Intersektionalität als Gesellschaftskritik
Abstract
Einen Aufsatz zur Intersektionalität in der hier vorliegenden Zeitschrift zu schreiben, fordert mich aus zweierlei Gründen besonders heraus: Erstens beobachte ich seit ca. fünf Jahren in der BRD ein weit verbreitetes Interesse an intersektionalen theoretischen Konzepten und empirischen Methoden von Forscher_innen und Praktiker_innen innerhalb der Sozialen Arbeit. Dies hängt wohl damit zusammen, dass Tätigkeiten in der Sozialen Arbeit direkt mit Differenzierung, Normalisierung und Andersheit verbunden sind (vgl. den entsprechenden Titel eines Buches, herausgegeben von Kessl/Plößer 2010). Die im Bereich der Sozialen Arbeit Tätigen in Praxis und Wissenschaft beschäftigen sich gerade nicht mit den sogenannten normalen Menschen, sondern mit den Anderen, den Älteren, den migrantischen Mädchen oder Jungen, den Jugendlichen ohne Ausbildung, den Ärmeren, den Asylbewerber_innen, den Drogengebrauchenden, allgemeiner gesagt den mit spezifischen Problemlagen behafteten und damit häufig an den gesellschaftlichen Rand gedrängten Menschen. Hier sind intersektionale Ansätze mit ihrem Anspruch, sich mit Wechselwirkungen von Differenzierungskategorien und deren Verwobenheit mit Dominanz, Diskriminierung und Unterdrückung auseinanderzusetzen, direkt anschlussfähig. Zweitens steht die Zeitschrift Widersprüche seit mehr als 20 Jahren für ein kritisches Denken innerhalb der Sozialen Arbeit, das sich, so meine Behauptung, mit intersektionalem Denken vertiefen lässt. Wenn sich allerdings Soziale Arbeit qua beruflichem Selbstverständnis schon immer mit unterschiedlich konstruierten Subjekten auseinandergesetzt hat - auch bevor es einen Begriff von Intersektionalität überhaupt gab, wo kann dann der kritische Stachel eines intersektionalen Ansatzes liegen?