Verschlingt die Arbeit die Emanzipation?
In der Frauenbewegung und der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung ist Frauenarbeit ein lange diskutiertes Problem, sowohl in der alten wie in der neuen Frauenbewegung und das deshalb, weil der Zugang zu entlohnter Arbeit den sozialen Status in unserer Gesellschaft bestimmt. Daß die sozialwissenschaftliche Frauenforschung das Problem der Frauenarbeit so intensiv aufgegriffen hat und nicht etwa die Themen Sexualität oder Körperpolitik, die mit der Kampagne gegen den § 218 brennende Probleme der alten wie der neuen Frauenbewegung waren, liegt daran, daß sie in der Tradition eines kritischen Marxismus und der kritischen Theorie in der Arbeit das dominante Vergesellschaftungsprinzip sieht und in der geschlechtlichen Arbeitsteilung die materielle Grundlage des sozialen Geschlechterverhältnisses.
Die vordringliche Aufgabe der Frauenforschung war es, den Arbeitsbegriff auszuweiten, der auch in der Tradition dieser kritischen Theorie auf die Lohnarbeit und die beruflich organisierte Arbeit verengt worden ist. Darum mußten auch jene Theorien, von denen viele von uns in der Frauenbewegung geprägt waren, dem ersten Schritt feministischer Forschung unterzogen werden, nämlich dem Ausleuchten blinder Flecken und dem Überprüfen von Theorien und Methoden, die Allgemeingültigkeit beanspruchen und vermeintlich geschlechtsneutrale Aussagen machen. Die Theorietradition des Marxismus, der Psychoanalyse und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule haben, obgleich sie dem Bemühen um Emanzipation verpflichtet sind, dennoch den Emanzipationsprozeß der Frau nicht angemessen begreifen können, weil sie den Prozeß der doppelten Vergesellschaftung der Frau - nämlich als Körper/Natur und als Arbeitskraft - und den entsprechenden Individuierungsprozeß der Frau nicht angemessen erfaßt haben.
Frauenforschung hat mit der Ausweitung des Arbeitsbegriffes viel zum Aufdecken von Arbeit und Leistungen beigetragen, die unter dem Schleier von vermeintlich biologischer und wesenmäßiger Bestimmung der Frau verborgen, mystifiziert und diskriminiert wurden und damit einer gesellschaftlichen Veränderung scheinbar entzogen waren. Mit der Perspektive der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist aber die feministische Forschung angetreten, wie die Frauenbewegung, der sie entstammt. Sie hat kein Modell vom richtigen Leben an der Hand, aber sie hat ein Ziel: die Abschaffung des Unerträglichen, ein Ziel, das sich aus der Erfahrung des Leidens von Frauen legitimiert. Die Ausweitung des Arbeitsbegriffes ermöglichte es, Belastungen von Frauen bewußt und in Worten faßbar zu machen. Die Ausweitung des Arbeitsbegriffes ist aber auch auf Grenzen gestoßen, die sich in Wortungetümen wie "Beziehungsarbeit" oder "Gefühlsarbeit" ausdrücken. Diese Kunstworte bedienen sich in kritischer Absicht der Analogie zum Arbeitsbegriff und geraten dabei in Gefahr, selber menschliche Beziehungen auf Arbeit zu reduzieren und damit eine kritische, vielleicht utopische Vorstellung von menschlichem Zusammenleben preiszugeben.
Während wir uns hier gemeinsam über die Analyse der Frauenarbeit beugen, haben Frauen in konsequenter Fortsetzung ihres Individuierungsprozesses Fragen nach den Vorstellungen vom Glück und nach der Liebe wieder aufgeworfen. Sie haben nach der Arbeitsfähigkeit auch die Liebesfähigkeit als unabdingbar für den Emanzipationsprozeß eingeklagt und damit das Geschlechterverhältnis erneut zum Thema gemacht. Wo solche Vorstellungen positiv formuliert werden, werden sie heftig kontrovers diskutiert, ebenso wie konkrete Vorstellungen zur Veränderung der Frauenarbeit. Diese Kontroversen sind notwendig, weil sie die Maßstäbe zum besseren Leben allererst bewußt machen, denen unser Denken folgt. Ohne diese Reflexionen geraten unsere Analysen und Schlußfolgerungen zwischen die Mühlsteine von Anpassung ans Bestehende und von Überschätzung der Kraft des Ausgegrenzten. Frauen als Grenzgängerinnen zwischen Produktions- und Reproduktionsbereich, zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, fällt die Rolle und die Möglichkeit zu, beides zusammen zu denken und - das ist ein Programm - sich davor zu hüten, den Zusammenhang einseitig aufzulösen.
Auf das Verhältnis von Produktions- und Reproduktionsprozeß, das die materielle Basis des sozialen Geschlechterverhältnisses ist, will ich mich im folgenden konzentrieren. Ich skizziere kurz die historische Entwicklung, die die Frauenforschung mit dem konsequenten Blick auf die Frauenarbeit freigelegt hat; diskutiere dann die formale Annäherung der Berufsbiographien von Männern und Frauen und die Grenzen einer tatsächlichen Angleichung. Schließlich versuche ich, anknüpfend an die Erfahrungen von Frauen mit Berufstätigkeit, die Grenzen des Arbeitsbegriffes für die Diskussion um Emanzipation zu verdeutlichen.
Grenzgängerinnen unter Veränderungsdruck
Vergegenwärtigen wir uns also zunächst, was sozialhistorische Frauenforschung zur Frauenarbeit zusammengetragen hat.
Die Trennung von Produktions- und Reproduktionsbereich wurde nie vollständig vollzogen, sie ist ein fortdauernder Prozeß. Der Prozeß verlief für Frauen und Männer dramatisch unterschiedlich. Er band Frauen an die privat organisierte Hausarbeit, die Männer nicht zu verrichten haben, aber er entband die Frauen nie von der Notwendigkeit, auch Lohnarbeit zu verrichten. Die Entwicklung der außerhäuslichen Lohnarbeit zur dominanten Form der Organisation der Arbeit und die gleichzeitige Entwicklung der Familie zum Privatraum, der Lohnarbeit gleichsam aus sich ausstößt, verlief in vielen Misch- und Übergangsformen und je nach Schicht- und Klassenzugehörigkeit verschieden. Aber durch alle Schichten hindurch blieben durch ihre Bindung an die Familie stets die Frauen diejenigen, die am längsten diese Mischform der Arbeitsorganisation praktizierten. Sie taten das zum Beispiel in der Form von Heimarbeit oder als mithelfende Familienangehörige in der Landwirtschaft und im Kleingewerbe, als Dienstmädchen im privaten Haushalt und heute als Teilzeitarbeit.
