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Heft 70: abseits fallen - Abstieg bis zum Ausschluß?

1998 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 70
  • Dezember 1998
  • 108 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-293-8

Peter Bartelheimer

Durchmischen oder stabilisieren?
Plädoyer für eine Wohnungspolitik diesseits der "sozialen Durchmischung"

Soziale Mischung - als Ziel zu ehrgeizig und zu dürftig

Die Wirkungen kommunaler Wohnungspolitik werden - planvoll oder als blindes Ergebnis einzelner "Fachpolitiken" - von vielen Akteuren gemeinsam erzeugt. Wo aber viele agieren, können sich gewollte soziale Qualitäten des Wohnens nur einstellen, wenn alle beteiligten Instanzen ihre Arbeit an einem gemeinsamen Leitbild und daraus abgeleiteten Qualitätszielen orientieren. Geteilte Leitbilder und geklärte Ziele ändern zwar nichts daran, daß die Hauptakteure - Wohnungswirtschaft, Bauleitplanung, Wohnungsämter, soziale Ämter, und Wohnungslosenhilfe - unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Interessen verfolgen. Sie ermöglichen aber die rational begründete Entscheidung von Zielkonflikten und die Aushandlung tragfähiger Vereinbarungen über die Rolle, die jeder dieser Akteure in einem System kommunaler Wohnhilfen übernehmen soll.

Fragt man die verschiedenen Instanzen des Wohnhilfesystems nach den Zielen, die sie verfolgen, so erweist sich eines vor allen anderen als konsensfähig: die Herstellung oder der Erhalt "ausgewogener" oder "sozial durchmischter" Bewohnerstrukturen durch eine entsprechende Politik der Wohnungsbelegung. Daß verschiedene soziale Gruppenrsich das gleiche Wohnquartier teilen sollen, scheint zum Kern dessen zu gehören, was bundesdeutsche Akteure sich unter einer "sozialen Stadt" vorstellen. Das hohe Gewicht, das der "Durchmischung" im spezifisch deutschen Bild sozialer Integration zukommt, mag viele Ursachen haben: den Ingenieursglauben an die Planbarkeit des "sozialen Raums" (Bourdieu), die Erleichterung des deutschen Bürgertums über die Auflösung des Arbeitermilieus, die schlechten Erfahrungen der Stadtplaner mit der räumlichen Trennung von Arbeiten und Wohnen im Sinne der Charta von Athen, und nicht zuletzt die Sorge, benachteiligte Gruppen durch räumliche Eingrenzung erst zum Gegenstand sozialer Ausgrenzung zu machen.

Sieht man jedoch näher hin, so ist die Zielvorstellung sozialer Durchmischung zugleich zu ehrgeizig und zu dürftig, als daß sich kommunale Wohnungspolitik daran ausrichten könnte. Zu ehrgeizig, weil die ohnehin sehr begrenzten Möglichkeiten städtischer Politik, die individuelle Wohnortwahl von Haushalten zu beeinflussen, zu keinem Zeitpunkt in der Nachkriegsentwicklung so gering waren wie heute. Zu dürftig, weil sie als unbestimmter Formelkompromiß, der die Festigkeit eines Vorurteils angenommen hat, unter der Hand längst zum Tarnargument für alle widerstreitenden Interessen geworden ist, die auf den lokalen Wohnungsmarkt einwirken. In die Sprache der Planung und Steuerung übersetzt: Was "ausgewogene Bewohnerstrukturen" sind und wie man sie erreicht, läßt sich weder zu Programmen und Maßnahmen operationalisieren noch als meßbarer Effekt evaluieren. Die Akteure wissen das auch, und gerade darin liegt vermutlich für sie der Reiz der Formel.

"In einer hierarchisch eingeteilten Gesellschaft gibt es keinen Raum, der nicht auch hierarchisch eingeteilt wäre und soziale Hierarchien und Abstände zum Ausdruck bringen würde" (Bourdieu 1993: 251; Übers. P.B.). Daher läßt sich der Grad sozialer Spaltung auch an den Strukturen sozialräumlicher Ungleichheit ablesen, die moderne Städte prägen, und dies hat die Stadtsoziologie von Friedrich Engels' (1972) Schilderung der Lage der arbeitenden Klasse in England über Robert Ezra Parks (1926) Studien zur Segregation in Chicago bis hin zu der gegenwärtigen Diskussion über das Entstehen einer "neuen städtischen Unterklasse" (Häußermann 1997) immer wieder getan. Doch gibt es ebenso viele Beiträge, die den Vorteilen eines konzentrierten gemeinsamen Wohnens benachteiligter Minderheiten das Wort reden, wie solche, die dies als problematisch werten. In der Regel reden die Sozialwissenschaftler, die statistisch über Segregation forschen, und jene, die über sozialen Ausschluß forschen, wortreich aneinander vorbei, und eine allgemeine Antwort auf die Frage, wann die räumliche Separierung benachteiligter Gruppen zu einer eigenständigen Ursache ihrer sozialen Ausgrenzung wird und unter welchen Umständen sie vielmehr ein chancenreicher Ausgangspunkt ihrer Integration in die Stadtgesellschaft sein kann (Dangschat 1998), kann es wohl gar nicht geben.

Schon vor 22 Jahren erklärten Stadtsoziologen den endlosen Streit um das Für und Wider sozialer Durchmischung entnervt für "hilflos", weil er sich "auf zwei unthematisierten und höchst fragwürdigen Prämissen" erhebe: Es gebe erstens "ein wissenschaftlich in Erfahrung zu bringendes Optimum gesunder' Sozialstruktur als quantifizierbares Mischungsverhältnis' von erfaßbaren Schichten in einer bestimmten optimalen räumlichen Anordnung", zweitens könne "das gewonnene wissenschaftliche Mischungskonzept (...) planungspraktisch durchgesetzt werden" (Hiss et al. 1976: 45). Die falsch gestellte Gretchenfrage nach dem Glaubensartikel soziale Mischung behindert bis heute eher die konkrete Untersuchung der Handlungsbedingungen in städtischen Sozialräumen, als daß sie diese anleiten könnte.

Auch wissenschaftlich ungesicherte Konzepte können praktisches Handeln orientieren, wenn sie rechtlich festgeschrieben oder in Erfahrungswissen begründet sind. Doch nicht einmal das läßt sich vom Ziel sozialer Mischung behaupten. Daß Stadtplanung und Wohnungsbauförderung "einseitige" oder "unausgewogene" soziale Strukturen vermeiden sollen, findet sich zwar als gesetzliche Norm im Baugesetzbuch (BauGB), im II. Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG), im Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) und in Landesverordungen zur Wahrnehmung öffentlicher Belegungsrechte, doch bezeichnenderweise stets als unbestimmter Rechtsbegriff. Es bleibt ins Ermessen der lokalen Akteure gestellt, was sie in der politischen Umsetzung darunter verstehen wollen. Diese Unbestimmtheit verträgt sich schlecht mit der Schlüsselstellung, die der sozialen Durchmischung für die Integrationskraft von Wohnquartieren beigemessen wird.

Wann eine Bewohnerstruktur "ausgewogen" ist, wird sozial höchst selektiv interpretiert. In der Praxis wird einseitig und scheinbar willkürlich die räumliche Konzentration von Migranten und Beziehern von Sozialtransfers im sozial gebundenen Wohnungsbestand für unerwünscht erklärt. (1) Dies geschieht in bundesdeutschen Städten vor allem durch Festlegung von Obergrenzen (Quoten), bis zu denen Bewerber aus diesen besonders benachteiligten Gruppen bei der Belegung freier Wohnungen der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft berücksichtigt werden. Solche kommunalen Vergaberichtlinien stehen zwar in der Tradition des deutschen Sozialwohnungsbaus, der nicht für Arme und Ausgegrenzte konzipiert war. Sie haben aber ungesteuerte Konzentrationen dieser Gruppen in restgenutzten Altbaubeständen oder Sonderunterkünften der Wohnungslosenhilfe zur unvermeidlichen Folge. Dagegen erregt das Bedürfnis deutscher Familien oder Besserverdienender, in ihren Wohnquartieren unter sich zu bleiben und räumliche Distanz zu Gruppen mit besonderen sozialen Risiken zu wahren, selten Anstoß, obwohl es dem Ziel sozialer Mischung entgegensteht.

