Die neue Anthropologie des Arbeitslosen

Diskursanalyse eines Gesetzestextes: Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
Abstract

Das neue Sozialgesetzbuch II, besser bekannt als Hartz IV, regelt ab 2005 die Existenzgrundlage für alle Erwerbsfähigen und ihre engsten Angehörigen, die keine Arbeit finden können bzw. deren Arbeitseinkommen nicht zum Lebensunterhalt ausreicht. Der Beitrag untersucht, wie der Gesetzestext seine Adressaten konstruiert: Mit zunächst wohlklingenden Vokabeln wie 'Grundsicherung', 'Eigenverantwortung' oder 'Eingliederungsvereinbarung' werden Praktiken festgeschrieben, die die Handlungsspielräume der Betroffenen erheblich einschränken und ihre Rechte beschneiden. Hintergrund ist die Konstruktion von Erwerbslosen als Inaktive, die motiviert und aktiviert werden müssen (unter Androhung des Entzugs der Existenzgrundlage) sowie als Anspruchsvolle, denen Grenzen aufgezeigt werden müssen. Diese Konstruktion wird im Rahmen des folgenden Beitrags mit praktischen Erfahrungen in der psychologischen Beratungsarbeit mit Erwerbslosen sowie deren eigenen Aussagen konfrontiert. Es ergibt sich ein paradoxes Bild: Maßnahmen, deren ausgemachtes Ziel es ist, die Eigenverantwortung ihrer Adressaten zu stärken, führen tatsächlich zu Bevormundung und Entmutigung. Der Beitrag schließt mit Überlegungen dazu, unter welchen Bedingungen diese scheinbar widersinnige Psychologie des Gesetzes dennoch folgerichtig sein könnte.