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Heft 122: Was kommt danach? Gesellschaftliche Perspektiven jenseits des Neoliberalismus

2011 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Widersprüche Titel Heft 122
  • Dezember 2011
  • 117 Seiten
  • EUR 15,00 / SFr
  • ISBN 3-89691-982-3
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Michael Vester
Die Wirtschaftskrise und die Chancen eines gesellschaftlichen Pfadwechsels

Seit dem Sommer 2011 hat sich die Hoffnung auf einen bleibenden Aufschwung der Weltwirtschaft als Illusion erwiesen. Nach zwei Jahren relativer Erholung, in der die führenden Ökonomien der hoch entwickelten Länder auf einen Wellenberg der Konjunktur getragen worden waren, sind sie in ein neues Wellental eingetaucht. Dieses zweifache Eintauchen in ein Wellental der Rezession - die Ökonomen nennen es double-dip - ist eine Erfahrung aus der großen Weltwirtschaftskrise nach 1929. Nach einer Zwischenerholung, in der die New-Deal-Regierung des amerikanischen Präsidenten F. D. Roosevelt ihre wachstumsstimulierenden Maßnahmen heruntergefahren hatte, kam es 1937 zu einem dramatischen zweiten Wachstumseinbruch.

Franz Hamburger
Freiheit für das Kapital - Mauern für die Armen

Der digitale Kapitalismus potenziert Widersprüche ins Globale. Während täglich Milliarden Dollar um die Börsen der Welt gejagt werden auf der Suche nach noch kurzfristigeren Renditen, werden die Mauern für die der Dynamik des Kapitals folgenden Menschen teilweise abgerissen, teilweise hochgezogen. Für Sportgladiatoren und IT-Fachleute werden "Anwerbestoppausnahmeverordnungen" erlassen, gegen die anderen werden die Abwehrinstrumente von FRONTEX verfeinert. Während der internationale Massen- und Luxustourismus jährliche Steigerungsraten meldet, kommen im Mittelmeer ungezählte Flüchtlinge ums Leben. Deren Schicksal wird von Schleppern und Neppern bestimmt, das von Millionen Frauen von der Mafia und anderen Menschenhändlerorganisationen. Waffen-, Rauschgift- und Menschenhandel in allen nur denkbaren Formen sind das logische Korrelat des Wertpapierhandels. Denn wo sich die Entfaltung des Finanzkapitals von der territorial verfestigten Produktion abgelöst hat, sind die legalen und vor allem illegalen Handelsströme eine zentrale Quelle des Profits.

Herbert Reinke, Sascha Schierz
Punitivität und Kultur zwischen Moderne und Spätmoderne
Anmerkungen zu kultursoziologischen Zugängen

Im folgenden Beitrag wird der Fokus auf verschiedene soziokulturelle Facetten wie kultursensible Theoretisierungen der Punitivität gelegt. Auf Grund der Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Kulturkonzepte verzichten wir an dieser Stelle auf eine Definition von Kultur; dennoch muss auf folgendes hingewiesen werden: Punitivität wird von den meisten hier besprochenen Autoren weniger als ein sozialer Fakt gedeutet oder durch strikte kausalanalytische Analysen geformt und ungleich in der Grundgesamtheit verteilt verstanden. Gefolgt wird einem breiten Verständnis von Punitivität, welches sowohl Gesetzesveränderungen als auch gewandelte Strafeinstellungen umfasst, allerdings um Fragen zu moralischen Paniken ergänzt. Dazu ist anzumerken, dass es nicht alleine das kriminalpolitische Feld und dessen Institutionen berührt, sondern nahezu zwangsläufig auch den sich verändernden Kontext der Sozialstaatlichkeit - sprich des Neoliberalismus - thematisiert. Zusammenfassend ließe sich betonen, dass es eher um die Konstruktionslogiken und die Konstitution von Punitivität geht beziehungsweise um ihre Kontextualisierung in modernen bzw. spätmodernen Gesellschaftsformationen. Zentral erscheint die Rekonstruktion von (neoliberalen) Mentalitäten und Sensibilitäten, die mit einer jeweiligen Kultur einhergehen, ihr zugrunde liegen oder aus ihr hervorgehen.

