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Heft 19: Archipel Knast – Gefängnis als Gesellschaftspolitik

1986 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 19
  • August 1986
  • 176 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-036-4

Thomas Mathiesen

Acht Gründe, zumindest keine neuen Gefängnisse mehr zu bauen
Rede auf einem UN-Kongreß Mailand 1985

Die Gefängnissyssteme einer Reihe europäischer Länder werden gegenwärtig ausgebaut. Das gleiche gilt für die vielen Gefängnisse in den USA. Die Zahl der Gefangenen steigt ständig, und manchmal werden in geradezu alarmierendem Ausmaß neue Gefängnisse in Betrieb genommen.

In der ersten Hälfte der siebziger Jahre konnte man in einigen Ländern ein Absinken der Zahl der Gefängnisinsassen beobachten, z.B. in England, Schweden und in einigen Bundesstaaten der USA. Es stellte sich aber heraus, daß diese Tendenz nicht anhaltend war. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre begannen diese Zahlen wieder zu steigen. Dieser Anstieg setzte sich in einigen Ländern bis in die achtziger Jahre hinein mehr oder weniger beschleunigt fort. Dabei kam es zur Überfüllung von Haftanstalten bzw. zu immer länger werdenden Wartelisten - und nicht zuletzt zu neuen Programmen zum Bau von Gefängnissen (1). Die Ausdehnung der Gefängnissysteme kann nicht als automatischer Reflex der Kriminalitätsrate verstanden werden.

Um es zu wiederholen: Die Zahl der Insassen war in der ersten Hälfte der 70er Jahre deutlich abgesunken, während sie danach wieder anstieg. Aber sämtliche offiziellen Kriminalitätsraten stiegen während dieses ganzen Jahrzehnts.

Mit anderen Worten: Die Gefangenenzahlen und die offiziellen Kriminalitätsraten änderten sich unabhängig voneinander.

Obwohl der Hintergrund der Ausweitung des Gefängnissystems sehr komplex ist, macht dieses historische Beispiel (und es gibt auch noch andere) deutlich, daß die Kriminalpolitik und die Anwendung der Gefängnisstrafe von politischen Strömungen und Entscheidungen abhängen - und zwar sowohl im politischen als auch im juristischen Bereich. Die Tatsache, daß diese Entscheidungen durchgesetzt werden, die Tatsache, daß die Expansion des Gefängniswesens also eine politische Angelegenheit ist, macht die folgende Frage unabdingbar: Ist diese Ausweitung überhaupt vernünftig und notwendig?

Gegenwärtig gibt es eine internationale Bewegung für die Abschaffung von Gefängnissen, oder zumindest für die Abschaffung der großen Mehrzahl der Gefängnisse. Diese abolitionistische Bewegung hat ihre Wurzel in den sechziger und siebziger Jahren, vor allem in den skandinavischen Ländern und in England. Neuerdings hat sie sich auch in Kanada und den Vereinigten Staaten entwickelt. Interessanterweise sind u.a. die Quäker daran beteiligt. Sie betonen, daß sie, seit sie die Menschen einmal in die Gefängnisse gebracht haben, heute dafür sorgen müssen, sie dort wieder herauszuholen. Der Erste Weltkongress zur Abschaffung von Gefängnissen war 1983 in Toronto von eben diesen Quäkern organisiert worden. Die Beteiligung war international. Der zweite Weltkongress fand 1985 in Amsterdam statt, organisiert vom dortigen Institut für Kriminologie.

Meine eigene Überzeugung ist, daß Gefängnisse abgeschafft gehören. Unsere Gesellschaft sollte derart organisiert sein, daß Gefängnisse unnötig sind - vielleicht mit Ausnahme von Extremfällen. Auch glaube ich, daß eine solche gesellschaftliche Veränderung möglich ist, und an anderer Stelle habe ich versucht, dafür einige Begründungen und Zusammenhänge zu benennen (2). Dennoch bin ich realistisch genug um zu erkennen, daß die Durchsetzung einer abolitionistischen Politik nicht unmittelbar ansteht.

Ein gemäßigteres und realistischeres Nahziel für die nächste und mittlere Zukunft ist es, die schnelle Ausweitung des Gefängniswesens zu zügeln und zu stoppen. Denn diese Ausweitung ist im Begriff, das Gefängnis zu einem zentralen Kern der staatlichen Politik sozialer Kontrolle zu machen. Was sind nun die wesentlichen Argumente dagegen, noch mehr Gefängnisse zu bauen?