Wie während der Veränderung der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit ausschließlich die Frauen in der Zuständigkeit für die Hausarbeit gehalten wurden, bedarf noch weiterer gründlicher Klärung. Der Hinweis auf die Tradition allein genügt da nicht. Die Hausfrau und die Hausarbeit wurden mit der bürgerlichen Gesellschaft gemacht. Die Familie sollte als komplementäre und Gegenwelt zum öffentlich politischen und zum Berufsleben eingerichtet werden. Und mit der "Erziehung zum Weibe", die die pädagogischen Theorien des 19. Jahrhunderts beschäftigte, sollten die Frauen auf ihre Aufgaben in der Familie vorbereitet und festgelegt werden. Das Leitbild gelungener weiblicher Sozialisation wurde identisch mit der Ausbildung zur Ehefrau und Mutter nach den Erfordernissen der bürgerlichen Familie. Dieses Leitbild wurde zur gesellschaftlichen Norm, zur Verhaltenszumutung, nach der Frauen ihren Lebensweg beurteilen lassen mußten und selbst beurteilten. Es blieb bestehen, auch als die Berufstätigkeit von Frauen zunahm und auch wenn heute seit etwa zwei Generationen Berufstätigkeit zum weiblichen Lebensplan gehört.
Heute ist in der Frauenforschung die Einschätzung verbreitet, daß Hausarbeit, Reproduktionsarbeit und der gewachsene weibliche Sozialcharakter die unverzichtbare Kehrseite der industriellen Entwicklung sind. Die Einschätzungen der sozialen und politischen Bedeutung und die Prognosen der Entwicklung der Frauenarbeit sind jedoch kontrovers. Die einen sehen die Frauen als Opfer der Arbeitsmarktentwicklung. Andere verlängern diese Sicht, so daß sie mit der Krise der Lohnarbeitsgesellschaft eine Verallgemeinerung der (schlechten) Lage der Frauen prognostizieren - die "Hausfrauisierung" als feministische Verelendungstheorie. Eine andere Sicht konzentriert sich auf die Möglichkeiten, die die fortschreitende Rationalisierung der Gesellschaft (im Sinne M. Webers) und der erneute Individualisierungsschub für eine Lebensführung von Frauen jenseits traditioneller Bindungen mit sich bringt. Sie gerät in die Gefahr einer Selbstentfaltungseuphorie.
Ich habe diese Sichtweisen mit Absicht vereinfacht dargestellt als einseitige Verlängerungen von Entwicklungstendenzen, für die es jeweils plausible Gründe und Belege gibt, um eine andere Perspektive deutlich zu machen:
Gerade weil Frauen in beiden Bereichen gesellschaftlich gebraucht werden und weil die Trennung der beiden Bereiche nie abgeschlossen ist, entstehen Handlungsspielräume, die Frauen in ihrem Interesse nutzen können. Gerade weil es gesellschaftlich widerstreitende Interessen an der Hausarbeit und der Lohnarbeit von Frauen gibt und weil Frauen selber in beiden Bereichen Interessen haben, müssen sie durch eigenes Verhalten selbst soziale Tatsachen schaffen, weil sie nicht auf Dauer in Ambivalenz und Widerspruch verharren können. Auf diese Weise gestalten sie selbst das Geschlechterverhältnis mit und beeinflussen auch das gesellschaftliche, das politische Verhältnis von Lohnarbeit und Hausarbeit.
Als Bewältigungsstrategien, als Listen der Ohnmacht (Honegger/Heintz 1981) ist solches Verhalten von Frauen beschrieben worden. Es sind Versuche zu begreifen, daß Frauen nicht nur Opfer der Verhältnisse, sondern auch widerspenstige, handelnde Subjekte sind. Copingstrategien nannten wir in unseren Studien mit einem aus der amerikanischen Soziologie entliehenen Begriff die massenhaft von Frauen praktizierten Formen, ihre Interessen wahrzunehmen, mit widersprüchlichen Anforderungen fertig zu werden, sich durchzuschlagen und Handlungsspielräume auszunutzen und selber zu schaffen (Kramer/Eckart/Riemann/Walser 1986). Diese Bewältigungsstrategien, die Frauen gleichsam kollektiv-unbewußt, aber massenhaft verfolgen, müssen Gegenstand unserer Reflexion sein, damit daraus Zielvorstellungen bewußten politischen Handelns werden können, die die realen Lebensverhältnisse von Frauen zum Ausgangspunkt nimmt und deren Verbesserung nicht mit einer einseitigen Auflösung ihrer doppelten Bindung gleichsetzt. Als politisches Handeln sind jene Bewältigungsstrategien nicht unmittelbar zu verstehen, und so werden sie auch von den Handelnden selbst nicht erlebt und interpretiert.
Für die Entwicklung eines politischen Bewußtseins und der Fähigkeit, eigene Interessen zu vertreten, ist wesentlich, daß sich "subjektive (weibliche) Relevanzstrukturen" gegen ihre permanente Marginalisierung durch herrschende Deutungsmuster behaupten und innerhalb einer sozialen Gruppe kollektiv verfestigen können. Es wird jedoch immer schwerer, eine vorgängige Basis der Gemeinsamkeit von Frauen vorauszusetzen, wenn sie nicht ausschließlich aus der Biologie oder der globalen Abgrenzung von "den Männern" abgeleitet sein soll. Der Lebenszusammenhang von Frauen als soziale Gruppe derer, die für die Reproduktion zuständig sind, ist durch die verschiedenen Kombinationen, die Frauen mit Reproduktions- und Erwerbsarbeit herstellen, zunehmend kein einheitlicher mehr. Aber dennoch ist er nicht einem "männlichen Lebenszusammenhang" angeglichen.
