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Heft 160: Die Einschluss-Gesellschaft? Unbemerkte (Ein-)Schließungstendenzen von Gesellschaft

2021 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titel Heft 160
  • Juni 2021
  • 131 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-030-1
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Arndt Dohmen
Erschütternde Hoffnungslosigkeit
Bericht über die medizinische Versorgung Geflüchteter auf der Insel Lesbos aus: express03-04/2021 (Wiederveröffentlichung)

Mit dem Beitrag von Arndt Dohmen "Erschütternde Hoffnungslosigkeit", den wir dank des Autors und der Expressredaktion für einen Zweitabdruck haben gewinnen können, begeben wir uns zunächst in die katastrophale Situation medizinischer Nicht-Versorgung von Flüchtlingen auf den Außengrenzen der europäischen Union, auf die Insel Lesbos. Der Autor, als Mediziner selbst vor Ort, muss am Ende seiner eindrücklichen Schilderungen festhalten, dass die "universalen Menschenrechte" ganz offensichtlich ausgerechnet für jene keine Geltung haben, die am dringendsten auf sie angewiesen wären. Die theoriebegründete Rede vom zunehmenden "Überflüssigwerden" von Menschen im Zuge des Reglements einer kapitalistisch organisierten Ökonomie und hierzu im Verhältnis stehender konkurrierender Nationalstaaten, gelangt somit auf ihren eigentlichen, konkreten, Begriff. Während die Situation in den Lagern auf den Grenzen Europas als eine einzige Katastrophe bezeichnet werden muss, so kann der Zustand der Gesundheitsversorgung von EU-Binnenmigranten als davon unterschieden beschrieben werden. Aber auch hier gilt die unerbittliche Zuordnung von "drinnen" und "draußen", von "Rechteinhabern" einerseits und "Partizipationsverweigerung" andererseits, einschließlich damit verbundener unterschiedlicher Folgen. Einwohner_innen der EU mögen zwar formal Freizügigkeit beanspruchen können, wer aber keiner legalen Erwerbsarbeit nachgeht, der hat auch kein Anrecht auf Sozialleistungen, insbesondere nicht auf Leistungen der Gesundheitsversorgung. Christian Kolbe, Robin Lenz, Nora Röll und Kathrin Schrader diskutieren unter der Überschrift "Komplizenschaft der Helfer" die schwierige Situation von Projekten Sozialer Arbeit, in denen unter den Bedingungen des formalen Ausschlusses dennoch Hilfe zu leisten versucht wird und in denen sich in der Folge mit den unterschiedlichsten Widersprüchen und Widrigkeiten zurechtgefunden werden muss.

Christian Kolbe, Robin Lenz, Nora Röll, Kathrin Schrader
Die Komplizenschaft der Helfer*innen

Christian Kolbe, Robin Lenz, Nora Röll und Kathrin Schrader diskutieren unter der Überschrift "Komplizenschaft der Helfer" die schwierige Situation von Projekten Sozialer Arbeit, in denen unter den Bedingungen des formalen Ausschlusses dennoch Hilfe zu leisten versucht wird und in denen sich in der Folge mit den unterschiedlichsten Widersprüchen und Widrigkeiten zurechtgefunden werden muss. Leseprobe

Timm Kunstreich
Die "hilfreiche Gruppe"
Ein Weg zwischen "totaler" und "offener" Situation Arbeit

Timm Kunstreich aktualisiert im Anschluss in seinem Beitrag die Einsichten Erving Goffmans in Bezug auf "Totale Institutionen", unter anderem anhand der alltäglichen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien von Insassen des Heims der Haasenburg Gmbh in Brandenburg. In der reflektierenden Rückschau formieren sich die Situation konstituierende, mitunter unausgesprochene, Regeln, Normen und Verhaltenserwartungen, denen gemein ist, dass mit ihnen, zugunsten der Reproduktion der herrschenden Ordnung und im Zuge der Zuschreibung einer dominanten Identität, die Vernichtung von Subjektivität und Eigensinn immer schon in Kauf genommen, wenn nicht gar beabsichtigt wurde. Blinde Anpassung und spezifische Formen der Identifikation mit dem Aggressor können in der Folge beschrieben werden. Möglichkeiten der Kooperation und der subversiven Kommunikation können mitunter jedoch auch unter solch widrigen Bedingungen entstehen und genutzt werden. Der totalen stellt Kunstreich die offene Situation gegenüber, in denen die Teilnehmenden sich in ihrem Anderssein transversal und wechselseitig bestätigen und anerkennen können. Für Tätige in der Sozialen Arbeit, z.B. in der Familienhilfe, bedeutet diese Unterscheidung die Notwendigkeit sich, vor dem Hintergrund des hier wie da gültigen hegemonialen Kontextes, zwischen den Polen "für andere" oder "mit anderen" zu handeln, immer wieder neu zu reflektieren und den eigenen diesbezüglichen Standpunkt, auch gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, regelmäßig zu bestimmen.