Ich sehe acht Hauptargumente, die meiner Einschätzung nach zusammengenommen eine wirkungsvolle Basis für eine Politik der internationalen und andauernden Ächtung von Gefängnisneubauten abgeben.

An erster Stelle steht das Argument "Individuelle Vorbeugung" (Spezialprävention). In den letzten Jahrzehnten sind von Kriminologen und Soziologen eine Vielzahl von empirischen Studien zu diesem Thema erstellt worden. Sie zeigen ganz klar, daß Gesetzesbrecher durch das Einsperren in Gefängnisse nicht "gebessert" werden. Lange Zeit war die Tatsache irrationalerweise als Begründung benutzt worden, mehr Gefängnisse zu bauen und die Gefängnisse noch stärker als Sanktionsmittel einzusetzen. Das Argument war: da die Gesamtheit der Gefängnisstrafen nicht geholfen hat, brauchen wir einfach mehr davon. In einem entsprechenden politischen Klima können ineffektive Systeme durchaus lange Zeit auf solch irrationaler Grundlage sprießen und gedeihen.

Aber, wie gesagt, die Begründung ist irrational.

Die große Zahl der Untersuchungen sind ein gewichtiges Argument gegen das Gefängnis im allgemeinen und ganz sicher dagegen, mehr davon zu bauen. Daß Gefängnisse im Sinne von individueller Vorbeugung ineffektiv sind, wird inzwischen sogar von staatlichen Behörden anerkannt. So sagt z.B. eine schwedische Regierungserklärung zum Thema der individuellen Vorbeugung folgendes aus:

"Die Idee, das Individuum durch Freiheitsentzug im Gefängnis zu bessern, ist eine Illusion. Im Gegenteil, es ist heutzutage ein Gemeinplatz, daß eine solche Bestrafung zu mangelhafter Wiedereingliederung und hoher Rückfälligkeit führt, zusätzlich zur Tatsache, daß eine solche Bestrafung zerstörerische Auswirkungen auf die Persönlichkeit hat." (3)

Gerade dieser zerstörerische Effekt sollte besonders im Gedächtnis behalten werden.

An zweiter Stelle steht das Argument der allgemeinen Vorbeugung bzw. der Abschreckung (Generalprävention). Diese Frage ist der empirischen Forschung weniger leicht zugänglich. Was sich aber mit ziemlicher Sicherheit sagen läßt, ist: Die Wirkung ist zumindestens unklar und von geringerer Bedeutung für die Entwicklung der Kriminalität in einer Gesellschaft als sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen. Auch dies wird heutzutage immer mehr in den Regierungsetagen einiger Länder eingesehen. Die oben erwähnte schwedische Regierungserklärung bemerkt dazu folgendes:

"In dieser Hinsicht ist die Wirkung des Strafvollzugs in einem großen Maße unsicher. Alle verfügbaren Untersuchungen wie auch internationale Vergleiche zeigen: Die Entwicklung der Verbrechensrate steht in keinem definierbaren Verhältnis zur Anzahl der inhaftierten Personen oder der Länge der abzusitzenden Strafe. Im Anschluß an das, was die nationale Gefängnis- und Bewährungsbehörde in ihrer Erklärung ausgeführt hat, ist es keine Übertreibung zu sagen, daß die Bedeutung der Kriminalpolitik als Abschreckungspolitik für die Verbrechensentwicklung eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt. Vorausgesetzt, man sieht diese im Vergleich zur Bedeutung der Familien- und Schulpolitik, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Organisation- und Funktionsweise des Justizsystems, und natürlich in Bezug auf die Wirtschaftsstruktur und das Menschenbild in einer Gesellschaft."

Bisher habe ich in allgemeiner Weise über den Abschreckungseffekt des Gefängnisses geredet. Es sollte aber hinzugefügt werden, daß es einen Unterschied zwischen grundsätzlichen und graduellen Veränderungen von Kontrollsystemen gibt. Hier geht es nicht um grundsätzliche Veränderungen, sprich um die Abschaffung von Gefängnissen, sondern lediglich um die Ächtung des weiteren Ausbaus dieses Systems. Solch eine Ächtung könnte schon durch eine Politik der kleinen Schritte in der Praxis vorzeitiger Entlassung und durch eine veränderte Urteilssprechung erreicht werden, was die Frage der Abschreckungswirkung des Gefängnisses weniger dringlich machen würde. Dieser Aspekt führt uns geradewegs zum dritten Argument für eine Ächtung von Gefängnisneubauten.