Der Wert des Nicht-Berechenbaren. Die Kehrseite beruflicher Sozialisation
Verdeutlichen wir uns das an den Berufsbiographien von Frauen. Frauen sind historisch andere Wege der Integration in die Lohnarbeit gegangen als Männer. Das hat seinen Grund in ihrer Bindung und Anbindung an die Reproduktionsarbeit. Diese allen Frauen gemeinsame Lage bot auch immer einen gemeinsamen Bezugspunkt, in dem sie sich in ihrem weiblichen Lebenszusammenhang als soziale Gruppe verstehen konnten. Solange die Familie und andere Arbeitsbereiche als weibliche Domänen existieren, ist die hierarchisch untergeordnete Position dieser Domänen nicht identisch mit einer individuellen Erfahrung von Minderwertigkeit. Vielmehr ist die Erfahrung der einzelnen Frau aufgefangen in der sozialen Gruppe der Frauen, die die Orientierungen und Wertmaßstäbe ihres Lebenszusammenhanges gegen die oder neben den patriarchalischen Werten behauptet. Erst die Auflösung dieses in der Reproduktionsfähigkeit und -leistung der Frauen begründeten Lebenszusammenhanges zwingt jede einzelne Frau in die individuelle Konkurrenz der beruflich organisierten Arbeit, die die männliche Lebensweise seit Generationen prägt. In dieser Arbeitswelt sind Frauen noch immer Fremde oder Neulinge, wenn sie ihre Bindung an die Familiensphäre beibehalten und ihr Berufsleben so in ihre soziale Identität integrieren wollen, daß eine "gelungene berufliche Sozialisation" nicht als Anpassung an die soziale Rolle des Mannes endet.
Zur subjektiven Belastungserfahrung wird die Bindung an die Familie und die Reproduktionsarbeit, wenn die eigene soziale Umwelt und die Frauen selber die beruflich organisierte Arbeit zum ausschließlichen Ziel und Maßstab ihres sozialen Status nehmen. Den Frauen als sozialer Gruppe bleibt zunehmend weniger die Wahl, ob sie diese Orientierung teilen wollen oder nicht. Sie befinden sich in einer historischen Situation, da Ehe und Familie ihre soziale und ökonomische Existenz nicht mehr dauerhaft sichern, für ihre eigene Existenzsicherung eine Erwerbsarbeit aufnehmen zu müssen. Dabei werden sie mit den dort herrschenden Wertmaßstäben konfrontiert, mit denen sie sich gleichsam als historische Gruppe von Nachzüglerinnen auf dem Arbeitsmarkt auseinandersetzen müssen. Während sie aber auf dem Arbeitsmarkt noch um Zugangschancen und Anerkennung ringen, geht gerade dort der kapitalistischen Gesellschaft die Arbeit aus.
Diese Situation mag den Frauen nahelegen, sich auf noch vorhandene Ressourcen der Familiensubsistenz zu besinnen oder ihre bisher als abweichend klassifizierten Berufsbiographien selbstbewußter als Alternativen zum bisher herrschenden Maßstab, den bald auch eine große Zahl von Männern nicht mehr wird erfüllen können, zu erleben (1). Was es aus der Lebenspraxis, den spezifischen Erfahrungen mit Frauenarbeit zu bewahren oder offensiv in Forderungen umzusetzen gälte, ist sehr viel schwerer zu formulieren als die Kritik an den vernachlässigten Dimensionen der Frauenarbeit. Hier haben wir in der feministischen Theoriebildung noch eine Menge Arbeit in die "Anstrengung des Begriffs" zu stecken.
Wir alle wissen: der Vergleich beider Lebensbereiche, die verschiedenen Erfahrungen in Worte zu fassen, fällt den Frauen z.B. in Interviews ebenso schwer, wie es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nur schwer gelingt, analytisch gleich gelagerte Begriffe zu finden, die den Vergleich aussagekräftig machen können. Die Diskussion der Frauenbewegung und der Frauenforschung um die Hausarbeit, die eine Erweiterung des industriesoziologisch verengten Arbeitsbegriffes mit initiierte, hat weite Bereiche der sozialen Wirklichkeit von Frauen aus der Mystifikation befreit, in die die Privatisierung und Intimisierung der Familie sie gehüllt hatte. Die theoretische Perspektive dieses Ansatzes ist auch noch nicht erschöpft für die Analyse der Herrschaftsstrukturen der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse und der geschlechtlichen Arbeitsteilung industrialisierter Gesellschaften. Die Analysen zur Bedeutung der privat gehaltenen Hausarbeit für die gesellschaftliche Organisation der Arbeit und für die soziale Stellung der Frau können jedoch nicht umstandslos auf das soziale Bewußtsein der Frauen übertragen werden. Insbesondere beim analytischen Vergleich der beiden Arbeiten geht häufig die Tatsache verloren, daß unter der Dominanz der tausch- und marktförmig organisierten Arbeit die nicht diesem Verhältnis unterworfene Arbeit nicht nur nicht als solche anerkannt, sondern auch von denen, die sie verrichten, häufig nicht als Arbeit erkannt, nicht als solche wahrgenommen und erfahren wird. Das geschärfte Bewußtsein von den Arbeiten, die unter dem Schleier von Liebeszuwendungen oder als weibliche Eigenschaften tagtäglich verbraucht werden, müssen als Leistungen und Dimensionen des Verschleißes in den "Belastungsdiskurs" aufgenommen werden, wo sie bisher systematisch ausgespart wurden.
