Zur politischen Regulation des Begehrens
Abstract
Herbert Marcuses Zeitdiagnose in [em]Triebstruktur und Gesellschaft[/em] scheint 50 Jahre nach deren erstmaligen Publikation stimmiger denn je. Mit Blick auf die heutigen Formationen sozialer Zusammenhänge stellt sich dem Leser bei der Re-Lektüre sogar schnell die Frage, ob Marcuse mit seiner damaligen Analyse nicht seiner Zeit eher noch voraus war: Die von Marcuse 1955 unter triebtheoretischer Perspektive analysierte westliche Kultur, die nicht nur die soziale, sondern auch [die] biologische Existenz des Menschen unterjoche (Marcuse 1955/1965: 17), scheint sich in den fortgeschritten-kapitalistischen und -liberalen Arrangements in einer Weise radikalisiert zu haben, dass man Marcuses Diagnose als nachträglich bestätigt lesen kann. Schließlich steht im Zentrum aktueller neo-liberaler Programmierungen und entsprechender Re-Strukturierungen sozialer Zusammenhänge gerade ein Regieren über die Freiheit der Gesellschaftsmitglieder – eine Regulierungslogik, die Marcuse schon 1955 zu beschreiben scheint, wenn er von einem Kampf der Kultur gegen diese Freiheit spricht (ebd.: 20). Die kulturellen Radikalisierungen der letzten 50 Jahre könnten also mit Marcuse als konsequente Fortführung des Fortschritt[s] der Kultur bestimmt werden – einer Kultur, die, so Marcuse damals im direkten Anschluss an Sigmund Freud, zum Freiwerden zunehmend zerstörerischer Kräfte führt (ebd.: 58).