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Heft 75: Der "Dritte Sektor": Modernisierung von Markt und Staat

2000 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 75
  • März 2000
  • 120 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-327-6

Frank Düchting

Vom deutschen Verein zum "Dritten Sektor"

Deutschland: Land der Vereine! Aus einem alten Klischee wird eine neue Idee: All diese vereinsmäßig organisierten Gesellungsformen haben einen inneren inhaltlichen Strang, etwas Gemeinsames und eine besondere Bedeutung für die Zukunft der modernen Gesellschaft. Das ist, zumindest in Deutschland, neu. Es bedurfte der Anregung aus den USA, um die deutsche Sozialwissenschaft auf den "Dritten Sektor" aufmerksam zu machen. Zwar wurde hier zu Lande dieses uneinheitliche Gemenge im Bereich der Verbandssoziologie schon lange beforscht. Eine "integrierte Literatur- und Forschungsdokumentation über sozialwissenschaftliche Vereinsforschung im deutschsprachigen Raum" weist z.B. insgesamt 625 thematisch relevante Eintragungen dazu aus (vgl. Artus 1993). Neben den typisch deutschen Vereinen gehören Stiftungen, Verbände und Genossenschaften dazu und auch Jugend , Lehrlings- oder Studentengruppen, kirchliche und politische Gruppierungen sowie das breite Spektrum der Selbsthilfe- und Eltern-Kind-Gruppen oder der Lebensreformbewegung. Aber anders als in den USA wurde das Interesse an den dann so benannten Nonprofit-Organisationen (NPO) in Deutschland erst Anfang der Neunziger wach. Noch 1994 konstatierte Rudolf Bauer auf einer entsprechenden Tagung in der Schweiz: "Wie kann man über eine Forschung berichten, für deren Gegenstand es erst seit relativ kurzer Zeit einen Begriff gibt?" (Bauer 1995: 59) Es gab und gibt noch keine deutsche NPO-Theorie. Auch vergleichbare anerkannte Forschungsbereiche wie in den USA gibt es hier bisher nicht. Dort ist das Forschungsfeld hochinstitutionalisiert und öffentlich gefördert. So arbeiten die International Society Third Sector Research (ISTR) oder die Organisation Independent Sector (IS) seit Jahrzehnten. Es gibt Fachzeitschriften, wie z.B. Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly oder Leadership and Management, und Universitäten wie Johns Hopkins oder Yale veranstalten internationale Kongresse und Tagungen (z.B. im Juli 2000 in Dublin über den Dritten Sektor: What's it and what's it for?). Vor diesem US-amerikanischen Hintergrund ist es verständlich, wenn Jeremy Rifkin (1997) dem Nonprofit-Bereich sehr hohe Bedeutung bei der Entwicklung der Nacharbeitsgesellschaft beimisst. Nicht zuletzt die lange Debatte um Liberalismus und Kommunitarismus (zusammenfassend vgl. Honneth 1994) basiert auf dem breiten bürgerschaftlichen, freiwilligen Engagement, das zur Tradition der nordamerikanischen Gesellschaft gehört. Die Rezeption dieser Diskussion in Deutschland Mitte der Neunziger schließt Micha Brumlik (1994) mit der Frage ab, die jetzt in der neueren Forschung aufgegriffen wurde: Wo bleibt die Empirie zu all der Theorie? Oder: Lasst uns untersuchen, was sich in Deutschland real an Formen und Ausprägungen dieses "Dritten Sektors", ob nun mit kommunitaristischer oder zivilgesellschaftlicher Qualität, finden lässt.

Und noch ein zweiter Strang führt zu der neueren Debatte um den "Dritten Sektor": Entwickelt sich hier ein Potential des nicht staatlich organisierten Ausgleichs für entfallende Arbeitsplätze und fehlende Gemeinschaftsbindung? Der Dritte Sektor wird inzwischen im Zusammenhang mit der Diskussion um die Nacharbeitsgesellschaft sehr euphorisch bewertet und als Hoffnungsträger für neue nichthegemoniale Vergesellschaftungsformen jenseits von Kapitalverwertungslogik und Geschlechterhierarchie gesehen (vgl. Beck 1997, 1999; Dettling 1995; Giddens 1997). Aber auch kritische Anmerkungen werden laut:

"Vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit erfährt derzeit das Beschäftigungspotential dieses Sektors besondere Bedeutung. Doch sind die Organisationen zwischen Staat und Markt in der Bundesrepublik auch in der Lage, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen? Können sie gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen sowie am Umbau der traditionellen Arbeitsgesellschaft mitwirken? Oder dient der Dritte Sektor insofern als Lückenbüßer, als in Zeiten leerer öffentlicher Kassen mit einem Appell an Solidarität und bürgerschaftliches Engagement lediglich der Abbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates kaschiert werden soll?" (Priller et al. 1999: 12)

Die Erfindung des Dritten Sektors in Deutschland

Job-Maschine Dritter Sektor - so überschrieb im Sommer 1999 das Hamburger Abendblatt einen Artikel, in dem die Segnungen dieses noch unbekannten Phänomens auf der Basis der gerade veröffentlichten zweiten Studie zum Dritten Sektor in Deutschland hervorgehoben wurden. Inzwischen gibt es eine Internet-Homepage www.Dritter-sektor.de der Humboldt Universität Berlin, und bei amazon.de finden sich mehr als dreißig Titel unter dem Schlagwort "Dritter Sektor". Ist der Dritte Sektor eine Erfindung, eine bloße Sammelkategorie, dem nun, mehr oder weniger konstruiert, Leben eingehaucht wird, um eine Perspektive für die Gesellschaft nach Deregulierung und Umbau des Sozialstaates aufbauen zu können? Die Vorlagen aus den USA werden im politischen Bereich gerne angenommen und, meist ohne den geringsten Verweis auf die völlig differente Sozialstaatlichkeit der USA, als Beispiel für die mögliche Entwicklung in Deutschland vorgeführt.