Eine Erweiterung des Arbeits- und Leistungsbegriffes ist zur Analyse der vielfältigen Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im Produktions- und Reproduktionsprozeß notwendig. Es reicht aber nicht aus, jene subjektiven Leidens-, Verlust- und Verzichterfahrungen zu erfassen, die Frauen im Verlaufe ihrer Berufsbiographie machen können, weil es für sie einen mehr oder weniger bewußt vollzogenen Vergleich mit einer anderen sozial sanktionierten Lebensführung in einer Familie gibt. Für das alltägliche Erleben und für die bewußte Bilanzierung der eigenen Biographie drängen sich Vergleiche darüber, wo die Lebenszeit sinnvoller, befriedigender verbracht wurde oder werden könnte, eher auf als das Abwägen von Arbeiten und Leistungen. Schwerer zu benennen sind Erfahrungen oder Versäumnisse menschlicher Beziehungen und Interaktionen, für die Zeit gewünscht, versäumt oder verwendet wurde. Die Alltagsbegriffe der Arbeitsgesellschaft bieten für diese Erfahrungen und Bedürfnisse kaum noch Worte. Der verbreitete Einzug des sozial-technischen Begriffs "Beziehung", der die Liebe und das Zusammenleben zweier Menschen beschreiben soll, in die Alltagssprache ist nur ein Beispiel für diese nicht nur verbale Verarmung.
Gerade die konsequente Diskussion um die Inhalte der Hausarbeit hat die Grenzen der Analogien des Arbeitsbegriffes deutlich gemacht. Sie liegen in den durch den Reproduktionsprozeß vermittelten emotionalen Beziehungen und unverzichtbaren menschlichen Zuwendungen. Auch die Definition der Hausarbeit als "Einheit psychischer und physischer Reproduktionsleistungen" (Kontos/Waiser 1979) und die Problematisierung der "Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit" (Bock/Duden 1977) bleiben in kritischer Absicht in der Analogie zum herrschenden Arbeitsbegriff. Sie vermitteln noch keine ausreichende kritische Bezugsgröße für eine gleichrangige soziale Interaktion der Geschlechter, da deren soziale Hierarchie nicht nur auf der verschiedenen Bewertung von Arbeit ruht. Vielmehr verweisen diese Analysen der Hausarbeit auf die Bedeutung kommunikativen Handelns, auf die Bedeutung von Zuwendung und emotionalen Beziehungen, die nicht arbeitsteilig organisiert werden können, nicht in Arbeitsbeziehungen aufgehen und daher auch nicht in Kategorien von Arbeit allein beschrieben werden können.
Bei ihrer Integration in die Berufstätigkeit sind Frauen der Erfahrung dieses Mangels konkret ausgesetzt. Wenn Frauen berufstätig werden, stehen sie bald vor dem Problem, daß der öffentlich organisierten beruflichen Sozialisation der Frau keine analoge familiale Sozialisation des Mannes zum Hausmann entspricht, die ihn zum Partner einer Berufstätigen ausbildete. Eine Konsequenz der Frauen ist die Abkehr und Verweigerung der Rolle als Ehefrau, weil das komplementäre Gegenstück im Verhalten des Mannes fehlt. (Zunahme von Scheidungen auf Initiative der Frau und wachsende Zahl von Alleinstehenden.) Das was der Männerrolle fehlt, fürsorgende Unterstützung zu geben, ist zugleich so sehr als Voraussetzung für Berufstätigkeit aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt, daß es auch Frauen schwerfällt, ihre Fähigkeiten zur emotionalen Unterstützung zu behaupten und sie von anderen auch zu erwarten und anzunehmen, und zwar nicht in einer Umkehr der Rollen, sondern durch die Erweiterung beider. Berufstätige Frauen geraten unter den Druck, ihr Selbstwertgefühl dadurch zu stabilisieren, daß sie verstärkt nach Anerkennung durch berufliche Leistung streben. Unter dieser Orientierung können schließlich den Frauen selbst Bedürfnisse nach Unterstützung und Zuwendung zum Zeichen von Schwäche geraten, die sie an sich selbst wie an anderen ablehnen (2).
Anders als der berufstätige Mann, für den die geschlechtliche Arbeitsteilung die "Frau an seiner Seite" als Karrierehelferin vorsieht, müssen Frauen auf ihrem Berufsweg auch ihre Reproduktionsbedingungen planen und gestalten lernen. Sie werden dabei selber zu Akteurinnen einer Rationalisierung der Alltagswelt. Frauen müssen also in der von Männern dominierten Berufswelt ihren eigenen Weg finden, und sie müssen als Berufstätige sich selbst ein komplementäres Privatleben erst schaffen.
Die wachsende Zahl von "Singles" auch unter den Frauen signalisiert eine Abkehr von der Lebensgemeinschaft in der Familie (3). In dieser Lebensform der Singles scheinen sich Männer und Frauen in einer Weise anzugleichen, die zugleich den Motor der Individualisierung sichtbar werden lassen. Ledige, Männer wie Frauen, stellen gleichsam die kleinste Einheit der Lohnarbeitsgesellschaft dar. Als "Alleinstehende" können sie als Inkarnation einer Individuierung betrachtet werden in einer Gesellschaft, die ökonomische Selbständigkeit durch den individuellen Verkauf der Arbeitskraft erzwingt. Sie sind sich selbst reproduzierende Arbeits-Monaden. (Frauen nutzen immer häufiger die Möglichkeit, einer solchen Monaden-Existenz durch ein Kind, als ledige Mutter, zu entgehen.) Diese aufs Ökonomische reduzierte Selbständigkeit mit Emanzipation gleichzusetzen, hieße alle menschlichen Beziehungen und Bindungen als Voraussetzungen und Bestandteile von Autonomie zu verleugnen und formal-rationale Maßstäbe, die das Handeln im Berufssystem prägen, zum Kriterium gelungener individueller Lebensführung zu hypostasieren.
Grenzen formaler Angleichung: die Defizite der Männer
Schauen wir mit diesem für die Bedeutung kommunikativen Handelns und emotionaler Interaktion geschärften Blick auf die berufliche Sozialisation von Frauen (4).
In Anlehnung an die feministischen Ansätze amerikanischer Sozialpsychologinnen zur Erklärung unterschiedlicher Entwicklungsverläufe und Selbstverständnisse von Frauen und Männern (J. Benjamin 1982; N. Chodorow 1985; D. Dinnerstein 1979; C. Gilligan 1984) folgen wir deren Unterscheidung von kognitiv-intellektueller und emotional-affektiver Differenzierung als den zu integrierenden Bestandteilen im menschlichen Sozialisationsprozeß. Beide Anteile sind in den historisch gewachsenen Geschlechtscharakteren (K. Hausen 1976) unterschiedlich stark ausgeprägt und werden in den normativen Erwartungen an die Geschlechtsrollen (Parsons/Bales 1956) unterschiedlich bewertet und sanktioniert. Die materielle Basis der Geschlechterrollen ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die mit der industriell-kapitalistischen Produktionsweise sich verfestigte.
