Was macht Depression zur Volkskrankheit?

Über die Karriere einer Diagnose
Abstract

Kürzlich haben steigende Zahlen auf dem Gebiet der psychischen Krankheiten, insbesondere der Depression für öffentliches Aufsehen gesorgt. Nicht nur einige Krankenkassen begannen nach Belegen für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit zu suchen, die Rentenversicherungen, wie auch die Gesundheitsberichterstattung des Bundes belegten einen dramatischen Anstieg der Diagnose ‚Depression' in diesem Land. In mehreren Städten wurden von Medizinern Kompetenznetzwerke zum Thema Depression gegründet, Patienteninitiativen arbeiten seither Hand in Hand mit Psychotherapeutenpraxen an einer Enttabuisierung des Themas. Inzwischen hat sich die erste Aufregung gelegt, die Depression ist aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht ohne sie inzwischen zur Volkskrankheit erklärt zu haben. Der Tatbestand wurde in der breiten Öffentlichkeit nicht in Frage gestellt, scheint die Feststellung der Diagnose doch mit der Alltagserfahrung zusammenzustimmen, nach der immer mehr Menschen im eigenen Lebensumfeld niedergeschlagen, einsam und perspektivlos sind. Der Griff zum Psychopharmakon, der Gang zum Therapeuten sind zum überlebensnotwendigen Normalfall geworden. Die Medikalisierung sämtlicher Seelenzustände ist im Gange und hat mit der Propagierung der Depression als Volkskrankheit einen entscheidenden Etappensieg errungen. Was diesen Sieg eher zu einer Gefahr, denn zu einem Segen macht - dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.