Andererseits ist das Interesse an diesem stark wachsenden Bereich in Deutschland und Europa verständlich. In den letzten dreißig Jahren sind so viele neue Vereine, Verbände, Stiftungen, gemeinnützige Organisationen und private Einrichtungen im Sozial-, Gesundheits-, Kultur- und Freizeitbereich entstanden, dass sich die Frage nach der inneren Beschaffenheit dieser Organisationen und der Qualität ihrer Arbeit schon wegen ihrer beachtlichen Zahl den Sozialwissenschaften aufdrängt. In Deutschland hat sich die Anzahl der Vereine in diesem Zeitraum verdreifacht und in den anderen europäischen Ländern lassen sich ähnliche Tendenzen beobachten. Auch in vielen Entwicklungsländern wächst der Dritte Sektor mit großer Geschwindigkeit. Ob nun als Nongovernmental Organization (NGO) bezeichnet und mit Beobachterstatus bei der UNO ausgestattet, wie z.B. Greenpeace oder Amnesty International, oder einfach als Nonprofit Organization (NPO) in Form eines kleinen gemeinnützigen Vereins im Bereich Kultur oder Sport - das Spektrum in Deutschland (und weltweit) ist beachtlich. Während noch vor acht Jahren kaum jemand von einem "Dritten Sektor" sprach, ist er nun quasi erfunden, schon allgegenwärtig und wird nolens volens in die Schröder/Blair-Debatte um den "Dritten Weg" einbezogen.

Die vorliegenden Forschungen und Auseinandersetzungen bearbeiten zwei Felder. Zum einen wird die Empirie entwickelt, um überhaupt einigermaßen zureichend definieren zu können, was dem Dritten Sektor zuzurechnen ist (und was nicht). Zum anderen wird die politische Theorie um die Bedeutung dieses Sektors vorangetrieben.

Verschiedene Ansätze: Dritter Sektor und Drittes System

Angelehnt an den amerikanischen Third Sector wurde ab 1990, ausgehend vom Johns Hopkins Institute for Policy Studies in Baltimore, die international angelegte umfangreiche Erforschung dieses Dritten Sektors in Angriff genommen. Innerhalb dieses Projekts wurde auf der Basis einer von der UNO entwickelten Systematik (International Classification of Nonprofit Organizations - ICNPO) eine Definition erarbeitet, nach der Organisationen dann zum Nonprofit-Sektor zu rechnen sind, wenn sie

  • formell strukturiert sind, einen institutionellen Aufbau haben und in der Öffentlichkeit auftreten;
  • organisatorisch vom Staat unabhängig sind;
  • eigenständig verwaltet werden, also selbst die Kontrolle über ihre Geschäfte ausüben;
  • nicht gewinnorientiert sind, also keine Gewinne an Mitglieder oder Eigner ausschütten; sowie
  • zu einem gewissen Grad von freiwilligen Beiträgen und Spenden getragen werden und keine Zwangsverbände, d.h. freiwillig sind.

Demgegenüber hat eine europäische ForscherInnengruppe (Interdisziplinäre Forschungsgruppe Lokale Ökonomie, TU Berlin) inhaltlich fast entgegengesetzte Definitionen vorgelegt, die sich auf die Praxis der Projekte und Initiativen im, wie es dort bezeichnet wird, "Dritten System" beziehen und eine deutlichere politische Pointierung zulassen. Dieser Ansatz ist allerdings nicht annähernd so gründlich empirisch erforscht. Die Einschätzung gründet sich eher auf die Kenntnisse der europäischen Entwicklung in den Bereichen sozialer Unternehmen, Genossenschaftsbewegungen, alternativer Betriebe und gemeinwesenbezogener Unternehmen.

Nach Birkhölzer (vgl. Beitrag in diesem Heft) ist die Definition des Dritten Sektors (Johns-Hopkins-Projekt) unvollständig und irreführend, weil damit zum einen das Missverständnis der Volkswirtschaftslehre einhergeht (3. Sektor = tertiärer = Dienstleistungssektor) und zum anderen nicht die Frage was, sondern wie produziert wird, das entscheidende Abgrenzungskriterium sein sollte. Betriebe des Dritten Systems entstehen demnach primär aus der Schattenwirtschaft, der Selbsthilfe, der Familienarbeit, der Nachbarschaftshilfe und der illegalen Ökonomie heraus und versuchen diejenigen Blindstellen zu bedienen, die weder von profitorientierten Unternehmen noch von staatlichen Stellen abgedeckt werden. Betriebe des Dritten Systems entwickeln sich aus konkreten Mangelerscheinungen kapitalistischer Produktionsweise und, ein ganz wichtiger Punkt, sie sind in der Regel als selbstorganisierte Bürgergruppen der "Betroffenen" nicht individualistisch, sondern kollektiv verantwortlich für gesellschaftliche Entwicklung. Diese Betriebe arbeiten notwendigerweise profitorientiert, da sie sich am Markt - wenn auch in Nischen - behaupten müssen und nicht von staatlichen Zuwendungen abhängig sind. Entscheidendes Kriterium für Zugehörigkeit zum Dritten System ist die Verwendung der Überschüsse als kollektive Aneignung. Die italienischen Genossenschaften gehören genauso dazu wie die französischen mutualités und auch deutsche Genossenschaften und Betriebe, die in ihrer Satzung die gemeinnützige Verwendung ihrer Überschüsse verankert haben.

Das so bezeichnete Dritte System ist also eine andere, kollektiv organisierte Form der Erwerbsarbeit. "Anders arbeiten - anders leben", hieß das in den Achtzigern. Der Entwurf des Dritten Systems knüpft eindeutig an die Alternativbewegung dieser Zeit an und erweitert sich um die noch oder wieder funktionierenden Bestände der Genossenschaftsbewegung, der Selbsthilfegruppen, der Wissenschaftsinstitute, der Gemeinwesen- und Nachbarschaftsökonomie. Es ist verständlich, dass sich das so definierte Dritte System deutlich von den oben skizzierten Beschreibungen des Johns-Hopkins-Forschungsansatzes des Dritten Sektors abhebt.

Die erste große internationale Studie

Zwar gab und gibt es politische und sozialwissenschaftliche Theorien über und sogar Managementlehren für den Dritten Sektor, aber keine aussagefähige Empirie. Deshalb wurde Anfang der Neunziger mit dem Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project ein Forschungsvorhaben initiiert, das diesem Mangel abhelfen sollte. Koordiniert vom Johns Hopkins Institute for Policy Studies, wurden in der ersten Phase von 1990 -1995 Daten in acht Industrieländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Schweden, Ungarn, USA) und in fünf Entwicklungsländern (Ägypten, Brasilien, Ghana, Indien und Thailand) erhoben. Dieser Ländermix wurde mit der Zielsetzung gewählt, sowohl Unterschiede in der ökonomischen Entwicklung, in den religiösen und kulturellen Traditionen als auch in den staatlichen Rahmenbedingungen bzw. im Verhältnis zwischen NPO-Sektor und Staat zu berücksichtigen. In jedem Land ist ein Projektteam vor Ort tätig, das die Daten nach einem für alle Länder vereinheitlichten Schema sammelt und die Ergebnisse mit dem jeweiligen Beirat auswertet (vgl. Anheier et al. 1998).

