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Heft 67: Multioptionale Männlichkeiten

1998 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 67
  • März 1998
  • 132 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-281-4

Zu diesem Heft

Im September 1995 hatte die Redaktion der WIDERSPRÜCHE mit dem Doppelheft 56/57 unter dem Titel "Männlichkeiten" das Ziel verfolgt, die Frage nach Männlichkeit als gesellschaftlicher Kategorie kritisch aufzunehmen und sie im Kontext eines Verständnisses von Geschlechterpolitik als Gesellschaftspolitik zu verorten.

Ohne die Leidenserfahrungen von Männern und daran ansetzende Intentionen der selbstreflexiven Aufklärung denunzieren zu wollen, hatten wir in diesem Heft programmatisch darauf verwiesen, daß eine Debatte um Männlichkeitskonstruktionen in unserer Gesellschaftsformation sich nicht lediglich auf die Ausformulierung identitätspolitischer Deutungen und Handlungsansätze beschränken darf. Sosehr solche Impulse als produktive Beiträge zu angemessenen gesellschaftlichen Veränderungen verstanden werden müssen, sosehr ist es notwendig, sie in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen. Gewissermaßen als "roter Faden" verfolgten daher die Beiträge des Doppelheftes die Intention, Formen von Männlichkeit als soziale Praxen von Macht und Machterhalt im Gefüge gesellschaftlicher Ungleichheiten zu analysieren. Wir wollten damit die Kritik von Männlichkeit auch als politisches Projekt begriffen wissen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die identitätsstiftende und gesellschaftsordnende Kategorie Männlichkeit aufzulösen, wie dies Tillner und Kaltenecker in ihrem damaligen Beitrag formulierten. Mit diesem Schritt kann die kritische Differenz markiert werden zu Diskursen um Männlichkeit, die wir in einer konservativen, machtstabilisierenden Perspektive in Teilen der Männerliteratur oder auch als machtvolle soziale Bewegungen vorfinden, etwa in Louis Farrakhans Marsch der schwarzen Männer oder demjenigen der weißen "promise keeper" nach Washington (eine Bewegung, die im christlich-fundamentalen Umfeld auch in Deutschland sich bemerkbar zu machen beginnt).

Unser damaliges Heft erfuhr große Resonanz; die Auflage von 1200 Exemplaren war schnell vergriffen, noch heute erreichen uns Bestellungen. Dieses für uns vorab nicht zu erwartende Interesse scheint auch an der inhaltlichen Richtung des Heftes und seiner explizit kritischen und politischen Intention gelegen zu haben. Zwischenzeitlich sind weitere Publikationen zu diesem Themenbereich erschienen; einige von ihnen wurden in den WIDERSPRÜCHEN rezensiert (vgl. Heft 64). All dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß die theoretische Debatte um Männlichkeit und Männlichkeitsmuster Eingang in die Geschlechterdebatte gefunden hat.

Mit dem hier vorliegenden Schwerpunkt greifen wir die Intention des ersten Heftes auf; wir möchten die Diskussion über die soziale Situiertheit von Männlichkeitsformen weiterführen, gegen voluntaristische Auffassungen von Männlichkeit, die Veränderung als freien Wahlakt hypostasieren, und gegen essentialistische Auffassungen, wonach Männlichkeiten genetisch oder vorsozial so sind wie sie sind, Einwände geltend machen und erneut den Strang der Männlichkeitskritik als Kritik sozialer Praxen des Machterhalts weiterführen.

Im ironisierenden Rückgriff auf ein neues, modisch gewordenes Label in der Soziologie haben wir diesem Heft den Titel "Multioptionale Männlichkeiten" gegeben und das Fragezeichen am Schluß nicht vergessen. In der Metapher der Multioptionalität drückt sich nicht zuletzt auch die emanzipatorisch aufgeladene Hoffnung nach einer unendlichen Pluralisierung und freien Verfügbarkeit von Männlichkeitsmodellen aus; es ist dies die zeitgemäße Fassung der "Sehnsucht nach der Normalität des Fraglosen" (Meuser/Behnke). Dies in Frage zu stellen ist eine weitere Linie der Auseinandersetzung, teils in den einzelnen Artikeln, teils wenn die einzelnen Artikeln in Beziehung zueinander gesetzt werden.

Zu den Beiträgen im einzelnen

Um die Frage eines angemessenen Verständnisses der sozialen Situiertheit von Männlichkeit geht es in den ersten zwei Beiträgen. Michael Meuser und Cornelia Behnke warnen vor einer Euphorie über die mögliche Freiheit von Geschlechterordnung, vor der Vorstellung gleichsam unendlich vieler Optionen und Varianten von Männlichkeiten. In Entgegensetzung zu diesem "voluntaristischen Mißverständnis" versuchen sie - im Rückgriff auf Connells Konstrukt der hegemonialen Männlichkeit und Bourdieus Konzept des Habitus - zu zeigen, daß es einen habituellen Kern männlicher Orientierung und Selbstidentifikation gibt, der sich dort noch geltend macht, wo die tradierte Geschlechterordnung explizit kritisiert wird. Sie plädieren dafür, Differenzen weniger im Sinne von Optionen zu verstehen, sondern insistieren auf einer kritischen Analyse struktureller Einbindungen. Erst von hier aus seien realistische politische Perspektiven und Strategien, wie Männer als politische Akteure zu einer Veränderung der Geschlechterordnung beitragen können, formulierbar.

