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Heft 96: Jenseits von Status und Expertise - Soziale Arbeit als professionelle Kultur

2005 | Inhalt | Editorial | Abstracts | Leseprobe

Titelseite Heft 96
  • Juni 2005
  • 128 Seiten
  • EUR 11,00 / SFr 19,80
  • ISBN 3-89370-408-6

Werner Brayer

Übersetzungsdienst Schnelsen - Mittler zwischen den Welten

Abstract: Nachfolgender Artikel ist kein wissenschaftlicher Bericht. Er beschreibt am Beispiel eines Projektes - dem Übersetzungsdienst in Hamburg-Schnelsen - den Versuch, im Stadtteil vorhandenen Potentialen Geltung zu verschaffen und gleichzeitig Zugänge und gesellschaftliche Teilhabe für Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen oder zumindest zu verbessern. Mit dem Projekt soll dem gesellschaftlichen Zustand der Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen auch in sprachlicher Hinsicht begegnet und ihnen zu einer stärkeren Artikulation ihrer Bedürfnisse und Interessen verholfen werden.

Mit dem Projekt soll dem gesellschaftlichen Zustand der Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen auch in sprachlicher Hinsicht begegnet und ihnen zu einer stärkeren Artikulation ihrer Bedürfnisse und Interessen verholfen werden.

"Das interkulturelle Zusammenleben von Menschen aus den verschiedenen Gesellschaften, Kulturen und Ländern hängt entscheidend von den kommunikativen Möglichkeiten der Menschen ab. Andere zu verstehen oder selbst verstanden zu werden, erfordert weitgehende sprachliche und kulturelle Kompetenzen. Sind die Ressourcen der Verständigung eingeschränkt, bleibt dem Individuum der Zugriff auf wichtige Informationen zur Gestaltung seiner sozialen, rechtlichen und gesundheitlichen Bedürfnisse weitgehend versagt. Dies gilt besonders für Arbeitsmigranten, Flüchtlinge und Spätaussiedler". (Ramazan Salman, Plädoyer für die Einrichtung von Dolmetscherdiensten im Sozial- und Gesundheitswesen; Ramazan Salman ist Mitbegründer und Geschäftsführer des Ethnomedizinischen Zentrum Hannover)

Der Übersetzungsdienst Schnelsen trägt der Tatsache Rechnung, dass in der BRD bis heute - außer vor Gericht und in Ausnahmefällen im Gesundheitswesen, z.B. vor Operationen - ein regelhafter Einsatz von ausgebildeten ÜbersetzerInnen nicht etabliert ist. Das Fehlen eines solchen Kommunikationsinstrumentes wird seit Jahrzehnten von Menschen mit Migrationshintergrund dadurch kompensiert, dass sie Kinder, Freunde oder Verwandte mit zu Terminen bei Ärzten oder Behörden nehmen, damit diese dort für sie übersetzen. So war es auch vor dem Bestehen des Übersetzungsdienstes Schnelsen keine Seltenheit, dass z.B. Kinder ihre eigenen schulischen Leistungen aus Sicht des Lehrers den Eltern übersetzen mussten. Mag hier noch ein leichtes Schmunzeln aufkommen, lassen sich doch die Leistungen nach oben hin korrigierend "interpretieren", wird es völlig fatal, denkt man an Übersetzungen im Gesundheitsbereich und den entstehenden Gefährdungen aber auch Überforderungen der jeweiligen "Übersetzer".

Bereits 1998 hatte das Kinder- und Familienzentrum Burgwedel/Schnelsen einen Übersetzungsservice mit Hilfe von Laiendolmetschern aus dem Stadtteil initiiert, insbesondere mit Blick auf eine in Burgwedel vorhandene Einrichtung für Asylsuchende und Flüchtlinge und den auf Grund vorenthaltener Integrationsmaßnahmen entsprechend eingeschränkten Deutschkenntnissen. Mit Beginn der Arbeit des Schnittstellenprojektes Schnelsen Süd im Jahre 2001 wurde - auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus Burgwedel - der Übersetzungsdienst Schnelsen-Süd aufgebaut und konzeptionell weiterentwickelt. Heute sind beide Ansätze zu einem gemeinsamen Dienst zusammengeführt und entfalten ihre Wirkung für ganz Schnelsen.