Durch die Polarisierung der Geschlechtsrollen in der Familie zu sich ergänzenden und nicht austauschbaren Aufgaben, Fähigkeiten und Eigenschaften wird eine wirkliche Angleichung der potentiell symmetrischen, funktional gleichrangigen und prinzipiell austauschbaren Rollen von Frauen und Männern im Beruf verhindert. Der Schein formaler Angleichung der Berufsbiographien von Frauen und Männer täuscht über jene grundlegende Differenz hinweg. Die Verfestigung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruht auf der Trennung von Öffentlichkeit und Privatbereich und auf der Entwicklung der Familie zur Intimsphäre, die komplementäre Reparatur- und Wiederherstellungsfunktionen für die Öffentlichkeit und das Berufssystem hat. Die Konzentration politischer Programme für eine normative Gleichstellung der Geschlechter und die Überwindung patriarchaler Abhängigkeiten richtet sich hauptsächlich auf das Berufsleben, ohne Rücksicht darauf, wie die Berufstätigen dann ihr Privatleben gestalten und welche Auswirkungen auf das soziale Geschlechterverhältnis diese einseitige Angleichung der Frauen an die soziale Rolle der Männer, respektive die Verallgemeinerung und Ausweitung des instrumentellen Handelns haben.
"Die ursprüngliche Trennung und der Antagonismus zwischen den Geschlechtern in unserer Gesellschaft ist nämlich keineswegs aufgehoben, sondern generalisiert und findet ihre Fortsetzung in einer objektiven, verallgemeinerten Ablehnung der mütterlichen Pflege ebenso wie in der ungebrochenen Vorherrschaft des instrumentellen Handelns. Diese Sachlage sollte eher als Patriarchat ohne Vater, denn als vaterlose Gesellschaft begriffen werden. Die väterliche Autorität erreichte die Hervorbringung des monadischen Individuums und dessen instrumentelle Orientierung durch die Polarisierung von Autonomie und Gegenseitigkeit, Aktivität und Pflege als geschlechts-spezifischen Aspekt." (J. Benjamin 1982, S. 431)
Treten Frauen in Beruf und politischer Öffentlichkeit in den Geltungsbereich universalisierter Leistungsnormen, geraten sie unter den Druck, die Wertorientierungen der Privatsphäre, die sie in ihrer sozialen Geschlechtsidentität gleichsam verkörpern, selbst hintan zu stellen oder zu instrumentalisieren. Dem Dilemma der Selbstwertschätzung als Frau, der Krise der weiblichen Identität, die daraus entstehen, können Frauen nach dem Muster der "Identifikation mit dem Aggressor", der Identifikation mit den Ansprüchen des Stärkeren zu entgehen suchen oder durch eine bewußte Hinwendung zu jenen als weiblich oder mütterlich apostrophierten Wertorientierungen. Damit wäre der Polarisierung weiter Vorschub geleistet. Die persönliche Balance zwischen den gesellschaftlich polarisierten Orientierungen kann nur im reflektierten Bewußtsein um den sozialen Preis und den persönlichen Gewinn des individuellen Arrangements gelingen, in einem Bewußtsein, das die Polarisierung der Orientierung als gesellschaftliche erkennt, die individuell nie vollständig aufgehoben, sondern stets nur prekär kombiniert werden kann.
Die weibliche Sozialisation, die emotionale Differenzierung und personenorientiertes Handeln (vgl. C. Gilligan) fördert, und der Schub der Arbeitsmarktindividualisierung, der Frauen in die kognitiv-intellektuelle Differenzierung und in instrumentelles Handeln führt, setzen Frauen objektiv unter den Druck wiederzuvereinen, was die bürgerliche Gesellschaft mit der Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre und in der Polarisierung der Geschlechtscharaktere auseinandergerissen hat. Die Notwendigkeit lastet zunächst auf den Frauen, sich neben der eigenen Berufstätigkeit ein dazu komplementäres eigenes Privatleben zusätzlich zu schaffen. Der Druck zur Anpassung der Reproduktionsbedingungen an die Erfordernisse des Berufslebens ist an den Frauen in actu zu verfolgen. Denn in der gesellschaftlichen Organisation der geschlechtlichen Arbeitsteilung fehlt in den herkömmlichen Formen von Ehe und Familie die Person, die für die berufstätige Frau die komplementäre Rolle im Privatleben spielte und die "Kontrasttugenden" (Habermas 1981, S. 579) verkörperte (5). Das gesellschaftliche Problem der komplementären Organisation von Produktion und Reproduktion wird in der Lebensführung der einzelnen berufstätigen Frau wie in einem Brennspiegel konzentriert. Ihre Probleme werfen daher ein Licht auf die Randbedingungen männlicher Berufstätigkeit, die die Gesellschaft durch die geschlechtliche Arbeitsteilung zu sichern sucht und die der einzelne Mann bei seinem Berufsweg nicht zu besorgen braucht, solange er seine Beziehungsfähigkeit bis zur Eheschließung noch nicht gänzlich verloren und solange die berufliche Sozialisation den Frauen die Beziehungsfähigkeit nicht ausgetrieben hat und solange die Erfahrungen im Berufssystem die Frauen sogar zum "Erbe der Mütter" (Chodorow) zurücktreibt.
Bei der Interpretation der biographischen Darstellung des Berufswegs in den Interviews folgen wir nicht dem gängigen Maßstab, inwieweit Frauen die Integration in die Berufstätigkeit schon gelungen sei. Vielmehr verfolgen wir, welche Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Berufsbiographien Frauen haben, um nicht in einer Anpassung an die sozialen Verhaltensstandards von Männern zu enden. Diese Standards sind grob umrissen mit der beruflichen Orientierung gemäß formaler, instrumenteller Rationalität. Die Aufmerksamkeit gilt den Verhinderungen, dem sozialen Preis für den eigenen Weg der Frauen, denen ein subjektiver Gewinn, die Verfestigung eigener - möglicherweise in einem weiblichen Lebenszusammenhang verankerter - Maßstäbe gegenüberstehen können.