Finanziert wurde das Gesamtprojekt von mehr als dreißig Förderern. In Deutschland sind dies unter anderen die Körber Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, in den USA gehören die Ford Foundation und der Rockefeller Brothers Fund dazu, in Europa die Agnelli- und mehrere italienische Bankenstiftungen sowie die Europäische Kommission.

Die Ergebnisse dieses ersten Teils der Studie wurden 1997 veröffentlicht (vgl. Anheier et al. 1998). Inzwischen läuft die zweite Phase des Projektes, das auf der Basis des ersten Teils vertiefende Analysen vornimmt, zusätzliches Material erhebt und weltweit auf insgesamt 22 Länder ausgedehnt wurde. Erste Ergebnisse wurden Ende April 1999 im Wissenschaftszentrum Berlin vorgestellt und im Juni veröffentlicht (vgl. Zimmer et al. 1999).

Ziele und Vorgaben

"Im einzelnen verfolgt das Johns-Hopkins-Projekt folgende Ziele:

  • die Größe, das Spektrum, die interne Struktur, die Finanzen und die rechtliche Position des Nonprofit-Sektors in den ausgewählten Ländern zu beschreiben;
  • ein vertieftes Verständnis der Geschichte und der sich entwickelnden Rolle des Sektors in verschiedenen Kulturen und nationalen Kontexten zu erlangen;
  • die Beziehungen zwischen Nonprofit-Sektor und Staat, Erwerbswirtschaft und internationalen Organisationen zu untersuchen;
  • ein empirisches Fundament für einen verbesserten theoretischen Zugang zum Dritten Sektor zu erarbeiten;
  • allgemeine politische Trends und spezielle gesetzgeberische Maßnahmen zu identifizieren, die auf den Nonprofit-Sektor im allgemeinen und länderspezifisch fördernd oder beeinträchtigend wirken;
  • den Sektor stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und praxisrelevantes Wissen für gesetzgeberische Maßnahmen, Entscheidungen und weitere politische Rahmenbedingungen zu schaffen" (Anheier et al. 1998: 14f.).

Die größte Schwierigkeit liegt nach wie vor in der Festlegung: Welche Organisationen gehören zum Dritten Sektor, welche nicht? Die allgemeine Aussage "zwischen Markt und Staat" greift zu kurz, weil sich viele Organisationen direkt auf einem Markt (z.B. der sozialen Dienstleistungen) behaupten müssen oder andere Organisationen, wie z.B. die Wohlfahrtsverbände, so sehr von staatlichen Zuwendungen abhängig sind, dass sie, auch ohne formell Staat zu sein, ausnahmslos staatliche Aufgaben wahrnehmen. Die formale internationale Definition ermittelt für Deutschland typischerweise folgende Institutionen, Einrichtungen und Organisationsformen:

  • eingetragene und gemeinnützige Vereine, Geselligkeitsvereine;
  • Stiftungen;
  • Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege; freie Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen;
  • gemeinnützige GmbHs und ähnliche Gesellschaftsformen;
  • Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften;
  • Verbraucher- und Selbsthilfeorganisationen;
  • Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen sowie staatsbürgerliche Vereinigungen.

Daraus wurde eine Liste von zwölf Gruppen gebildet, z.B. Kultur und Erholung (Kunst, Kultur, Sport, Freizeit, Erholung), Bildungs- und Forschungswesen (Schulen, Universitäten, Hochschulen), Gesundheitswesen (Krankenhäuser, psychiatrische Einrichtungen, Pflegeheime), Soziale Dienste (Einrichtungen des Sozialwesens, Katastrophenschutz und -hilfe), Umwelt (inkl. Tierheime), Entwicklung - Wohnungswesen - Beschäftigung (Gemeinwesenarbeit, Entwicklungshilfe, berufliche Fortbildung), Stiftungswesen, Religion, Wirtschaftsverbände, Berufsverbände. Der Bundesverband der Industrie ist also genauso eine NPO des Dritten Sektors wie ein privates Krankenhaus, eine große Einrichtung der Diakonie, eine BI gegen Fluglärm, eine Selbsthilfegruppe ehemaliger Alkoholabhängiger, ein Taubenzüchterverein, der TÜV oder der Bund der Vertriebenen. Aus dieser Liste wird auch deutlich, welche Organisationen nicht mitbedacht werden: Produktions- und Verbrauchergenossenschaften; soziale Erwerbsbetriebe; Versicherungen; politische Parteien, Kirchenverwaltungen.

Vielfältige Datenquellen wurden herangezogen, etwa die Arbeitsstättenzählung; eine Befragung von 550 westdeutschen NPO; Daten der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der BfA; die Jahresberichte einzelner größerer Organisationen, Vereine, Stiftungen und Verbände; Veröffentlichungen der Bundes- und Landesministerien.

Die Studie ist vor allem deshalb in die Kritik geraten, weil mit solchen formalen und wenig aussagefähigen Kategorien keine relevanten Diskussionen geführt werden können (vgl. Birkhölzer 1999). Die Ergebnisse der Studie ermöglichen zumal im internationalen Vergleich in der Regel ausschließlich quantitative Aussagen. Zudem werden, wie bereits angedeutet, all diejenigen Bereiche ausgegrenzt, die als Organisationen des Dritten Systems gelten können. In der Johns-Hopkins-Definition wird also gerade das Potential unberücksichtigt gelassen, das für die Weiterentwicklung einer Bürgergesellschaft von Bedeutung ist (Genossenschaften in Deutschland, Soziale Kooperativen in Italien, mutualités in Frankreich, Gemeinwesengenossenschaften und unternehmen in Großbritannien).

Einige Ergebnisse der Studie

Der Dritte Sektor in Deutschland ist in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren deutlich gewachsen. Zugenommen haben sowohl die Zahl der Vollzeitbeschäftigten (von 3,75% auf 5% der Gesamtwirtschaft) als auch die Gesamtausgaben (ca. 4% des Bruttosozialprodukts). Seit 1970 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Dritten Sektor mehr als verdoppelt. Heute arbeiten dort mehr Menschen als im Banken- und Versicherungswesen. 77% der Arbeitsplätze sind in den Bereichen Gesundheitswesen und Soziale Dienste zu verzeichnen, gefolgt vom Bildungsbereich mit ca. 13%. Recht wenige Beschäftigte arbeiten im Bereich Kultur und Erholung. Hier dominiert der Sportbereich eindeutig mit ca. 6%. Ebenfalls minoritär sind die Bereiche Wohnungswesen, Fortbildung, Bürger- und Verbraucherinteressen und Wirtschafts- sowie Berufsverbände. Allerdings verhält es sich in Bezug auf die Beteiligung Ehrenamtlicher genau umgekehrt, denn ca. 50% aller Freiwilligen sind in den Bereichen Kultur und Erholung tätig, v.a. in Sportvereinen, aber auch in Umweltschutzgruppen, Stiftungen und Staatsbürgervereinigungen. Der deutsche Nonprofit-Sektor ist weiblich, denn inzwischen ist der Gesamtanteil der Frauen auf 70% gestiegen, mit einem Anteil von 27% Teilzeitstellen und damit der höchsten Wachstumsrate an neu geschaffenen Teilzeitarbeitsplätzen in der gesamten Wirtschaft. Insgesamt hat der Dritte Sektor proportional deutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen als alle anderen Wirtschaftssektoren.