Die "soziale Mischung" fest im Blick - das Beispiel Frankfurt

Als Ende 1994 die Arbeit am ersten Frankfurter Sozialbericht begann, waren die örtlichen Praktiker auf keinem anderen Berichtsfeld so fest überzeugt, "die Probleme ja zu kennen", wie auf dem Feld der Wohnhilfen. Niemand erwartete ernstlich, von der Sozialberichterstattung in der eigenen Problemwahrnehmung erschüttert oder korrigiert zu werden. Hätte man sich damals allein daran orientiert, was die politischen Gremien der Stadt und die Wohnungsunternehmen von 1994 bis 1996 vordringlich beschäftigte, so konnte man für diesen Zeitraum nur zu dem Schluß kommen, in Frankfurt drohe vor allem eine Überforderung der Wohnungsbestände mit sozialem Versorgungsauftrag (die etwa ein Drittel aller Frankfurter Wohnungen ausmachten) durch wachsende Konzentrationen nichtdeutscher, sozialhilfebedürftiger oder auffälliger Mieter, und nur die Lockerung des städtischen Vorschlagsrechts für frei werdende Wohnungen der ehemals gemeinnützigen Unternehmen könne dem Einhalt gebieten.

In diesen zwei Jahren wurde gleich zweimal der "Frankfurter Vertrag" von 1974 geändert, der den gesamten öffentlichen Wohnungsbestand der Stadt auch nach Auslaufen der gesetzlichen Bindungen zur Versorgung von Wohnungssuchenden in den Einkommensgrenzen des sozialen Wohnungsbaus bestimmte und dem Wohnungsamt das Recht gab, für frei gemeldete Wohnungen einen nach sozialer Dringlichkeit ausgewählten Bewerber zu benennen.

  • 1994 ging die Stadt gegenüber den Vertragsgesellschaften auf die gesetzliche Mindestregelung zurück, der vermietenden Gesellschaft drei Bewerber zur Auswahl vorzuschlagen. Für Wohnungen, die nicht mehr der gesetzlichen Bindung unterlagen, wurden Wohnungssuchende mit Einkommen bis zu 100% über den Grenzen für Sozialwohnungen berücksichtigt, 10% dieser Bestände wurden von der Belegungsbindung befreit. Gleichzeitig wurden Quoten für eine "sozialverträgliche Belegung", festgeschrieben (30% Nichtdeutsche, 15% Sozialhilfebezieher und 10% Aussiedler, 25% andere Bewerber aus dem umgebenden Stadtteil).
  • 1996 beschränkte die Stadt ihr Vorschlagsrecht zunächst für zwei Jahre auf den rapide abnehmenden Wohnungsbestand, der noch gesetzlichen Sozialbindungen unterlag. Für Wohnungen, deren Fördermittel getilgt waren, konnten die Wohnungsunternehmen nun ihre Mieter frei wählen, wobei sie die freiwillige Selbstverpflichtung eingingen, diese Wohnungen "vordringlich" an Sozialwohnungsberechtigte zu vergeben. (2)

Als im Gallusviertel, einem innenstadtnahen Altbauviertel mit hohem Anteil Nichtdeutscher, Sozialhilfebezieher und Arbeitsloser, neue Blocks des sozialen Wohnungsbaus fertiggestellt wurden, scheiterte die Belegung nach dem Quotenverfahren daran, daß die meisten deutschen Bewerber die nagelneuen Wohnungen ausschlugen. Als die städtische Wohnungsholding ab 1995 in größerem Umfang ehemalige US-Wohnsiedlungen zu Vorzugspreisen vom Bund erwarb, handelte sie abweichend von den Vorgaben des Bundeshaushalts aus, 40% dieser Wohnungen nicht wie Sozialwohnungen behandeln zu müssen, sondern an Bewerber mit höheren Einkommen vergeben zu können. Diese energischen Bemühungen um "soziale Durchmischung" verfestigten zunächst bei den gutsituierten Bewohnern angrenzender Viertel die Befürchtung, in den US-Housing Areas entstünden "soziale Brennpunkte", von denen Gefahren einer großflächigen Ghettobildung ausgingen. Gegen den Einzug der ersten Sozialmieter entstanden Bürgerinitiativen, die sich erst nach beruhigenden Auftritten von Kommunalpolitikern wieder auflösten. In vielen US-Siedlungen zogen nun Bewohner ein, die bereit waren, sich aktiv an der Verbesserung des Wohnumfelds und am Entstehen nachbarschaftlicher Beziehungen zu beteiligen, und hierfür soziale Kompetenz und Ressourcen mitbrachten. Doch indem man der "richtigen" Belegung der Siedlungen so viel Aufmerksamkeit widmete, bemerkte man erst nach Bezug der Wohnungen, daß diese zum Teil extrem hohe Belastungen mit DDT sowie mit krebserregenden PAK (polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen) aus Parkettklebern aufwiesen. Da die städtische Wohnungsholding bis heute weder Sanierungszusagen gemacht noch ein Sanierungskonzept mit den Mietern und der Bundesvermögensverwaltung abgestimmt hat, blieben die Potentiale der Bewohnerinitiativen ungenutzt und kehren nun insbesondere deutsche junge Familien mit Kindern, deren Einzug als Zeichen gelungener sozialer Mischung gewertet worden war, den Siedlungen wieder den Rücken.

Während in der Frankfurter Wohnungspolitik das Ringen um ausgewogen gemischte Bewohnerstrukturen durch ausgeklügelte Belegungsstrategien alle in Atem hielt, kam der Sozialbericht aufgrund einer systematischen Auswertung aller Daten, die für eine städtische Wohnungsmarktbeobachtung verfügbar waren, zu einer ganz anderen Gewichtung der sozialen Risiken und Probleme (Bartelheimer 1997; 1998).

Die statistische Segregationsanalyse für 111 statistische Bezirke ergab einen differenzierteren und weniger dramatischen Befund:

"Die wesentlichen Muster sozialräumlicher Ungleichheit sind offenbar über einen sehr viel längeren Zeitraum vor Beginn der hier untersuchten kurzen Zeitspanne (1987 bis 1993/94) entstanden und ändern sich nur langsam. Die rasche Verdichtung sozialer Probleme in ganzen Stadtbezirken blieb bisher die Ausnahme; vielmehr sind die Stadtbezirke mit hoher sozialer Belastung noch in vieler Hinsicht inhomogen" (Bartelheimer 1997: 320).

Unter den dreißig Stadtbezirken, in denen sich soziale Risiken besonders häuften, fanden sich nur sechs, deren relative soziale Stellung sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert hatte. Herrschte in zwanzig der Bezirke am unteren Ende der sozialräumlichen Hierarchie eher eine "stabile", über Jahrzehnte gewachsene Risikobelastung, so ließ sich eine dynamische Entmischung eher in den sozial besonders begünstigsten Gebieten feststellen, die vielfach auf dem Weg zu homogenen Wohlstandsinseln schienen: Von 24 Stadtbezirken mit extrem geringen sozialen Risiken verbesserten 14 ihre relative soziale Stellung, sie schlossen sich also erfolgreich von den allgemein wachsenden sozialen Problemen der Gesamtstadt ab. Überdurchschnittlich hohe Zuwachsraten z.B. beim Sozialhilfebezug fanden sich vorwiegend in Stadtbezirken mit bislang niedrigen Sozialhilfedichten.

Auch der statistische Zusammenhang zwischen Sozialhilfebezug und Segregation von Einwohnern ohne deutschen Paß war weniger eindeutig, als es die Frankfurter Quotenpolitik unterstellt: In den Stadtbezirken, die besonders hohe Anteile nichtdeutscher Wohnbevölkerung aufweisen, beziehen nämlich nicht etwa diese überdurchschnittlich häufig Sozialhilfe, sondern vielmehr die deutschen Bewohner, die dort in einigen Fällen die Minderheit bilden. Parallel zur Sozialraumanalyse des Sozialberichts kam eine stadtsoziologische Untersuchung der Wohnorte Nichtdeutscher zu dem Ergebnis, die Segregation der verschiedenen nichtdeutschen Nationalitäten Frankfurts habe sich in zehn Jahren nicht erhöht und liege weit unter den Vergleichszahlen für andere westeuropäische und westdeutsche Städte. Auch in den Stadtbezirken mit hohen nichtdeutschen Bevölkerungsanteilen findet sich keine Dominanz einzelner Nationalitäten (Hennig et al. 1997).

