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Heft 105: Von der Naturalisierung der Gesellschaft

2007 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 105
  • September 2007
  • 144 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-435-4
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Ullrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer
Das Gesellschaftliche und das Unbewusste

Der Beitrag plädiert für den Versuch, einen genuin sozialpsychologischen Zugang im Kontext gesellschaftstheoretischer Fragestellungen erneut zu stärken. Das damit verbundene analytische Potenzial, das von den Vertretern der Frankfurter Schule und einer Kritischen Theorie der Gesellschaft immer schon selbstverständlich in Dienst genommen werden konnte, bleibt heute weit gehend unausgeschöpft. Von dem Ansatz Marcuses ausgehend wird der Blick auf die Konstituierung des Unbewussten versucht. Die Aktualisierung zeigt, dass dabei nicht der ethologische, sondern vielmehr der sozialkonstruktivistische Gehalt des Konstrukts Trieb heute noch Geltung beanspruchen kann. Umso mehr kommt damit in den Blick, wie weit gesellschaftliche Verhältnisse die "natürliche" Konstitution von Individuen prägen, bis in die Wünsche und Präferenzen hinein. Zentral für eine sozialpsychologische Erweiterung des soziologischen Fokus‘ ist nicht zuletzt deshalb, die Analyse von Triebstrukturen mit der Analyse von Herrschaftsstrukturen zu parallelisieren. Nur dann werden sowohl der antiessentialistische wie auch der herrschaftskritische Impuls der Kritischen Theorie gleichermaßen bewahrt. Als eine Möglichkeit, hier mit neueren Theoriekonzepten anzuschließen, stellen wir die Soziologie Pierre Bourdieus in die hier dargelegte Tradition Kritischer Theorie.

Fabian Kessl, Holger Ziegler
Zur politischen Regulation des Begehrens

Herbert Marcuses Zeitdiagnose in Triebstruktur und Gesellschaft scheint 50 Jahre nach deren erstmaligen Publikation stimmiger denn je. Mit Blick auf die heutigen Formationen sozialer Zusammenhänge stellt sich dem Leser bei der Re-Lektüre sogar schnell die Frage, ob Marcuse mit seiner damaligen Analyse nicht seiner Zeit eher noch voraus war: Die von Marcuse 1955 unter triebtheoretischer Perspektive analysierte "westliche Kultur", die nicht nur die "soziale, sondern auch [die] biologische Existenz" des Menschen unterjoche (Marcuse 1955/1965: 17), scheint sich in den fortgeschritten-kapitalistischen und -liberalen Arrangements in einer Weise radikalisiert zu haben, dass man Marcuses Diagnose als nachträglich bestätigt lesen kann. Schließlich steht im Zentrum aktueller neo-liberaler Programmierungen und entsprechender Re-Strukturierungen sozialer Zusammenhänge gerade ein Regieren über die Freiheit der Gesellschaftsmitglieder – eine Regulierungslogik, die Marcuse schon 1955 zu beschreiben scheint, wenn er von einem Kampf der Kultur "gegen diese Freiheit" spricht (ebd.: 20). Die kulturellen Radikalisierungen der letzten 50 Jahre könnten also mit Marcuse als konsequente Fortführung des "Fortschritt[s] der Kultur" bestimmt werden – einer Kultur, die, so Marcuse damals im direkten Anschluss an Sigmund Freud, "zum Freiwerden zunehmend zerstörerischer Kräfte führt" (ebd.: 58).

Michael May
Marcuse und die "Natur" der Gesellschaft
Kritik und Kritik der Kritik aus selbstregulationstheoretischer Perspektive

Der Beitrag versucht anhand einer ausführlichen Rekonstruktion von Marcuses Werk "Triebstruktur und Gesellschaft" nachzuweisen, dass die von Fabian Kessl und Holger Ziegler formulierte Kritik an der Pointe der Marcuseschen Argumentation vorbeigeht. Aufgenommen von dieser Kritik wird, dass Marcuses auf Freud gestützte Argumentation selbst einigen Mystifikationen anheim fällt. Gezeigt werden soll, dass eine selbstregulationstheoretische Reformulierung diese nicht nur zu überwinden, sondern damit zugleich die von Marcuse erhobenen Ansprüche an eine kritische Theorie der "Natur" der Gesellschaft konsequenter als dieser selbst einzulösen vermag.

