Elitendiskussion und politische Kultur in Deutschland
Lächelnd scheidet der Despot, Denn er weiß, nach seinem Tod Wechselt Willkür nur die Hände, Und die Knechtschaft hat kein Ende. Heinrich Heine
I.
Elite ist Abschaum, so Plot und Titel des Bremer Tatort vom 4.4.04 und auch M. Hartmanns fulminante Elitenstudie verweist u.a. auf das hässliche Gesicht der Bourgeoisie (2002: 129) (
Deutlich wird hiermit, dass aus sehr unterschiedlichen Perspektiven die vorgeblichen Eliten - und ihr Status - nicht unumstritten sind, sodass die Fragen, in wessen Interesse und zu wessen Nutzen das Thema politisch auf die Tagesordnung gebracht wird, welche Instrumentalisierung im Rahmen einer kapitalistischen Klassengesellschaft damit verbunden ist, welche historischen Einschätzungen vorzunehmen sind, sich stellen.
Sicher ist es so, dass vor dem Hintergrund des Klassenkriegs von oben, der Rückkehr zum Raubtierkapitalismus (Chomsky 1998, S.12ff) die Frage der Legitimation des herrschenden Systems sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, damit das Problem der Sicherung von Massenloyalität, sich verstärkt stellt. Denn im Widerspruch zu allen Reden über Integration, mit denen der soziale Konflikt geleugnet werden soll, ist der objektive Antagonismus nicht verschwunden. Nur seine Manifestation im Kampf ist neutralisiert. Die ökonomischen Grundprozesse der Gesellschaft, die Klassen hervorbringen, haben aller Integration der Subjekte zum Trotz sich nicht geändert (Adorno/Jaerisch 1968, S. 8). Dieser Befund ist historisch nicht obsolet, sondern wird noch einmal durch die neueste Sozialstrukturanalyse zur deutschen Gegenwart bestätigt, wenn Vester et al. gegen die individualisierungstheoretischen Thesen von Beck und Giddens herausstellen, es seien nicht die klassenbasierten Milieus, die heute zerfielen: Die Klassenstrukturen des Alltags sind vielmehr, gerade wegen ihrer Umstellungs- und Differenzierungsfähigkeit, außerordentlich stabil. Was bis zu einem bestimmten Grade zerfällt, sind die Hegemonien bestimmter Parteien (und Fraktionen der Intellektuellen) über ihre Anhänger in den ideologischen Lagern. Daher haben wir auch heute keine Krise der Milieus (als Folge des Wertwandels), sondern eine Krise der politischen Repräsentation (als Folge einer zunehmenden Distanz zwischen Eliten und Milieus) (2001, S. 103f.; vgl. S. 58ff). Dies führt die Autoren zur These einer Pluralisierung der Klassengesellschaft (2001, S. 45).
Hinzu kommen zu verallgemeinernde Erkenntnisse über das gegenwärtige Staatsversagen als Folge der Krise einer Produktionsweise und der Rigiditäten einer Machtkonstellation (Jänicke 1986: 132), die zu vermitteln sind mit jenen über die Grenzen der Erwerbsgesellschaft, deren unterschiedliche Entwicklungspfade (Bonß 2000). Angesichts von Einsichten in das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat, hegemonial strukturierten Klassenverhältnissen und Prozessen der Reproduktion sozialer Ungleichheit (Wright 1997), der Einsicht in die politische, ökonomische und kulturelle Bedeutung des Wohlfahrtsstaates als Gesellschaftsersatz im Rahmen des fordistischen Kompromisses (Gorz 1989: 261ff) stellt sich heute entweder die Frage nach den Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Alternative oder die nach einer verbesserten Verteidigung des status quo, damit von Macht und Herrschaft.
Da der alte Wohlfahrtsstaat der herrschenden Klasse und ihren Dienern angesichts der Weltlage nach 1989 wie des Postfordismus als offensichtlich überholt, weil ihre Profitraten tangierend, gilt, kommen diese gerade im Kontext einer pseudorot/pseudogrünen Regierungspolitik dazu, die angesichts der 'Krise der Repräsentation' besonders veralteteEliten-Semantik (
II.