Von den Sozialhilfebeziehern, die von der städtischen Politik in gefährlicher Konzentration im Sozialwohnungsbestand vermutet werden, lebten immerhin die Hälfte in Stadtbezirken, die im statistischen Sinne sozial durchmischt sind oder die sich der gesamtstädtischen Risikobelastung erst angleichen. Die meisten Stadtbezirke, die von Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus geprägt sind (3), erwiesen sich nicht als überfordert, sondern zählten zu den Gebieten mit niedrigem sozialen Risiko. Hinweise auf eine besondere Segregation dieser Siedlungen finden sich in der Meldestatistik nicht: Nur in 14 der 71 Sozialsiedlungen liegt der Anteil nichtdeutscher Bewohner über dem städtischen Durchschnitt (Schröpfer 1996). Laut Statistik der Ausgleichsabgabe zum Abbau der Fehlsubventionierung fanden sich 1995 unter 47.000 Haushalten von Sozialmietern nur 5.800 Bezieher von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder Wohngeld; unter Berücksichtigung der Neumieterhaushalte, deren Einkommen in den drei Jahren nach ihrem Einzug nicht überprüft werden, dürfte mithin der Anteil der Sozialhilfebezieher im Sozialwohnungsbestand recht genau der städtischen Quotenvorgabe von 15% entsprechen. Auch unter den unversorgten Bewerbern für eine Sozialwohnung machten Sozialhilfebezieher 1995 nur 12,5% aus.

Als weitaus bedeutsamer erwiesen sich dagegen nach den Befunden der Sozialberichterstattung zwei Problemfelder, von denen in der Frankfurter Wohnungspolitik dieser Jahre selten die Rede war, nämlich die vom Wohnungsmarkt ausgehenden Einkommensrisiken und die ungesteuerten Effekte eines weitgehend planlosen Wohnhilfesystems.

"Noch erfährt die überwiegende Mehrheit der Frankfurter Haushalte die Risiken des Wohnungsmarkts vor allem als Einkommensrisiko" (Bartelheimer 1997: 36). In der ersten Hälfte der neunziger Jahre mußte mindestens jeder sechste Frankfurter Haushalt 40% und mehr seines verfügbaren Einkommens für die Bruttokaltmiete aufwenden. Während noch gut ein Viertel der Frankfurter Mieter günstige Mieten von unter 9 DM/qm zahlte, hatten sich die Wiedervermietungsmieten von 1987 bis 1995 gerade im zuvor preisgünstigen Altbaubestand verdoppelt: "Die große Spannweite zwischen Bestands- und Bewegungsmieten macht Wohnungswechsel zum sozialen Risiko" (Bartelheimer 1997: 36). Die Konkurrenz um das knappe Gut Wohnen - der rechnerische Fehlbestand war von 1987 bis 1995 von 26.500 auf 45.600 gestiegen - wird über den Mietpreis ausgetragen. Diese Konkurrenz wird durch einen rapiden Schwund der gesetzlichen Mietpreis- und Belegungsbindung verschärft: Zwischen 1990 und 2000 sinkt der Bestand an Sozialwohnungen von 75.000 auf etwa 36.300.

Hatte jeder Frankfurter 1995 im Durchschnitt etwa 34 qm und 1,8 Räume zur Verfügung, so war die tatsächliche Versorgung stark vom Geldbeutel, von der Haushaltsgröße und vom Paß abhängig. Haushalte in Armutsnähe und Haushalte Nichtdeutscher müssen mit Wohnflächen deutlich unter dem Durchschnitt auskommen. Ein Drittel der größeren Haushalte (vier Personen und mehr) wohnt beengt, und trotzdem sind 20,8% der Vier-Personen-Haushalte und 23,5% der Großfamilien in Mietnot, ihre Wohnkosten machen mehr als 40% des verfügbaren Einkommens aus. Bezieher von Sozialhilfe wohnen um durchschnittlich 2,50 DM teurer als andere Wohngeldbezieher, dabei aber eher in kleineren und schlechter ausgestatteten Wohnungen als diese. Während die hohen Mieten Wege aus der Sozialhilfe blockieren, erreichten die Kosten der Unterkunft 1994 41% des städtischen Bruttoaufwands an Hilfe zum Lebensunterhalt.

Migrantenhaushalte mit Kindern sind am Wohnungsmarkt am stärksten benachteiligt: sie verfügen über weniger Wohnfläche als deutsche Haushalte gleicher Größe, und Nichtdeutsche sowie Großfamilien werden laut Maklerangaben von Vermietern besonders häufig abgelehnt. Daher standen fast 8% aller nichtdeutschen Haushalte 1995 als unversorgte Bewerber in der Kartei der städtischen Wohnungsvermittlung (gegenüber knapp 2% der deutschen Haushalte). Die geschilderte Quotenregelung bei der Bewerberauswahl für den belegungsgebundenen Bestand verstärkt die Benachteiligung dieser Haushalte, statt sie auszugleichen. So waren nichtdeutsche Bewerber mit einer Vermittlungsquote von 24,5% 1995 deutlich seltener erfolgreich als deutsche Wohnungssuchende (39,9%). 70,7% aller nichtdeutschen Großfamilien hatten länger als zwei Jahre auf eine Wohnung warten müssen, unter den deutschen Haushalten gleicher Größe nur 29,7%.

Etwa 7.150 Personen (über 1% der Wohnbevölkerung) mußten 1994 als nicht dauerhaft angemessen mit Wohnraum versorgt gelten. (4) Sie waren überwiegend in einem Hilfesystem für Wohnungslose untergebracht, das zwischen Wohnungslosen mit Anspruch auf eine Wohnung, Personen "mit besonderen sozialen Schwierigkeiten" und Flüchtlingen ohne Anspruch auf eigene Wohnung unterscheidet und das sich die behördliche Unterbringung und psychosoziale Betreuung dieser Gruppen 1994 - verteilt auf Stadt, Landeswohlfahrtsverband und Land - 1994 84,5 Mio. DM kosten ließ.

Das wohnungspolitische Kapitel des Frankfurter Sozialberichts zeigte somit die Punkte auf, an denen die Mechanismen des Wohnungsmarkts die Entwicklung sozialer Ungleichheit verstärkten, während die wohnungspolitisch Verantwortlichen zur gleichen Zeit ihre Hauptaufgabe darin sahen, die ungleichen sozialen Gruppen im städtischen Raum zu verteilen. Fast jede Handlungsempfehlung, die man aus den vorgestellten Befunden folgern konnte, läßt sich mit Hinweis auf das Ziel der sozialen Mischung abwehren. Den öffentlich gebundenen Wohnungsbestand stärker zur Versorgung von Sozialhilfebeziehern und behördlich untergebrachten Personen nutzen, um für die Stadt Kosten zu senken und für die Betroffenen Wege aus der Sozialhilfe zu ebnen? Damit "ghettoisiert" man Hilfebezieher, und die Bestände der Wohnungsunternehmen "kippen um"! Die Benachteiligung nichtdeutscher Familien am "freien" Markt besser ausgleichen? Damit fördert man die "Ghettobildung" - und damit auch die Ausländerfeindlichkeit!