An dritter Stelle steht das Argument, das sich auf die Durchführbarkeit einer Ächtung von Gefängnisneubauten bezieht. Die anwachsenden Warteschlangen und Probleme der Überfüllung von Gefängnissen in mehreren Ländern der westlichen Welt mußten als Begründung für neue Gefängnisse herhalten. Diese Situation könnte in verschiedene Richtungen angegangen werden. Zum Beispiel durch Herabsetzung der Grenze für die Entlassung auf Bewährung und/oder durch die Änderung der Verurteilungspraktiken. Obwohl auch Skandinavien den Problemen der Überfüllung nicht entgehen konnte, lassen sich dort Beispiele für alternative Orientierungen finden. 1983 wurden in Schweden neue Regelungen eingeführt, die die Entlassung auf Bewährung betreffen. Für die große Mehrheit der Gefangenen gibt es jetzt den verbindlichen Anspruch auf Entlassung nach der Hälfte der Strafzeit. Nur wenige spezielle Gruppen von Häftlingen sind davon ausgenommen. Diese neuen Entlassungsregeln konnten die Insassenzahlen von 1983 auf 1984 zwischen 13% und 17% verringern. Die schwedische Behörde für Verbrechensvorbeugung führt gegenwärtig eine Untersuchung über die statistischen Langzeitwirkungen des insgesamt gestiegenen "Umlaufs" in den Gefängnissen durch. Vorläufige Ergebnisse zeugen von sicher langfristig ansteigenden kriminellen Aktivitäten, aber die vorhandenen Zahlen sind sehr klein verglichen mit der Gesamtzahl der Verbrechen, die der Polizei pro Jahr gemeldet werden. Mit anderen Worten: Die veränderten Regelungen der Freilassung werden nur einen geringen Beitrag zur Beeinflussung der schwedischen Kriminalitätsrate leisten.

1982 verringerte Dänemark die Höchststrafe für eine Reihe von Eigentumsdelikten, verkürzte gleichzeitig die Mindestzeiten für die Entlassung auf Bewährung und liberalisierte die Regelungen bzgl. Trunkenheit am Steuer.

Die Herabsetzung der Höchststrafe für Eigentumsdelikte sollte die allgemeine Höhe der Urteile um ein Drittel reduzieren. Auch von Begnadigungen wurde in Dänemark extensiv Gebrauch gemacht. Dazu muß man allerdings sagen, daß die Ergebnisse der dänischen Veränderungen weniger deutlich sind als die der schwedischen Kammer, weil viel dem Ermessensspielraum der Gerichte überlassen wird. In einer Zeit der Ausweitung des Gefängniswesens sollten neue Regelungen zur Verminderung der Anzahl von Häftlingen ohne Spielraum sein, und man sollte die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt nicht Institutionen überlassen, die ihrerseits politischem Druck ausgesetzt sind.

An vierter Stelle bringe ich das Argument, daß ein Gefängnisneubau einen nicht wieder zurücknehmbaren Charakter hat. Ist eine Anstalt erst einmal errichtet, wird sie nicht so schnell wieder abgerissen werden. Vielmehr wird sie stehen bleiben und für eine lange Zeit benutzt werden. Lassen Sie mich das kurz vergleichen mit einem ökologischen Problem in meinem Heimatland Norwegen:

Vor einigen Jahren beschlossen die norwegischen Behörden, einen 110m Staudamm in einem großen Tal im nördlichen Teil des Landes zu errichten. Das Vorhaben sollte der Gewinnung von Elektrizität dienen. Für die Umwelt hatte das zerstörerische Folgen gehabt: Bedroht waren die lokale Fischerei- und Rentierwirtschaft ebenso wie die landschaftliche Schönheit dieser Gegend im subartiktischen Klima des hohen Nordens Norwegens. Diejenigen von uns, die den Protest gegen dieses Projekt getragen haben, betonten, daß der Staudammbau auch nicht wieder gutzumachen sei. Einmal gebaut, läßt sich der Staudamm nie wieder "ungeschehen machen". Es tut mir leid, mitteilen zu müssen, daß dieser Damm jetzt trotzdem gebaut wird.