Heinz Sünker
Kindheitsforschung, Bildungspolitik, Demokratisierung von Gesellschaft

Kindheit, vor allem frühe Kindheit - und ihre Pädagogik (vgl. Wood 2008) -, ist seit Beginn der neoliberalen Offensive über das Konzept von "social investment", also Ausgaben als Investionen in Kinderleben werden als profitabel gedacht, ins Interesse von entsprechenden Gesellschaftsregulierungen geraten (Schütter 2006; Hendrick 2010); die "Bildungsschicht" sucht zudem in verstärkter Weise mithilfe von Klassenstrategien wie Klassenpraktiken die Formierung ihrer Kinder wie deren ("erfolgreiche") Lebenswege zu determinieren (Vincent/Ball 2006). Komplementär dazu verhalten sich neoliberale Versuche, den Bildungsbereich mit Prozessen von "marketisation" und "commodification", wie es vor allem in der angelsächsischen kritischen Bildungsforschung analysiert und genannt wird (vgl. Whitty 1998; Wexler 1999; Ball 2003; Widersprüche 2002; Sünker 2003: Kap. II; Sünker i.D.), stromlinienförmig auf Kapitalverwertungsbedürfnisse auszurichten. Damit gerät die Frage nach möglichen Vermittlungen zwischen Kindheitsforschung und Bildungsforschung, Kinderpolitik und Bildungspolitik ins Spiel, lässt sich zugespitzt diskutieren, wenn sie mit der Frage nach einer demokratischen Zukunft unserer Gesellschaft(en) verknüpft wird (Sünker 2008; Bühler-Niederberger/Sünker 2008). Denn diese, gegen den Neoliberalismus gerichtete Perspektivierung verdeutlicht die Bedeutung von Urteilskraft, Reflexivität, Handlungsfähigkeit und Bewusstsein der nachwachsenden Generationen für eine qualifizierte demokratische Zukunftsfähigkeit, in die Individuelles und gesellschaftlich Allgemeines (Sünker 2007) miteinander einhergehen; dies verweist somit immer auch auf die Bedeutung von Bildungsprozessen, die die Grundlage für derartige Entwicklungen und ihre möglichen Ergebnisse als Demokratisierung von Gesellschaft verkörpern.

Thomas Wagner
Zur (sozialen) Arbeit an Klassenverhältnissen
Ein Beitrag zur Wiedereinführung von Klassenperspektiven in die Soziale Arbeit

Ausgehend von einer ungleichen Verteilung sozialer Güter, deren Zugang für die Angehörigen bestimmter Gruppen leichter ist als für andere, markierte für Niklas Luhmann der Klassenbegriff das "Verteilen des Verteilens": "Letztlich geht es in dieser Diskussion [die mittels des Klassenbegriffs geführt wird, T.W.] immer um ein Problem der Verteilung von Individuen auf Einheiten, die dann ,Klasse‘ genannt werden, wobei die Verteilung der Individuen sich danach richten soll, was und wieviel auf sie verteilt wird. Wer viel erhält, ist in einer Klasse; wer wenig erhält in einer anderen. Der Klassenbegriff regelt, mit anderen Worten die Verteilung des Verteilens. Er bringt die Reflexivität (und damit auch die Änderbarkeit = Umverteilbarkeit) des Verteilungsprozesses zum Ausdruck" (Luhmann 1985: 128). "Klasse" stellte demnach eine Semantik dar, mit der die Kontingenz von Verteilungsmustern zum Ausdruck gebracht werden kann. Wer also von "Klasse", spricht, spricht nicht nur von sozialer Ungleichheit sondern immer auch von der Veränderbarkeit der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse - von Umverteilung. Auch wenn Luhmann alles andere als ein ausgewiesener Klassentheoretiker war und dem Klassenbegriff eher skeptisch gegenübersteht, markiert das von ihm benannte Kriterium der Kontingenz von gesellschaftlichen Verteilungsprinzipien meines Erachtens einen entscheidenden Grund, die Klassenperspektive gerade heute und auch in der Sozialen Arbeit zu beleben.

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