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Heft 40: Frauen Heute: Neue Ansprüche - neue Konflikte

1991 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 40
  • Oktober 1991
  • 100 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-086-3

Karin Windaus-Walser

"Der offene Konflikt ist mir lieber"
Gisela Wölbert interviewte Karin Windaus-Walser zum Geschlechterverhältnis

Karin, Du hast uns am Telefon gesagt, du hättest nicht mehr recht Lust für linke oder sozialistische Zeitschriften zu schreiben. Was sind deine Gründe bzw. Erfahrungen?

Windaus-Walser: Das muß ich ein bißchen erläutern: Und zwar ging es mir darum, nicht für Zeitschriften zu schreiben, von denen ich den Eindruck habe, daß sie sich nicht irritieren lassen durch das, was real passiert ist - durch den Niedergang des Sozialismus oder wie man es nennen mag. Wenn man also weiterhin sagt: die Idee ist doch gut und man hat das richtige gewollt, das finde ich blauäugig. Die Beschämung der Linken, also auch meine eigene, die müßte erst einmal eine Sprache finden. Daß sich erweist, daß man auf einem Auge blind war und was das bedeutet, das wäre erst einmal zu realisieren. Das heißt, sehr kritisch an die Vorstellungen und Theorien heranzugehen, die ja nicht nur durch irgendwelche Systeme verhunzt wurden, sondern die selbst Totalitäres schon enthielten. Alle diese Dinge - ich sage nicht, ich will gar nichts damit zu tun haben, aber ich habe dann Probleme, wenn etwas ungebrochen aufrecht erhalten werden soll. Nach wie vor an den sozialistischen Gedanken zu appellieren, das halte ich für schwierig.

Hat deine Skepsis auch damit zu tun, daß du jetzt wieder in einer linken Zeitschrift zum Thema Geschlechterverhältnis schreiben sollst, wozu ja immer nur Frauen aufgefordert werden, sich zu äußern, während nach wie vor die Männer zu dieser Thematik schweigen?

Windaus-Walser: Damit hat das auch zu tun. Das ist generell das Schwierige, daß auch die Linken sagen: Ja, es gibt die Frauenfrage und die Geschlechterfrage, das ist alles ganz wunderbar, aber wir lassen uns sozusagen davon nicht beeinflussen. Das ist ein Sonderproblem für besonders Interessierte, eben überwiegend Frauen. Da hat man nichts dagegen, das findet man sogar gut, aber das berührt sich nicht. Das wird zwar ab und an in den allgemeinen Diskurs aufgenommen als ein Hinweis auf Frauen als besondere Problemgruppe usw., aber so nebenbei; es wird nicht als eine grundsätzlich für Gesellschaft, Humanität, Demokratie, Sozialismus bestimmende Frage angesehen, so wie die traditionell linken Fragen - ob man von arm und reich, von Klassen oder (moderner) von Sozialstruktur spricht, das sind ja trotzdem noch immer die Kategorien. Im Prinzip hat sich daran nichts geändert.

Nun ist es ja so, daß die Frauen permanent analysieren, kritisieren und damit doch auch provozieren - aber offenbar lassen sich die Männer davon nicht berühren. Du hast in deinem Artikel in den Listen (1) und auch in deiner Analyse der Kritischen Theorie (2) einige Thesen formuliert. Kannst du die hier nochmals kurz darstellen? Du hast zum Beispiel gesagt, die Männer interessieren sich nicht wirklich für das Geschlechtliche.

Windaus-Walser: Es ist so: Man kann keine Gesellschaftstheorie überhaupt entwerfen, ohne an die Geschlechterfrage zu denken, weil im Kern der Geschlechterfrage ja das Problem der sogenannten Reproduktion, der Hervorbringung der nächsten Generation, der Produktion des Lebens selbst, thematisiert ist. Und man kann nicht an Gesellschaft denken, ohne daß man darüber nachdenkt, wie wir dazu kommen, zu leben und eine Gesellschaft zu bilden. - Das ist undenkbar, denn ohne die nächste Generation gibt es keine Gesellschaft. Das ist ja auch herausgearbeitet worden, daß der springende Punkt männlicher Theoriebildung der ist, daß dieser Prozeß abgeschnitten wird. Man fängt erst dann an nachzudenken, wenn der Sohn geboren ist und der Vater dazu existiert und diese beiden dann zusammen (in der Vorstellung) die Gesellschaft machen. Es wird immer an dem Punkt abgeschnitten, wo das Gesellschaft-Machen etwas mit Männern und Frauen zu tun hat. Die Verbindung zur Frau wird immer gekappt. Die Frau kommt dann erst hinterher wieder zum Vorschein, eben als die benachteiligte unterdrückte Opferfigur. Man kann nicht sagen, daß die Gesellschaftstheoretiker überhaupt nicht daran denken, daß das in der Theorie gar nicht existiert; es wird unter dem Mantel von Geschlechtsneutralität immer mitbehandelt, aber nicht offen, sondern immer nur latent. Das heißt, man kann schon herausanalysieren, was da vor sich geht, in den Köpfen und Theorien. Es ist aber nicht explizit. Das ist meine These.

