Durchmischen oder stabilisieren?
Soziale Mischung - als Ziel zu ehrgeizig und zu dürftig
Die Wirkungen kommunaler Wohnungspolitik werden - planvoll oder als blindes Ergebnis einzelner Fachpolitiken - von vielen Akteuren gemeinsam erzeugt. Wo aber viele agieren, können sich gewollte soziale Qualitäten des Wohnens nur einstellen, wenn alle beteiligten Instanzen ihre Arbeit an einem gemeinsamen Leitbild und daraus abgeleiteten Qualitätszielen orientieren. Geteilte Leitbilder und geklärte Ziele ändern zwar nichts daran, daß die Hauptakteure - Wohnungswirtschaft, Bauleitplanung, Wohnungsämter, soziale Ämter, und Wohnungslosenhilfe - unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Interessen verfolgen. Sie ermöglichen aber die rational begründete Entscheidung von Zielkonflikten und die Aushandlung tragfähiger Vereinbarungen über die Rolle, die jeder dieser Akteure in einem System kommunaler Wohnhilfen übernehmen soll.
Fragt man die verschiedenen Instanzen des Wohnhilfesystems nach den Zielen, die sie verfolgen, so erweist sich eines vor allen anderen als konsensfähig: die Herstellung oder der Erhalt ausgewogener oder sozial durchmischter Bewohnerstrukturen durch eine entsprechende Politik der Wohnungsbelegung. Daß verschiedene soziale Gruppenrsich das gleiche Wohnquartier teilen sollen, scheint zum Kern dessen zu gehören, was bundesdeutsche Akteure sich unter einer sozialen Stadt vorstellen. Das hohe Gewicht, das der Durchmischung im spezifisch deutschen Bild sozialer Integration zukommt, mag viele Ursachen haben: den Ingenieursglauben an die Planbarkeit des sozialen Raums (Bourdieu), die Erleichterung des deutschen Bürgertums über die Auflösung des Arbeitermilieus, die schlechten Erfahrungen der Stadtplaner mit der räumlichen Trennung von Arbeiten und Wohnen im Sinne der Charta von Athen, und nicht zuletzt die Sorge, benachteiligte Gruppen durch räumliche Eingrenzung erst zum Gegenstand sozialer Ausgrenzung zu machen.
Sieht man jedoch näher hin, so ist die Zielvorstellung sozialer Durchmischung zugleich zu ehrgeizig und zu dürftig, als daß sich kommunale Wohnungspolitik daran ausrichten könnte. Zu ehrgeizig, weil die ohnehin sehr begrenzten Möglichkeiten städtischer Politik, die individuelle Wohnortwahl von Haushalten zu beeinflussen, zu keinem Zeitpunkt in der Nachkriegsentwicklung so gering waren wie heute. Zu dürftig, weil sie als unbestimmter Formelkompromiß, der die Festigkeit eines Vorurteils angenommen hat, unter der Hand längst zum Tarnargument für alle widerstreitenden Interessen geworden ist, die auf den lokalen Wohnungsmarkt einwirken. In die Sprache der Planung und Steuerung übersetzt: Was ausgewogene Bewohnerstrukturen sind und wie man sie erreicht, läßt sich weder zu Programmen und Maßnahmen operationalisieren noch als meßbarer Effekt evaluieren. Die Akteure wissen das auch, und gerade darin liegt vermutlich für sie der Reiz der Formel.