Lars Heinemann
Scharnier oder Schablone?
Zum Verhältnis gesellschaftlicher und individueller Begriffe bei Herbert Marcuse

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Art, wie Marcuse das Verhältnis von Individuen und Gesellschaft konzipiert und untersucht die Frage, inwieweit Marcuses Intuitionen auch noch heutige Gesellschaftstheorie befruchten können. Dazu beschreibe ich weniger den genauen Aufbau und die Grund legenden Thesen von Marcuses Werk "Triebstruktur und Gesellschaft", sondern wende mich allgemeiner der "Architektur" zu, die in Marcuses Theorie Gesellschaft und Individuen vermittelt. Der Einwand, Marcuse beschreibe Gesellschaft "von außen", ohne seine Theorie mit dem subjektiven Sinn der vorhandenen geteilten Lebenspraktiken in Beziehung zu setzen, ist allerdings schwerwiegender. Entsprechend untersuche ich einige weitere Ansätze darauf, ob sie diesem Problem entgehen und gleichzeitig die theoretischen Intentionen Marcuses aufrechterhalten können. Abschließend entwickele ich einige Bedingungen, die eine Aktualisierung von Marcuses Ansatz erfüllen müsste.

Micha Brumlik
Die Aktualität des Todestriebes

In John Updikes neuem Roman "Terrorist" soll die schwarze Freizeitprostituierte Joryleen ihren ehemaligen Schulkameraden Ahmed, Sohn einer amerikanischen Irin und eines flüchtigen Ägypters, auf Geheiß seiner Arbeitgeber, fundamentalistischer libanesischer Möbelhändler, verführen. Dabei entspinnt sich folgender Dialog entspinnt: "Manchmal" so gesteht ihr Ahmed, als sie gemeinsam – er angezogen, jedoch erregt und erigiert, sie nackt – auf der Matratze eines Möbellagers in New Jersey liegen "manchmal ist in mir so eine Sehnsucht, mich mit Gott zu vereinigen, um seine Einsamkeit zu lindern...", worauf ihm Joryleen antwortet: "Zu sterben meins du? Du machst mir schon wieder Angst, Ahmed, wie geht’s denn dem Steifen da, der mich ständig stupst." Nach seinem ersten Sexualakt habe sich der bis dahin jungfräuliche Ahmed, so der Erzähler, von seiner Ejakulation so müde gefühlt, "dass die Vorstellung er könnte zu Bett gehen und nie mehr aufwachen, keinen Schrecken für ihn besitzt."

Eva Hartmann
Soziale Arbeit unter postfordistischen Vorzeichen
Ein Beitrag zur Professionalisierungsdebatte

Dieser Beitrag beleuchtet die empirische Grundlage von zwei Positionen, die sich in der Fachdiskussion der Sozialen Arbeit gegenüber stehen. Die eine Position geht vom Rückbau des Sozialstaates im Zuge einer sich globalisierenden Wirtschaft aus, während die andere Position ein neues Zeitalter des Sozialstaates anbrechen sieht, bei dem dieser wichtiger denn je wird. Diese beiden Positionen werden mit Länder vergleichenden empirischen Daten konfrontiert. Vor diesem Hintergrund argumentiert der Beitrag, dass beide dieser Positionen wohl in Teilen Recht haben, jedoch die Grund legende Transformation des Sozialstaates nicht vollständig erfassen können. Vier Grundtendenzen werden zweiten Teil des Beitrags ausgemacht, die alle Grund legende gesellschaftliche Integrationsmechanismen, wie sie sich während des Fordismus etabliert haben, zu unterlaufen drohen. Diese Entwicklungen haben direkte Konsequenzen für die Soziale Arbeit, ihre Form, ihren Auftrag, sowie ihr Selbstverständnis. Die neuere Professionalisierungsdiskussion der Sozialen Arbeit hat diese Entwicklung in den Blick zu nehmen, wenn sie nicht einfach nur die bisherigen Privilegien der Sozialen Arbeit verteidigen will.

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