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Heft 99: Politik des Sozialen - Verhandlungen über Lebensweisen - Moralische Ökonomien heute

2006 | Inhalt | Editorial | Abstracts

Titelseite Heft 99
  • Dezember 2005
  • 112 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-415-9
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Timm Kunstreich
MARKT MACHT MORAL
Zur moralischen Ökonomie der Sozialen Arbeit

"Markt macht Moral" - Auf diesen Nenner lässt sich die hegemoniale Botschaft bringen, die uns aus allen Medien entgegenschallt und auf die Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche zielt. Verpackt in die griffige Botschaft vom "Fördern und Fordern" beziehungsweise "Fordern und Fördern" wird darin deutlich, dass nicht nur für die unterdrückten Gruppierungen einer Gesellschaft Ökonomie etwas mit Moral zu tun hat sondern auch für den "herrschenden Block an der Macht" (Gramsci). Von Beginn an war die politische Ökonomie als Wissenschaft auch immer Moralwissenschaft (Adam Smith hatte einen Lehrstuhl für Moralphilosophie inne). Wie Edward P. Thompson (1980) für die Entstehung und Michael Vester (1970) für die "Bildungs-Zyklen" der Arbeiterklasse herausgearbeitet haben, bilden Markt, Macht und Moral Kampfarenen in diesen Prozessen. Der Markt steht für die neue, von Menschen gemachte Ordnung; Macht wird ab jetzt nicht mehr verliehen, sondern entsteht in und aus sozialen Bewegungen; und Moral gibt es ab jetzt im Plural: Jede Lebensweise bildet ihre eigene heraus. Die Beziehung dieser drei Arenen untereinander lässt sich mit E.P.Thompson als "moralische Ökonomie" (1980) fassen.

In diesen grundlegenden gesellschaftlichen Prozessen spielt die Soziale Arbeit weder systematisch noch historisch eine gestaltende oder Initiative ergreifende Rolle. Allerdings - so lässt sich die Geschichte der letzten 150 Jahre zusammenfassen - hat sich die Soziale Arbeit aus dem Souterrain der großen Disziplinarprofessionen Medizin, Justiz und Theologie herausgearbeitet und nimmt zusammen mit den pflegenden Berufen mittlerweile eine Spitzenstellung in den hoch entwickelten kapitalistischen Gesellschaften an, jedenfalls was ihre Anzahl angeht.

Um den Zusammenhang von moralischer Ökonomie und Sozialer Arbeit herauszuarbeiten, soll zunächst kurz auf die aktuelle Rahmung diese Prozesses eingegangen werden, um dann die jeweils besondere Position der Sozialen Arbeit in den drei Kampfarenen Markt, Macht und Moral zu untersuchen. Die abschließende Zusammenfassung kann nicht mehr als ein Hinweis auf die Perspektive einer kritischen Sozialen Arbeit in diesem Kontext sein.

Cornelia Frieß, Marcus Hußmann
Alternative professionelle Aktionsmuster Sozialer Arbeit

In Hamburg haben die Kinder- und Familienhilfezentren (KiFaZ) Arbeitsprinzipien entwickelt, die auf Verständigung und Kooperation basieren und sich an der Lebenswelt sowie an den sozialen Räumen ihrer Adressaten orientieren. Der Beitrag reflektiert Evaluationsergebnisse der Hamburger Kinder- und Familienhilfezentren (Langhanky et al. 2003, 2004) aus der Perspektive "moralischer Ökonomien", mit denen Edward P. Thompson die Kämpfe der englischen Unterschichten im 18. Jahrhundert beschreibt. Es werden Merkmale "moralischer Ökonomien" dargestellt und in Bezug zu gegenwärtigen sozialstaatlichen Transformationsprozessen und zur Sozialen Arbeit diskutiert. In einer Reflexion von KiFaZ-Arbeitsweisen in Anbetracht "moralischer Ökonomien" werden alternative professionelle Aktionsmuster vorgestellt, die den Gebrauchswert der Zentren im Alltag der NutzerInnen und deren Rolle als MitgestalterInnen des Sozialen Raumes begründen sowie die Fallarbeit aus einer "Feld"-Perspektive ermöglichen.

Hans-Jürgen Benedict
Gottes Ökonomie der Gaben

Seit der Frankfurter Friedenspreisrede von Jürgen Habermas, in der er als religiös Unmusikalischer in der Gentechnologie-Debatte an das unaufgebbare, den Menschen begrenzende Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf erinnerte, darf auch in kritischen Kreisen wieder über den rettenden Gehalt theologischer Einsichten nachgedacht werden. Ohne nun sogleich soweit wie weiland Joseph Kardinal Ratzinger, nunmehr Benedikt XVI gehen zu wollen und die Eucharistie als letztes Geheimnis des Seins und die göttliche Liebe als Erfüllung aller menschlichen Liebesbestrebungen zu deuten, soll im folgenden eine Erinnerung an Gottes Ökonomie, verstanden im ursprünglichen Sinn einer guten Haushaltsführung, erfolgen. Dabei ist zu bedenken, dass neuzeitliche Theologie nach Kant, Feuerbach und Nietzsche sich des metaphorischen Gehalts theologischer Rede bewusst ist. Hier gilt sowohl "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht" (D.Bonhoeffer) wie: in der naturwissenschaftlich-technischen Welt müssen wir leben, "als wenn es Gott nicht gäbe". Gott "ist mitten im Leben jenseitig", "der jeweils gegebene Nächste ist das Transzendente."

Helga Cremer-Schäfer
"Not macht erfinderisch"
Zu der Schwierigkeit aus der Moral der alltäglichen Kämpfe um Teilhabe etwas über die Umrisse einer Politik des Sozialen zu lernen

Die niederen Klassen und arme Leute von moralisierenden Klassifikationen zu befreien hat sich als ein strukturell blockiertes Unterfangen erwiesen. Von der Diskussion um die Lösung der "Sozialen Frage" bis zur Debatte über "Underclass" und "Neue Unterschicht" und "Überflüssige" sind die meisten Modelle der Kritik des Zusammengehens von ökonomischer, politischer und symbolischer Ausschließung zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt: der Identifikation einer Kategorie von Personen, deren Ausschließung wie Selbstausschließung aussieht. Eine Möglichkeit um durch die und in der Diskussion um "Moralische Ökonomie" nicht zu einer impliziten benevolenten sozialen Degradierung der Leute beizutragen, sehe ich in einem genaueren Blick auf die verschiedenen Prinzipien (und "Moralen"), auf die sich Praktiken der Gegenwehr gegen das Prinzip der Warenförmigkeit und der Bürokratiefähigkeit berufen haben.

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