In einer hierarchisch eingeteilten Gesellschaft gibt es keinen Raum, der nicht auch hierarchisch eingeteilt wäre und soziale Hierarchien und Abstände zum Ausdruck bringen würde (Bourdieu 1993: 251; Übers. P.B.). Daher läßt sich der Grad sozialer Spaltung auch an den Strukturen sozialräumlicher Ungleichheit ablesen, die moderne Städte prägen, und dies hat die Stadtsoziologie von Friedrich Engels' (1972) Schilderung der Lage der arbeitenden Klasse in England über Robert Ezra Parks (1926) Studien zur Segregation in Chicago bis hin zu der gegenwärtigen Diskussion über das Entstehen einer neuen städtischen Unterklasse (Häußermann 1997) immer wieder getan. Doch gibt es ebenso viele Beiträge, die den Vorteilen eines konzentrierten gemeinsamen Wohnens benachteiligter Minderheiten das Wort reden, wie solche, die dies als problematisch werten. In der Regel reden die Sozialwissenschaftler, die statistisch über Segregation forschen, und jene, die über sozialen Ausschluß forschen, wortreich aneinander vorbei, und eine allgemeine Antwort auf die Frage, wann die räumliche Separierung benachteiligter Gruppen zu einer eigenständigen Ursache ihrer sozialen Ausgrenzung wird und unter welchen Umständen sie vielmehr ein chancenreicher Ausgangspunkt ihrer Integration in die Stadtgesellschaft sein kann (Dangschat 1998), kann es wohl gar nicht geben.
Schon vor 22 Jahren erklärten Stadtsoziologen den endlosen Streit um das Für und Wider sozialer Durchmischung entnervt für hilflos, weil er sich auf zwei unthematisierten und höchst fragwürdigen Prämissen erhebe: Es gebe erstens ein wissenschaftlich in Erfahrung zu bringendes Optimum ‚gesunder' Sozialstruktur als quantifizierbares ‚Mischungsverhältnis' von erfaßbaren Schichten in einer bestimmten optimalen räumlichen Anordnung, zweitens könne das gewonnene wissenschaftliche Mischungskonzept (...) planungspraktisch durchgesetzt werden (Hiss et al. 1976: 45). Die falsch gestellte Gretchenfrage nach dem Glaubensartikel soziale Mischung behindert bis heute eher die konkrete Untersuchung der Handlungsbedingungen in städtischen Sozialräumen, als daß sie diese anleiten könnte.
Auch wissenschaftlich ungesicherte Konzepte können praktisches Handeln orientieren, wenn sie rechtlich festgeschrieben oder in Erfahrungswissen begründet sind. Doch nicht einmal das läßt sich vom Ziel sozialer Mischung behaupten. Daß Stadtplanung und Wohnungsbauförderung einseitige oder unausgewogene soziale Strukturen vermeiden sollen, findet sich zwar als gesetzliche Norm im Baugesetzbuch (BauGB), im II. Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG), im Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) und in Landesverordungen zur Wahrnehmung öffentlicher Belegungsrechte, doch bezeichnenderweise stets als unbestimmter Rechtsbegriff. Es bleibt ins Ermessen der lokalen Akteure gestellt, was sie in der politischen Umsetzung darunter verstehen wollen. Diese Unbestimmtheit verträgt sich schlecht mit der Schlüsselstellung, die der sozialen Durchmischung für die Integrationskraft von Wohnquartieren beigemessen wird.
Wann eine Bewohnerstruktur ausgewogen ist, wird sozial höchst selektiv interpretiert. In der Praxis wird einseitig und scheinbar willkürlich die räumliche Konzentration von Migranten und Beziehern von Sozialtransfers im sozial gebundenen Wohnungsbestand für unerwünscht erklärt. (
Die soziale Mischung fest im Blick - das Beispiel Frankfurt
Als Ende 1994 die Arbeit am ersten Frankfurter Sozialbericht begann, waren die örtlichen Praktiker auf keinem anderen Berichtsfeld so fest überzeugt, die Probleme ja zu kennen, wie auf dem Feld der Wohnhilfen. Niemand erwartete ernstlich, von der Sozialberichterstattung in der eigenen Problemwahrnehmung erschüttert oder korrigiert zu werden. Hätte man sich damals allein daran orientiert, was die politischen Gremien der Stadt und die Wohnungsunternehmen von 1994 bis 1996 vordringlich beschäftigte, so konnte man für diesen Zeitraum nur zu dem Schluß kommen, in Frankfurt drohe vor allem eine Überforderung der Wohnungsbestände mit sozialem Versorgungsauftrag (die etwa ein Drittel aller Frankfurter Wohnungen ausmachten) durch wachsende Konzentrationen nichtdeutscher, sozialhilfebedürftiger oder auffälliger Mieter, und nur die Lockerung des städtischen Vorschlagsrechts für frei werdende Wohnungen der ehemals gemeinnützigen Unternehmen könne dem Einhalt gebieten.
