Von orthopädischer Ordnungs-Macht an un-ordentlichen Körpern und biographischem Eigen-Sinn
Abstract
Im Mittelpunkt des Beitrags stehen Ergebnisse einer foucaultschen Analyse orthopädischer Behandlungsdiskurse, die für die in den frühen 1960er Jahren geborenen durch Contergan geschädigten Kinder in Westdeutschland entwickelt wurden, sowie die Frage, in welcher Weise diese diskursiven Praktiken das Leben der contergangeschädigten Frauen und Männern beeinflusste, ob sie aus biographischer Perspektive als bedeutsam bewertet oder gar anerkannt wurden. Wochen- bis monatelange Krankenhausaufenthalte und die Verpflichtung der Mütter als 'Ko-Therapeutin' waren für die Umsetzung erforderlich. Die Normalisierung des Körpers (Foucault) wurde von den orthopädischen Disziplinen mit der Aussicht auf einen in der Ferne liegenden ‚Dauerarbeitsplatz' legitimiert. Obschon früh deutlich wurde, dass die Kinder die Prothesen nicht wie erwartet in ihr Körperschema einbezogen, sondern ablehnten, konnten die orthopädischen Disziplinen mit dem 'Versorgungsbedarf' der contergangeschädigten Kinder bzw. Jugendlichen nahezu 25 Jahre lang Mittel in Millionenhöhe akquirieren, die in erster Linie der technologischen Weiterentwicklung und somit Professionalisierungszielen der orthopädischen Disziplinen dienten. Auf der biographischen Ebene konnte zwar Widerstand mobilisiert werden, die Folgen der Normalisierungspraktiken für das Leben der geschädigten Frauen und Männer sind jedoch gravierend.