Verliererproduktion
Es ist etwas geschehen. Im Osten dieses zusammengezwungenen Deutschlands hat ein Problem stattgefunden. Menschen, die hierher geflüchtet sind, um Schutz zu suchen, sind ermordet worden. Menschen und ihre Wohnungen werden angegriffen; Nachbarn schauen zu und applaudieren, andere schauen weg. Es kommt zur Vertreibung, notdürftig in bürokratischen Formen gehalten. Die Stadt ist "ausländerfrei". Im Westen hat es zur gleichen Zeit einen "Tabu-Bruch" gegeben. Dieselben mörderischen Angriffe auf Flüchtlinge. Ein öffentlicher Diskurs, der eine "Überflutung durch Fremde" beschwört, der die Fremden zu Schuldigen erklärt. Ein sozialdemokratischer Chef einer Landesregierung, der sich im Wahlkampf damit brüstet, in Bremen werde bereits "gehandelt": "Abschreckung", Massenunterkünfte, Zurückweisung. Und im sozialdemokratischen Bremen geschehen Anschläge und die SPD verliert die Wahlen, die Rechtspopulisten gewinnen kräftig dazu (wie die Konservativen auch) - mit vielen Stimmen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Inmitten dieser Geschehnisse ist es nicht möglich, sozialpädagogisches "business as usual" zu betreiben. Die sozialpädagogische Debatte über Arbeit, Existenzsicherung im Bereich der Jugendlichen und jungen Erwachsenen erfährt eine politische Zuspitzung: aufgeschreckt erschallt der Ruf nach Arbeit und mehr Sozialpädagogik für den Osten. Doch die Geschehnisse im Westen bieten Anlaß, die wohlfeilen Rezepte gegen die Hoyerswerda'sche "Krankheit" zu überprüfen.
Kurzschlüsse
Seit die sozialen Folgen des in der EX-DDR veranstalteten ökonomisch-sozialen "Crashs" deutlich sind und jetzt, nach Hoyerswerda, wird laut nach beschäftigungspolitischen und sozialpädagogischen Anstrengungen gerufen:
1.) Arbeit, Beschäftigung soll für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen geschaffen werden gegen die soziale Desintegration; Arbeit und darüber gesicherte materielle Existenz könne das massenhafte "Abdriften" in die rechte Gewaltszene bremsen.
2.) Mehr sozialpädagogische Betreuung sei nötig, um Orientierungen zu vermitteln, um Jugendliche, in der Phase des Zusammenbrechens des alten Sinns, zu unterstützen.
Beide Rufe enthalten problematische Voraussetzungen: Der Ruf nach Arbeit unterstellt - tendenziell verelendungstheoretisch - einen sozialen "Kausalismus": Arbeitslosigkeit = Desintegration und erhofft sich eine umgekehrte, kausale Wirkung von Beschäftigungspolitiken. Aber sowohl diese Hoffnung als auch die andere auf sozialpädagogische Sinnstiftung erweisen sich als kurzschlüssig, wenn der Zeigefinger auf Hoyerswerda nicht den Blick auf den Westen verstellt: Schauen wir uns beispielsweise den Wahlerfolg der DVU (und auch der CDU) in Bremen an, dann müßten uns die westlich-wohlfeilen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Rezepte im Halse stecken bleiben. Denn gerade im sozialpolitisch und arbeitsmarktpolitisch "vorbildlichen" Bremen hatte die DVU überdurchschnittlichen Erfolg bei den 18-25jährigen Arbeitern. 24% der DVU-Wähler kommen von der SPD. Der Trend zur CDU ist allgemein bei Jüngeren.
Offensichtlich ist das sozialdemokratische Integrationsmodell trotz Arbeitsmarktpolitik zerbrochen und "Verlierer" wie "Gewinner" gehen nach rechts, zumindest zu den Konservativen. Noch schärfer gefragt: Gibt es nicht einen Anteil der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken am Zustandekommen rechtspopulistischer Orientierungen und rassistischer Gewalt?