Ich denke, "Gesellschaft" kann man sich nur in den Kategorien Klasse, Geschlecht und Generation nähern - das ist das, was Gesellschaft begründet. Und das hat in sich jeweils eigene Dynamiken, die nicht aufeinander zurückzuführen sind. Man kann das Geschlechterverhältnis nicht aus dem Klassenverhältnis ableiten, genausowenig wie man das Klassen- aus dem Geschlechterverhältnis und das Generations- aus dem Klassenverhältnis ableiten kann. Das ist eine Komplexität, die schwierig zu analysieren ist, aber man sollte das doch mittlerweile immerhin als Anspruch haben, und das würde die Art, mit der Geschlechterfrage umzugehen, für den sogenannten allgemeinen Diskurs schon verändern. Diese wäre dann nicht mehr geschlechtsneutral zu führen. Wobei sehr deutlich ist, daß in diese allgemeinen Theorien natürlich immer Geschlechterfragen eingehen, aber eben unbearbeitet. Es ist immer die gleiche Denkfigur: der Mann erschafft die Welt, erschafft die Gesellschaft und die Frauen sind darin nur "nebenwidersprüchlich" oder peripher oder wie auch immer beteiligt. Sie sind sozusagen nicht von Anfang an dabei, sondern sie sind immer diejenigen, die die Folgen dessen zu tragen haben, was die Männer tun. Das heißt, der Mann versucht sich als der darzustellen, der Gesellschaft produziert; und das ist natürlich eine Denkfigur, die sich aus einer Verkehrung von Abhängigkeiten im Geschlechterverhältnis ergibt.

Was heißt das genau: der Mann als Abhängiger? Du hast in diesem Zusammenhang vom "Prozeß der Entstehung des Lebens selbst" gesprochen, der in die Theorie nicht mit eingeht.

Windaus-Walser: Marxistisch hat man das "Reproduktionsprozeß" genannt, wobei eben witzig ist, daß der Reproduktionsprozeß auch immer erst da anfängt, wo die Menschen schon geboren sind, wo sie Lebensmittel konsumieren usw. Daran kann man nochmal sehen, daß offenbar darin, nämlich in der Hervorbringung der nächsten Generation, ein Problem verborgen liegt, wo der Mann der Abhängige ist. Damit die nächste Generation lebt, ist ja die Gesellschaft und auch der Mann darauf angewiesen, daß das weibliche Geschlecht dieses Leben erhält. Das ist eine ursprüngliche, der Gesellschaft vorgestellte Frage. Trotzdem ist sie natürlich für Gesellschaft wichtig. Der Mann findet zu diesem Prozeß über komplexe Regelungen Zugang, die seine Abhängigkeit von dieser weiblichen Macht etwas reduzieren. Das ist sozusagen das Patriarchat, das ist der Witz des Patriarchats.

Scheinbar ist es ja eine Selbstverständlichkeit, daß die Frau dieses Leben erhält. Man tut so, als sei da nicht genauso die Möglichkeit, daß sie es nicht tun könnte. Das ist offenbar zu bedrohlich. Das zeigt sich ja sehr deutlich bei der Diskussion um den § 218. Da wird die Schwangere immer nur als arme schwache Frau gesehen, die jetzt Hilfe braucht, Beratung usw. und nicht als die Mächtige, von der die Produktion des Lebens tatsächlich leiblich abhängt.

