Veranstaltung in Hannover im Mai 1989, auf der Hochschullehrer und Politiker miteinander diskutierten. Von Politikern wurde eine aktive Teilnahme der Universität an einer lebhaften kritischen und öffentlichen Diskussion um die Rolle der Wissenschaft in dieser Gesellschaft gefordert. Der gesellschaftliche Wert der Hochschulen wird künftig mehr denn je - und dies aufgrund der Krisen in Ökologie und Sozialpolitik, also aufgrund objektiver gesellschaftlicher Tatbestände - in der Verknüpfung von Wissensvermittlung mit der Analyse der Folgen dieses Wissens für die Gesellschaft liegen.

Stellt sich die Universität diesen Anforderungen

Betrachten wir unsere alltägliche berufliche Umwelt als Hochschullehrerinnen, kommen wir zu eher negativen Einschätzungen, weil trotz der Erfüllung einiger Desiderate der Hochschulreform von 1970 bis 1975 die zunehmende Restriktion in bezug auf Leistungsnachweise, Entscheidungsabläufe, Lehrinhalte nicht aufzuhalten ist, dennoch aber darüber kein Diskurs unter den Lehrenden stattfindet. Die Hochschullehrerinnentätigkeit ist uns deshalb zum Problem geworden, weil wir den hochschulpolitischen Diskurs mit den Kolleginnen vermissen, weil in den Hochschulen höchstens um Statuserhalt und Privilegienzuwachs gestritten wird, nicht aber über die einst vertretenen Reformforderungen, geschweige denn über neue Funktionsbestimmungen. Unzufriedenheit, Resignation und Ängste machen sich bei Hochschullehrerinnen und Studentinnen breit.

Wir wollen den Diskurs wieder aufnehmen und fragen: gibt es Möglichkeiten für Hochschullehrer und insbesondere Hochschullehrerinnen, den Hochschulalltag so zu verändern, daß die Studienbedingungen den Interessen und Problemlagen der Studentinnen besser angepaßt werden können, ohne daß die Ausbildung verflacht oder eigene Forschungs- und Wissenschaftsinteressen einer optimalen Einübung in vorfindliche Berufsfelder geopfert werden müssen?

Seit einigen Semestern führen wir in Kooperation des Interdisziplinären Zentrums für Hochschuldidaktik der Universität Hamburg und des Fachbereichs Erziehungswissenschaften I der Universität Hannover ein Forschungs- und Lehrprojekt durch. Dieses beinhaltet Seminarbeobachtungen, Befragungen von Hochschullehrerinnen sowie die Bearbeitung problematischer Situationen im Hochschulalltag und deren Veränderungsmöglichkeiten im szenischen Spiel.

In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Hochschullehrerinnen und fragen: was löst mein Verhalten, das nicht an der Sicherung meiner Autorität oder Einflußnahme um ihrer selbst willen oder steiler Karriere orientiert ist, sondern an Kooperation, Erkenntnis, Abbau von Diskriminierung, eigentlich aus? Unserer Analyse legen wir das Habitus-Konzept von Bourdieu zugrunde.

"Da der Habitus eine unbegrenzte Fähigkeit ist, in völliger (kontrollierter) Freiheit Hervorbringungen - Gedanken, Wahrnehmungen, Äußerungen, Handlungen - zu erzeugen, die stets in den historischen und sozialen Grenzen seiner Erzeugung liegen, steht die Konditionierung und bedingte Freiheit, die er bietet, der unvorhergesehenen Neuschöpfung ebenso fern wie der simplen mechanischen Reproduktion ursprünglicher Konditionierungen" (Bourdieu 1987, S. 103).

Da Bourdieu den Begriff Habitus zur Erklärung des dialektischen Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Strukturen und Subjekt verwendet, schließt er einer Lücke, die die Rollentheorie hinterlassen hat, weil in ihr die Entstehung gesellschaftlicher Strukturen ausgeblendet ist.