Drei Thesen
Die Frage ist, wie sich gesellschaftliche Spaltungen, die von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik verdoppelt worden sind, in der gegenwärtigen deutschen sozialpsychologischen Dynamik von "Anschluß" und westlichem "Sieg" in Rechtspopulismus und Rassismus umsetzen. Zunächst geht es um die sozialpolitische und sozialpädagogische Mit-Produktion von Verlierern:
Erste These: Rechtspopulismus ist auch Produkt einer Sozialpolitik, die sich in Beschäftigungspolitik (unter dem Primat des Fiskalischen) aufgelöst hat: Jugendliche Lebenschancen und Biographien werden reguliert durch die Logik der Maßnahmen(Finanzierung). Über Sinnhaftigkeit der Arbeit, Sicherheit der Existenz, Integration in soziale Zusammenhänge oder eben Wieder-Ausstoßung und nochmalige Entwertung entscheiden Drittmittelquoten und Re-Finanzierungskalküle.
Zweite These: Christlich-liberale Wirtschaftspolitik und Strategien des "Zweiten Arbeitsmarktes" haben (meist unfreiwillig) so zusammengewirkt, daß Jugendliche und junge Erwachsene zunehmend gespalten werden in Marktjugendliche und Maßnahmejugendliche: während die einen die Leiter mit Samsonite-Köfferchen nach oben klettern, müssen die anderen bleiben. Und die innere Selektivität der Maßnahmen sorgt immer wieder dafür, daß viele bleiben, übrigbleiben als Rest: Ein "Hauptschuleffekt" mit massiver Kränkungserfahrung auf seiten der Verlierer.
Dritte These: Zur kränkenden Dauer-"Vermaßnahmung" kommt die nicht endende "fürsorgliche Belagerung" in Form von Betreuung, "Stützung", pädagogischem Zugriff hinzu. Man bleibt Objekt der weitergereichten Defizit-Definitionen, man kreist in "Verbundsystemen", man rotiert in einer Kunstwelt der Kurse, "Module" und "Förderketten" - immer schon erkannt.
Beispiele
Da gibt es den neuesten Schrei in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik: Combimaßnahmen und Förderketten. Man hat erkannt, daß Parkmaßnahmen, ABM-Rotation und Vorqualifizierungen (mit Wiederholungsgefahr) zu überwinden sind zugunsten mehrjähriger Arbeits- und Qualifizierungsverläufe. Man konstruiert Ketten: BSHG § 19, Überbrückungskurs, Umschulung, ABM, Übernahme in eine "Soziale Beschäftigungsinitiative" - doch was bedeutet das "Wieder-auf-die-Schulbank-Müssen" für "Maßnahmegeschädigte", für Ältere, für Frauen im "Wiedereinstieg"? Welche Möglichkeiten der Wahl, der Umentscheidung bleiben? Und wieder gibt es Abbrecher, "zu Schwache" für die Übernahme in den "Betrieb am Markt", wieder Verlierer.
Da werden neue gesellschaftliche Felder nützlicher Beschäftigung "erschlossen": Ökologie, Recycling, in Bremen eine "Innovative Arbeit" gem. GMBH. Da werden 100 "Benachteiligte" verschiedener Art mit BSGH § 19-Jahresverträgen zusammengepfercht, um Kleider zu sortieren und zu recyclen, Papier zu sammeln und müssen, derart prekär abgesichert, ökologisch werden und ökonomisch arbeiten - die müllpolitische Zögerlichkeit verdammt Recycling zum zweiten und dritten Arbeitsmarkt. Und vor der ökonomischen Katastrophe (der Altpapierpreis geht gegen Null!) ist schon lange die soziale Katastrophe da: Absentismus, Pädagogik, die sich auf Abmahnungen reduziert. Das ganze Elend eines Beschäftigungsghettos, das quasi "Synergie" von psychosozialen Beschädigungen in einer Situation, die qua Struktur keine produktive "soziale Mischung" oder die "Kristallisation" um "soziale Kerne" erlaubt hat. Aber aus solchen sozialen Katastrophen zu lernen ist wohl unmöglich. Im Gegenteil: Die Behörde will eine staatliche "Beschäftigungsgesellschaft" installieren, in der mehr "Wirtschaftlichkeit" herrschen soll und wo die Logik der Arbeitskolonne herrschen wird.
Drittes Beispiel: In Bremen ist eine rasante Zunahme betreuten Wohnens zu beobachten. Alle möglichen Träger betreuen immer neue "Problemgruppen". Deutlich ist, daß Betreuung zum Vehikel geworden ist, die Wohnungsfrage für einige Wenige zu lösen - denn für Alleinerziehende, Knastis, Substituierte gibt es buchstäblich nichts mehr auf dem Wohnungsmarkt. Was bedeuten aber solche "taktischen" Betreuungsverhältnisse für Menschen; für Menschen, die vielleicht gerade eine lebensgeschichtliche Weichenstellung vollziehen (wollen) - sie können der Bürokratie, den Etiketten, den Sozial-Profis nicht entkommen.