Schwerpunkt Dienstleistungen

Nahezu jedes zweite Krankenhausbett, die Hälfte aller Plätze in Pflegeheimen und ein Drittel aller Kindergartenplätze werden von Organisationen des Dritten Sektors vorgehalten. Auch die Bereiche Kinder , Jugend , Alten , Pflege- und Behindertenheime und Einrichtungen der Jugendwohlfahrt werden zu großen Teilen von NPO getragen - ein privilegierter Status als Folge des Subsidiaritätsprinzips, das das ökonomische Rückgrat des Dritten Sektors bildet. Entsprechend hoch ist der Anteil der öffentlichen Mittel bei den finanziellen Ressourcen der NPO, die Spenden bilden nur einen kleinen Teil der Einkünfte (2,1%). Der Bereich Bildung hingegen ist eher marginal, denn nur 5% aller Schulen und Hochschulen sind in privater Trägerschaft. Aus den Bereichen Kultur und Freizeit liegen jedoch entgegengesetzte Zahlen vor. Hier ist der Anteil der Freiwilligen am höchsten, ebenso das Spendenaufkommen, die Mitgliedsbeiträge und die Einkünfte aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit. Für die Gesamtbewertung des Dritten Sektors, das betonen die Autoren der Studie, ist die Tatsache relevant, dass der deutsche Dritte Sektor im Vergleich zu anderen Ländern hochgradig vom Staat abhängig ist, vor allem im Sozialen und Gesundheitsbereich.

Alternative und politische Gruppierungen

Von den 240.000 deutschen Vereinen sind rund 67.000 sportlich ausgerichtet. Nach diesem Bereich von 26,3% (West) folgen die Hobbyvereine, die Geselligkeitsvereine, die religiösen und kirchlichen Vereine, die Heimat- und Gesangvereine mit zusammen nochmals 27%. Der Anteil der Gruppen, Organisationen, Kollektive, Selbsthilfegruppen etc., die in der sogenannten Alternativbewegung der siebziger Jahre ihren Ursprung haben und denen "die Suche nach Alternativen zu den bestehenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Strukturen und Institutionen sowie die Ablehnung der traditionellen Vereinskultur wichtig war" (Anheier et al. 1998: 65), beläuft sich auf ca. 14.000 Gruppen mit insgesamt ca. 104.000 Mitgliedern. Rechnet man die ca. 20.000 Selbsthilfegruppen noch dazu, so ergibt sich, dass die ehemals neuen sozialen Bewegungen (inkl. Frauen, Frieden und Umwelt) ca. zehn Prozent des gesamten Vereinssektors ausmachen. Ihr gesellschaftlicher Einfluss allerdings, so konstatieren die AutorInnen der Studie, sei erheblich größer.

Acht Länder im Vergleich

Deutschlands Dritter Sektor nimmt, zusammen mit dem französischen, wegen seiner Einnahmenstruktur unter den europäischen Industrieländern eine besondere Position ein. Während der Anteil der öffentlichen Finanzierung bei den deutschen NPO insgesamt ca. 68% ausmacht und der Anteil der Spenden am geringsten ist, fällt der Anteil der selbst erwirtschafteten Einnahmen weit hinter den der anderen Länder zurück. In Schweden finanzieren sich die NPO zu zwei Dritteln aus Gebühren für ihre Leistungen, in den USA zu 52% und in Deutschland zu knapp 28%. Insgesamt sind die Wachstumsraten, die für den deutschen Bereich stets besonders hervorgehoben werden, international gesehen eher durchschnittlich.

Umfrageergebnisse neueren Datums

Zwischen 1995 und 1999 wurden auf der Basis der vorgenannten Definitionen weitere Untersuchungen vorgenommen. Ziel war es, mehr über das Binnenleben der NPO zu erfahren. Während im ersten Teil primär auf die Makroebene volkswirtschaftlicher Relevanz der NPO Wert gelegt wurde, wurde nun die Eigenständigkeit der Organisationen auf der Mesoebene untersucht. Von den 8.500 versandten Fragebögen konnten 2.240 (28%) ausgewertet werden. Die Autoren halten diese Zahlen für statistisch ausreichend, betonen allerdings, dass die Rückläufe nicht gleichmäßig über den gesamten Sektor verteilt sind, sondern dass einige Bereiche eher magere, andere dafür sehr gute Rücklaufquoten hatten. Die meist voll finanzierten staatsnahen Organisationen des Gesundheits- und Sozialbereichs hatten zusammen mit den Wirtschafts- und Berufsverbänden die schlechtesten Rücklaufquoten. Die Organisationen des vereinsmäßig organisierten und im Bezug auf Beschäftigte, Umsätze und staatliche Förderung quantitativ kleineren Bereichs von Kultur, Freizeit und Sport beteiligten sich hingegen überproportional an der Erhebung. Damit verfälscht die Gewichtung im Rücklauf der Fragebögen das Gesamtergebnis beträchtlich, worauf aber bei der Auswertung der Studie nicht mehr konsequent eingegangen wird. Einige Ergebnisse sollen dennoch präsentiert werden.

Dominante Organisationsform des Dritten Sektors in Deutschland ist mit 91% der gemeinnützige Verein. Andere Rechtsformen (Genossenschaften 1%; gGmbH 3%; Stiftungen 4%) spielen keine erhebliche Rolle. Rund zwei Drittel dieser Vereine sind rein kommunal tätig und meistens einem Dachverband angeschlossen (auch wenn sie sich von diesem zumeist schlecht vertreten fühlen). Um den schwierigen Zukunftsaufgaben gerecht zu werden, erwägen rund ein Drittel, entweder mit anderen Vereinen zu fusionieren oder Ausgliederungen vorzunehmen. Die Vereine müssen sich ständig an den aktuellen gesellschaftlichen Problemen und Trends orientieren und sind hochflexibel organisiert.