Windaus-Walser: Ja, es wird nicht der Mann gesehen, der hilfsbedürftig ist in der Entscheidung. Das kann man individualisieren: das konkrete Kind und die konkrete Frau, wo der Mann eben der Abhängige ist in der Frage, ob das Kind zur Welt kommt oder nicht; aber das kann man natürlich auch generalisieren: daß hier also ein Verhältnis gesetzt ist, das erst einmal etwas in die Verfügung des weiblichen Geschlechts stellt, ganz primär, was auch bedrohlich ist. Gut, es gibt Leute, die sagen: das sind alles nur Phantasien; aber es sind natürlich nicht nur Phantasien, sondern es ist auch Realität - z.B. Säuglingsmord oder was sonst in der Geschichte alles vorkam. Und es ist ja interessant, daß auch für diese marxistischen Theoretiker natürlich in einer Zeit, in der Empfängnisregelung überhaupt erst allgemein möglich wurde, sich gerade die Frage von Mutter oder Vater erneut stellt. Die Bezugnahme der Marxisten etwa auf die Frage, wie das Vaterrecht entstanden ist - das sind auch so merkwürdige Ideen. Daß das Privateigentum das Vaterrecht hervorbringt, das ist natürlich Quatsch. Die Marxisten sagen: das Eigentum des Mannes bringt das Vaterrecht hervor, das ist natürlich Unsinn, denn das Eigentum der Frauen, nämlich das Kind, bringt das Vaterrecht hervor bzw. macht das Vaterrecht zivilisatorisch interessant, nicht etwa das Privateigentum des Mannes.

Könnte man also das Nicht-Zur-Kenntnis-Nehmen feministischer Theorieansätze von männlicher Seite so erklären, daß Männer sich mit diesem Thema nicht beschäftigen wollen, weil sie sich dann auch ihre eigene Abhängigkeit eingestehen müssten?

Windaus-Walser: Ja. Es gibt zwei Möglichkeiten: Die eine ist eben die, daß man diesen Teil des armen pathologischen Weiblichen, des Weiblichen als Problem, ab und zu irgendwie in die Theorie hineinnimmt - darauf kann man sich verständigen, und zwar deshalb, weil es der Idealisierung des Männlichen sehr entgegenkommt. Das ist ja prima, da braucht kein Mann sich irgendwelche weiteren Gedanken zu machen. Die andere Seite ist: die Hoffnung in die Frau/Mutter als Heilsbringerin. Das gab es ja auch immer: die Frauenbewegung, die etwas Positives, das Friedliche oder das Liebevolle, Emotionale hineinbringt. Das darf ja nicht angerührt werden. Diese Denkfiguren stützen sich gegenseitig.

Interessanterweise wird dieser Aspekt von feministischer Theorie ja auch aufgegriffen. Du hast davon gesprochen, daß einige Männer die Gedanken der Frauen lediglich nachplappern. Kannst du aktuelle Beispiele nennen?

Windaus-Walser: Da gibt es die verrücktesten Beispiele. Das ist jetzt nicht auf der Ebene der linken Theorie, aber da ist z.B. Wilfried Wieck (3) unter anderem. Was da in breitem Umfang gelesen wird, das ist grandios. Das ist eine Unterwerfungsgeste, und natürlich der Appell an die Mutter Feminismus, an deren Brüsten man sich irgendwie nähren kann, was natürlich eine vollkommen idiotische Konstruktion ist, auch ungesellschaftlich gedacht, wobei der Wieck dieselbe Denkfigur hat wie schon Marcuse mit seiner Idee des femininen Sozialismus, daß letztlich die gute Mutter doch noch auf die Welt käme. Das ist natürlich eine regressive Vorstellung. Und das nach all der Erfahrung, daß die Mutter eben nicht nur gut ist. Bei meiner Tätigkeit beschäftige ich mich mit der Theorie der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Auch hier kommt es immer wieder vor, daß zustimmend darauf hingewiesen wird, daß sich die Frauen in einer besonderen Problemlage befinden, daß man ihnen ein bißchen "helfen" muß, damit von ihnen per se etwas Positives zu erwarten wäre. Diese komplementäre Denkfigur kehrt immer wieder.