So ähnlich ist es mit dem Bau von Gefängnissen. Wenn es nicht ganz bestimmte Verhältnisse verhindern, kann ein einmal gebautes Gefängnis nicht wieder ungeschehen gemacht werden. Die Architekten, unter deren Leitung die Gefängnisse Anfang des 19. Jh. gebaut worden waren, hatten wohl kaum eine Vorstellung davon, daß diese Gebäude auch noch bis Mitte bzw. Ende des 20. Jahrhunderts benutzt werden würden. Viele von ihnen sind tatsächlich noch in Gebrauch. Dieser irreversible Charakter von Gefängnisbauten, die Tatsache, daß der Bau von Gefängnissen Teil eines langfristigen historischen Prozesses ist und nicht bloß eine pragmatische kurzfristige Angelegenheit, genügt allein schon als Begründung, sich heutzutage auf kein Gefängnisneubauprojekt einzulassen.

An fünfter Stelle folgt das Argument, das ich mit dem expansionistischen Charakter des Gefängnissystems auf den Begriff bringen möchte. Das Gefängnissystem als eine gesellschaftliche Institution ist nie gesättigt - es verhält sich wie ein Tier, dessen Appetit mit dem Essen wächst. Genauer: Neue Gefängnisse, selbst wenn man sie ausdrücklich als Ersatz für alte geplant hat, werden in der Praxis zu Zusatzeinrichtungen für alte Gefängnisse.

Auch wenn es Ausnahmen geben mag, scheint mir dieser expansionistische Charakter sehr deutlich. Dieses System enthält eine Triebkraft oder einen politischen Mechanismus, der eher seine Ausweitung statt seinen Abbau begünstigt, hat man einmal mit dem Bauen angefangen. Verschiedene soziale und politische Bedingungen außerhalb und innerhalb dieses Systems schaffen diese Triebkraft - besonders in Zeiten, in denen das Gefängniswesen unter Problemdruck steht.

An sechster Stelle möchte ich das humanitäre Argument anführen. Heutzutage wissen wir ohne Zweifel, daß Gefängnisse als gesellschaftliche Einrichtungen unmenschlich sind. Dafür gibt es eine ganze Menge Bestätigungen. Berichte von Insassen, Journalisten und Sozialwissenschaftlern melden den entwürdigenden, erniedrigenden und Entfremdung erzeugenden Charakter des Gefängnisses.

Das Leiden unter der Inhaftierung schließt eine Vielzahl von Einschränkungen ein: Freiheitsberaubung; Ausschluß von Waren und Dienstleistungen verschiedenster Art; in den meisten Fällen die Unmöglichkeit heterosexueller Beziehungen; Verlust von Autonomie und Sicherheit. Auch wenn es in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen verschiedenen Gefängnistypen gibt (z.B. offener und geschlossener Vollzug), sollte doch klar sein, daß die genannten Leiden im Gefängnis strukturell produziert sind. Sie sind wesentliches organisatorisches Prinzip des Gefängnissystems. Das heißt, daß ganz bestimmte Organisationsformen eines Gefängnisses zwar die Leiden lindern, aber nicht gänzlich abschaffen können. Zu den am schwersten abbaubaren Einschränkungen gehört der Verlust an Autonomie und Rechtssicherheit. Die Gefangenen sind einer Herrschaft unterworfen, die auf einem fundamentalen Mangel an eindeutigen Rechten basiert. Auf Seiten des Gefängnispersonals gibt es eine Menge von Befugnissen, die die Insassen diesen Mangel sehr deutlich spüren lassen. Auch in diesem Zusammenhang muß man wieder beachten, daß, getreu der Expansionslogik des Gefängnissystems, alte und abgewirtschaftete Einrichtungen ja nicht aufgegeben werden, wenn neue in Aussicht stehen - gerade in Zeiten, wenn das ganze Gefängniswesen unter Problemdruck steht.

Aus diesem Blickwinkel scheint die Verbesserung alter Anstalten eine vernünftigere und menschlichere Politik zu sein.

Außerdem sollten wir es nicht als erwiesen erachten, daß neue, sterile Einrichtungen humaner funktionieren als - verbesserte - alte Anstalten.