Ein Finanzierungsmix zur Bewältigung der Aufgaben ist normal. Während in der ersten Untersuchung der geringe Teil der Spenden, Beiträge und selbst erwirtschafteten Mittel auffiel, zeigt sich bei der zweiten Untersuchung ein anderes Bild, wohl auch, weil genau die Gruppe der hochgradig staatlich finanzierten Einrichtungen kaum auf die Umfrage reagiert hat. 26% der Organisationen werden zu mindestens 50% durch Mitgliedsbeiträge finanziert; 23% durch öffentliche Zuschüsse; 18% durch selbst erwirtschaftete Mittel, Spenden, Kapitalerträge und Einnahmen aus Immobilien. Insgesamt ist hier also nur rund ein Drittel von öffentlichen Zuschüssen abhängig. Dem entspricht die Einschätzung der Mehrheit der befragten Organisationen, dass die staatlichen Zuschüsse stark rückläufig sein werden und man sich deshalb stärker marktförmig ausrichten muss. Dass gerade die hier mehrheitlich vertretenen Bereiche primär von den prekär gewordenen Landes- oder kommunalen Mitteln abhängig sind, während die "Großen" aus Bundesmitteln finanziert werden, verdeutlicht den Trend zur Zweiteilung des Sektors insgesamt, auf den noch einmal gesondert eingegangen wird.

67% der Organisationen arbeiten mit hauptamtlichem Personal, wobei der Frauen- (65%) und der Teilzeitanteil (30%) hoch sind. Zur Finanzierung des Personals werden alle Möglichkeiten genutzt, die die Arbeitsförderungsgesetze des Bundes und der Länder hergeben, wobei sich der interessante Trend ergab, dass ein Drittel der AB-Stellen in feste Arbeitsplätze umgewandelt worden ist.

In der Gesamtbewertung des Dritten Sektors in Deutschland haben die AutorInnen der Studie folgende Tendenzen aufgezeigt: Das Verhältnis zum Staat wird zunehmend problematisch, weil der sich immer mehr aus der Finanzierung und der Verantwortung für Regelungs- und Steuerungsfunktionen zurückzieht. Um die noch bestehende Abhängigkeit aufzubrechen, suchen immer mehr NPO nach eigenen Einnahmequellen und verstärken ihre Fundraising-Bemühungen. Entsprechend wird beklagt, dass die staatliche Bürokratie und das Gemeinnützigkeits- und Steuerrecht zu unflexibel und unangemessen gestaltet sind. Da die inhaltlichen Dimensionen der Aufgaben des NPO-Bereichs in der deutschen Studie nicht oder nur in sehr geringem und dann eher allgemeinen Umfang erfasst werden, betonen die Autoren in ihrer abschließenden Bewertung, dass es fatal wäre, diesen gesellschaftlich wichtigen Bereich nur auf seine arbeitsmarktpolitische Bedeutung zu reduzieren:

"Wenn NPO gegenwärtig in der öffentlichen Diskussion einen höheren Stellenwert erhalten, dann sind zugleich jene Faktoren zu berücksichtigen, die den Wert des Sektors als maßgeblicher Bestandteil zivilgesellschaftlicher Infrastruktur ausmachen (...) NPO sind vor allem in Hinblick auf vier Bereiche als potentielle Krisenbewältiger, alternative Steuerungsressourcen und innovative Akteure zu betrachten: Erstens schaffen NPO als Teil der Zivilgesellschaft und demokratischen politischen Kultur die Rahmenbedingungen für Partizipation und bürgerschaftliches Engagement. Insofern gewinnen die Organisationen als Bestandteil jenes "sozialen Kitts", den auch moderne Gesellschaften für ihren Zusammenhalt benötigen, zunehmend an Bedeutung. Zweitens haben NPO einen wesentlichen Anteil an der Wohlfahrtsökonomie, in dem sie neben Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen sowie privaten Haushalten in beachtlichem Umfang wohlfahrtsrelevante Güter und Leistungen erstellen. Im Zuge einer abnehmenden Leistungskraft von Markt und Staat kann die Position der NPO im Wohlfahrtsmix durchaus noch zunehmen, wenn deren schlummernde Ressourcen aktiviert werden. Drittens werden große Hoffnungen in die multinational tätigen NPO gesetzt, da diese mit ihrem aktiven Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte, mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit für die Interessen von Minderheiten und dem engagierten Eintreten für ökologische Fragen eine Gegenöffentlichkeit zur Internationalisierung der Wirtschaft und Politik durch multinationale Zusammenschlüsse wie auch gegenüber politischer Willkür auf nationaler und lokaler Ebene schaffen. Viertens schließlich ist die arbeitmarktpolitische Bedeutung des Dritten Sektors herauszustellen. NPO können einen Beitrag zur Linderung des Arbeitsmarktproblems leisten. Gleichzeitig wird den Organisationen die Kompetenz zugesprochen, das traditionell in ihnen vorhandene ehrenamtliche und freiwillige Engagement nicht nur zu konsolidieren, sondern um neue Einsatzfelder und Tätigkeiten jenseits bisheriger Erwerbsarbeit zu erweitern" (Zimmer et al. 1999: 27f.).

Erster Problemkomplex: Männliche Lohnarbeitszentriertheit

"Die gesellschaftspolitische Relevanz von Nonprofit-Organisationen geht insofern weit über ihre beschäftigungspolitische Bedeutung hinaus, als sie als Mittler zwischen Staat, Markt und Gemeinschaft einen wesentlichen Teil der zivilgesellschaftlichen Infrastruktur moderner Gesellschaften bilden. Entwicklungen im Dritten Sektor gelten daher häufig als Indizien eines zukunftsweisenden gesellschaftlichen Strukturwandels hin zu einer aktiven Demokratie des philanthropischen und altruistischen Bürgerengagements für öffentliche und gemeinnützige Zwecke" (Priller et al. 1999: 12).

Da reiben sie sich die Augen, die Akteure des Dritten Sektors. Bis vor kurzem waren sie einfache Mitglieder einer freiwilligen Feuerwehr, Übungsleiter im Sportverein oder versorgten beim Altennachmittag die betagten Gemeindemitglieder mit Kaffe und Kuchen. Nun sind sie a) arbeitsmarktpolitisch, b) intermediär, c) zivilgesellschaftlich und d) altruistisch relevant für die Entwicklung der Gesellschaft. Bisher haben sie getan, wofür sonst niemand bezahlt wurde, haben aus Engagement und Spaß ihre freie Zeit für eine, wie sie es subjektiv empfinden mögen, gute Sache geopfert, sich manchmal vielleicht als Lückenbüßer für ein soziales Netz mit größer werdenden Maschen empfunden, und plötzlich erfahren sie große Aufwertung. Verdiente Ehrenamtliche wurden zwar schon lange mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und zum Bundespräsidenten eingeladen, aber dass auf ihnen nun Hoffnungen für die Zukunft der Gesellschaft ruhen, erstaunt doch etwas.