In Deiner Rezension des neuen Buches von Reimut Reiche ist sehr oft davon die Rede, daß die Geschlechter voneinander abhängig sind, daß keines ohne das andere gedacht werden kann, daß Mann und Frau "zusammen Geschichte und Politik machen". Könnte das nicht auch verstanden werden als eine vorschnelle Versöhnungsgeste. Gerade linke Männer behaupten ja oft von sich, daß sie mit den Frauen solidarisch sind, ungefähr nach dem Motto: Wir wollen ja auch die Emanzipation der Frau, das kommt schließlich uns selbst zugute. Wir befreien uns sozusagen gemeinsam. Ich frage mich, ob das hier nicht doch wiederkehrt oder hast du das anders verstanden?

Windaus-Walser: Ja, das habe ich schon anders verstanden. Das knüpft nochmal an unsere Frage an. Wir hatten diese eine Möglichkeit der Reaktion, das Nachplappern; die andere, die mir so fehlt, wäre, in einen Dialog zu treten. Daß also Männer aus ihrer Perspektive sich auf die Geschlechterfrage einließen. Das "Nachplappern" ist ein Umgehen des Problems; denn sie sagen nicht: Was erhalte ich hier für ein Männerbild? Was zeichnen die Frauen von mir in ihren Theorien oder vom männlichen Geschlecht? Wie realistisch ist das oder was kann ich dem entgegensetzen? Was für eine eigene Produktion stelle ich dem eigentlich entgegen? Nur dann könnte man ja in einen Dialog eintreten. Aber der findet systematisch nicht statt. Reimut Reiche ist, finde ich, eine Ausnahme, weil er die Thematik aufnimmt. Er hat ja, das ist auch kurios, vor Jahren Sexualität und Klassenkampf geschrieben. Das ist ja nun eine gedankliche Entwicklung, denn die Gesellschaft besteht ja nicht nur aus Klassen - daß also Sexualität nicht zwischen den Klassen stattfindet, sondern zwischen den Geschlechtern und da ihren Ort hat. Damit hat er die Anstöße der Frauenforschung aufgenommen, aber eben dem Diskurs auch neue Überlegungen hinzugefügt, eigene Überlegungen, die nicht einfach dasselbe sind. Denn dasselbe nachplappern verleugnet ja gerade, was mit der existentiellen Abhängigkeit gemeint ist. Das würde auch bedeuten, daß sich die Geschlechter aus der jeweils eigenen Perspektive, durchaus als die zwei anderen und doch gleichen, begegnen müßten. Und das ist etwas ganz anderes, als wenn die Männer sagen: ja, wir sind auch auf eurer Seite und wir haben in der Zukunft auch etwas davon, wenn ihr euch befreit. Das verleugnet ja gerade das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein, und es verleugnet von der männlichen Seite das Potential an Angst, die ebenfalls im Geschlechterverhältnis angesiedelt ist. Nicht nur Frauen haben Angst vor Männern - das ist das kulturell Zugelassene -, sondern doch auch umgekehrt. Weil das andere Geschlecht eben das ganz Andere ist und weil man es nicht genau kennt. Diese Angst müßte auf beiden Seiten zur Sprache kommen, wenn es ernst zu nehmen wäre.

Es gibt noch eine andere Reaktion von Männern auf die Frauenbewegung, von der wir noch nicht gesprochen haben, vor allem im kulturellen Bereich fällt sie auf: eine Reaktion, die so aussieht, daß man einfach zurückschlägt. In der Literatur zum Beispiel ist es heute durchaus salonfähig, als Mann ausgesprochen chauvinistisch zu schreiben. Ich denke da an die Rowohlt-Reihe MANN. Aber auch, was die Debatte über Quotierung und vor allem deren Durchsetzung betrifft, wird das jetzt offensichtlich. Ich finde es ein interessantes Phänomen, daß doch viele Männer jetzt vor Gericht klagen, sobald in Einstellungsverfahren mit Quoten argumentiert wird. Da zeigt sich plötzlich, daß es um Kampf geht zwischen den Geschlechtern. Da wo man vorher gesagt hat: die Frauen müssen halt gefördert werden, zeigen sich jetzt die ganz realen Konflikte.

Windaus-Walser: Ich meine auch nicht, man soll sich in Friede-Freude-Eierkuchen-Manier an einen Tisch setzen. Gemeinsam Geschichte und Politik machen, heißt nicht zusammen harmonisch zu sein, sondern meint schlicht, daß beide Geschlechter beteiligt sind. Die traditionelle Aufspaltung sagt ja, das Aggressive komme vom Mann und das Unterdrückte, Passive komme von der Frau. Darin liegt aber der große Denkfehler. Dagegen richtet sich meine Kritik. Man darf nicht mehr sagen: die Männer machen die Politik und die Frauen tragen die Folgen, sondern beide zusammen machen Geschichte und Politik.