Bezieht man in die Betrachtung ein, daß die wohnungspolitischen Akteure bei aller Einigkeit über die Formel der sozialen Durchmischung selbst höchst ungleich durchsetzungsstark sind, so zeigt der Formelkompromiß seinen sozialen Hintersinn. In Frankfurt sind die Zuständigkeiten für Wohnhilfen (5) auf vier Dezernate verteilt. Das Planungsamt ist für alle auf Neubau, Sanierung und Modernisierung bezogenen Hilfen einschließlich der Wohnungsbauförderung zuständig. Das Liegenschaftsamt verwaltet die stadteigenen Wohnungen. Das Wohnungsamt ist für die bestandsorientierten Maßnahmen zuständig, die sozialen Ämter (Sozial-, Jugend- und Ausgleichsamt) dagegen für präventive Wohnungssicherung und behördliche Unterbringung oder Anschlußversorgung von Wohnungslosen. Während das System kommunaler Wohnhilfen im Glauben an soziale Durchmischung fest bleibt, fällt es den verschiedenen Instanzen unterschiedlich leicht, dabei nach ihrer Fasson selig zu werden. Das Planungsamt kann die bei ihm ressortierten Aufgaben im Interesse "breiter Schichten" wahrnehmen, während Wohnungsamt und Wohnungswirtschaft bei der Bestandssicherung vor allem das Interesse verfolgen, in ihrem Marktsegment eine von ihnen gewünschte "ausgewogene" Bewohnerstruktur zu erhalten oder zu erreichen, auch wenn dadurch in anderen Beständen alles andere als "ausgewogene" Bewohnerstrukturen begünstigt werden. (6) Die sozialen Ämter und die freien Träger der Wohnungslosenhilfe dagegen haben weder direkten Zugang zum Normalwohnungsbestand noch Einfluß auf dessen Umfang. Sie tragen die Ansprüche einer eher unerwünschten Klientel, die teils gar nicht, teils prekär oder überteuert versorgt ist, anwaltschaftlich "von außen" an die anderen Ressorts heran, die lediglich untätig bleiben müssen, um diese abzuwehren.

Zwanzig Jahre sozialer Brennpunkt - Weitere verstörende Beobachtungen

Der in den sechziger und siebziger Jahren weitgehend neu gebaute Frankfurter Stadtteil Unterliederbach-Ost blickte Anfang der neunziger Jahre auf zwanzig Jahre Geschichte als sogenannter "sozialer Brennpunkt" zurück. 80% des Wohnungsbestands bilden Sozialwohnungen, die teils in räumlicher Nähe von 1973 offiziell in den Normalwohnungsbestand überführten "Übergangswohnstätten", teils in der Nähe einer Autobahn entstanden. Der Nassauischen Heimstätte gelang 1974 das bundesweit beachtete Experiment, an der A 66 von Frankfurt nach Wiesbaden mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus eine "bewohnte Lärmschutzwand" zu errichten, die als "Papageiensiedlung" bzw. "Engelsruhe" rasch die Frankfurter "Brennpunkt"-Folklore bereicherte.

Im Frankfurter Sozialbericht (Bartelheimer 1997: 341ff.) zählt der Stadtbezirk zu den Gebieten mit "Häufung sozialer Risiken" und "stabiler Risikobelastung". Stark überdurchschnittlicher Sozialhilfebezug, niedrige Einkommen, hohe Erwerbslosigkeit und schlechte Wohnungsversorgung tragen ihm beim Index sozialer Risiken stadtweit den achten Rang unter 111 Teilgebieten ein. Der Anteil Nichtdeutscher entspricht dem gesamtstädtischen Durchschnitt; prägend ist die Armut der deutschen Bewohner (einschließlich Aussiedler). Eine Straße bildet eine harte sozialräumliche Grenze zum alten Ortskern Unterliederbach-West, der eine gänzlich andere Bebauung und Bewohnerstruktur aufweist und zu den Stadtbezirken mit durchschnittlichem sozialen Risiko und "Risikoentlastung" zählt.

Wie die Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) schildern (7), bildet für viele Bewohner des östlichen Stadtteils Armut eine dauerhafte Lebensperspektive. Die Familien funktionieren nicht einmal mehr als Versorgungseinheit: Kinder kommen ungenügend bekleidet und hungrig in die Kindertagesstätten oder Schulen, Zeitstrukturen gehen verloren. Viele Jugendliche, in deren Erwartungshorizont Ausbildung und Beruf längst keine erreichbaren Ziele mehr darstellen, nehmen die materielle Umverteilung in die eigenen Hände. Die Siedlung sei seit ihrer Entstehung ein Wohnort für Benachteiligte gewesen, eine "soziale Mischung" sei nie gelungen. Mit der Belegung der frei werdenden US-Wohnungen, die sich auch in diesem Quartier finden, zogen erstmals seit langem wieder "Mittelschichtfamilien" zu, die aber inzwischen "alle wieder weg wollen". Auf die Nachfrage, ob denn die Arbeit der sozialen Ämter und Einrichtungen leichter würde, wenn diese Familien gehalten werden könnten, heißt es: Da die "alten" und die "neuen" Mieter nichts miteinander anfangen könnten, ändere ihr bloßes Zusammenwohnen nicht viel. Eine echte Hilfe für die soziale Arbeit stelle der gemeinsame Stadtteilarbeitskreis dar, in den auch Einrichtungen des materiell besser gestellten Westens Ressourcen einbrächten. Als die Befragten im Schlußteil des Interviews um spontane Assoziationen gebeten werden, erklären sie die "soziale Mischung" aber wieder für "ganz wichtig".

Tatsächlich steht die Entwicklung des Stadtteilarbeitskreises für einen interessanten Perspektivwechsel in der sozialen Arbeit. Bereits Mitte der siebziger Jahre wurde im Ostteil im Zuge der Auflösung der Obdachlosensiedlungen eine Spiel- und Lernstube mit Familienberatung und Gemeinwesenarbeit eingerichtet. Heute kommen Kinder in die Spiel- und Lernstube, deren Eltern als Kinder dort waren, und Mitte der neunziger Jahre stellte sich der Caritasverband als Träger der Einrichtung die Frage, warum das Quartier nach zwanzig Jahren Gemeinwesenarbeit immer noch eine problematische Bewohnerstruktur aufweist. Eine vom Stadtteilarbeitskreis unterstützte Bürgerbefragung und anschließende Bürgerforen sollten eine "bürgernahe dezentrale Stadtteilgestaltung" anstoßen. Wie sich zeigte, bildete sich die sozialräumliche Polarisierung auch in den Köpfen der Bewohner beider Teilgebiete ab: Für die Bewohner des Ostens erwiesen sich Armut, Ausländerfeindlichkeit, Geld, Umfeldgestaltung und Rechtsextremismus als wichtige Themen, die sehr kontrovers bewertet wurden. Die Einwohner des Westens beschäftigten dagegen eher Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Stadtteilentwicklung, das Ost-West-Gefälle, fehlende Wohnungen sowie Bildungsfragen, wobei die Einschätzung dieser Punkte wesentlich homogener ausfiel (Dessoy/Engelhardt-Zühlsdorff 1996: 41ff.). In einem Teilprojekt zur Kinderbetreuung ergab sich, daß der benachteiligte Osten im Gegensatz zur bisherigen Problemwahrnehmung gut mit KT-Plätzen versorgt, wohl aber ein wesentlicher Teil der vorhandenen Plätze durch Kinder aus dem Westen "blockiert" war: Während ein Teil der nichtdeutschen Familien, die im mittelständischen Westen wohnten, ihre Kinder im Osten anmeldeten, wurden deutsche Kinder aus dem Osten in die KT des Westens geschickt, so daß "selbst die sozialen Einrichtungen der Benachteiligung von Menschen aus Unterliederbach-Ost nicht nur gegengesteuert, sondern diese durch die gezeigte Aufnahmepraxis sogar noch verschärft haben" (Manderscheid 1997: 263;). Eine der Schlußfolgerungen, die der Träger für seine Arbeit zog, lautet:

"Soziale Brennpunkte sind (...) grundsätzlich nicht von ihrem jeweiligen Stadtteil zu trennen. Gegenstand des Interesses der sozialen Arbeit sind deshalb weniger die unmittelbaren Bedarfe im Brennpunkt, für die sie sich bisher um kompensatorische Abhilfe bemüht hat, sondern die politischen Prozesse, die dazu führen, daß ein Teil des Stadtteils dauerhaft benachteiligt wird" (Manderscheid 1997: 260).

Heute ist Unterliederbach-Ost einer der Standorte, an dem das Hessische Projektenetz Wohngebiets- und Stadtteilmanagement" in Kooperation von Land, Kommune, Wohnungswirtschaft, sozialen Trägern und Gewerbe versuchen will, modellhaft Programme zur Wohnungsmodernisierung, Schaffung tariflich entlohnter Arbeit und Gemeinwesenarbeit miteinander zu verknüpfen (Thies 1998). Während das Stadtteilmanagement in Unterliederbach aufgrund von Kooperationsschwierigkeiten erst langsam in Gang kommt, stoßen auf den "Gipfeltreffen" des Projektenetzes bereits wieder Fragen der Belegungssteuerung auf wachsendes Interesse.