Sieger und Verlierer
Thesen und Beispiele beschreiben die eine Seite der Arbeitsmarkt-, Sozialpolitik und Sozialpädagogik, die Seite der "sekundären Verliererproduktion" und der "betreuten Kränkung". Daß es auch die andere Seite, die der sozialen Integration und Kompensation gibt, soll nicht bestritten werden. Nur treten nach einer fast 10 Jahre erfolgreichen christlich-liberalen Modernisierungspolitik der Spaltung, der "sozialen Schließung" und "Entgesellschaltung" der Modernisierungsopfer die "sekundär" selektiven und ausgrenzenden Züge der Sozialpolitik deutlicher zutage. Das sozialliberale Integrationsmodell, der Konsens einer wohlfahrtsstaatlichen Gesellschaftskultur wurde aufgerieben: Schon seit einiger Zeit zeigen die Modernisierungssieger "schamlos" ihre Beute und Trophäen; die Verlierer verausgaben sich gelegentlich noch in Abwehrkämpfen, meist werden sie unsichtbar, stillgestellt, in Scham und im "sozialen Tod" verschwindend.
In diese westdeutsche Konstellation erfolgreicher Spaltung mit stillgestellt-latentem Konflikt ist Dynamik gekommen mit der "Wiedervereinigung", dem Schnell-"Anschluß" der maroden DDR (mit mehrheitlicher Zustimmung der Ostdeutschen). Der Westen hat über "den Kommunismus" gesiegt. Deutschland ist nachträglich auf die Seite der geschichtlichen Sieger getreten. Die Kränkung der deutschen, faschistischen Niederlage erfährt "Heilung"; der Sieg ist vor allem ein Sieg über den "Bruch Auschwitz". Es entsteht so etwas wie ein sozialpsychologisches "Angebot", vor allem an die Verlierer im Westen und im Osten, sich identifikatorisch auf die Siegerseite zu stellen, um die sozialen Kränkungen zu kompensieren. Und die Gemeinschaft der Sieger braucht aggressive Abgrenzung, einen "anderen"; "die Ausländer", "die Asylantenflut", die bedrohlichen Fremden.
So ist der "Tabubruch" im Westen zu verstehen als aggressive Siegeridentifikation mit der Aufladung eines stillgestellten sozialen Konflikts. Und im Osten? Staatsgewordener Antifaschismus, "Gesellschaft ohne Öffentlichkeit" und deutsch-realsozialistischer Erziehungswahn hatten eine nach-faschistische Mentalität sozusagen "eingefroren". Das erfolgreiche Projekt Kohls einer Anschluß-"Politik der Beschleunigung" (zwecks Machterhalt) ließ keine Zeit für gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die "Gründungsmythen" und faschistischen Kontinuitäten, noch Zeit für eine "Kulturrevolution". Unter Anschlußzwang fiel die Befreiung vom alten Regime zusammen mit dem Verlust aller existentiellen Sicherheiten: der Arbeit, des Wohnens, der gewohnten Konsummuster, der Alltagskultur - mit ihren Solidaritäten -, Unterwerfungen und Doppelmoral.
Sich auf die Siegerseite stellen in dieser Spirale der Entwertungen und Selbstentwertungen, die Wut angesichts des ökonomischen "Crashs" und der massenhaften Bedrohung durch "sozialen Tod" verschieben und gegen ein anderes Objekt, "die Ausländer" richten ist ein naheliegendes "Angebot". Deutsche in Ost und West, durch die "Wiedervereinigung" mit sich und damit "Auschwitz" konfrontiert, erfahren die "Wiederkehr des Verdrängten" und sind geneigt, den Makel der "Niederlage" und die Schuld "Auschwitz" aggressiv zu tilgen. Und kann es nicht auch sein, daß man einen "Fremden" inszenieren und zum "Abschuß freigeben" muß, wenn man Fremdheit an sich selbst, zwischen "Wessis" und "Ossis" wahrnimmt, wo laut Ideologie keine Fremdheit sein darf?
Ein Letztes: keineswegs sind es nur die Verlierer in Ost und West, die zu aggressiven (sozial aufgeladenen) deutschen Siegern geworden sind. Progrome benötigen Täter, Zuschauer, Wegschauer und politische Legitimationsdiskurse. Selbst die Täter entsprechen nicht dem Klischee ("Skins") der Verlierer und Gekränkten.