In diesem Kontext ist die besondere Widersprüchlichkeit entscheidender Traditionslinien in deutscher Geschichte, damit auch der Geschichte der politischen Kultur herauszustellen. Handelt es sich auf der einen Seite, der der demokratisch interessierten wie engagierten Minderheiten, um die mit der französischen Revolution einhergehende Einsicht, Ein Volk muss seine Freiheit selbst erobern (Grab 1984), mehrdimensional im 19. Jahrhundert verlängert in Entwicklungen von Vormärz und Nachmärz (Koebner/Weigel 1996; Würffel 1986; Schneider 1980; Kohlhammer 1973), so verbindet sich mit der anderen Seite, der der konservativen und reaktionären Kräfte, das Gegenteil. Dementsprechend beginnt H.-U. Wehler seine Deutsche Gesellschaftsgeschichte, die der Entwicklung der deutschen Lande seit dem 18. Jahrhundert gewidmet ist, mit dem Satz: Am Anfang steht keine Revolution. Und in komparativer Perspektive formuliert er: Während die Geschichte Englands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten von Nordamerika durch ihre Revolutionen im 17. und 18. Jahrhundert in einem so fulminanten Sinn geprägt worden ist, dass eine Darstellung ihrer modernen Entwicklung mit dieser Zäsur einsetzen kann, fehlt der deutschen Geschichte jener Zeit ein derart dramatischer Einschnitt (1987, S. 35). Damit kennzeichnet Wehler nicht nur eine entscheidende Differenz deutscher Geschichte zu der anderer Nationen, mit diesem Manko verbindet sich zudem ein spezifisch deutsches Problem in Sachen Theorie und Praxis von Demokratie - verweist so auf einen allgemeinen Makel deutscher 'Eliten'.
Für das Kaiserreich als undemokratische Gesellschaft besonderer Art ist von Beginn an das Fehlen eines selbstbewussten bürgerlichen Liberalismus (Wehler 1988a, S. 38f.), die Klassensymbiose von Junkertum und Bourgeoisie (Machtan/Milles 1980) zu konstatieren. Dies führte u.a. zur Militarisierung des Alltagslebens im Wilhelminischen Reich, was wiederum hierarchisches Denken und Untertanengeist sowie eine Präferenz für gewaltförmige Lösungen bei gesellschaftlichen Konflikten unterstützte. Bedeutsamer aber noch für die deutsche Entwicklung wird in den späten 70er Jahren die Ersetzung eines frühen liberal-emanzipatorischen durch einen konservativen Nationalismus im deutschen Bürgertum, dem die Aufgabe, als Integrationsideologie zu wirken, zukommt. Hieraus resultiert der Beginn der fatalen Pathogenese des Bürgertums, damit derer, die sich gerne als 'Elite' apostrophieren lassen: Unter den neuen Bedingungen findet der extreme Nationalismus und Rechtsradikalismus seine Einbruchstellen, wuchert die Illiberalität, wächst der Fremdenhass: gegen polnische Staatsbürger im Inneren, gegen Slawen und Gallier im 'Vorfeld des Reiches', steigert sich vor allem die erbitterte Feindschaft gegen die 'vaterlandslosen Gesellen', gegen ihre Utopie des freien, republikanischen 'Volksstaats'. ... Wägt man die Faktoren ab, scheint vom konservativen, imperialistischen, illiberalen Nationalismus der stärkste Einfluss ausgegangen zu sein (Wehler 1988b, S. 214). Somit gehe die auf vielen Gebieten erstaunliche Modernität des Kaiserreichs, die zum größten Teil eine bürgerliche Leistung verkörpere, einher mit der damals einsetzenden Pathologie verschiedener Sozialformationen des Bürgertums, die im Nationalsozialismus ihren absoluten Tiefpunkt erreichten (Wehler 1988b, S. 192). (
Diese Pathologie verlängert sich in die Weimarer Republik hinein, wenn - wie hier exemplarisch zu nennen - die Verantwortung von 'Eliten' für politischen Mord und Umgang damit herausgestellt wird. Emil Julius Gumbel hat bereits 1922 in seiner Analyse Vier Jahre politischer Mord auf den Zusammenhang von politischen Morden, Klassenjustiz und Formierung der öffentlichen Meinung hingewiesen. Wesentlich für die Einschätzung der Qualität politischer Kultur in Weimar ist die Differenz in der Behandlung politischer Morde von rechts und links durch Gereichte: 354 politischen Morden von rechts stehen 22 von links in vier Jahren gegenüber. Einer Gesamtsühne auf der rechten Seite von 90 Jahren, zwei Monaten Einsperrung, 73o Mark Geldstrafe und einer lebenslänglichen Haft (für den Mord an Eisner) steht als Gesamtsühne auf der Linken gegenüber: zehn Erschießungen, 248 Jahre, neuen Monate Einsperrung, drei lebenslange Zuchthausstrafen (Gumbel 1980, S. 78ff). Insgesamt gehört dies in einen Kontext, in dem durch Untertanengeist bürgerliche Positionen sowie durch 'Etatismus' der SPD und 'Bolschewisierung' der KPD die Seite der Arbeiterbewegung insgesamt zur Fragilität einer demokratischen politischen Kultur beitragen.