Zwischenbilanz: Belegungsfragen ohne Problembezug

Alle geschilderte Beispiele weisen eine auffällige Gemeinsamkeit auf. Solange über Ghettobildung geredet und eine Veränderung der Bewohnerstruktur durch Belegungssteuerung gefordert wird, geschieht dies ohne Bezug auf konkrete Probleme in den Quartieren, von denen die Rede ist. (Die aggressiv betriebene Wohlstandssegregation in gutbürgerlichen Wohnvierteln oder in den Konsumlandschaften der Einkaufs- und Freizeitzonen wird ohnehin nie als Ghettobildung bewertet.) Umgekehrt geraten bei Versuchen einer konkreten Maßnahmenplanung für benachteiligte Quartiere Belegungskonzepte, die eine stärkere soziale Durchmischung zum Ziel haben, rasch aus dem Blick, nicht zuletzt aufgrund der praktischen Erfahrung, daß sich Bewohnerstrukturen auf diesem Wege kaum beeinflussen ließen.

"Soziale Mischung" als Denkmal untergegangener Verhältnisse

Das Programm der sozialen Durchmischung ist der wohnungswirtschaftliche Ausdruck eines bestimmten Gesellschaftsbilds, in dem sich die gedachte Mitte der Gesellschaft - eine mehr oder weniger fiktive "Mittelschicht" - für das Ganze setzt. Die Karriere dieser Zielvorstellung war an gesellschaftliche, wohnungswirtschaftliche und planerische Bedingungen gebunden, die in den neunziger Jahren längst nicht mehr gegeben sind und sich auch auf absehbare Frist nicht wieder herstellen lassen. Versucht man, sich in der Stadtentwicklung und Wohnungspolitik weiter an einem solchen Denkmal untergegangener Verhältnisse auszurichten, so muß - mit Goethe gesprochen - Vernunft Unsinn, Wohltat Plage werden. Zeitgemäßer ausgedrückt: Ein solcher Diskurs der Integration kann perverse Effekte sozialen Ausschlusses erzielen.

Die hohe Bewertung enger räumlicher Nachbarschaft verschiedener sozialer Milieus fügt sich in ein Bild integrierter Stadtgesellschaften ein, in denen alle Gruppen, wenn auch vielleicht unterschiedlich stark, am sozialen Fortschritt teilhaben. Gerade die Erwartung, daß "ein häufiger Kontakt mit Fremden' dazu führe, sie besser zu verstehen, sie in ihrer Fremdheit' weitgehend zu tolerieren und das Verhalten der Fremden' dem der Majorität anzupassen" (vgl. Dangschat 1998: 45), sieht auch die benachteiligten oder minderheitlichen Gruppen als potentielle Aufsteiger, die für ihre vertikale Mobilität eines anregenden, unterstützenden Milieus bedürfen. Tatsächlich aber sind die Städte in eine Phase "desintegrativer Stadtentwicklung" eingetreten (Heitmeyer et al. 1998; Bartelheimer 1997: 4ff.). Die Kernstädte wachsen nicht mehr: Sie geben bei anhaltender Migration deutsche Bevölkerungsgruppen ans Umland ab. Auch die Arbeitsmarktdynamik geht auf die Umlandgemeinden über, während auf den kernstädtischen Arbeitsmärkten bei stagnierenden Beschäftigtenzahlen und sinkendem Erwerbsarbeitsvolumen für Verlierer des wirtschaftlichen Strukturwandels das Risiko wächst, dauerhaft von Erwerbsarbeit ausgeschlossen oder in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgedrängt zu werden. Die Städte werden nicht mehr durch den Ausbau bundesweiter Systeme sozialer Sicherung entlastet und müssen neben der sozialen Infrastruktur für alle Einwohner und spezialisierter Sozialarbeit für Personen mit besonderen psychosozialen Problemen auch die materielle Existenzsicherung verarmender Bevölkerungsgruppen gewährleisten, während das System der Gemeindefinanzierung gerade die Großstädte immer schlechter an der gesamtwirtschaftlichen Leistung beteiligt.

Unter diesen Umständen können Stadtplanung und Wohnungspolitik immer weniger zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse beitragen, und auch die Ausrichtung sozialer Arbeit an einer "Normalbiographie", an die auch Benachteiligte herangeführt werden sollen, funktioniert nicht mehr. Mit der sozialen Polarisierung der Stadtgesellschaft wird auch das soziale Gefälle zwischen städtischen Teilräumen, das selbst in der Phase städtischer Prosperität nur teilweise eingeebnet wurde, wieder steiler. In einem Klima harter Konkurrenz um die knappen städtischen Ressourcen werden die alten und neuen Armutsgruppen von den wohlhabenden Teilen der Bevölkerung als unerwünschte Gruppen wahrgenommen, die zu zahlreich sind, als daß man sie durch eine gleichmäßige Verteilung über das Stadtgebiet unsichtbar machen könnte, und deren Wohn- und Aufenthaltsorte als "gefährliche Orte" stigmatisiert werden. "Die Mitglieder der Unterklasse werden nicht gebraucht. Die anderen könnten ohne sie leben und würden das auch vorziehen" (Dahrendorf 1989: 36).

"Nachdem der Typus der gefährlichen Klassen' im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts zugunsten sozialstaatlicher Normalisierung zurückgedrängt wurde, erfährt gegenwärtig diese Figur eine erneute Aufwertung. An die Stelle von Integration' und Ausgleich' treten in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zunehmend Exklusion' und Moral'" (Ronneberger 1998).

Wenn Politiker den Wohnungsbau in großen Zahlen fördern, verfolgen sie damit stets gesellschaftspolitische Gestaltungsziele - schon um den hohen finanziellen Mitteleinsatz vor ihrer Klientel zu legitimieren. In der Geschichte des deutschen sozialen bzw. genossenschaftlichen Wohnungsbaus (Schubert 1981) konkurrierten zwei solcher Ziele: die Verbesserung der Wohnbedingungen der Arbeiterschaft - von gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Seite verbunden mit der Hoffnung, politisch bewußte Arbeitermilieus zu stabilisieren und eine Vergesellschaftung des Boden-, Bau- und Wohnungsmarkts zu fördern - und die Anpassung unterer Schichten an die bürgerliche Kultur. Aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse verfolgte der Siedlungsbau in großen Einheiten, beginnend mit dem Konzept der "Kriegerheimstätte" 1915, eher das zweite Ziel. Die Programmatik sozialer Durchmischung erscheint dabei theoriegeschichtlich als "Kulturfolger" des öffentlichen Wohnungsbaus in großen Stückzahlen. In der "Gartenstadt" der Planungen nach dem Ersten Weltkrieg sollte "jede Art Menschen (...) zu Hause" sein (Gleiniger 1995: 28). Die nationalsozialistische Siedlungspolitik der dreißiger Jahre strebte die "wahre Gemeinschaftssiedlung für Menschen verschiedenen Berufs und verschiedenen Einkommens" an (Drummer/Zwilling 1997: 64). Die großen Trabantensiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, die in den Gründerjahren der Bundesrepublik geplant wurden, sollten "in ihrer sozialen Struktur den vollen Querschnitt unserer Gesellschaft" aufweisen "und nicht wie die bisherige Großstadt in ihren Stadtvierteln getrennte soziale Klassenstrukturen" (Neue Heimat, zit. nach Gleiniger 1995: 111).

Tatsächlich wurden ehrgeizige Ziele der Gesellschaftsplanung selbst zu den Hochzeiten des sozialen Wohnungsbaus selten erreicht. Die berühmten Siedlungen des Frankfurter Stadtbaurats Ernst May aus den Tagen der Weimarer Republik blieben trotz aller Rationalisierung so teuer, daß dort "statt der Zielgruppe der Arbeiter zu knapp zwei Dritteln Angestellte und Beamte einzogen", und die Herausbildung eines starken Gemeinschaftsbewußtseins in diesen Siedlungen "mag auch darauf beruhen, daß die Mieter beim Einzug weitgehend gleiche soziale Stellung und gleiches Alter aufwiesen" (Drummer/Zwilling 1997: 41). Am ehesten wurden noch die Siedlungen der fünfziger Jahre ihrem gedachten Zweck gerecht, Hilfestellung beim sozialen Aufstieg zu geben. Damals fiel die Mehrheit der Bevölkerung unter die Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau, und in der Frankfurter Fritz-Kissel-Siedlung bildete sich eine Kolonie von Universitätsprofessoren (Drummer/Zwilling 1997: 102). Schon in den sechziger Jahren, als Alexander Mitscherlich in seinem Penthaus auf einem Wohnhochhaus der Altenwohnanlage Frankfurt-Höchst über die Unwirtlichkeit unserer Städte schrieb, fand die soziale Mischung "nur noch rudimentär" statt.