Unter dieser Perspektive wird die berufliche Sozialisation von Frauen zur empirischen Kritik am repressiven Muster der "männlichen Normalbiographie", die ihre Normalität und gesellschaftliche Dominanz ja nur dadurch behauptet, daß sie nach Anpassung an die formal-rationalen, instrumentellen Anforderungen des kapitalistischen Berufssystems strebt. Diese eindimensionale Ausrichtung setzt zu ihrem Funktionieren die gesellschaftliche Absicherung der Komplementärrolle so selbstverständlich voraus, daß sie als subjektive Leistung aus dem Maßstab männlicher beruflicher Sozialisation ausgegrenzt werden konnte und im individuellen Bewußtsein männlicher Berufstätiger weitgehend verdrängt ist, wie auch in gängigen Theorien zur beruflichen Sozialisation.
Dagegen zeigt die Sozialisation von Frauen in die Berufstätigkeit durch den Vergleich mit ihren tatsächlichen oder auch nur zugeschriebenen "Kontrasttugenden" noch die Verbiegungen, Verzichte und auch Hoffnungen auf Selbstentfaltung auf dem Weg in die soziale Existenzform als entlohnte Arbeitskraft. Frauen als historische Neulinge auf dem Arbeitsmarkt und als ursprünglich für die Privatsphäre zuständige, mit anderen Werthaltungen ausgestattete, erfahren und erleiden vielfach noch den Verzicht und die Kosten, die die Anpassung an das Berufssystem erfordern. Sie haben persönlich und als soziale Gruppe den Vergleich mit den Möglichkeiten eines anderen Lebens, auch wenn diese Möglichkeiten in den Institutionen Ehe und Familie gefesselt sind. Für Männer ist dagegen der "eindimensionale Mensch" (H. Marcuse) als Berufstätiger seit Generationen Standard ihres sozialen Verhaltens, das an seine Kosten nur noch von außen erinnert werden kann. Die Ausgrenzung der zur Berufstätigkeit komplementären Leistungen und "weiblichen" Fähigkeiten und deren Abwertung dienen der Absicherung und Rationalisierung instrumentellen Leistungsstrebens als dem Muster männlicher Sozialisation (vgl. Benjamin 1982). Männer halten ihre Maßstäbe beruflicher Orientierung den Frauen vielleicht deshalb so unerbittlich entgegen, weil diese als Neulinge im Berufssystem und als Verkörperung der Kontrasttugenden zum männlichen Wertesystem sie an die verdrängten Kosten, Leiden und Verbiegungen in der Anpassung erinnern könnten.
Durch Differenzierung zu reflektierter Gemeinsamkeit
Es bleibt erklärungsbedürftig, warum Frauen selbst sich den Anforderungen beruflicher Sozialisation beugen und vor allem, warum sie deren Wertesystem, das das Wertesystem des weiblichen Lebenszusammenhanges entwertet, nachstreben. Sozialhistorisch betrachtet liegt ein Grund dafür im Ausschluß von Generationen von Frauen aus der politischen Öffentlichkeit und in der Behinderung ihrer Berufstätigkeit. Der Kampf um den Zugang zu entlohnter Arbeit, die nach den Prinzipien der kapitalistischen Produktionsverhältnisse den Status einer freien Bürgerin bestimmt, wurde stets im Verständnis der Angleichung des sozialen Status von Frauen an den von Männern geführt. Der Ausschluß der Frauen vom Berufsleben führte gleichsam zu einer repressiven Kollektivierung der Frauen im Defizit, gemessen an den Versprechungen, die die Gesellschaft mit der Ausübung entlohnter Arbeit verbindet. Solange der Kampf um den Zugang zur Berufstätigkeit aus diesem Defizitverständnis geführt wurde, hat er stets die herrschenden Maßstäbe des Berufssystems zugleich affirmiert.
Sozialpsychologisch betrachtet kann der Ausschluß und die Behinderung von Frauen in statusvermittelnden Positionen zu einer persönlichen Überbewertung dieser Positionen führen, in dem Sinne, daß Erfüllung und Entfaltung des persönlichen Lebens dort gesucht werden, wo Frauen bisher keine kollektiv tradierten Erfahrungen machen konnten. Die persönliche Überbewertung eines bisher versperrten Weges kann Lernprozesse, die reflektierte Verarbeitung von Erfahrungen und Enttäuschungen eigener Interessen behindern. Angesichts hoher Erwartungen können persönliche Enttäuschungen mit der Berufstätigkeit nur schwer eingestanden werden; sie können im Gegenteil zu erhöhten Ansprüchen an sich selbst führen. Unter dem Erwartungsdruck, sich auf dem erkämpften Weg nun auch beweisen zu müssen, bleibt häufig das Selbstbewußtsein eigener Fähigkeiten unterentwickelt gegenüber dem Vermögen von Frauen, eigene Unfähigkeiten zu benennen und so weiterhin die Kollektivierung im Defizit zu suchen.
Die Kehrseite davon ist die Individualisierungseuphorie, die persönliche Erfolge und Vorteile, individuelle Anstrengungen und Leistungen verallgemeinert, indem sie allen Frauen zugemutet werden. Persönliche Tüchtigkeit, Fähigkeiten zu Bewältigungsstrategien werden schlechthin allen Frauen als Maßstab vorgehalten und schaffen durch eine unvermittelte Verallgemeinerung des Individuellen repressive Standards in der Frauensubkultur selbst, gleichsam in einem Selbstmißverständnis der kämpferischen Forderung der neuen Frauenbewegung "Das Private ist politisch". Einzelne "Aufsteigerinnen" oder Frauen, die ihr Berufs- und Familienleben sichtbar zur persönlichen Zufriedenheit kombiniert haben, verstärken den Erwartungsdruck für alle Frauen. Durch die Individualisierung wird sowohl der kollektive Bezug aufs Defizit unmöglich, als auch der auf einen gemeinsamen gesellschaftlichen Druck, der Frauen unweigerlich an die Familie und die Reproduktionssphäre bindet. Die Kollektivierung der Frauen kann erneut repressiv gewendet werden: Was die kann, sollten andere auch können, oder: Wenn die das kann, kann es keine allgemeine Behinderung von Frauen geben.
