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Heft 124: Einfach anders!? Ambivalente Alternativen der Vergesellschaftung

2012 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 124
  • Juni 2012
  • 128 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-984-7
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Kathrin Englert, Nathalie Grimm, Ariadne Sondermann
Die zentrale Bedeutung von Erwerbarbeit als Hindernis für alternative Formen der Vergemeinschaftung

Die zentrale Bedeutung von Erwerbarbeit als Hindernis für alternative Formen der Vergemeinschaftung Erwerbsarbeit ist ganz zweifellos der nach wie vor zentrale Modus gesellschaftlicher Integration. Das Deutungsmuster, nach dem eine vollwertige gesellschaftliche Teilhabe an die Voraussetzung von Erwerbsarbeit geknüpft ist, hat nichts an seiner Hegemonie verloren, im Gegenteil: Die Erwerbsarbeitsnorm wird im öffentlichen Diskurs vielmehr forciert und keineswegs in Frage gestellt. Die aktuelle Hyperarbeitsgesellschaft (Voß/Pongratz 2001), die mehr denn je in allen Bereichen von Erwerbsarbeit geprägt ist, beinhaltet allerdings auch eine enorme Zunahme prekärer und nicht-existenzsichernder Beschäftigung sowie eine anhaltende Erwerbslosigkeit für einen Teil der Bevölkerung. Aus dieser Gleichzeitigkeit zweier widersprüchlicher Entwicklungen resultiert ein offenkundiges Dilemma: Einerseits wird Erwerbsarbeit als Norm, Quelle der Anerkennung und zentraler Modus der Vergesellschaftung seit Jahren von arbeitsmarktpolitischer Seite verstärkt - und andererseits erweist sich Erwerbsarbeit für nicht wenige Menschen zunehmend als unsicher oder sogar obsolet für eine stabile soziale Integration und vollwertige gesellschaftliche Teilhabe. Dies gilt nicht allein für Langzeiterwerbslose, die kaum noch eine Chance auf eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt haben, sondern auch für prekär Beschäftigte bzw. Personen, die in ihrer Biographie mehrfach oder dauerhaft zwischen Erwerbsarbeit und Leistungsbezug wechseln (Grimm/Vogel 2008; Grimm/Vogel 2010). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach möglichen alternativen Orientierungen und Handlungsstrategien, mit denen die Zentralität von Erwerbsarbeit relativiert werden könnte, in besonderer Weise. Wir möchten dieser Frage in unserem Beitrag anhand der subjektiven Sicht und alltäglichen Handlungsstrategien von prekär Beschäftigten und Erwerbslosen nachgehen und herausarbeiten, ob und inwiefern bei ihnen Formen der Vergemeinschaftung und Solidarisierung erkennbar werden, die man als Ansätze für Alternativen zur hegemonialen Vergesellschaftung über Erwerbsarbeit bezeichnen könnte. Lässt sich bei prekär Beschäftigten und Erwerbslosen eine 'innere' Distanz gegenüber dem zentralen Integrationsmodus finden, welche der faktisch schwindenden Integrationskraft von Erwerbsarbeit Rechnung tragen würde?

Annette Schlemm, Christian Siefkes
Widersprüche und Spannungsfelder in der Praxis aktueller Commons-Netzwerke - am Beispiel Freier Software
Eine E-Mail-Diskussion