"Da die programmatisch betriebene soziale Mischung in der Praxis der Retorten-Stadt einerseits auf den belegungstechnischen Zufall und andererseits auf jenes bloße Zusammenmontieren von Menschen' hinauslief, das Alfred Lorenzer treffend als Sozialmontage' (...) bezeichnete, boten die realisierten Lösungen weder eine Gewähr für Kommunikation noch für Nachbarschaft'" (Gleiniger 1995: 113f.).

Heute dagegen ist kommunale Wohnungspolitik wesentlich Bestandspolitik, Neubau findet nur noch in kleinen Einheiten und oft für projektspezifische Zielgruppen statt. Damit steht nicht einmal mehr theoretisch das wohnungswirtschaftliche Instrumentarium zur Verfügung, mit dem Städte auf die Wohnortwahl einer großen Zahl von Menschen Einfluß nehmen könnten.

Das Konzept der sozialen Durchmischung ist nicht zuletzt deshalb so lange gegen alle praktischen Erfahrungen und Einwände immun geblieben, weil es sich harmonisch in eine etablierte städtebauliche Planungskultur einfügt. Instrumente und Routinen der herkömmlichen Stadtplanung sind auf indirekte Entwicklungssteuerung durch Neubau unter den Wachstumsbedingungen der späten Nachkriegszeit eingestellt. Sie planten meist nur die "gebaute Stadt", koordinierten also nur die räumliche Entwicklungsplanung mit der Infrastruktur- und Investitionsplanung der Kommune.

"Lange Zeit glaubten Politik und Planer dem Phänomen der sozialen Erosion einzelner Stadtgebiete in erster Linie mit städtebaulichen Mitteln begegnen zu können. Die Prioritätensetzung stellte die Beseitigung baulich-funktionaler Mängel in den Vordergrund. Sozialplanung, Arbeitsförderung, Ausbau der sozialen Infrastruktur oder BewohnerInnenbeteiligung spielten eine untergeordnete Rolle" (Thies 1998).

Tatsächlich müßten aber in der Phase "desintegrativer Stadtentwicklung" Planungsressourcen zu den Belangen der "sozialen Stadt", d.h. zu den bislang nachgeordneten Fachplanungen der sozialen Ämter, umgeschichtet werden. Dies alles bedroht die gefestigten Einflußpositionen der Ämter, Abteilungen oder Stabsstellen für Stadtentwicklung. Strategien, die "über marktvermittelte Prozesse (Modernisierungsmaßnahmen, Inkaufnahme von Umwandlungen, Tertiarisierung etc.) auf sog. soziale Strukturverbesserungen' zielen" (Staubach 1995: 328), tun dies nicht, weil sie weiter von der Vorstellung ausgehen, daß Architekten und Stadtplaner soziale Strukturen gestalten können. Werden solche "Strukturverbesserungen" von Strategien "ausgewogener Belegung" flankiert, wird die räumliche Konzentration kollektiver sozialer Risiken in den Städten zur Folge ungünstiger individueller Wohnortwahl verharmlost, und die Notwendigkeit eines Politikwechsels in Richtung sozialer Stadtteilentwicklung kann weiter verdrängt werden.

"Die soziale Segregation ist im Verlaufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tatsächlich verringert worden - einerseits als ein Ergebnis der Auflösung klarer Klassengrenzen, andererseits aber auch aufgrund der Zielsetzung, einen einheitlichen Typus von Wohnungen für alle sozialen Schichten errichten zu wollen. Im Verlauf der langen Wachstumsperiode nach dem 2. Weltkrieg wurde durch die Absorptionskraft des Arbeitsmarktes und durch den Aufbau des sozialstaatlichen Sicherungssystems die Unterklasse' weitgehend integriert, und durch den massenhaften sozialen Wohnungsbau' wurden in fast allen Teilen des Stadtgebiets eindeutige soziale Segregationen gemildert oder vermieden" (Häußermann/Kapphan 1998: 10).

Konnte die Wohnungspolitik gesellschaftliche Integrationsprozesse, die wesentlich vom Arbeitsmarkt ausgingen, in der Vergangenheit verstärken, so ist es illusorisch anzunehmen, sie könnte unter völlig veränderten Vorzeichen soziale und räumliche Spaltungstendenzen umkehren. Es gibt immer weniger Bestände, deren Belegung überhaupt gesteuert werden kann. Gleichzeitig nimmt die Mobilität am Wohnungsmarkt konjunkturell bedingt bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein zu. Die Vorgabe sozialer Durchmischung mauert die soziale Wohnungspolitik in dem Bereich ein, wo ihre Defizite am größten und ihre Ressourcen am geringsten sind. Im Blick der Belegungspolitik sind stets die benachteiligten Quartiere und sozial gebundene Wohnungen, nicht ganze Stadtteile oder der gesamte Wohnungsbestand. Gerade weil das Ziel, über Belegungspolitik zu steuern, wo Menschen miteinander wohnen, unerreichbar geworden ist, kann es als Monstranz höchst partikularen Interessen vorangetragen werden, etwa

  • dem Wunsch sozial gut gesicherter Bevölkerungsgruppen, wozu auch Sozialmieter zählen können, unter sich zu bleiben,
  • den aggressiv gewendeten Abstiegsängsten von Bevölkerungsgruppen, die in "prekärem Wohlstand" (Hübinger 1996) leben und den Kontakt mit Ärmeren gerade wegen der sozialen Nähe zu ihnen fürchten, oder
  • den wirtschaftlichen Interessen an einer weiteren "sozialräumlichen Fragmentierung" durch "Umnutzung und Aufwertung zentrumsnaher Stadtteile" und private Aneignung öffentlicher Räume als Konsumlandschaften (Ronneberger 1998).

Notwendig ist ein neuer Blick auf das vermeintlich bekannte Feld kommunaler Wohnungspolitik und Stadtentwicklung. Jenseits der Formelsprache sozialer Durchmischung gibt es teils riskante, teils chancenreiche Veränderungen in den Rahmenbedingungen stadtteilbezogener sozialer Arbeit zu erfassen und politisch zu bewältigen.

Rekommunalisierung der Wohnungspolitik

Soziale Wohnhilfen werden wieder fast gänzlich zur Aufgabe kommunaler Daseinsvorsorge. Im Grundsatz wird man sich immer noch darauf verständigen, daß Wohnungsversorgung, wie im II. WoBauG für die Neubauförderung festgelegt, gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist. Praktisch sind die Kommunen als "Sozialstaat in Reserve" heute die einzige Instanz, welche die sozialen Risiken des Wohnungsmarkts umfassend bearbeitet. Bau- und Planungsrecht werden dereguliert, die für eine wirksame kommunale Wohnungsaufsicht notwendige Bundesgesetzgebung unterbleibt, Bund und Länder ziehen sich aus der Neubauförderung zurück, und das Wohngeld ist immer weniger in der Lage, als Alternative zur Sozialhilfe Mietnot abzuwenden. Die wohnungspolitischen Entscheidungen fallen künftig lokal, und sie haben nicht den Neubau, sondern die Erhaltung sozial gebundener Bestände, nicht städtebauliche Großprojekte, sondern soziale Stabilisierung benachteiligter Quartiere zum Gegenstand. Sachgerecht wäre es daher, wenn die verwaltungsinterne Koordinierungskompetenz von den Planungsämtern auf die sozialen Ämter überginge.