Habitus und sozialer Wandel

Wenn wir die Brüchigkeit von Einstellungen, Handlungen und Haltungen in den Blick nehmen und gleichzeitig auf das Habitus-Konzept rekurrieren, so bedarf das einer Erklärung. Der Habitus als individuell und klassenspezifisch geronnene gesellschaftliche Erfahrungen gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen und produziert so Gesellschaft: die früheren Erfahrungen schlagen sich als Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata nieder und gewährleisten sicherer als explizite Normen die Konstanz der Praktiken im Zeitablauf.

Dieses Moment der Konstanz, das auch in wechselnden praktischen Anwendungsfällen traditionellen Denk- und Handlungsmustern Geltung verschafft, wird im Habitus-Konzept ergänzt durch den strategischen Umgang der Akteure mit den ihnen als Regeln des Verhaltens entgegentretenden geronnenen gesellschaftlichen Erfahrungen. Diese Strategie kann sehr wohl unbewußt sein, hat aber immer das Ziel, die eigene Position im gesellschaftlichen Geflecht aufzuwerten bzw. ihren hohen Wert zu erhalten. Diese der Praxis immanente Vernunft führt dazu, daß Gesellschaft als ein Verteilungskampf beschreibbar ist, in dem es um gruppenspezifisch geprägte Prozesse des Erwerbs oder der Absicherung von Kapital geht. An der Hochschule geht es analog um Erwerb und Sicherung von sozialem Status und Privilegien.

Brüchigkeit kann nun in diesem Kontext heißen, daß die unbewußte bzw. bewußte Nutzenmaximierung aktuell nicht glückt, aber auch nicht glücken kann, weil die Bezugspunkte des Handelns falsch gewählt, die Erfordernisse des sozialen Feldes, in dem sich der Akteur bewegt, aufgrund der eigenen Position nicht richtig wahrgenommen werden können. Hiermit ist kein individuelles Unvermögen gemeint - das hätte nichts oder wenig mit Habitus zu tun - sondern eines in den Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, die für eine gesellschaftliche Gruppe konstitutiv sind, Begründetes. Damit heben wir ein Phänomen hervor, das im Habitus-Konzept zwar schon vorkommt und mit den vorhandenen Kategorien faßbar ist, aber nicht besonders akzentuiert wurde.

Bezogen auf die Hochschulen (das universitäre Feld in Bourdieus Terminologie) hat Bourdieu einige Hinweise auf Brüchigkeiten im Hochschullehrer-Habitus geliefert.

Demnach hat die Veränderung der Rekrutierungsmechanismen für den Lehrkörper an den Hochschulen Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre (diese Zeit wird im "homo academicus" - Bourdieu 1988 - analysiert) eine tiefgreifende Veränderung des professoralen Handelns bewirkt, die die Wirksamkeit des traditionellen Habitus herabsetzte: anstelle übereinstimmender Handlungen ohne Absprachen tritt eine bewußte konzertierte Aktion zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung der alten Ordnung.

"Damit war alles dahin, was die alte Ordnung ausgemacht hatte: jene vielfältigen Formen der kaum spürbaren Großzügigkeit und Nachsicht, die man sich schuldig ist, wenn man denselben Kreisen zugehörig ist, jene respektvolle Vertrautheit, die zwischen Generationen ein und derselben Familie unerläßlich ist" (Bourdieu 1988, S. 243).

Der Kampf der traditionellen Professoren gegen eine Professorenschaft, die anders als über die Anerkennung von Autoritäten, Zugehörigkeit zu einer Schule, Warten, bis man dazugehörte etc. rekrutiert wurde, hat zu einem Bruch mit der alten Ordnung geführt, ohne daß ein eindeutig anderer Habitus an die Stelle des alten trat.

"Die Veränderung der Rekrutierungsnormen hat, indem sie sowohl die vorweggenommende Identifizierung mit den Ordinarien und deren Positionen als auch das stillschweigende Einverständnis zwischen Positionsinhabern und Anwärtern im Hinblick auf die Zustimmung zu den Normen legitimen Vorwärtskommens zusammenbrechen ließ, das universitäre Feld den vereinten Wirkungen des alten Karrieregesetzes und des Verstoßes gegen dieses ausgeliefert - und es ist nicht zu sehen, wo Kräfte herkommen sollten, die in der Lage wären, auf praktischer Ebene eine Ordnung durchzusetzen, in der Rekrutierung und Beförderung ausschließlich von Kriterien pädagogischer und wissenschaftlicher Produktivität und Leistungsfähigkeit abhängen." (a.a.O, S. 253).