Aus der Erforschung dieses Sektors zwischen Markt und Staat entstehen Projektionen auf der Folie vorhandener und bisher ungelöster gesellschaftlicher Problemlagen. Die Betrachtung der rein quantitativen Aspekte wird zunächst in den Vordergrund gehoben, um so die Relevanz dieses Sektors (und damit natürlich auch die Notwendigkeit weiterer Forschungsgelder) zu betonen. Indem z.B. der Dritte Sektor als "Jobmaschine" dargestellt, die ehrenamtliche Arbeit in Vollzeitstellenäquivalente umgerechnet und die Menge der neuen Arbeitsplätze mit derjenigen bestimmter Sektoren in der Wirtschaft verglichen wird, stabilisiert sich der Mythos der lebenslangen Vollzeiterwerbsbiographie. Arbeitsplätze schaffen um jeden Preis, heißt die Parole, egal wo, zur Not eben auch im Dritten Sektor. Dabei wird weder über die Qualität der Arbeit gesprochen, noch über soziale Sicherung, noch über Bezahlung. Aus den USA kennt man das working poor-Problem: Auf mehreren Stellen gleichzeitig arbeiten und doch nicht genug verdienen, um die Familie ernähren zu können.

Wenn der Dritten Sektor durch die dort entstandenen neuen Arbeitsplätze auch eine andere Qualität in die Diskussion über Arbeit und vor allem über das Produktivitätsethos (Max Weber) brächte, wären die hohen Erwartungen vielleicht zu rechtfertigen. Solange aber der Dritte Sektor weitgehend im Zeichen des Paradigmas "Mütterlichkeit als Beruf" steht, solange die Mehrzahl der dort Arbeitenden Frauen, die Leitungspositionen aber weitgehend von Männern besetzt sind - solange ist von einem Beitrag zum Umbau der traditionellen Arbeitsgesellschaft wenig zu spüren.

"Dem Sektor kommt im Vergleich zur Industrie als dominantem Bereich des Produktivismus zwar eine weitaus marginalere Rolle zu, dennoch findet man die für die Industriemoderne typische Aufgaben- und Rollenzuweisung an Männer und Frauen auch in den Organisationen des Nonprofit-Sektors. Während die Männer in der Öffentlichkeit stehen und die Leitungs- und Führungsebenen der Organisation dominieren, sind die nachgeordneten Bereiche der Dienstleistungserstellung, der helfenden, pflegenden oder auch rein administrativen Tätigkeiten für die Frauen reserviert. Nicht von ungefähr liegt der Frauenanteil der Beschäftigten im Nonprofit-Sektor deutlich über dem anderer Bereiche der Wirtschaft. So ist der Sektor mit seinen sozialen und karitativen Einrichtungen analog zur Familie ebenfalls dem Bereich der Schattenwirtschaft' zu zurechnen, die funktional betrachtet unter der Logik der Industriereproduktion von Arbeitskraft steht. Hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Images wird der Arbeitsteilung im Nonprofit-Sektor daher im Vergleich zu den sogenannten produktiven Bereichen der Wirtschaft ein niedrigerer Stellenwert eingeräumt. Hinzu kommt, dass der Sektor die Erwerbszentriertheit der unentgeltlichen Arbeit insofern negiert, als seine Organisationen typischerweise auf unentgeltliche Arbeit rekurrieren und diese sogar als Definitionskriterium, Spezifikum, ja als Proprium heranziehen" (Zimmer/Priller 1998: 276).

Es ist insofern die Frage, ob die Behauptung, der Dritte Sektor schaffe die Arbeitsplätze, die in der Industrie wegfallen, haltbar und in dieser simplen Form relevant für die Diskussion über die Zukunft der Nacharbeitsgesellschaft ist. Eine solche einfache Gleichung wäre sogar schädlich für die innere Entwicklung des Dritten Sektors, weil so lediglich auf die Quantität, nicht aber auf die Qualität der dort entstehenden Arbeitsplätze abgehoben würde. Hier ist die Kritik von Birkhölzer (in diesem Heft) sehr berechtigt.

Das uneinheitliche Bild des Dritten Sektors - das zweite Problem

Die Forschungen im Johns-Hopkins-Projekt haben deutlich gemacht, dass weder von einem geschlossenen Funktionssystem "Dritter Sektor" gesprochen werden kann noch dort überhaupt ein Sektor-Bewußtsein besteht. Auch die Theoriebildung ist noch zu wenig ausgearbeitet (vgl. dazu Bauer 1995; Anheier et al. 1998; Priller et al. 1999). Der dominante Teil des Sektors wird von dem korporatistisch eingebundenen System der großen "Freien" Träger und ihrer Verbände gebildet. Abhängig von staatlicher Finanzierung und eingebunden in das Regelwerk des Subsidiaritätsprinzips haben diese für den Staat und zu seinen Bedingungen Aufgaben im Sozialbereich übernommen. Hier sind zwischen 1990 und 1995 die größten Stellenzuwächse feststellbar. Die AutorInnen der Studie resümieren kritisch, dass dieser Bereich durch seine monopolistischen Strukturen, durch Filz- und Staatsnähe und durch übergroße Abhängigkeit von staatlichen Mitteln weder konfliktfähig noch innovativ ist, sondern im wesentlichen systemstabilisierend arbeitet. Alle Projektion bezüglich einer Redemokratisierung und Entwicklung der Bürgergesellschaft können auf diesen großen Bereich kaum zutreffen. Die entsprechenden Hoffnungen konzentrieren sich auf den zahlenmäßig kleineren Teil der Bereiche Kultur, Freizeit und Sport. In diesem eher staatsfernen Teil des Dritten Sektors, der sich zu großen Teilen ehrenamtlich und freiwillig organisiert und seine Mittel primär aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen deckt, sollen nun also die neuen zivilgesellschaftlichen Kräfte vorhanden sein, die die Entwicklung der Demokratie voranbringen können, wobei die großen und einflussreichen NGO gerne als Beispiel genommen werden (z.B. Greenpeace). Von seiner ökonomischen Potenz her fällt dieser Bereich des Nonprofit-Sektors im Vergleich zu dem der sozialen Diensten und dem Gesundheitsdienst kaum ins Gewicht.