Widersprüche und Spannungsfelder in der Praxis aktueller Commons-Netzwerke - am Beispiel Freier Software. Eine E-Mail-Diskussion Widersprüche-Redaktion (W.R.): Mit dieser E-Mail-Diskussion würden wir gerne einen Beitrag für das nächste Widersprüche-Heft (www.widersprueche-zeitschrift.de) herstellen, der den Leser_innen einen Eindruck von den widersprüchlichen Entwicklungen alternativer Produktionsweisen - am Beispiel der freien Software - ermöglicht. Könnt Ihr eingangs ein paar Hinweise formulieren, wo Eures Erachtens gegenwärtig die entscheidenden Entwicklungstendenzen in dem Bereich der Commons-Netzwerke liegen. Annette Schlemm (A.S.): In den letzten 10 Jahren hat sich die Erfahrung des Teilens im Gebrauch von Gütern und der selbstorganisierten Arbeitsteilung in vielen Bereichen verbreitet. Das erste Beispiel dafür war die Freie Software. Das Wichtige daran war nicht der technische Code, sondern die sich entwickelnde Praxis vieler Menschen, sich selbstbestimmt zu koordinieren. Bis dahin war häufig angenommen worden, dass eine von Menschen selbst organisierte Arbeitsteilung, die nicht über die "sachliche Vermittlung" des Geldes bzw. des Kapitals oder planwirtschaftlich organisiert ist, nur als landwirtschaftlich-handwerklich orientiertes Kommune- bzw. Ökodorfnetzwerk möglich sein könnte, aber nicht global und auch nicht auf der Grundlage hochproduktiver moderner Produktionsmittel. Die Art und Weise der Herstellung der Freien Software zeigte an einem ersten Beispiel, wie es anders gehen könnte. In den letzten Jahren kamen andere freie Kulturgüter hinzu, und der Gedanke des kooperativen Produzierens und der Entkopplung von Nehmen und Geben ohne adäquate Tauschnotwendigkeit gewann eine stärkere soziale Anerkennung und Verankerung. Das von kommerziellen Interessenvertretern bedauerte "mangelnde Unrechtsbewusstsein" bei Copyrightverletzungen ist nur eine Folge dieses kulturellen Wandels. Christian Siefkes (C.S.): Neben Kulturgütern werden inzwischen zunehmend auch materielle Dinge, zumindest teilweise im Open-Source-Modus hergestellt: Zum einen umfasst diese Entwicklung das "Open Design", wobei Baupläne und Konstruktionsbeschreibungen materieller Dinge gemeinsam entwickelt und frei geteilt werden; zum anderen werden frei nutzbare Produktionsmaschinen (z.B. Fabber = 3D-Drucker, CNC-Fräsmaschinen, Lasercutter) entworfen und gebaut und es entstehen selbstorganisierte und frei zugängliche Orte für die bedürfnisorientierte Produktion (FabLabs).

Sylvia Beck
Gemeinschaftliches Wohnen
Zwischen gelebter Sozialutopie, pragmatischer alltäglicher Lebensführung und instrumentalisierter Vergemeinschaftung

"Gemeinschaftliches Wohnen" ist ein wachsendes Phänomen - insbesondere seit Ende der 1990er Jahre. Es lassen sich verschiedene Formen wie etwa Hausgemeinschaften, Siedlungsgemeinschaften, Baugemeinschaften (im weiteren Sinne auch Gemeinschaftsdörfer, Eco-Quartiers u.a.) hinzu zählen, die allgemein auch als gemeinschaftliche Wohnformen oder Wohnprojekte bezeichnet werden, bisher jedoch keiner systematischen Begriffsdefinition unterliegen. Trotz aller Vielfalt und unterschiedlicher Ausprägungen einen sie sich in dem Grundgedanken, in einem bewusst gestalteten Kontext mit anderen leben zu wollen. Die Wahrung der Privatsphäre ist dabei oft gleichermaßen von Bedeutung wie die soziale Einbindung in einen Gesamtkontext. Oftmals basiert Gemeinschaftliches Wohnen auf gemeinsam formulierten Prinzipien und zeichnet sich durch spezifische thematische Ausrichtungen wie etwa ökologische, familien- oder altersgerechte Ansätze (vgl. Fedrowitz/Gailing 2003), speziell in der BRD auch intergenerative Konzepte aus (vgl. Saup 2007). Entsprechend formieren sich in Projekten Gemeinschaftlichen Wohnens unterschiedliche Personen-, Interessens- und Alterszusammensetzungen. Spezifische sozialstrukturelle Gegebenheiten (etwa Beteiligungs-, Kommunikationsprozesse, Organisationsstrukturen), aber auch baustrukturelle Aspekte (begegnungsfreundliche Bauweise, adäquate Gemeinschaftsräume, Außenräume etc.) prägen deren inneres und äußeres Erscheinungsbild.

Nausikaa Schirilla
Eigene Vergesellschaftungsformen von MigrantInnen?
Kritische Reflexionen

Im folgenden Beitrag soll anhand ausgewählter Bereiche der Integrationsdiskussion in der Migrationsforschung der Frage nachgegangen werden, ob die Begrifflichkeiten, mit denen soziale Integration und damit auch soziale Organisation von MigrantInnen beschrieben werden, wirklich greifen.