Die notwendige Ausweitung des Lehrkörpers Anfang der 70er Jahre, die den Rückgriff auf nur traditional rekrutierte Universitätsangehörige unmöglich machte, die Einrichtung neuer Disziplinen in der Universität - insbesondere der Soziologie - als Reaktion auf die Zunahme der Studentenzahlen und deren Kampf hat im zitierten Werk die Stimmigkeit der verschiedenen akademischen Habitus brüchig werden lassen.

Es ist bereits in diesem Ansatz klar, worin die Chancen und Risiken solcher Brüchigkeit liegen: Neubeginn oder Chaos oder resignativer Rückzug der Lehrenden.

Bourdieu sieht nur wenig Chancen für einen Neubeginn - das hängt außer mit der Geringschätzung seiner - in erhöhtem Maße neurekrutierten - Soziologenkollegen sicherlich auch mit seiner Einschätzung der Primärsozialisation zusammen: sie und damit die soziale Herkunft hat ein Leben lang Einfluß auf den Habitus und seine gruppenspezifische Prägung. Und so sind es bei Bourdieu weniger die Handlungsmöglichkeiten Einzelner als Prozesse zur Einschränkung der Selbstrekrutierung, die traditionelle soziale Praktiken zu verändern vermögen.

Wir setzen mit der Auswertung unserer Interviews zu Bildungsbiographien von Hochschullehrerinnen an diesem Punkt an, indem wir

  1. die Auflösung von Selbstrekrutierung für den Hochschullehrerinnen-Beruf für deutsche Verhältnisse definieren,
  2. den Niederschlag dieses Wandlungsprozesses in den Einstellungen und Haltungen der Hochschullehrerinnen aufspüren und als Indices für Brüchigkeit festhalten und schließlich
  3. daraus Konsequenzen für eine mögliche Entwicklungsrichtung des beruflichen Handelns von Hochschullehrerinnen ziehen.

Der Eintritt gewerkschaftlich organisierter Assistenten in den Professoren-Status ist auch in Deutschland ein Moment, das professorale Handlungen und Haltungen beeinflußt. In Zeiten der Hochschulexpansion - ab 1970 - haben viele spätere Hochschullehrerinnen gerade deswegen ihren Status erlangt, weil sie versprachen, für die Einlösung der Protestforderungen ihrer einstigen Assistentenkolleginnen einzutreten. Die bezogen sich im wesentlichen auf die Demokratisierung der Hochschulstrukturen und Reformierung der Lehr- und Lernformen. Daß damit keineswegs eine uneingeschränkte Meinungsvielfalt, sondern wohldefiniertes demokratisches Gedankengut in den Hochschulen Ausbreitung finden sollte, zeigen die fast gleichzeitig gefaßten Unvereinbarkeitsbeschlüsse des DGB, die allzu linken Denkerinnen den Boden der gewerkschaftlichen Zugehörigkeit entzogen. Die staatlichen Berufsverbote taten ein Übriges, um den politischen Veränderungswillen, den die neu rekrutierten Hochschullehrerinnen hätten mitbringen oder entwickeln können, im Zaume zu halten.

1. Auflösung der Selbstrekrutierung

Vielleicht war es die beamtenmäßige Abgrenzung, die mehr als in Frankreich an deutschen Hochschulen einen neuen Professoren-Habitus etablieren half, der in sich stimmig war: liberal, offen, eifrig, gewerkschaftlich orientiert, um ein partnerschaftliches Verhältnis zu Studentinnen bemüht, bei Herkunft aus der Mittelschicht mit Aufsteigermentalität bzw. heimlicher Sehnsucht nach dem Bildungbürgertum. Großzügig wird über die interne Differenzierung der Professorenschaft von C2 bis C4 hinweggesehen und hinweggehandelt.