In diesen zwei Jahren wurde gleich zweimal der Frankfurter Vertrag von 1974 geändert, der den gesamten öffentlichen Wohnungsbestand der Stadt auch nach Auslaufen der gesetzlichen Bindungen zur Versorgung von Wohnungssuchenden in den Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus bestimmte und dem Wohnungsamt das Recht gab, für frei gemeldete Wohnungen einen nach sozialer Dringlichkeit ausgewählten Bewerber zu benennen.
- 1994 ging die Stadt gegenüber den Vertragsgesellschaften auf die gesetzliche Mindestregelung zurück, der vermietenden Gesellschaft drei Bewerber zur Auswahl vorzuschlagen. Für Wohnungen, die nicht mehr der gesetzlichen Bindung unterlagen, wurden Wohnungssuchende mit Einkommen bis zu 100% über den Grenzen für Sozialwohnungen berücksichtigt, 10% dieser Bestände wurden von der Belegungsbindung befreit. Gleichzeitig wurden Quoten für eine sozialverträgliche Belegung, festgeschrieben (30% Nichtdeutsche, 15% Sozialhilfebezieher und 10% Aussiedler, 25% andere Bewerber aus dem umgebenden Stadtteil).
- 1996 beschränkte die Stadt ihr Vorschlagsrecht zunächst für zwei Jahre auf den rapide abnehmenden Wohnungsbestand, der noch gesetzlichen Sozialbindungen unterlag. Für Wohnungen, deren Fördermittel getilgt waren, konnten die Wohnungsunternehmen nun ihre Mieter frei wählen, wobei sie die freiwillige Selbstverpflichtung eingingen, diese Wohnungen vordringlich an Sozialwohnungsberechtigte zu vergeben. (
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Als im Gallusviertel, einem innenstadtnahen Altbauviertel mit hohem Anteil Nichtdeutscher, Sozialhilfebezieher und Arbeitsloser, neue Blocks des sozialen Wohnungsbaus fertiggestellt wurden, scheiterte die Belegung nach dem Quotenverfahren daran, daß die meisten deutschen Bewerber die nagelneuen Wohnungen ausschlugen. Als die städtische Wohnungsholding ab 1995 in größerem Umfang ehemalige US-Wohnsiedlungen zu Vorzugspreisen vom Bund erwarb, handelte sie abweichend von den Vorgaben des Bundeshaushalts aus, 40% dieser Wohnungen nicht wie Sozialwohnungen behandeln zu müssen, sondern an Bewerber mit höheren Einkommen vergeben zu können. Diese energischen Bemühungen um soziale Durchmischung verfestigten zunächst bei den gutsituierten Bewohnern angrenzender Viertel die Befürchtung, in den US-Housing Areas entstünden soziale Brennpunkte, von denen Gefahren einer großflächigen Ghettobildung ausgingen. Gegen den Einzug der ersten Sozialmieter entstanden Bürgerinitiativen, die sich erst nach beruhigenden Auftritten von Kommunalpolitikern wieder auflösten. In vielen US-Siedlungen zogen nun Bewohner ein, die bereit waren, sich aktiv an der Verbesserung des Wohnumfelds und am Entstehen nachbarschaftlicher Beziehungen zu beteiligen, und hierfür soziale Kompetenz und Ressourcen mitbrachten. Doch indem man der richtigen Belegung der Siedlungen so viel Aufmerksamkeit widmete, bemerkte man erst nach Bezug der Wohnungen, daß diese zum Teil extrem hohe Belastungen mit DDT sowie mit krebserregenden PAK (polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen) aus Parkettklebern aufwiesen. Da die städtische Wohnungsholding bis heute weder Sanierungszusagen gemacht noch ein Sanierungskonzept mit den Mietern und der Bundesvermögensverwaltung abgestimmt hat, blieben die Potentiale der Bewohnerinitiativen ungenutzt und kehren nun insbesondere deutsche junge Familien mit Kindern, deren Einzug als Zeichen gelungener sozialer Mischung gewertet worden war, den Siedlungen wieder den Rücken.