Indizien sprechen dafür, daß unter den Tätern auch Gewinner sind, die sich aggressiv abgrenzen müssen von den "anderen" und den "Untersten", abwehrend die fortdauernde Angst vor sozialen Abstürzen, sich rächend für die vollbrachte Anpassungsleistung, zu den "Markt"- und nicht zu den "Maßnahme-Jugendlichen" zu gehören...
Akteure
So komplex der Zusammenhang zwischen Fremdenhaß und sozialen "Verlieren" in Ost und West ist - der "Sieger"-Exkurs hat es versucht zu zeigen - so nötig ist es doch, über Alternativen zur sozial-pädagogischen und -politischen "Verliererproduktion" nachzudenken. So sehr wir vielleicht dazu verdammt sind, gegenüber der deutschen Dynamik, Reaktualisierung und Wiederholung nurmehr ohnmächtige Zuschauer zu sein, die zu verstehen versuchen (aber den Augenblick nicht verpassen dürfen, in dem es gilt, für bedrohte Menschen physisch und öffentlich einzustehen!), so sehr sind wir als Mit-Akteure in der Sozialpolitik gefordert, uns fachlich und politisch einzumischen. Die folgenden sechs Merkpunkte versuchen, (Um)Orientierungen für arbeitsmarktpolitische und sozialpädagogische Konzepte vorzuschlagen.
Alternative Sozialpolitik?
1. Zuallererst geht es um Existenzsicherung für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, um die Milderung der Angst vor "sozialem Sturz und Tod", auch, um sozialpsychische, kulturelle "Öffnungen" gegenüber dem "anderen" zu erlauben.
Realistisch gesehen ist eine "große" gesellschaftliche Lösung à la "garantiertes Mindesteinkommen", "Grundsicherung" ferner denn je. Was aber möglich ist, ist ein sozialpolitischer, kommunaler Reformismus, eine kommunale Politik der Grundsicherung: Nach wie vor existieren Spielräume, z.B. im BSGH, wo es möglich ist, die Unterhaltspflicht für erwachsene Kinder auszusetzen (in Bremen - noch - Praxis!). An den Sozialprofis ist es, das sozial Destruktive von z.B. "Bedürftigkeitsprüfungen" und Unterhaltsabhängigkeiten zu thematisieren und - eventuell unter grün-roten politischen Rahmenbedingungen - Erfolge in der Sozialpolitik mitdurchzusetzen.
2. Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik ist gefordert, die beschäftigungspolitischen Instrumente so einzusetzen und umzubauen, daß konkrete Menschen und für sie sinnvolle Tätigkeiten grundgesichert werden. Nicht endlose Um-zu-Schleifen, die einige Gewinner in den ersten Arbeitsmarkt hieven und viele Verlierer auf der Strecke bleiben lassen, nicht ewige Simulation, Zwischenlagerung oder entwertende "Zurück-auf-die-Schulbänke"-Verplanung schaffen sinnvolle Tätigkeiten, sondern die Umkehrung, der Blickrichtung: Was tut eine junge Frau, ein junger Mann in ihrer Lebenslage? Läßt sich eine BSHG § 19-Maßnahme so definieren, daß eine Person in ihrem sozialen Feld abgesichert wird, daß ihre Tätigkeit "weich professionalisiert" und (endlich) bewertet wird. Läßt sich eine ABM so eingruppieren, daß Menschen mit kurvenreichen Biographien, mit viel Erfahrungen, aber wenig Zertifikaten als Profis bezahlt werden können? Lassen sich entwertete, unbezahlte Frauen-Arbeiten bewerten, lassen sich Geschlechterverhältnisse verändern, lassen sich neue soziale Netze stützen und "sozialverträglich" teilprofessionalisieren (Kinderprojekte, Tauschbörsen, Renovierungstrupps usw.)? - denn Sinn machen die Subjekte in ihrem Sozialen und wenn sie Boden unter den Füßen haben.