Brüchigkeit entdecken wir an deutschen Hochschulen erst später, nämlich als der neue Rekrutierungsmodus - die relativ große Chance vom Assistenten oder Wissenschaftlichen Mitarbeiter zum Professor per Ausschreibung plus Beziehung zu gelangen - seine Grenze findet: die Ausweitung der Hochschulen wird gestoppt, die Professorenstellen sind fast durchweg mit Männern besetzt, die noch ein langes Berufsleben vor sich haben. Der wissenschaftliche Nachwuchs, insbesondere Frauen, verfügt nur noch über eine geringe Chance, seine angefangene Universitätslaufbahn als erfolgreiche Karriere fortzusetzen.

Daraus resultiert der brüchige Habitus: der einst fast zu leicht erklommene Professorenstatus wird wieder rar. Das hat Auswirkungen auf die, die drin sind, wie für die, die aufgrund bestimmter Strategien - als da sind Schaffung befristeter C2-Stellen, Frauenförderung, Wiedereinführung der Habilitation - reinkommen. Auf spezifische Weise durchsetzt sich so an deutschen Hochschulen neuer und alter Habitus, wird die Wirkungsweise des Habitus herabgesetzt, und werden Probleme generiert, die neue Strategien notwendig machen. Das Gehabe wird entweder wieder professoraler, aber mit schlechtem Gewissen und Bedauern über die verlorenen Beziehungen zu den Studentinnen durchsetzt. Rückzug ins Private, Resignation können die Folge sein. Oder man besinnt sich auf alte gewerkschaftliche Verhaltensformen und probt wieder den Schulterschluß gegen die Bildungspolitiker und findet ein Feld hochschulpolitischer Aktion, die neue und alte Habitus vereinen, z.B. in der Forderung nach Umwandlung aller C2-Stellen in C3-Stellen. Das Nachdenken über Inhalte muß bei solchen Einigungsversuchen ausgeklammert bleiben - hier wäre keine Einigung möglich bei der unterschiedlichen Herkunft und politischen Heimat der Professoren, das Bündnis zerbröckelte schnell, der Versuch wäre gescheitert. Oder die Privilegien werden lustvoll genutzt zur Durchsetzung und Realisierung eigener Ideen. Hier siedeln wir die Frauen an, die mit Elan die hochschulische Bühne betreten.

2. Der Niederschlag der Brüchigkeit in Hochschullehrerinnen-Biographien

Wir haben eine Reihe von Indizien für den brüchigen Habitus in den Hochschullehrerinnen-Gesprächen aufspüren können, die sich in Form widersprüchlicher Einstellungen und Verhaltensweisen äußerten.

Präsenz und Rückzug / Nähe und Distanz

Die Widersprüchlichkeit zeigt sich in der individuellen Biographie: das ehemals partnerschaftliche Verhältnis zu Studentinnen wurde nahegelegt durch die geringe Altersdifferenz zwischen Lehrenden und Studierenden und war weniger Ausfluß gesellschaftspolitischer Überlegungen. In diesem Sinne wird es aber heute gedeutet, und der Verlust als so schmerzlich dargestellt, daß er die Enttäuschung über das angebliche Desinteresse der Studentinnen und den Rückzug ins Private zu begründen vermag.

Gleichgültigkeit gegenüber Karriere und heimliches Machtstreben

Der Widerspruch liegt hier in der Diskrepanz zwischen der geäußerten Meinung und dem geschilderten Verhalten. Betont wird die eigene Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen wie Prestige, Karriere, Einfluß. Dieses alles ignorieren zu können, macht für Hochschullehrerinnen den Wert ihres universitären Status aus. Demgegenüber zeigen sie eine hohe Leistungsbereitschaft in bezug auf Publikationen und wichtige Kongresse oder verwenden ihre Zeit für die Bestimmung der Entscheidungen in ausschließlich einflußreichen Gremien.