Wobei es aber, denke ich, doch immer auch eine Differenz gibt. Das müßte man historisch noch genauer fassen. Das klärt das Wort zusammen nicht genug, denke ich. Da assoziiert man unwillkürlich auch eine wirkliche Zusammenarbeit.

Windaus-Walser: Das unterschlägt nicht den Kampf. Reiche hat mehrere Relationen zwischen den Geschlechtern aufgestellt. Kampf ist eine davon. Ich finde schon, wenn man sich das einmal wirklich überlegt: Wenn es wirklich so wäre, daß der Mann Politik und Geschichte macht und die Frau die Folgen trägt, dann wären die Frauen schon längst ausgestorben. Das ist nicht denkbar. Als lebendige Wesen wären die überhaupt nicht mehr vorhanden. Bei der Frage der Verdinglichung oder des instrumentellen Verhältnisses zur Natur, Aufklärung usw., da wird es ja immer so konstruiert - und das ist natürlich eine Trostphantasie -, daß dies das Männliche sei und das andere, das Nicht-Instrumentelle das Weibliche, das sich irgendwie erhält. Das halte ich für einen grandiosen Fehler. Die Differenz liegt nicht in der Qualität, liegt nicht darin, daß das Männliche verdinglicht sei und das Weibliche nicht, sondern die Differenz liegt in dem Ort der Verdinglichung.

In realer Macht aber doch auch. Das steht doch auch in Frage, ein Machtgefälle.

Windaus-Walser: Das ist eben immer diese schwierige Frage. Wenn man es historisch sieht: Neuzeit heißt Trennung von Sphären, Trennung von Geschlechtern, Entfremdung zwischen den Geschlechtern, sozusagen zwei Orte - ein Idealisieren des Männlichen, die Männer als die, die eben herausgehen und diese neue Welt erschaffen usw. Das halte ich für sehr begrenzt. Die Frage ist ja immer: wo setzt man die Interpunktion, d.h. wo fängt man an zu denken. Fängt man da an, wo die öffentlichen Institutionen sind, wo überwiegend Männer sitzen oder sieht man mal die Gesellschaft als das Komplexe, was sie ist. Und da, denke ich, kann man auch parallelisieren, daß sozusagen auf der Seite der Frauen auch ein, natürlich anders gearteter, Dominanzbereich entstanden ist: nämlich eine Art Formungsmacht über die nächste Generation. Die Kehrseite des Entstehens von Öffentlichkeit als Männerbund ist die Entstehung des Privaten als Frauenbund, und die hat auch mit Dominanz eines Geschlechtes zu tun. Das muß man berücksichtigen. Mit dieser Mutterdominanz - das weibliche Gegenstück zum Männerbund ist die Figur der Mutter - kommt eine neuzeitliche Machtposition. Gut, da kann man sagen, das ist alles ohnmächtig. Aber das stimmt doch nicht. Es ist bestimmt und eingeschränkt usw., nur: die Idee, daß diese Entwicklung nicht selbst auch bestimmend ist, ist eine Verleugnung. Natürlich bestimmt das auch das, was Gesellschaft ist, und was Männlichkeit ist, wird natürlich auch dadurch bestimmt. Das haben auch Feministinnen gut herausgearbeitet, daß darin auch Bestimmung von Gesellschaft und männlichem Geschlecht liegt. Das ist immer die Frage: kann man es gleichgewichtig setzen oder kann man es nur 40 zu 60 Prozent oder wie auch immer. Ich weiß nicht, wie entscheidend das ist und ob das überhaupt zu etwas führt, weil es immer die Frage bleibt, was ist möglicherweise primär und was ist sekundär. Es ist aber wie bei der Reproduktion des Lebens selbst, daß beides zugleich primär ist, weil nichts auf dieser Welt ohne das andere Geschlecht geht. Weil sonst gar kein Leben möglich wäre. Ich denke, man kann das schon so prinzipiell sehen, und so muß man es auch denken.