Die beschriebene Art der Individualisierung bedeutet nicht, daß Formen kollektiver Benachteiligung von Frauen faktisch unwirksam geworden, vielmehr daß Formen der Bewältigung derselben individualisiert und vielfältiger geworden sind, schwieriger allein gefunden werden müssen und daß bewußte kollektive Strategien zur Sicherung der Interessen von Frauen zunehmend schwerer zu vereinheitlichen sind. Die Gemeinsamkeit des weiblichen Lebenszusammenhangs läßt sich langfristig immer weniger aus der Abgrenzung von "den Männern" oder durch den Bezug auf die naturwüchsige Basis der Reproduktion bestimmen. Erstere wird mit dem erfolgreichen Kampf um formale Angleichung hinfällig, letzterer durch die technischen Möglichkeiten, selbst die biologische Reproduktion instrumenteller Entscheidung zugänglich zu machen. Erst die reflektierte Individuierung kann nicht repressive kollektive Bezüge von Frauen als sozialer Gruppe wieder herstellen, erst durch die Reflexion wachsender sozialer Differenzierung unter den Frauen können gemeinsame Interessen definiert werden.
Frauen geraten im Berufsleben in die Gefahr, Anerkennung nach den dort herrschenden Maßstäben zu suchen, sowohl um die Unsicherheit nach einem Bruch der Tradition mit der Mutter als auch, um die Kosten und Anstrengungen des eigenen Lebensweges zu kompensieren. Es ist schwierig, sich aus der Tradition der Mutter zu lösen, in qualifizierten Berufen den Weg einer Pionierin zu gehen und sich dabei weder eines weiblichen Kollektivs zur Unterstützung versichern zu können, noch von der männlichen Umwelt angemessene Anerkennung als Frau für die Kosten des Weges, der den Männern nur als einer der ihren erscheint, zu erfahren (6).
Wenn es keine geschlechtsspezifisch eindeutigen Modelle eines weiblichen Lebensentwurfes mehr gibt, woran orientieren sich die Töchter im "Patriarchat ohne Vater"?
"...ihre Freiheit hat kein anderes Bild vor Augen als den Schrecken, den sie hinter sich läßt. Ohne Methode muß sie sich auf den Weg machen. Das, was sie schon kennt, wird ihr keine Orientierung geben. Im Gegenteil..., aus Angst vor der Armut der eigenen Geschichte wird sie zur Komplizin des Mannes." (Gisela von Wysocki 1980, S. 7f.)
In der vermeidenden Abgrenzung vom Status der Mutter ist die soziale, außerfamiliäre Rolle des Vaters ein nächstes konkretes Verhaltensmodell. Daraus kann eine Orientierung von Frauen an sozial männlichem, gesellschaftlichen Status verleihenden Verhalten resultieren, die, die konkreten sozialen Geschlechterdifferenzen gleichsam überspringend, sich unmittelbar an die herrschenden Standards für soziale Anerkennung hält. Diese Orientierung an herrschenden gesellschaftlichen Standards ist ein übertreibender Ersatz für nicht länger vorhandene eindeutige Geschlechtsrollenmodelle. Aus der Erosion der sozialen Geschlechterrolle ist nicht zugleich auf eine Auflösung patriarchaler Autorität zu schließen. Vielmehr wird die Autorität auch für Frauen abstrakter, damit aber auch unmenschlicher und unerbittlicher in einem Patriarchat ohne Vater. "Das ins Gigantische vergrößerte, kollektive Ich-Ideal ist das satanische Widerspiel eines befreiten Ichs." (Soziologische Exkurse, S. 128) Diese von Adorno und Horkheimer für den Zerfall der väterlichen Autorität in der Familie gestellte Diagnose trifft dann zu, und zwar auch für aus äußerer patriarchaler Abhängigkeit befreite Frauen, wenn die in der weiblichen Rollen abgespaltenen Orientierungen und Verhaltensweisen der Zuwendung und Fürsorge (ethic of care, C. Gilligan) nicht in die Selbsterfahrung und das Selbstverständnis von Autonomie integriert werden.
In der Dialektik des Geschlechterverhältnisses macht der sozio-ökonomische Druck zur Monadisierung auch vor den Frauen nicht halt. Diesen Druck spüren viele Frauen nicht nur als Befreiung, sondern auch als riskanten Weg der Lösung aus patriarchalen Abhängigkeiten. Der sozialen und ökonomischen Individualisierung muß die psychische und emotionale Entwicklung nicht im Gleichschritt schon gefolgt sein. "Emanzipation macht Angst" (M. Gambaroff) - Wo die Freiheit zur Last wird und die Mühen der Individuierung erschreckend erscheinen, bieten neue Mythen und alte Idyllen sich zum raschen Trost und zur Flucht in urmütterliche und allschwesterliche Arme an.
Hinter diesen Angeboten mythischer Kollektivierung müssen wir die Bedürfnisse von Frauen erkennen, die damit scheinbar befriedet werden sollen. Die Angebote sind Reflexe auf eine verengte Diskussion um Emanzipation, die sich zu einseitig auf die Arbeit konzentrierte und Frauen hinterrücks der asketischen protestantischen Arbeitsethik unterwarf. Sie verweisen auf ein Defizit an Erotik in der Diskussion um Emanzipation. Der Erfolg von Marguerite Duras' "Der Liebhaber", die Aufnahmebereitschaft für Marina Gambaroffs "Idee von der erfüllenden Beziehung" in der "Utopie der Treue", die breit geführte Kontroverse um Carol Gilligans "Die andere Stimme" oder auch der Erfolg von Carlos Sauras Film "Carmen" (1984) sind unübersehbare Hinweise auf die Bedürfnisse nach Liebe, Erotik, Sexualität, die vom Streben nach ökonomischer und sozialer Unabhängigkeit verdrängt, überrannt und übersehen zu werden drohen.