Schätzen der Privilegien bei mangelnder Verantwortungsübernahme

Auf der einen Seite werden die Privilegien des Hochschullehrerstatus gerne genutzt und auch verteidigt. Auf der anderen Seite werden die mit diesem Status verknüpften Verantwortlichkeiten negiert mit dem Hinweis auf unabänderbare strukturelle Gegebenheiten - "Sachzwänge". Wir sehen darin den Ausdruck für die mangelnde Einschätzung der Hochschullehrer-Rolle als "Profession" und die daraus folgende fehlende Professionalität des Hochschulgeschehens insgesamt. Vor diesem Hintergrund läßt sich auch der Mangel an Perspektiven für die Bedeutung der Hochschulen in unserer Gesellschaft erklären.

Befürwortung von Frauenförderung und Produktion von Rollenklischees

Ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber der alten Professorenschaft ist die Befürwortung von Frauenförderung. Gleichzeitig werden unterschwellig die traditionellen Rollenklischees weiter produziert, die sich z.B. in einer Geringschätzung der Frauenforschung oder des Interesses von Studentinnen an frauenspezifischen Themen äußern, insbesondere wenn Studentinnen selbst "fortschrittliche" Männer von Seminaren ausschließen wollen. Die Folgen der Brüchigkeit den Habitus können wir an den Ergebnissen unserer Hochschullehrerinnen-Befragung festmachen, von denen wir hier die wichtigsten skizzieren:

Die Gründe für die derzeitige Hochschulsituation, die die Hochschullehrerinnen nicht mehr an Veränderungen glauben läßt, die sie aber für dringend notwendig halten, sehen sie fast alle auch in der Zurückschneidung der Hochschulen auf technische, für den Produktionsprozeß verwertbare Wissenschaftsdisziplinen. Die Reduzierung der Geisteswissenschaften, die als Teil einer konservativen und bornierten Hochschulpolitik bezeichnet wird, trifft sie nicht in ihrer materiellen Existenz, ruft aber "Sinnkrisen" hervor, die eine Zukunft der und in der Hochschule unattraktiv erscheinen lassen. Fehlende anspruchsvolle Forschung, die sie für die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Hochschule verantwortlich machen, und die durch die staatliche Sparpolitik gefördert wird, ist ein weiterer Grund für die Resignation. In den Augen der Resignierten hat sich die politisch begründete Bedeutungslosigkeit schon in die Köpfe der Kolleginnen verlagert, indem mit ihnen keine Auseinandersetzungen geführt werden kennen, Kritik als Nestbeschmutzung diffamiert wird. So gibt es keine neuen Impulse, der Hochschulalltag erstarrt, was sich augenfällig in der zunehmenden Reglementierung manifestiert, die Hochschullehrerinnen und Studentinnen gleichermaßen lahmt: dem Rückzug der Professorinnen ins Private entspricht das Desinteresse der Studentinnen. Auf Seiten der Hochschullehrerinnen bedeutet der Mangel an Pflichtbewußtsein bei den Kolleginnen im Verein mit den Stellenstreichungen im Hochschulbereich, daß sie trotz Sinnkrise ständig überlastet sind, wenn sie ihre Berufspflichten erfüllen wollen. Die Resignation geht also einher mit grundlegender Kritik am Hochschulwesen.

Das Fähnlein der Kooperation wird von fast allen Befragten hochgehalten. Doch hier trennen sich Anspruch und Wirklichkeit deutlich. In der Regel wird vielleicht mit einer einzigen Person kooperiert, allen anderen wird Kooperationsunfähigkeit nachgesagt: "Alle sind irgendwie sprudelnd begeistert - aber in der nächsten Woche ist nichts mehr davon da". Dabei werden häufig positive Erfahrungen mit Kooperation in der Vergangenheit benannt, die heute nicht mehr stattfinden. Die Ursachen seien individualistisches Verhalten: "und ich denke, es könnte ja was geben, aber ich finde einfach so, die sind sehr drauf, also jeder hat so seinen Schwerpunkt, wo er irgendwie forscht und arbeitet. Und jeder hat auch unheimlich viel zu tun, wobei ich gar nicht weiß, was das alles ist". Ursachen sind die anonymen Strukturen der Universität und ihre hierarchische Organisation, aber auch die herrschende Frauendiskriminierung: "mit Ihnen müßte man mal Walzer tanzen, dann kämen Sie auf andere Gedanken".