Klar ist, daß natürlich Männlichkeit in der Moderne heißt zu verleugnen, vom weiblichen Geschlecht auch bestimmt zu sein. Das wird ja systematisch ausgeblendet. Die Denkfigur ist: Wir sind von Frauen nicht beeinflußt, wir beeinflussen nur die Frauen. Das ist der Witz der männlichen Theoriebildung. Dann kann man, wenn Feministinnen dasselbe behaupten, fragen, womit das zu tun hat. Das muß noch längst nicht die Realität abbilden. Das kann ja eine Entsprechung sein, die beiden Geschlechtern nützt. Und wenn man es als einen fundamentalen Mechanismus ansieht, daß beide Geschlechter projizieren, kann man auch nicht sagen: der Mann fängt an mit dem Projizieren und die Frau reagiert, sondern von Anfang an ist es ein fundamentaler Mechanismus von dem einen Geschlecht zum anderen, das an dem eigenen nicht Erträgliche auf das andere zu projizieren, sozusagen beim anderen abzuladen. Jetzt können wir nochmal auf die Figuren zurückommen: Was laden Frauen ab? Das Aggressive, das Bestimmende beim Mann. Die Männer dagegen laden das Abhängige, das Schwache, das Bestimmtsein bei den Frauen ab. Und in Wahrheit sind beide bestimmend und bestimmt, gegenseitig.

Vielleicht müßte man noch differenzieren, wenn es um öffentliche Muster geht. Das ist ja mit einer kulturellen - ich komme doch wieder auf das Wort - Machtfrage verbunden, wobei ich nicht sagen will, daß man jetzt genau gewichten muß, sondern daß die Produktion der jeweiligen Bilder auch in verschiedenen Formen abläuft.

Windaus-Walser: Ja. - Und mit Linken zu diskutieren ist schwer, weil sie mir immer das Bild einer armen aggressiv impotenten Frau wiederspiegeln. Die kann natürlich auch nicht wirklich denken und die ist auch nicht interessant in dem, wie sie denkt - wie soll aus so einer "Figur" irgendein interessanter Gedanke kommen? Und durch diese Festschreibung, denke ich, ist der Diskurs auch langweilig. Man kann sich nur gegenseitig in diesen Konstruktionen bestätigen und auseinandergehen und keiner hat sich dabei verändert.

Und jeder hat so einen festen Bereich, in dem er seine Theoriebildung betreibt.

Windaus-Walser: Ja, und keiner berührt oder beeinflußt sich gegenseitig.

Ich fand es deshalb auch interessant zu sehen, was passiert, wenn tatsächlich so etwas wie Quoten eingeführt werden, wenn Männer plötzlich sagen: aber das macht mir meine Karriere kaputt. - Es wird ja heute von den Männern behauptet: wir sind die Generation, die es jetzt trifft. Dazu will sich aber offenbar kein Mann öffentlich äußern, jedenfalls bei uns in der Redaktion auch nicht.

Windaus-Walser: Ja, die Männer trifft es jetzt. Das ist schon lustig. Ich bin ja auch in einer Institution, und ich finde das alles ganz verrückt, was da abläuft. Und dieses Ausblenden, das ist ganz klar, das ist auch an der Hochschule so. Es gibt die Frauenecke, aber man läßt sich nicht davon berühren. Auch an der Hochschule gilt: Professionalität ist männlich, und es passiert einfach völlig unbewußt, daß in Bezug auf Profession einfach nicht an Frauen gedacht wird. Es ist dieses Nicht-bearbeitete, Ängstliche von Seiten der Männer an dieser Frage. Es würde sie eben verändern, wenn in der Öffentlichkeit die Hälfte weiblich wäre; es würde die Männer verändern. Und das fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser.

Der offene Konflikt ist mir allerdings lieber als dieses komische Glatteis, wo einerseits anerkannt wird, daß Frauen wichtig sind, aber dann doch die eigenen Ideen und Theoriebildungen und der eigene Beruf usw. davon nicht berührt wird.

Wenn z.B. Frauenforschung wie eine Fachrichtung behandelt wird.