Steuerung des Wohnhilfesystems über Zielvereinbarungen

Auf welche Weise die öffentlich beeinflußbaren Wohnungsbestände ihre soziale Pufferfunktion erfüllen, Menschen auch in längeren Phasen niedrigen Einkommens, prekärer Erwerbsarbeit oder Erwerbslosigkeit eine dauerhaft angemessene Wohnung zu sichern, wird immer weniger nach gesetzlichen Vorgaben entschieden. Bis zum Jahr 2010 wird nur noch ein kleines Segment des Wohnungsmarkts einer gesetzlichen Mietpreis- und Belegungsbindung unterliegen. Welchen Beitrag die Wohnungsbestände der ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen künftig zu einer sozialen Wohnungsversorgung leisten, hängt wesentlich von einem Ausgleich zwischen wohnungswirtschaftlichen und sozialpolitischen Interessen und entsprechenden privatrechtlichen Vereinbarungen zwischen Kommunen und Wohnungsunternehmen ab. Dabei agieren die Kommunen auf beiden Seiten: als Vertragspartner und als Gesellschafter der Wohnungswirtschaft. Eine Steuerung des Systems kommunaler Wohnhilfen verlangt also neuartige und ungewohnte Aushandlungsprozesse zwischen Akteuren in örtlichen Politiknetzwerken.

"Um die vorhandenen Kräfte (...) zu bündeln, sind tragfähige Netzwerke zu entwickeln, in denen

  • die kommunale Wohnungshilfe, die Wohnungswirtschaft und die Sozialarbeit zu unmittelbarer Kooperation gelangen,
  • die zu beteiligenden Träger ihre jeweiligen wohnungsbezogenen Verantwortungsbereiche dementsprechend organisieren (z.B. kommunale Fachstellen, verbandsübergreifende Anlaufstellen für Beratung und Begleitung, soziales Management in der Wohnungswirtschaft)
  • und die Akzeptanz der gegenseitigen Positionen durch eine gemeinsame Bestandsaufnahme der Probleme und Verständigung über Ziele und Vorgehensweisen gefördert" wird (Deutscher Verein 1997).

Wohnungswirtschaft meldet sich als sozialer Akteur zurück

Die öffentliche Wohnungswirtschaft steckt nach der ersten marktwirtschaftlichen Euphorie über die Befreiung von den "Fesseln" der Gemeinnützigkeit in einer Identitätskrise. Sie besinnt sich darauf, daß ihr spezifisches Unternehmensprofil auf dem sozialen Versorgungsauftrag beruht, und erwartet politische Vorgaben der Kommunen dazu, wie sie diesen Auftrag unter den heutigen Verhältnissen angemessen erfüllen soll. Sofern sie noch baut, tut sie dies überwiegend für Dritte. Je mehr die Verwaltung ihrer Bestände zum Kerngeschäft der Unternehmen wird, sehen diese nicht mehr die gebaute Wohnung, sondern das Wohnen selbst als ihr Produkt an. Die weitsichtigeren Gesellschaften stellen sich darauf ein, auch mit Mietern, deren Wohnkaufkraft in absehbarer Zeit nicht zunehmen wird, ausgeglichene Bilanzen zu erzielen. Sie wissen, daß sie den Wert ihrer Siedlungen - und damit ihre Eigenkapitaldecke - nur erhalten können, wenn sie die Qualität des Wohnumfelds verbessern, und daß sie sich dabei nicht allein auf die kommunale Sozialpolitik verlassen können. Sie sind schon aufgrund der Kosten von Leerständen, Mieterwechseln, Mietausfällen und Vandalismus darauf angewiesen, neue Konzepte der Aktivierung und Beteiligung ihrer Mieter zu erproben.

In einem Beitrag zur strategischen Orientierung der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft aus dem Jahre 1994 finden sich eine ganze Reihe von Überlegungen zu "neuen Geschäftsfeldern", mit denen sich die Wohnungsunternehmen als soziale Akteure in der kommunalen Arena zurückmelden könnten (Hombach/Staender 1994). Dazu gehören

  • Dienstleistungen "rund ums Wohnen", von der ambulanten Altenpflege bis zu häuslichen Dienstleistungen für Single-Haushalte,
  • der Wiederaufbau einer präventiv wirkenden Infrastruktur (Freizeit-Treffs, Jugendwerkstätten, Beratungsbüros),
  • der Einsatz von Sozialarbeit und die Erweiterung der Wohnungsverwaltung zum Sozialmanagement, sowie
  • die Versorgung von Wohnungsnotfällen.

Die Öffnung der Wohnungswirtschaft für "eine Perspektive der Sozialpolitik im örtlichen Bereich" zeigt sich auch in der Übernahme von Konzepten der Sozialplanung für das "soziale Management" von Wohnungsunternehmen (Großhans 1996).

Fehlspezialisierung der sozialen Arbeit

In den Maße, wie Einkommensarmut, prekäre Erwerbsarbeit oder Erwerbslosigkeit sich verfestigen und in bestimmten städtischen Teilgebieten konzentrieren, erweisen sich die in der Perspektive des Ausbaus sozialer Sicherung und kleiner Fallzahlen entstandenen beruflichen Identitäten und Spezialisierungen sozialer Arbeit gegenüber den Aufgaben der materiellen Existenzsicherung als fragwürdig. Erzieherinnen und Lehrerinnen in benachteiligten Stadtteilen kümmern sich um die Grundversorgung der Kinder und übernehmen für deren Eltern eine Pförtnerfunktion zu anderen sozialen Diensten. Hauptschulen organisieren Tagungen mit der im Einzugsbereich ansässigen Wirtschaft, um Schulabgänger in Betrieben unterzubringen, und übernehmen damit Aufgaben der Wirtschaftsförderung in der lokalen Ökonomie. Sozialarbeiter gehen von der klassischen Gemeinwesenarbeit zum Stadtteilmanagement über, moderieren also die verschiedenen professionellen Akteure im Stadtteil und organisieren ökonomische Projekte, um Ressourcen im Stadtteil zu halten oder in den Stadtteil zu holen. Mitarbeiter des ASD werden in kommunale Wirtschaftsförderungsgesellschaften abgeordnet, um Erwerbspersonen, die Sozialhilfe beziehen oder beantragen, nach einem Assessment oder Coaching in geförderte oder rein gewerbliche Erwerbsarbeit zu bringen. Sachbearbeiter der Sozialhilfe bekommen Supervision und Schulungen in Gesprächsführung. Berater von Arbeitslosen und Sozialhilfebeziehern organisieren Gründerzentren und betreuen Erwerbslose, die sich selbständig machen wollen.

Tatsächlich sucht kommunale Sozialpolitik derzeit überall nach Ansatzpunkten, von denen aus sie die fehlspezialisierten Hilfesysteme wieder zusammenführen kann. Die Dezentralisierung und Stadtteilorientierung sozialer Arbeit ist ein solcher Ansatzpunkt. Fallmanagement und Hilfeplanung sind ein anderer. Die Neubestimmung "vollständiger Aufgaben", die in relativ autonomen interdisziplinären Teams bewältigt werden, würde die soziale Arbeit , ihre professionellen Deutungsmuster und Handlungsrepertoires weitgehend verändern.

Neue Akteure in der lokalen Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftsförderung

Neben den Arbeitsämtern haben sich die Sozialämter und die kommunalen Wirtschaftsförderungsgesellschaften immer mehr als zweite Säule der Arbeits- und Ausbildungsförderung auf den lokalen Arbeitsmärkten etabliert. Während die herkömmliche Wirtschaftsförderung, die als globale Standortpolitik auf Neuansiedlungen ausgerichtet war, gerade für benachteiligte Gruppen von Erwerbspersonen und für benachteiligte Quartiere kaum noch ökonomische Effekte erzielt, entdecken die Akteure kommunaler Arbeitsmarktpolitik den Stadtteil als Ort einer lokalen Ökonomie. Im Zusammenhang mit der geschilderten Krise der Fehlspezialisierung beginnen die Akteure sozialer Arbeit, die Arbeitslosigkeit ihrer Klientel und die mit ihr verknüpften Ausgrenzungsprozesse unmittelbar anzugehen (vgl. Voß 1997: 102). "Gemeinwesenarbeit mischt sich ein in den wirtschaftlichen Bereich, wird zum Instrument örtlicher Wirtschaftsförderung und selbst zum Wirtschaftsfaktor" (Elsen 1995: 18). Auch diese Ökonomisierung sozialer Arbeit findet ihren Ausdruck in der Neubestimmung von Gemeinwesenarbeit als Stadtteilmanagement.