Jonathan Kufner-Eger
Essentialisierung und Etikettierung
Kritik der Ausschließung von "Schwierigen" und anti-essentialistische Überlegungen

Lag der Fokus der Beiträge bis hierhin auf Fragen widersprüchlicher bis unmöglicher Alltagserfahrungen, so gelangt im Artikel von Jonathan Kufner-Eger, "Essentialisierung und Etikettierung. Kritik der Ausschließung von `Schwierigen´ und anti-essentialistische Überlegungen" das Verhältnis von Begriff und Gegenstand in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Dichotomisierende Zweiteilungen von bspw. "Normal" und "Abweichend", von "In-" und "Ausländer", sind nicht der Natur entnommene Tatbestände, sondern, im Gegenteil, gesellschaftlich und interessiert zur Verfügung gestellte Etiketten, also zuallererst Abstraktionen zu einem bestimmten Zweck. Dagegen hält der Autor die Notwendigkeit hoch, von den Bedeutungen her, die das Gegenüber sich und seiner Handlungen beimisst, immer wieder neu nach Möglichkeiten des Verstehens und der Verständigung zu suchen.

Helga Cremer-Schäfer
Das lange "Jahrhundert der Lager"?
Ausschluss und Einschluss - ein Strukturmerkmal von Vergesellschaftung im Kapitalismus

Schließlich gelingt es Helga Cremer-Schäfer in ihrem Beitrag "Das lange "Jahrhundert der Lager"? Ausschluss und Einschluss - ein Strukturmerkmal von Vergesellschaftung im Kapitalismus" deutlich zu machen, dass, im Anschluss an Zygmunt Bauman, das 20. Jahrhundert als "Jahrhundert der Lager" bezeichnet werden kann. Diese Bezeichnung enthält das Plädoyer jene als "selbstverständlich" und "notwendig" erklärte Politiken und Praktiken von Ausschließung als bis heute andauernde Bedingungen der Möglichkeit des Holocaust zu denken. Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Vernichtungslagern wie "Auschwitz" gehören nach Baumans Theorie der Moderne, bzw. der "Dialektik von Ordnung": die Herstellung von sozialer Ordnung durch staatliche und private Verwaltungen. Ein instrumentelles, für die Organisierung einer "sauberen Gesellschaft" nützliches Wissen. Klassifikationen, die eine indifferente, "adiaphorisierende" Haltung gegenüber dem Anderen forcieren und ebensolche Technologien, die Einschluss und Ausschluss rationalisieren. Mittels der Kontinuität und einer herrschenden Selbstverständlichkeit mit der "Fremde", "Arme", "Abweichende", "Verachtete" und als "gefährlich" oder "minderwertig" kategorisierte Menschen in Lager verbracht und andere totale Institutionen eingewiesen werden, wird eine Perspektive begründet, externalisierende Ausschließung, aber auch Ausschließung, die sich als "Einschluss" in Anstalten und Lager nach innen richtet, als "strukturellen Ausschluss" zu analysieren. Gerade wenn Neoliberalismus als ein Ausschlussregime verstanden wird, ist es notwendig die Form sozialer Ausschließung, die diese gesellschaftliche Phase voraussetzt und rationalisiert anwendet zu untersuchen. Nicht zuletzt um Möglichkeiten von "Nicht-Mitmachen", wie sie auch in den Beiträgen von Dohmen, Kunstreich, Kolbe und Kufner-Eger zuvor bereits herausgearbeitet wurden, auch weiterhin in Erfahrung bringen zu können.

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