Windaus-Walser: Oder aber, sie wird eingemeindet. Wenn man sagt: es ist kein Fach, sondern es muß überall sein, dann wird es auch wieder so benutzt, daß man sagt, dann machen wir Männer es doch gleich selbst; dann erwähnen wir eben ab und zu, daß es da noch Frauen gibt und daß es denen besondern schlecht geht. Oder nehmen wir diese Diskussion über die weiblichen Führungsqualitäten: Ich habe langsam den Eindruck, daß diese ganze Diskussion - da ist ja auch eine komische Diskrepanz zwischen dem Reden und der Realität -, daß es dabei überhaupt nicht darum geht, konkrete Frauen in diese Positionen zu holen, sondern darum, von männlicher Seite das sogenannte Weibliche - was ich für Fiktion halte - sich anzueignen, damit keine realen Frauen auftauchen. Bei dieser Führungsgeschichte, wo es sich ja immer um das "moderne Management" dreht, geht es, glaube ich, hauptsächlich darum, daß Männer diese sogenannten weiblichen Qualitäten entwickeln sollen, damit keine konkreten realen Frauen kommen müssen, weil sie das Weibliche ja schon in sich haben in der geänderten Führungsstrategie.

Als eine der neuen "Schlüsselqualifikationen", wie man das heute nennt.

Windaus-Walser: Ja. Es ist eigentlich eine Abwehrstrategie gegen das wirkliche Auftreten von Frauen, die den Mann darauf hinweisen würden, daß er auch nur halb ist - nämlich ein Mann. Das wird systematisch vermieden. - Aber ich finde trotzdem immer das Pendant auf der weiblichen Seite wichtig: die Quotierung auf der einen Seite müßte da ihre Entsprechung in der Quotierung im weiblichen Raum haben, was von den Frauen genauso erfordern würde, daß sie anerkennen, daß sie nur halb sind. Wenn man sich auf Privates bezieht (Vater, Mutter, Kind usw.), dann gibt es auf der Frauenseite eine ganz große Entsprechung, wo eben die Mutter alles ist und der Vater nur als Kopie der Mutter, als Mappi sozusagen, erscheinen darf. Das heißt: die Frauen haben ja auch keine Vorstellung davon, daß das Väterliche etwas ist, was sie nicht haben. Es geht ja immer nur darum, daß die Frauen sich fragen, ist der Mann so gut wie ich? Kann er Mutter sein? Das ist aber nicht das Problem.

Das hieße dann, weitergedacht, auch in den sogenannten weiblichen Berufen eine Quotierung einzuführen?

Windaus-Walser: Letztendlich, denke ich, ja. - Gut, in dem, was Öffentlichkeit heißt, steht natürlich erstmal auf dem Plan, daß da Frauen real anwesend sind, und zwar ohne irgendetwas Besseres oder Anderes zu repräsentieren. Denn an diese Kisten glaube ich nicht. Die Frauen versuchen ja immer zu sagen: die Öffentlichkeit braucht uns, weil wir bestimmte Qualitäten haben. Doch diese Qualitäten binden sie immer an Mutterschaft - als Handlung, als Praxis oder als Gefühl, als dem Leben Zugewandtem etc. Das halte ich für absolut fatal und auch falsch. Denn ich denke, es ist eigentlich eine regressive Idee, in der die Komplexität von Gesellschaft vereinfacht wird, das Ganze von Gesellschaft aus dieser Perspektive des Weiblichen, des Privaten her ausgefüllt werden soll. Das ist gerade nicht der Punkt. Der Sozialismus als Idee macht es umgekehrt: er versucht die ganze Gesellschaft aus dem Öffentlichen aufzurollen. Das haben wir ja schon immer darin entdeckt, und das war auch wichtig; denn nun hat sich bestätigt, daß diese Vergesellschaftungsidee auch etwas zutiefst Regressives und Totalitäres und letztlich Inhumanes hatte.

Das war natürlich auch die Vorstellung, die Gesellschaft aus einer Ecke zu analysieren und gerade die Brüche der Moderne zuzuschütten. Anstatt zu sagen: da ist Öffentlichkeit, da geht es um die Strukturen, und da ist Privates, und da geht es um andere Strukturen und das gilt es auszubalancieren, versuchen die Männer - und ich denke, das ist geschlechtsspezifisch - es von der einen Seite aufzurollen und die Frauen von der anderen. Und beides ist regressiv und eigentlich nicht demokratisierend oder humanisierend.