An siebter Stelle gibt es das Argument der kulturellen Werte. Das Gefängniswesen ist ein System mit kulturellen Auswirkungen. Es schafft nicht nur ein Netz existierender Einrichtungen und ist nicht bloß eine komplexe gesellschaftliche Institution. Es ist auch ein Symbol dafür, wie eine Gesellschaft über Menschen denkt. Es beruht auf der Annahme, daß zwischenmenschliche Konflikte mit Gewalt und Erniedrigung gelöst werden könnten. Und wenn dieses System ausgeweitet wird, steigert sich auch sein symbolischer Wert. Der Bau neuer Gefängnisse bedeutet für die ganze Gesellschaft, daß die Gefängnislösung eine gute Lösung sei. Denn wer würde schon neue Gefängnisse bauen lassen, ohne an ihre Wirkung zu glauben? Im aktuellen Fall wissen wir, daß heutige Politiker, die den Gefängnisbau befürworten, gar nicht recht an seine Wirkungen glauben. Das ist ein weiterer Hinweis auf die Unvernünftigkeit heutiger Strafrechtspolitik. Aber für die Öffentlichkeit signalisiert ein Neubau notwendigerweise eine positive Wertung dieses Systems. Auf diese Weise gewöhnt man unsere Gesellschaft durch den Bau von Strafanstalten an die "Gefängnislösung" gesellschaftlicher Konflikte.

In Zusammenhang mit den vorhergehenden sechs Argumenten gegen den Gefängnisneubau ist dies ein grundlegendes und in meinen Augen gewichtigeres Argument.

Als achtes und letztes Argument möchte ich das der Wirtschaftlichkeit anführen.

In meinen Augen ist Wirtschaftlichkeit allein kein sehr schwerwiegender Aspekt. Ich wäre auch bereit, sehr viel Geld ausgeben zu lassen, wenn nur menschliche und allgemein anerkannte Werte hinter diesen Ausgaben stünden. Aber auf dem Hintergrund der anderen Argumente werden die riesigen wirtschaftlichen Kosten des Gefängnissystems ein schlagkräftiges Argument. Denn es gibt wirklich sinnvollere Arten, Geld auszugeben.

Kurzum: Alle genannten Argumente weisen uns auf Wege, die vom Bau von noch mehr Gefängnissen wegführen. Diese Argumente 'ziehen', wenn man sie im Zusammenhang sieht.

Auch wenn das eine oder andere allein nicht genügend Überzeugungskraft hat: Alle zusammen sind sie stark genug, ein dauerhaftes Moratorium für den Gefängnisneubau zu unterstreichen.

Lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal den politischen Gehalt der Frage des Baus von Gefängnissen betonen. Es wird ja oft als ein bloß technisches Problem von Architekten, Bauausführungen und kurzfristiger Entwicklung der Häftlingszahlen betrachtet. Aber die Frage ist wesentlich politischer. Politik ist eine Frage von Prioritätensetzung und von Werturteilen. Dies gilt also auch für die Frage des Baus von Gefängnissen: Ist das die Art, wie wir mit Mitmenschen umgehen wollen? Ist das die Art, wie wir das Problem "Verbrechen" angehen wollen? Das sind zwei zentrale Fragen, bei denen es auch um Werturteile geht.

Die Argumente sprechen für eine Politik des Abbaus des Gefängniswesens, für eine Politik der kürzeren Strafen und für eine Politik zunehmender System-Veränderung.

Mit einer solchen Politik müßte man sofort anfangen. Denn je länger eine expansionistische Politik verfolgt wird, desto schwerer wird es werden, sie umzukehren.

Abgesehen von der Zeit des 2. Weltkriegs erleben einige große Länder gegenwärtig einen Ausbau des Gefängnissystems, der nur von dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts übertroffen wurde. Damals war das der Anfang des Gefängniswesens. Das Vorbild dieser Länder greift auch auf andere Länder über.

Was das System der Strafe angeht, so erleben wir derzeit eine geschichtliche Wende. Es ist höchste Zeit, etwas mit dieser Geschichte anzufangen.

Thomas Mathiesen, Jg. 1933, Prof. für Rechtssoziologie an der Universität Oslo, Institutt for Rettssosiologi, Sporveisgt. 35, Oslo 3, Norwegen

Anmerkungen

  1. Im folgenden charakterisiert T. M. kurz die Situation in Großbritannien und in den USA. Siehe dazu ausführlich die Artikel von Joe Sim (GB) und James G. Fox (USA) in diesem Heft. - d. Red.
  2. Vgl. meine Schriften: "The Politics of Abolition", Martin Robertson, 1974 und "Law, Society and Political Action", Academie Press 1980. Deutsche Übersetzung S. Anm. 1
  3. 5. Goverment Bill 1982/83: 85 p. 29, aus dem Schwedischen übersetzt vom Autor.

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