"Der Nonprofit-Sektor, dessen Organisationen mehrheitlich freiwillige Vereinigungen, also Vereine, Genossenschaften, Projekte und Initiativen darstellen, rückt damit ins Zentrum aktueller demokratietheoretischer Überlegungen. Als institutioneller Kern der Zivilgesellschaft wird an ihn die Erwartung gerichtet 'die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufzunehmen, zu kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterzuleiten' (Habermas 1992: 443). Während bei Habermas vor allem die Funktion der Interessenvermittlung im Vordergrund steht, weist Putnam (1993: 90) den Organisationen im Nonprofit-Sektor darüber hinaus einen zentralen Stellenwert für die individuelle Identitätsbildung bzw. die Ausbildung einer bürgerschaftlichen Gesinnung sowie eines Zugehörigkeits- und Selbstwertgefühls zu, womit auf die normativen Dimensionen von Demokratie Bezug genommen wird, wie sie etwa von Rorty (1997) in seinem Plädoyer für die 'Herrschaft der Brüderlichkeit' postuliert wird" (Zimmer/Priller 1998: 260).

Die AutorInnen bezweifeln, ob die Ergebnisse der Studie diesen hohen Anspruch zulassen. Denn zum einen wird allerorten eine zunehmend hedonistische Spaßkultur konstatiert, ablesbar am Mitgliederschwund der traditionellen Organisationen und dem Zuwachs der Spaßbereiche Sport, Spiel und Freizeit. Die meisten der vielen neuen Vereine folgen eher der Produzenten-Konsumenten-Logik, als dass sie für sich in Anspruch nehmen würden, soziales Engagement zu ermöglichen. Sie vertreten in erster Linie ihr eigenen Interessen und sind eher selten im Einsatz für politische, soziale oder kulturelle Veränderungen aktiv. Mitverantwortung übernehmen und Subjekt seines eigenen Handelns zu sein, sind allerdings Qualitäten, die das Engagement in Vereinen heutzutage am besten charakterisieren. Etliche neuere Organisationen verbinden die individualistische, manchmal auch hedonistische Einstellung ihrer Mitglieder mit sozialem Engagement, wie z.B. die Freiwilligenagenturen. Hier werden primär nicht Bindungen gesucht oder eingegangen, sondern jeder bestimmt sein Engagement selbst und kann in diesem individuell konzipierten Rahmen für sich interessante Tätigkeiten finden. "Insofern bieten diese Partizipationsformen durchaus eine realistische Chance, 'die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Gemeinsamkeit in Einklang' (Beck 1997: 12) zu bringen" (Zimmer/Priller 1998: 264). Anspruch und Hoffnung, der Dritte Sektor könnte der "soziale Kitt" in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft sein, müssen vorläufig mehr als skeptisch betrachtet werden. Der Dritte Sektor ist eh nicht gemeint. Und der kleinere Teil staatsunabhängiger Vereine scheint vorläufig mit sich und den Interessen seiner Mitglieder mehr beschäftigt zu sein als mit dem Engagement für eine bürgerschaftliche Demokratie oder eine Politik des Sozialen. Wenn allerdings überhaupt kritisches Potential vorhanden sein könnte, dann in diesem kleinen Teil des Dritten Sektors, zu dem die politisch motivierten Gruppierungen ebenso gehören wie Selbsthilfegruppen und die institutionalisierten Reste der neuen sozialen Bewegungen.

Hoffnung für die "Zivilgesellschaft"?

Die vorläufig letzte Dimension der Kritik bezieht sich grundsätzlich auf die Funktion des Dritten Sektors, vor allem seines in Deutschland dominanten Teils der Wohlfahrtsorganisationen und -verbände im Kontext der Entwicklung des Sozialstaates.

Im historischen Rückblick analysiert Rudolph Bauer (1995: 71f.) die Dimensionen dieses gesellschaftlichen Bereiches:

"Die korporatistisch eingebundenen Wohlfahrtsverbände waren - und sind bis heute - ein wichtiges sozialpolitisches Instrument des deutschen Sozialstaates. Als Kontroll- und Steuerungsmedien erweisen sich Geld und Recht. (...) Auf der Basis der Ergebnisse historischer Analysen im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege kann die Frage bejaht werden, ob dem Staat eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Förderung der deutschen Nonprofit-Organisationen zugekommen ist. Umgekehrt ist allerdings auch die gesellschaftspolitisch stabilisierende, sozial integrierende und staatsfördernde Rolle der Nonprofit-Organisationen von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Deutsche Nonprofit-Organisationen handeln, wenn sie staatlich anerkannt sind, staatsorientiert und staatstragend. Im wesentlichen ist das Verhältnis von anerkennendem' Staat und anerkannten' Nonprofit-Organisationen deshalb durch den Korporatismus-Ansatz theoretisch zureichend und treffend beschrieben, nämlich als ein herrschaftlich regulierter Pakt auf Gegenseitigkeit'. Von diesem Pakt weitgehend (wenn auch nicht gänzlich) ausgeschlossen und deshalb in ihrer Entwicklung beeinträchtigt waren bzw. sind diejenigen Ansätze freiwilliger Organisationen, welche kritische, innerhalb der staatlichen Ordnung unerwünschte oder gesellschaftlich alternative Konzepte vertreten und sich nicht bereitwillig in den etablierten Institutionsrahmen konzertierter Aktionen' einordnen lassen. Insoweit erschwert und behindert der Staat des korporatistischen Paktierens die Entwicklung einer anderen als der vorherrschenden konservativ-etatistischen Orientierung des Großteils der Nonprofit-Organisationen."

Damit wird klar, dass die gesellschaftliche Funktion des Dritten Sektors vor allem in der Legitimationssicherung des politischen Systems begründet liegt, das zur Lösung sozialer Probleme aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage ist. Auch die Funktion als intermediäre Instanz, die dem Dritten Sektor gerne zugeschrieben wird, muss kritisch betrachtet werden, denn hier geht es immer auch um Machtfragen.

"Die gesellschaftlich-institutionellen Arrangements der zwischen Markt und Staat angesiedelten Nonprofit-Organisationen sind jedoch nicht nur Vermittlungsinstanz, sondern sie bilden in dieser Eigenschaft auch besondere Nischen innerhalb der Gesellschaft. Die Nonprofit-Organisationen reduzieren als erfolgreich scheiternde' (Seibel 1992) die Kontrollwirkungen marktlicher und verfassungsstaatlicher Strukturen und erleichtern so den Umgang mit unlösbaren Problemen" (Bauer 1995: 84).