Über Kommunikationsprobleme mit Kolleginnen berichten fast alle befragten Frauen und zwei Drittel der Männer. In diesem Zusammenhang werden genannt

  • das allgemeine Konkurrenzverhalten
  • das mangelnde Interesse am wissenschaftlichen Austausch und an Diskussionen über Studieninhalte und -formen
  • die hierarchische Struktur an der Universität und den damit verbundenen Kompetenzstreitigkeiten
  • politische Differenzen
  • das Geschlechterverhältnis
  • die Vereinzelung.

Konkurrenzerfahrungen erwähnen die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer. Diese beziehen sich im wesentlichen auf den Neid der anderen auf die eigene Position und Qualifikation - eine Hochschullehrerin verschweigt aus Angst vor Kolleginnen-Neid sogar ihr internationales Renommee! Es gibt aber auch die Konkurrenz um das Ansehen bei Studentinnen.

3. Konsequenzen für eine mögliche Entwicklungsrichtung des beruflichen Handelns von Hochschullehrerinnen

Die strukturell bedingte Brüchigkeit des Habitus bietet Chancen für Veränderungen. Auch wenn die Versuche, Hochschullehrerinnen aus ihren liebgewordenen individuellen Nischen zu zerren, oft undurchführbar erscheinen, bieten die Gruppendiskussionen, die wir mit Hochschullehrerinnen geführt haben, dennoch einige Ansatzpunkte.

Selbst wenn Kooperation unerreichbar erscheint, ist der Rückzug ins Private nicht die einzige Reaktionsmöglichkeit auf die massenhafte Präsenz "uninteressierter" Studentinnen in den Seminaren. Hochschullehrerinnen können, indem sie die fluktuierende Präsenz der Studentinnen akzeptieren, gute Lehre machen: sie gestalten ihre Vorlesung als Veranstaltungsreihe, so daß jeder Studierende, auch der, der nur einmal erscheint, etwas davon hat. Für erkennbar interessierte Studentinnen stellen sie intensive Lernbezüge und Kommunikation in kleinen Gruppen her.

Die bei Hochschullehrerinnen vorhandene Regelkompetenz kann zur Einflußnahme auf behördliche Erlasse eingesetzt werden, einhergehend mit der Einsicht, daß die demokratische Einbindung genutzt werden kann, und daß Politiker in Hochschulfragen den Hochschullehrerinnen gewiß nicht überlegen sind.

Die Nutzung des Privilegs, Lehre frei zu gestalten, kann zu neuen Kooperationsversuchen führen, um gerade die Studentenmassen zu bewältigen: z.B. projektbezogene Ausbildung im Pädagogik-Studium, in der verschiedene Veranstaltungstypen in zeitlicher Abfolge und inhaltlich von mehreren Veranstalterinnen koordiniert werden.

Über die Bewußtmachung eigener Rollenklischees kann eine Akzeptanz von Frauenforschung und Frauenseminaren erfolgen, die möglicherweise auch den Weg eröffnet, eigene Schwierigkeiten im Umgang mit den Geschlechterrollen zu erkennen und sogar aktiv Raum zu schaffen für die innovative Kraft von Frauen in der Hochschule.

Literatur

BOURDIEU, P.: Sozialer Sinn, Frankfurt 1987

ders.: Homo Academicus, Frankfurt 1988

BÜLOW-SCHRAMM, M. / GIPSER, D.: Der brüchige Habitus. Empirische Erforschung kooperativer Handlungsmöglichkeiten von Studentinnen und Hochschullehrerinnen, Hannover 1991

dies.: Erkennen m-/Macht Mut. Zur Nutzung des szenischen Spiels in der Hochschule, in: Ruping, Vaßen, Koch (Hg.): Widerwort und Widerspiel, Lingen-Hannover 1991