Ende der zwanziger Jahre gab es schon einmal eine Kehrtwendung unter den Frauen, nachdem über der Verselbständigung im Beruf, über der Askese des Leistungsstrebens und der beruflichen Sozialisation in die formale Rationalität die Erotik aus dem Leben der Frauen verbannt zu werden drohte. In ihrem Roman "Schicksale hinter Schreibmaschinen" beschrieb Christa Anita Brück 1930 den Weg der Neuen Frau der zwanziger Jahre ins Büro der Großstadt, den Sexismus und die erzwungene Prostitution am Arbeitsplatz und die benebelte Rückkehr zur ländlichen Scholle, die die Unschuld, die soziale Naivität nicht zurückgeben konnte. Die Verdrängungen einer monadenhaften Entwicklung, einer ökonomischen und sozialen Vereinzelung bereiteten den Boden, in dem die Aufwertung der Mutterschaft durch die Nazis Früchte tragen konnte. Sexualität und Erotik von Frauen wurden wieder verstärkt an die Institutionen Ehe, Familie und Mutterschaft gebunden.
Die autonome Erotik selbständiger Frauen, Lebensformen jenseits von Ehe und Familie, die nicht der ökonomischen Individualisierung allein, sondern auch einer Emanzipation weiblicher Sexualität entspringen, sind ein Stadium der Individuierung von Frauen, das selten erreicht wurde und für das es wenig Vorbilder gibt, dafür um so mehr furchterregende Zerrbilder wie etwa Ken Russells Film "China Blue - bei Tag und bei Nacht" (1985). In der alten Frauenbewegung hatte Helene Stöcker in ihrem Entwurf der Individuierung in radikal antiasketischer Haltung Sinnlichkeit und Sexualität in die Vorstellung von Emanzipation integriert (vgl. H. Schlüpmann 1984). Die neue Frauenbewegung hat mit dem Postulat "Das Private ist politisch" das radikale Emanzipationsverständnis auf den Begriff gebracht und zielt damit sowohl auf eine gesellschaftliche Bewertung der privat gehaltenen Arbeit, eine Aufhebung der geschlechtlichen Arbeitsteilung und auf eine Sexualpolitik zur Befreiung der weiblichen Sexualität aus institutioneller Zweckbestimmung.
Ohne diese Praxis und theoretische Perspektive gerät der Zusammenhang von Sexus und Herrschaft, der patriarchale Verhältnisse konstituiert, aus dem Blick und werden Frauen in eine Selbstentfaltung gedrängt, die durch die Arbeitsfähigkeit in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sich und jene erhält und bestätigt.
"Je weiter aber der Prozeß der Selbsterhaltung durch bürgerliche Arbeitsteilung geleistet wird, um so mehr erzwingt er die Selbstentäußerung der Individuen, die sich an Leib und Seele nach der technischen Apparatur zu formen haben." (Horkheimer/Adorno 1947, S. 43)
Dr. Christel Eckart, Soziologin, Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung, Senckenberganlage 26, 6000 Ffm 1
Anmerkungen
- Ich habe diese Situation an anderer Stelle (C. Eckart 1985) so beschrieben, daß Frauen angesichts der Krise der Lohnarbeitsgesellschaft zu Vorbotinnen in Formen der Existenzsicherung werden könnten. Was sie schon lange praktizieren, nämlich die Kombination von Lohnarbeit und Hausarbeit, könnte allgemein, könnte auch für Männer zur Alltagsrealität werden. Praktische Ansätze dazu gibt es vereinzelt. Breit diskutiert, freilich selten dabei die Frauen als geübte Vorreiterinnen beim Namen nennend, werden solche Modelle in alternativen Entwürfen zur Arbeitsorganisation (Dualwirtschaft, Eigenarbeit etc.)
- Die heftige Diskussion um C. Gilligans Buch "Die andere Stimme" scheint mir ein Beleg für diese verbreitete Ablehnung.
- 1982 lebten in Hessen 700.000 Personen in Ein-Personen-Haushalten, davon waren 2/3 Frauen, zunehmend jüngere.
- Die folgenden Überlegungen entstanden bei der Interpretation von explorativen, biographischen Interviews in einer Studie zur Teilzeitarbeit von Frauen. Vgl. Eckart 1986.
- Historisch haben nicht (Ehe-)Männer diese Funktion für berufstätige Frauen übernommen, sondern Frauen für Frauen: in der Form, daß Mütter ihre berufstätigen Töchter unterstützen oder in gegenseitiger Hilfe in Frauenwohngemeinschaften.
- Betty Friedan weist in "The Second Stage" auf die Notwendigkeit einer zweiten Welle von consciousness raising hin, mit dem die Frauenbewegung begonnen hatte, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, damit nun die Probleme der "Superfrau" nicht individualisiert erlebt werden müßten. Freilich ist das Zusammenfinden dieser Frauen heute unter dem Individualisierungs- und Konkurrenzdruck ungleich schwieriger als zu Beginn der Frauenbewegung, als die individuellen Anstrengungen den gemeinsamen Hintergrund hatten, sich aus patriarchalen Ehe- und Familienverhältnissen zu befreien.
Literaturverweise
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- Bonß, Wolfgang/Keupp, Heiner/Koenen, Elmar 1984: Das Ende des Belastungsdiskurses? Zur subjektiven und gesellschaftlichen Bedeutung von Arbeitslosigkeit, in: W. Bonß, R. Heinze (Hrsg.) Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft, Frankfurt/Main, S. 143-188
- Brück, Christa Anita 1930: Schicksale hinter Schreibmaschinen, Berlin (Roman)
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- Eckart, Christel 1986: "Ich habe meinen Lebensstil noch immer nicht gefunden." Anpassungsdruck und Individuierung in weiblichen Berufsbiographien, in: H.G. Brose (Hrsg.), Berufsbiographien im Wandel, Opladen, S. 80-104
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- Stöcker, Helene 1906: Die Liebe und die Frauen, Minden in Westf.
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