Für ein Moratorium bei der "sozialen Durchmischung"

Gegenüber all diesen Verhältnissen schweigt sich, wer sozialer Durchmischung das Wort redet, vielsagend aus. Da dem Mischungsziel nie eine konkrete und überprüfbare Problemanalyse zugrunde liegt, lassen sich mit dieser Zielvorstellung beliebige Partikularziele begründen und gegen jede Kritik immunisieren. So behindert die Frage nach der "richtigen" Mischung die Wahrnehmung und Untersuchung der neuen städtischen Realitäten des Wohnens und leistet einem politischen Verhalten Vorschub, für das Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Wollen prägend sind. Aus der Zielvorstellung "sozialer Durchmischung" läßt sich heute kein vernünftiger Auftrag an Sozialraumanalyse und raumbezogene Sozialplanung mehr entwickeln, weil immer schon vorausgesetzt ist, was eigentlich untersucht gehört, nämlich: welche Probleme drängen und an welchen Punkten Verhältnisse gestaltbar bleiben.

"In bestimmten Wohngebieten der Städte verdichten sich die sozialen Problemlagen Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit. (...) Die traditionellen Instrumente der städtebaulichen Erneuerung solcher Stadtteile scheitern entweder, weil ein Sickereffekt durch Nachzug anderer Wohnbevölkerung ausbleibt, oder sie führen zur Vertreibung der bisherigen Bewohner und neuerlichen Konzentration an anderen Orten. Dabei erweist sich das von Wohnungswirtschaft und Kommunalpolitikern oft einseitig vertretene Ideal der sozialen Durchmischung von Wohnbeständen gemessen an der Realität immer mehr als Fiktion" (Deutscher Verein 1997). (8)

Wie ein Überschuldeter den Kopf nicht dafür frei hat, sein Leben zu planen und Wege aus Erwerbslosigkeit und Sozialhilfe zu suchen, so können die Akteure lokaler Wohnungspolitik für städtische Gesellschaften auf dem Weg in die Desintegration erst dann ein realistisches Minimalprogramm zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere aushandeln, wenn sie aufhören, ideologisch über ihre Verhältnisse zu leben, und wenn sie sich von der Hybris freigemacht haben, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum bewegen und verteilen zu wollen. An dieser Stelle sei daher vorgeschlagen, ein Moratorium im Grundsatzstreit über "soziale Durchmischung" oder "ausgewogene Bewohnerstrukturen" zu verabreden und die dadurch gewonnene Zeit für eine konkrete Untersuchung konkreter Verhältnisse in "benachteiligten" oder "überforderten" Quartieren zu nutzen.

Die Verabredung eines solchen Moratoriums würde drei Punkte beinhalten:

  • Wir verzichten auf den Versuch, Menschen im städtischen Raum zu bewegen. Wir akzeptieren, wo sie heute wohnen, ob gemischt oder entmischt, und bearbeiten die sozialen Risiken benachteiligter Gruppen und die Mechanismen sozialen Ausschlusses dort, wo sie auftreten.
  • Wir akzeptieren einstweilen, daß wir nicht genau wissen, was eine "ausgewogene" Bewohnerstruktur ist, wie wir Entmischungsprozesse beeinflussen können und ob sie die Ziele sozialer Arbeit behindern. Bei der Entwicklung wohnungs- oder sozialpolitischer Maßnahmen und bei der Aushandlung von Zielvereinbarungen orientieren wir uns an konkreten, überprüfbaren Bedarfen und Problemen. Wir verzichten auf das Argument, eine bestimmte Vorgehensweise diene der sozialen Durchmischung oder leiste der Ghettobildung Vorschub, und lassen es, kommt es von dritter Seite, grundsätzlich unbeachtet.
  • Wir versuchen, in geeigneten städtischen Teilgebieten Geldmittel und personelle Ressourcen der Arbeitsmarktpolitik, der Wohnungswirtschaft und der sozialen Arbeit für quartiersbezogene, gemeinsam mit den Bewohnern entwickelte Ziele einzusetzen. Für solche Verfahren des Stadtteilmanagements ist es von Vorteil, größere Gebietseinheiten zu bestimmen, die neben benachteiligten Quartieren auch Teilgebiete mit wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen und politischem Einfluß umfassen.

Dieser Vorschlag bedeutet noch nicht einmal einen Verzicht auf Belegungspolitik. Er bietet zum Beispiel Raum für Rahmenvereinbarungen, in denen die Wohnungsgesellschaften die von der Stadt nach Dringlichkeit vorgeschlagenen Wohnungsbewerber nach eigenem Ermessen in ihrem Wohnungsbestand unterbringen - womit sie, beiläufig erwähnt, endlich auch am Erfolg der getroffenen Belegungsentscheidung selbst interessiert wären. Eine solche Belegungssteuerung würde aber nur noch auf nachweisbare, konkrete Probleme reagieren, und sie hätte eine dienende Rolle in einem offen ausgehandelten quartiersbezogenen Konzept mit überprüfbaren, an den Problemen und Ressourcen der Bewohner orientierten Zielen. Vielleicht wissen wir am Ende eines solchen, etwa auf fünf Jahre befristeten Moratoriums sogar mehr über "das rechte Maß zwischen Integration und Segregation" (Heitmeyer et al. 1998: 14).

Anmerkungen

1. Im II. Wohnungsbaugesetz ist ein Normenkonflikt angelegt: Der öffentlich geförderte Wohnungsbau soll den "breiten Schichten des Volkes" dienen, zugleich aber auch der wachsenden Zahl der Wohnungssuchenden, die zu einer "ausreichenden Wohnungsversorgung" am freien Wohnungsmarkt "nicht selbst in der Lage sind" (§ 1 II. WoBauG).

2. Der Beschluß der Stadtverordneten sah vor, nach Ablauf der Zweijahresfrist aufgrund von Zahlen über die von den Unternehmen berücksichtigten Bewerber zu entscheiden, ob diese Regelung beibehalten oder das Vorschlagsrecht an das Wohnungsamt zurückfallen sollte. Tatsächlich wurde der Geltungszeitraum der Regelung ohne Auswertung und ohne förmlichen Beschluß stillschweigend verlängert.

3. Die vom Frankfurter Amt für Statistik definierten 71 Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus sind nicht mit den statistischen Gebietseinheiten (Stadtbezirken) deckungsgleich.

4. Die Zahl dürfte seither deutlich gesunken sein, da allein die Fälle von Hotelunterbringung bis 1997 halbiert wurden.

5. Der Frankfurter Sozialbericht geht von einem weiten Begriff kommunaler Wohnhilfen aus. Hierzu gehören: I. Intervention in Neubau, Sanierung, Modernisierung (indirekt durch Bauleitplanung, direkt durch Förderung), II. Bestandspolitik (z.B. Wohnungsaufsicht, Mietpreisüberwachung, Sicherung und Wahrnehmung von Belegungsrechten) und III. Intervention in Wohnungsnotfällen (Vermeidung und Verhinderung von Wohnungslosigkeit). Vgl. Bartelheimer 1997: 226.

6. Der Großsiedlungsbericht der Bundesregierung befürchtet, das Wohnungsunternehmen auf besondere soziale Versorgungsaufgaben nur noch "defensiv durch Aushandlung von Freistellungen und Problemmieterquotierungen'" bzw. durch "Wettbewerb um die besseren Mieterhaushalte'" reagieren (Deutscher Bundestag 1994: 99, 125). In einem im übrigen beachtenswerten Beitrag zur Strategie der ehemals gemeinnützigen Wohnungswirtschaft heißt es, 15% nichtdeutscher Bewohner bildeten die "kritische Grenze", jenseits derer in einer Liegenschaft Ghettobildung einsetze (Hombach/Staender 1994: 3). Daß schon im stadtweiten Durchschnitt rund 28% der Frankfurter keinen deutschen Paß haben, scheint solchen pseudowissenschaftlichen 'Erkenntnissen' keinen Abbruch zu tun.

7. Im Rahmen eines Forschungsprojekts führten Thomas von Freyberg und ich unter anderem in Unterliederbach Interviews in Instanzen des Hilfesystems für Kinder und Jugendliche.

8. Es sei nicht verschwiegen, daß sich natürlich auch die zitierte fachpolitische Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge an anderer Stelle zu dem obligaten Ziel bekennt, "daß Benachteiligte am Wohnungsmarkt in den Wohnungsbeständen möglichst verteilt und damit das Entstehen sozialer Brennpunkte soweit als möglich vermieden werden".

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