Die Mutter, die ist wichtig in der Beziehung zum konkreten Kind und danach nicht mehr. Und was in der Öffentlichkeit fehlt, ist die Frau und nicht die Mutter. In der Frauenbewegung gibt es die Idee, Mütterlichkeit als Beruf in die Gesellschaft zu bringen, doch das ist bekanntlich historisch auf grausame Weise gescheitert. Das muß man doch mal zur Kenntnis nehmen. Im Nationalsozialismus hatten Frauen beispielsweise als Fürsorgerinnen, in Mütterlichkeit geschult, überhaupt nicht mehr, auch nicht weniger Widerstandsfähigkeit gegenüber der Barbarei als die Männer. Im Nationalsozialismus hat sich die Idee eines "humanen Weiblichen" - ich wundere mich, warum es nicht zur Kenntnis genommen wird - ja real und historisch falsifiziert. Ich will nur noch einen Gedanken sagen: Wenn man sich die Theoriebildung anschaut, dann war der Nationalsozialismus von der Geschlechterfrage geradezu durchtränkt: Stichwort "Fortpflanzungswahn". Das Thema war ja unglaublich dominant im Nationalsozialismus, auf eine ganz absurde und inhumane Weise. Und wenn man die Geschichte anguckt, so hat die Theoriebildung danach versucht, geschlechtsneutral zu sein, d.h. das gerade nicht zu tun. Darin gibt es vermutlich eine untergründige Bezugnahme auf das Barbarische des dominanten Geschlechterthemas im Nationalsozialismus. Das Scheitern wird nicht thematisiert und bearbeitet, sondern einfach überdeckt. Die Männer versuchen geschlechtsneutral zu argumentieren, und die Frauen versuchen zu sagen: Frauen waren nie für irgendwas verantwortlich; und beides ist eben falsch. Die Linke nach 45 hat versucht, das Geschlechterthema auszugrenzen - immer in Bezugnahme auf diese vergangene Geschlechtsdimension, dieses Verrückte mit der "arischen" Mutter. Was natürlich aber nicht geholfen hat.

Auch die Frauen, denke ich, haben das getan.

Windaus-Walser: Ja, die grenzen es auf ihre Weise aus, indem sie vom Geschlecht reden, aber nicht davon, was da passiert ist. Indem sie sagen: das, was da passiert ist, haben die Männer alleine gemacht. Die haben uns unterdrückt.

Wobei es inzwischen auch einige andere Forschungen gibt: im Moment sind einige Frauen gerade dabei anzufangen, überhaupt zu untersuchen, was da war (4).

Windaus-Walser: Dank meiner Beiträge, unter anderem (5). Es ist sehr hart, sich damit auseinanderzusetzen, aber es ist von Bedeutung. Jetzt ist die Situation, die günstig wäre sowohl für die Linke wie auch für den Feminismus, sich beide mit ihrem Scheitern auseinanderzusetzen. Über diese beidseitige Auseinandersetzung könnten möglicherweise neue Dialoge auf andere Weise gefunden werden, indem nicht nur immer Schuld hin und her geschoben werden würde. Man müßte jetzt das selbstreflexive Moment stärken gegenüber den eigenen Theorien und Vorstellungen. Eben das, finde ich, könnte der Feminismus aus dem Scheitern des Sozialismus auch lernen: wie kommt frau/man dazu zu glauben, daß das, was frau/man sich ausdenkt, per se human sei.

Anmerkungen

1. Karin Windaus-Walser: Neues zur Geschlechterfrage (Rezension zu R. Reiche, Geschlechterspannung, 1190), in : Listen Heft 23, 1991

2. Karin Windaus-Walser: Autorität und Geschlecht - Eine Dialektik der Verklärung, in: R. Erd, D. Hoß u.a. (Hrsg.): Kritische Theorie und Kultur, Frankfurt/M. 1989

3. Wilfried Wieck: Männer lassen lieben, Stuttgart 1987

4. vorgestellt während der Tagung: Ortbeschreibung und Perspektivenwahl: Zur Täterschaft deutscher Frauen im Nationalsozialismus, vom 12. - 14.4.1991 in Berlin (von Gudrun Schwarz, Theresa Wobbe, Brigitte Schaiger, Doris Fürstenberg u.a.)

5. vgl. Karin Windaus-Walser: Gnade der weiblichen Geburt? Vom Umgang der Frauenforschung mit Nationalsozialimus und Antisemitismus, in: Feministische Studien, l, 1988 dies.: Frauen im Nationalsozialismus, Eine Herausforderung für feministische Theoriebildung, in: L. Gravenhorst/C. Tatschmurat, Töchter fragen, NS-Frauengeschichte, Freiburg 1990

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