Ähnliches lässt sich auch für die Vermittlung zwischen den persönlichen und den bürokratischen Welten feststellen. Organisationen des Dritten Sektors tragen zur Überbrückung der "Entkoppelung von System und Lebenswelt" (Habermas 1981) bei. NPO des Dritten Sektors sind also relativ eindeutig an der Entschärfung sozialstruktureller Interessenwidersprüche beteiligt, noch weitergehend: Sie verhindern sogar Entwicklungen.

"Intermediäre Nonprofit-Organisationen tragen dazu bei, Partizipation zu verhindern und Veränderungsprozesse zu blockieren. Diese Aussage steht zwar im Widerspruch zu denjenigen, die behaupten, dass die Nonprofit-Organisationen durchaus partizipative und emanzipatorische Chancen eröffnen. Aber dieser Widerspruch existiert nur scheinbar, weil dabei der jeweilige historische und gesamtgesellschaftliche Kontext ausgeblendet wird" (Bauer 1995: 86).

Das Wachstum neuer Organisationen im Dritten Sektor, das im Johns-Hopkins-Projekt so deutlich geworden ist, lässt sich im historischen Vergleich relativ leicht erklären. Immer dann, wenn die Homogenität einer gesellschaftlichen Formation aufbrach und Krisen der Vergesellschaftung hervortraten, wuchs die Bedeutung solcher Organisationen stark an. Im 19. Jahrhundert, während des ersten Weltkrieges und nach dem zweiten Weltkrieg waren entsprechende Entwicklungen zu beobachten. Die gegenwärtigen Umbrüche der zweiten Moderne mit der Veränderung der Arbeitsgesellschaft und dem Umbau des Sozialstaates sind ebenfalls Nährboden für Organisationen, die von Staat und Markt vernachlässigte Bereiche bearbeiten.

Bilanz

Die neuere Forschung über den Dritten Sektor hat mehrere positive Effekte bewirkt: Die Binnenstruktur des Dritten Sektors, die dort vorhandenen Kapazitäten, die Verfasstheit, die Finanzierung und das Verhältnis zum Staat sind erkennbar geworden. Darin liegt wahrscheinlich das momentan größte Verdienst dieser Forschung. Man weiß jetzt, worüber man reden kann, jedenfalls quantitativ. Daraus aber lassen sich die oben angedeuteten Hoffnungen und Projektionen der innovativen Kraft für gesellschaftliche Entwicklungen nicht ableiten. Sehr viel intensiver müsste man, wie es ansatzweise auch schon geschehen und zitiert worden ist (vgl. Zimmer 1998), auf die interne Motivation und die Aufgabenstellung der einzelnen Bereiche innerhalb des Dritten Sektors eingehen. Zwischen Greenpeace, Spendenparlamenten, Partizipationsprojekten, Hinz&Kunz, Stadtteilläden, Wohnprojekten oder Arbeitsloseninis und den 'normalen' Vereinen liegen Welten. Diesen Organisationen wird man nicht gerecht, wenn man sie unter das Label "Dritter Sektor" subsumiert. Die zivilgesellschaftlichen Ansprüche an den Dritten Sektor müssen also noch sehr viel genauer untersucht und beobachtet werden.

Die wohlfeile Reduktion auf die "Jobmaschine" Dritter Sektor bleibt in der Logik der lohnarbeitszentrierten Arbeitsgesellschaft und in der traditionellen Geschlechterhierarchie verfangen. Ob der Dritte Sektor ein qualitatives Innovationspotential in diesem Sinne hervorbringen wird, ist nicht absehbar. Bisher weist wenig darauf hin. Die Debatte um diesen gesellschaftlichen Bereich, der weder einheitlich ist, noch so konstruiert oder gedacht werden sollte, bleibt aber interessant. Die aufgefächerte Empirie hat für die weitere Diskussion deshalb eine wichtige Grundlage gelegt.

Literatur

Anheier, Helmut K.; Priller, Eckhard; Seibel, Wolfgang; Zimmer, Annette (Hg.) 1998: Der Dritte Sektor in Deutschland. Organisationen zwischen Markt und Staat im gesellschaftlichen Wandel. Berlin

Artus, H. M. 1993: Sozialwissenschaftliche Vereinsforschung im deutschsprachigen Raum: Eine integrierte Literatur- und Forschungsdokumentation. In: Best, H.: Vereine in Deutschland. Bonn, S. 251-564

Bauer, Rudolph 1995: Nonprofit-Organisationen und NPO-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: R. Schauer; H.K. Anheier; E.-B. Blümle: Nonprofit-Organisationen (NPO) - dritte Kraft zwischen Markt und Staat? Linz, S. 59-96

Beck, Ulrich 1997: Kinder der Freiheit. Frankfurt/Main

Beck, Ulrich 1999: Schöne neue Arbeitswelt - Vision: Weltbürgergesellschaft. Frankfurt/Main, New York

Birkhölzer, Karl 1999: Das 3. System als innovative Kraft. Unveröffentlichtes Manuskript

Brumlik, Micha 1994: Der Kommunitarismus - Letzen Endes eine empirische Frage? In: Zahlmann, Christel: Kommunitarismus in der Diskussion. Eine streitbare Einführung. Berlin, S. 94-100

Dettling, Warnfried 1995: Politik und Lebenswelt: Vom Wohlfahrtsstaat zur Wohlfahrtsgesellschaft. Gütersloh

Giddens, Anthony 1997: Jenseits von Links und Rechts. Frankfurt/Main

Habermas, Jürgen 1992: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt/Main

Honneth, Axel (Hg.) 1993: Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften. Frankfurt/Main

Priller, Eckhard; Zimmer, Annette; Anheier, Helmut K. 1999: Der Dritte Sektor in Deutschland. Entwicklungen, Erwartungen, Potentiale. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B9. Bonn

Putnam, R. 1993: Making Democracy Work. Civic Traditions in Modern Italy. Princeton/NJ

Rifkin, Jeremy 1995: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Frankfurt/Main, New York

Rorty, Richard 1997: Die Herrschaft der Brüderlichkeit. Plädoyer für eine Gesellschaft, die nicht auf Rechten, sondern auf Uneigennützigkeit beruht. In: Leviathan 1, S. 1-8

Zimmer, Annette; Priller, Eckhard 1998: Zukunft des Dritten Sektors in Deutschland. In: Anheier et al., S. 249-283

Zimmer, Annette et al. 1999: Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen Wandel - Ergebnisse einer Organisationsbefragung. Münster, Berlin

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