3. Für einige junge Menschen kann es sinnvoll sein, in Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten zu arbeiten, wenn hier - über die Verkettung von Maßnahmen - längere Erwerbszeiten möglich werden. Solche Projekte gelingen am ehesten, wenn sie um bereits bestehende "soziale Kerne" sich kristallisieren. Wichtig ist zum zweiten eine "soziale Mischung", die Mischung von Probleme und Kräften, um soziale Integration und Unterstützung zu ermöglichen. Drittens ist es wichtig, solche Projekte nicht zu überfordern - Projekte mit schwierigen Menschen werden nicht die sein, die besonders modellhaft, innovativ recyclen, Stadtumbau betreiben und dies auf den prekären Beinen des Zweiten Arbeitsmarktes (weil politische Strukturentscheidungen z.B. in der Abfallpolitik nicht stattfinden und damit Regelfinanzierungen ausbleiben). Trotz aller Qualität und Sozialverträglichkeit - das Strukturproblem von sozial-kultureller Ghettoisierung der Projekte bleibt bestehen.
4. Auch deshalb geht es für viele junge Menschen eher um Schaffung von Arbeit im Sinne einer "Normalisierung": Subventionierte Arbeit in "normalen" Betrieben und Institutionen und nicht "Betreuung" der jungen Arbeitenden, sondern Instandsetzung der Betriebe zur sozialen Integration von schwierigeren Menschen ist die Absicht. Das soziale Feld muß unterstützt werden ("Supervision" für die Meister, Konfliktberatung für die Abteilung) und nicht (schon wieder) sollte der/die "Subventionierte" klientelisiert werden. Sozialverträgliche Beschäftigungsprojekte und "subventionierte Arbeit" - es muß pädagogisch und politisch ausgehalten werden, daß es (mindestens) zwei Wege gibt, die parallel beschritten werden müssen, die verschiedenen Menschen verschiedene Möglichkeiten und Wahl der Wechsel gestatten.
5. Wenn es um sinnvolle Arbeit und soziale Unterstützung für junge Menschen geht, dann sollte ein Grundsatz aus der Psychiatriekritik (und -reform) beherzigt werden, das "Prinzip der mehreren Orte". Jede zu enge Verbindung von Arbeit, Wohnen, Freizeit und sozialen Hilfe wirkt entmündigend, schreibt Etiketten fest, produziert "Karrieren". Übertragen heißt das: Verschiedene Träger für Beschäftigung und Qualifizierung / Ausbildung; keine angegliederten Sonder-Sozialdienste, sondern verschiedene Orte, die ihrerseits dann offener, "universalistischer" sein können. Dies ist eine Position der Skepsis gegenüber der oft beschworenen "Ganzheitlichkeit" und gegenüber "Verbundsystemen", wo immer schon stützend, kompensierend, oder präventiv interveniert wird und kein Raum ist für die verschiedenen Facetten einer Identität, wo es keine Wege dazwischen oder Ausweichwinkel mehr gibt. Junge Menschen haben ein Recht darauf, immer wieder ein "unbeschriebenes Blatt" zu sein!
6. Die angedeuteten "Merkpunkte" lassen sich vielleicht in einem Gedanken konzentrieren, nein, besser in der Verwerfung eines Gedankens: Es gilt, wegzukommen von der Illusion und Anmaßung, "das Soziale" könne produziert werden; soziale Netze, Sinn und Biographie könnten aus Sozialpädagogik und Maßnahmen gemacht werden. Soziale Unterstützungen und sozial- und arbeitsmarktpolitische Regulationen können bestenfalls "soziale Garantien" schaffen gegen soziale Abstürze und die Angst davor, können möglichst wenig Verlierer produzieren und Entwertungen vollziehen, können bestenfalls Räume und Resourcen sichern, die neue Produktivitäten erlauben - oder auch das pure Überleben in Zwischenräumen und Eigensinnigkeiten.
Literatur
Da es sich bei dem Text um eine pointierte Zuspitzung handelt, wurde auf Zitate verzichtet. Der Argumentation liegt folgende Literatur zugrunde:
Zu "Anschluß" und "Sieg":
SCHMID, Th.: Staatsbegräbnis. Berlin 1990.
OFFE, C.: Die deutsche Vereinigung als "natürliches Experiment", in: B. Giesen/ C. Leggewie: Experiment Vereinigung. Ein sozialer Großversuch. Berlin 1991.
WIDERSPRÜCHE: Verlust und Befreiung. Nach dem Umbruch im Osten. Heft 37, Offenbach 1990.
Zur arbeitsmarktpolitischen Argumentation:
WIDERSPRÜCHE-Redaktion: Sozialpolitik oder Politik des Sozialen, in: Widersprüche, Heft 32, Offenbach 1989.
DIEMER, N.: Für eine Politik des Sozialen, in: Sozial extra, 7/7-89, Wiesbaden.