Anders - und so einen Spannungsbogen für die Debatte in diesem Heft öffnend - argumentiert Berno Hoffmann . Seine Ausführungen sind im Kontext der Beck'schen Hypothese der zwei Modernen verortet; er kommt dabei zu dem Befund, Männlichkeit könne von den herkömmlichen Zugängen aus nicht mehr begriffen werden: Als Männlichkeit der ersten Moderne faßt er sexistische Männlichkeit, der die Abwertung und Unterordnung des Weiblichen immanent ist. Diese Männlichkeitsform, durch entsprechende Patriarchatstheorien zur Genüge auf den Begriff gebracht, sei als geschlechtlicher Orientierungspunkt für Männer wie Frauen im Übergang von der ersten zur zweiten Moderne verschwunden. An die Stelle der patriarchalischen Männlichkeit sei das Geschlechterkonzept der feministischen Geschlechterbewegung getreten: eine These, die Hoffmann in seinem Artikel zu belegen sucht.

Die nachfolgenden zwei Beiträge greifen die machtkritische Perspektive auf.

Ralf Lange untersucht die soziale Konstruktion von Männlichkeit im Management von Organisationen. An einer zentralen Erkenntnis neuerer, insbesondere anglo-amerikanischer organisationssoziologischer Forschungen ansetzend, wonach Organisationen durch "vergeschlechtlichte Prozesse und Praktiken" gekennzeichnet sind, analysiert er anhand einer Typologie von fünf Managementstilen das "Management als Bühne zur Reproduktion hegemonialer Männlichkeit". Die Modernisierung des Managements durch die Inkorporation sozialer und kommunikativer Kompetenzen darf daher seines Erachtens auch nicht zu dem optimistischen Schluß führen, Organisationen würden sich an der Zielperspektive der Geschlechteregalität orientieren.

Rainer Hoffmann bietet einen diskursanalytischen Zugang zur "Männerverständigungsliteratur" als einem aktuellen Terrain der geschlechterpolitischen Debatte. Das Genre der Männerverständigungsliteratur - verstanden als Texte, in denen Männer über sich und für sich sprechen, als Betroffene zu Betroffenen - wird als Reflex auf Verunsicherungen und Entzauberungen der Moderne interpretiert, als Selbstvergewisserung in brüchig und "schwierig" gewordenen Geschlechterverhältnissen. Die Analyse der Texte konzentriert sich dabei auf politische Orientierungen und kommunikative Muster.

Die beiden letzten Beiträge zum Heftschwerpunkt lassen sich im Spannungsfeld zwischen der Globalisierung von Männlichkeit - gewissermaßen der ortlosen und raumungebundenen modernen Form hegemonialer Männlichkeit - und der repressiven Absicherung von Männlichkeit durch Differenzsetzungen gegenüber Fremdem und Fremden einordnen.

Edgar J. Forster und Georg Tillner analysieren diesen Konnex von Männlichkeit und Fremdenfeindlichkeit vor dem Hintergrund der These, "daß (männliche) Identitäten durch alltägliche Praktiken als geschlechtliche, ethnische Klassenidentitäten hergestellt werden". An Untersuchungsergebnissen aus einem Forschungsprojekt zu "Fremdenfeindlichkeit" zeigen sie, wie sehr soziale Über- und Unterordnungsverhältnisse aktiv vergeschlechtlicht und essentialisiert werden. Eine produktive politische Diskussion und Praxis hätte dann zur Aufgabe, diese geschlechtliche Überdeterminierung aufzubrechen.

Wenn zur Zeit alle über Globalisierung sprechen, wollen wir dem auch nicht nachstehen und mit Bob Connell auf den Zusammenhang von Männlichkeiten und Globalisierung hinweisen. Connells Beitrag, hier erstmals in deutscher Übersetzung, stellt eine weitere Verbindung zum oben eingeführten Heft 56/57 der WIDERSPRÜCHE her, da seine Arbeiten und Begriffe - im Zentrum das Konstrukt der hegemonialen Männlichkeit - gleichsam den roten Faden jenes Heftes darstellten. Connell skizziert einige Hauptformen globalisierter Männlichkeiten als Kennzeichen der Weltgesellschaft und kommt zu dem Vorschlag, die hegemoniale Männlichkeit des entstehenden Weltsystems in der Manager-Männlichkeit transnationaler Konzerne zu sehen.

Passend zum Schwerpunktthema dieses Heftes findet sich im Magazin eine Rezension von Siegfried Kaltenecker . Am Beispiel von drei Publikationen zum Thema Männlichkeiten fragt er, ob die sich langsam formierende Männerforschung nur ein "neuer Schwindel" sei, durch den Männer sich neue Herrschaftsfelder sichern wollen. Er formuliert Einwände gegen Tendenzen in der Thematisierung von Männlichkeit.

Die Redaktion

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