Michael May
Formen solidarischer Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung von Jugendlichen aus der Provinz

Christian Reutlinger (vgl. 2003: Kap. 2) hat die These vertreten, dass der Sinn des Aneignungshandelns von Jugendlichen sich heute nicht mehr im Kampf um Raum artikuliere, sondern in der Lebensbewältigung und dem Erhalt der eigenen Handlungsfähigkeit. Hintergrund ist seine von Lothar Böhnisch entlehnte These, dass eine gesellschaftliche Integration Jugendlicher im ökonomischen Sinne im heutigen "digitalen Kapitalismus" nicht mehr nötig sei. Dies ist eine starke These, kommt doch auch ein "digitaler Kapitalismus" - was immer Böhnisch und Reutlinger darunter verstehen mögen - nicht ohne Arbeitskräfte aus. Damit sollen die Schwierigkeiten der Heranwachsenden, einen Einstieg in den kapitalistisch organisierten Lohnarbeitsbereich und die drohende dauerhafte Ausgrenzung eines bestimmten Teiles aus diesem keineswegs heruntergespielt werden. Eigentlich könnte diese Art der "Überflüssigkeit" eines Teiles der Jugendlichen auch Chancen eröffnen, Formen solidarischer Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung zu entwickeln, die quer zu hegemonialen Formierungen stehen. Reutlinger hingegen sieht bezüglich der Auseinandersetzung entsprechender Jugendlicher mit der umgebenden Gesellschaft einen Bedeutungsverlust ihres Aneignungshandelns einhergehen, das somit gesellschaftlich wie institutionell "unsichtbar" werde. Dieses Theorem wurde auch auf Jugendliche in der Provinz bezogen (vgl. Weidmann 2008). Dass - wie Weidmann an drei Fallstudien zeigt - die Jugendhilfe vielfach blind ist, sowohl für die Lebensbewältigung, wie auch für die Raumaneignungsansätze und Sozialraumkonstitution von Jugendlichen, war ein wesentlicher Anstoß für jene Lebenswelterkundungsprojekte, die im Rahmen eines Projektes partizipativer Bedarfsentwicklung in der Jugendhilfeplanung des Rheingau-Taunus-Kreises mit verschiedensten Cliquen, Gruppen und Netzwerken von Jugendlichen durchgeführt wurden (vgl. May 2011). Entgegen Reutlingers These (vgl. 2003: 63f.), dass "physischen Raum zu erkämpfen" (ebd.), nicht mehr "unter den heutigen gesellschaftlichen [...] Bedingungen dazu beitrage, dass die Jugendlichen einen sozial- und systemintegrativen Raum in der Gesellschaft bekommen" (ebd.; zur Kritik in Bezug auf die Frage von Jugendräumen vgl. May 2010: Kap. 2), haben in diesen Projekten die Jugendlichen massive Ansprüche im Hinblick auf die Nutzung öffentlicher Orte artikuliert. Allerdings war Sozial- und Systemintegration auch gar nicht Ziel besagter Lebenswelterkundungsprojekte. Vielmehr sollten die Jugendlichen darüber in der Organisation ihrer Erfahrung und der Herstellung von Öffentlichkeit für ihre Probleme und Interessen unterstützt werden. Ausgewählte Ergebnisse dieser Lebenswelterkundungen sollen in diesem Beitrag herangezogen werden, um in exemplarischer Weise unterschiedliche Formen solidarischer Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung von Jugendlichen in der Provinz zu analysieren. Dazu ist jedoch zunächst der theoretische Rahmen dieser Analyse zumindest grob zu skizzieren.

Joachim Weber
Motive der Vergemeinschaftung

Was motiviert Menschen zu solcher Solidarität? Sind wirklich ihre eigenen individualistischen Interessen betroffen, wenn amerikanische Bürgerinnen und Bürger sich für Bürger anderer Herkunft einsetzen, wie die Bürgerinnen und Bürger in dem Beispiel behaupten? Das scheint wenig glaubhaft! Läge es nicht gerade im Kontext kapitalistischen Konkurrenzdenkens viel näher, sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern und die Betroffenen sich selbst zu überlassen? Oder gibt es ein ursprüngliches Mitleiden von Menschen mit solchen, die Leid erfahren (Hutcheson 1725, Løgstrup 1989)?

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