Während in der Frankfurter Wohnungspolitik das Ringen um ausgewogen gemischte Bewohnerstrukturen durch ausgeklügelte Belegungsstrategien alle in Atem hielt, kam der Sozialbericht aufgrund einer systematischen Auswertung aller Daten, die für eine städtische Wohnungsmarktbeobachtung verfügbar waren, zu einer ganz anderen Gewichtung der sozialen Risiken und Probleme (Bartelheimer 1997; 1998).
Die statistische Segregationsanalyse für 111 statistische Bezirke ergab einen differenzierteren und weniger dramatischen Befund:
Die wesentlichen Muster sozialräumlicher Ungleichheit sind offenbar über einen sehr viel längeren Zeitraum vor Beginn der hier untersuchten kurzen Zeitspanne (1987 bis 1993/94) entstanden und ändern sich nur langsam. Die rasche Verdichtung sozialer Probleme in ganzen Stadtbezirken blieb bisher die Ausnahme; vielmehr sind die Stadtbezirke mit hoher sozialer Belastung noch in vieler Hinsicht inhomogen (Bartelheimer 1997: 320).
Unter den dreißig Stadtbezirken, in denen sich soziale Risiken besonders häuften, fanden sich nur sechs, deren relative soziale Stellung sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert hatte. Herrschte in zwanzig der Bezirke am unteren Ende der sozialräumlichen Hierarchie eher eine stabile, über Jahrzehnte gewachsene Risikobelastung, so ließ sich eine dynamische Entmischung eher in den sozial besonders begünstigsten Gebieten feststellen, die vielfach auf dem Weg zu homogenen Wohlstandsinseln schienen: Von 24 Stadtbezirken mit extrem geringen sozialen Risiken verbesserten 14 ihre relative soziale Stellung, sie schlossen sich also erfolgreich von den allgemein wachsenden sozialen Problemen der Gesamtstadt ab. Überdurchschnittlich hohe Zuwachsraten z.B. beim Sozialhilfebezug fanden sich vorwiegend in Stadtbezirken mit bislang niedrigen Sozialhilfedichten.
Auch der statistische Zusammenhang zwischen Sozialhilfebezug und Segregation von Einwohnern ohne deutschen Paß war weniger eindeutig, als es die Frankfurter Quotenpolitik unterstellt: In den Stadtbezirken, die besonders hohe Anteile nichtdeutscher Wohnbevölkerung aufweisen, beziehen nämlich nicht etwa diese überdurchschnittlich häufig Sozialhilfe, sondern vielmehr die deutschen Bewohner, die dort in einigen Fällen die Minderheit bilden. Parallel zur Sozialraumanalyse des Sozialberichts kam eine stadtsoziologische Untersuchung der Wohnorte Nichtdeutscher zu dem Ergebnis, die Segregation der verschiedenen nichtdeutschen Nationalitäten Frankfurts habe sich in zehn Jahren nicht erhöht und liege weit unter den Vergleichszahlen für andere westeuropäische und westdeutsche Städte. Auch in den Stadtbezirken mit hohen nichtdeutschen Bevölkerungsanteilen findet sich keine Dominanz einzelner Nationalitäten (Hennig et al. 1997).
Von den Sozialhilfebeziehern, die von der städtischen Politik in gefährlicher Konzentration im Sozialwohnungsbestand vermutet werden, lebten immerhin die Hälfte in Stadtbezirken, die im statistischen Sinne sozial durchmischt sind oder die sich der gesamtstädtischen Risikobelastung erst angleichen. Die meisten Stadtbezirke, die von Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus geprägt sind (