III.
Vor diesem Hintergrund ist es dann nur analytisch konsequent, wenn Lepsius (1990; S. 63) zu dem Urteil kommt, dass eine demokratische politische Kultur im Kaiserreich nur bei Minderheiten aufzufinden war, diese sich in Wimar nicht durchsetzen konnte und in der Zeit des Nationalsozialismus, der deutschen Gestalt von Faschismus, mit allen Mitteln bekämpft und ihre Vertreter verfolgt, terrorisiert und ermordet wurden. Verbinden lässt sich dies mit der Einschätzung Wehlers, unter dem Krisendruck (vor allem seit 1929) seien die seit einem halben Jahrhundert wirkenden Integrationsideologien so radikalisiert worden, dass der neue Rechtsradikalismus - vor allem in bürgerlichen Schichten (vgl. Bollenbeck 1999) - ständig an Attraktivität gewonnen habe: Insofern präsentiert 1933 auch die Quittung für bürgerlichen Konservativismus und Nationalismus, für bürgerliche Scheu vor der riskanten Machtprobe, für das Defizit an liberal-bürgerlicherKultur, an erfolgreicher bürgerlicher Prägung von Staat und Gesellschaft überhaupt (Wehler 1988b, S. 217; Hervorh. d.V.).
Für die Aufgabe, Elemente einer Sozial- wie Mentalitätsgeschichte der deutschen Entwicklung - als Verlängerung der Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus die Form einer imperialistischen Expansion von Krisenlösung verkörpert (Neumann 1984, S. 60f.) - zu entziffern, um die historisch-gesellschaftliche Besonderung des NS jenseits des Wissens darum, dass die Krise des Kapitalismus in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jh. universell war, nicht aber die Krise demokratischer Regierungen (Feldman 1986, S. 25), zu erfassen, ist die Befassung mit der 'Eliten-Frage' unabdingbar.
Vor allem handelt es sich dabei um die Verantwortung der herrschenden Eliten für die Etablierung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft (
Auch die Diskretierung von Eliten in der Folge der mehr als aktiven Beteiligung an mörderischen Politiken des deutschen Faschismus ist bekannt, wenngleich de facto ihrer Integration und Beförderung im Postfaschismus nur wenig entgegenstand. (
IV.
Im Anfang war Auschwitz, so der Titel der Studie von F. Stern zur postfaschistischen Gesellschaft in Deutschland; es prägt sie, wenngleich oft negiert ... (1991, S. 342). Und er belegt den Versuch der deutschen 'Eliten', sich aus der Verantwortung zu stehlen, exemplarisch an der ersten Regierungserklärung des Kanzlers Adenauer im September 1949: Kriegsgefangene, Vertriebene, Verschleppte, Leid der Angehörigen nehmen nun breiten Raum ein, die Ansprüche auf die abgetrennten Ostgebiete des ehemaligen Reiches werden geltend gemacht. ... Kein Wort über Auschwitz, Maidanek, Treblinka, kein Wort über Schuld oder Scham des deutschen Volkes. ... Die historische Verantwortung für das an den Juden verübte Verbrechen dingt nicht bis in die Eröffnung des ersten Bundestages des neuen Deutschland. ... Diese erste westdeutsche Regierungserklärung beweist, dass es der politischen Führungsspitze in Bonn zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik nicht angebracht schien, sich mit der deutschen Vergangenheit und den Verbrechen an den Juden Europas kritisch und selbstkritisch auseinander zu setzen (1991, S. 307).
Die sog. Entnazifizierung verläuft weitgehend im Sande; die Sorge politischer, ökonomischer und kirchlicher 'Eliten' gilt mehrheitlich verurteilten oder angeklagten Kriegsverbrechern und anderen Mördern (Klee 1991; Giefer/Giefer 1991).
Darüber hinaus entpuppt sich die sog. Währungsreform von 1948 als Enteignung von - vor allem - kleinen Geldbesitzern; denn der Wert von Produktivvermögen (Fabriken, Grund und Boden, Aktien) wird kaum angetastet: die Absicherung der ökonomischen Eigentumsverhältnisse und die Fixierung der herrschenden Klassenstukturen war damit vollkommen (vgl. Hochhuth 1971a, S. 44ff; Schneider 1985). Die Adenauer-Ära war somit auf gesellschaftlichem und politischem Gebiet überwiegend eine restaurativ-reaktionäre Periode, mit Ausbruchsversuchen im Kulturellen (s. Rühmkorf 1972). Erst 1968 schlägt die Stunde der Intellektuellen (
V.
Wenn also heute den Eliten, ihrer Notwendigkeit im internationalen Konkurrenzkampf durch Bezug auf den Leistungsbe