Wie funktioniert der Dienst?

Im Team des Übersetzungsdienstes Schnelsen sind inzwischen etwa 20 Menschen mit Migrationshintergrund aktiv, die die größten Sprachgruppen in Schnelsen abdecken, insbesondere Türkisch, Farsi, Dari, Urdu, Serbo-Kroatisch, Russisch sowie auch einige Sprachen, die seltener abgefragt werden, wie z.B. Englisch oder Spanisch. Farsi, Dari und Urdu sind Sprachen, die im Iran, in Afganistan und Pakistan gesprochen werden.

Die Übersetzer sind allesamt Laiendolmetscher. Sie beherrschen ihre Muttersprache sehr gut und verfügen natürlich über gute Deutschkenntnisse. Häufig sind es Menschen, die auf Grund von Flucht und Migration ihre Herkunftsbiographien durch Restriktionen und Einschränkungen hierzulande nicht fortsetzen konnten, aber über hohe intellektuelle Potentiale verfügen. Angesprochen und "geworben" wurden die Übersetzer und Übersetzerinnen über das Kinder- und Familienzentrum (KiFaZ).

Durch eine von Anfang an enge Zusammenarbeit mit dem Ethnomedizinischen Zentrum Hannover, welches über eine langjährige Erfahrung im Einsatz von Dolmetschern insbesondere im Gesundheitsbereich und über einen entsprechenden fachtheoretischen Hintergrund verfügt, konnten für alle Übersetzer mehrere Wochenendfortbildungen organisiert werden. Dabei ging es neben ganz praktischen Fragen wie etwa Techniken des Dolmetschens, v.a. auch um Fragen der Vertraulichkeit und der Verschwiegenheit sowie immer wieder auch um Rollenkonflikte, die beim Übersetzen entstehen können.

Bekannt gemacht wurde der Dienst über einen Flyer in den verschiedenen Sprachen, die der Übersetzungsdienst abdeckt sowie einen in deutscher Sprache, der an Einrichtungen und Institutionen verteilt worden ist.

In Anspruch genommen werden kann der Übersetzungsdienst von zwei Seiten. Zum einen von den Einrichtungen, bzw. Institutionen wie Behörden, Schulen, Ärzte oder Krankenhäuser etc.. Zum anderen von den Menschen im Stadtteil direkt. Letzteres ist die Regel. In über 90% der Fälle fragen Menschen mit geringen Deutschkenntnissen direkt nach einem Übersetzer und verabreden sich mit diesem an dem entsprechenden Einsatzort. In etwa 2 von 3 "Fällen" ist dieser Ort ein Arzt oder ein Krankenhaus, d.h. ein Großteil der Einsätze des Übersetzungsdienstes findet im Gesundheitsbereich statt. Das übrige Drittel verteilt sich auf Behörden oder Einrichtungen wie Ausländerbehörde, Sozialamt, Arbeitsamt, Schule oder Jugendamt.

Rein praktisch läuft die Vermittlung über das Büro des Schnittstellenprojektes, bzw. über das KiFaZ. D.h., hier melden sich die, die einen Übersetzer benötigen und bekommen hier den entsprechenden Kontakt vermittelt.

Zwar mit steigender Tendenz aber immer eher noch selten ist die Nachfrage durch Behörden und Einrichtungen selber. Getreu dem Motto, die Amtssprache ist deutsch, werden nach wie vor unsinnige und unmögliche Anpassungsleistungen von den "Kunden" verlangt, die diese einfach nicht erfüllen können. Das Nichtverstehen auf Behördenseite führt dann leider häufig für die Betroffenen zu nachteiligen Entscheidungen und zu Einschränkungen ihrer Rechte. Schon häufiger wird der Dienst inzwischen von Einrichtungen in Anspruch genommen, die Informationsblätter, z.B. Veranstaltungshinweise, Mitteilungen für Elternsprechtage übersetzt haben möchten. Eine weitere Einsatzebene sind Veranstaltungen wie z.B. Gesundheitsgespräche für Frauen, Elternabende an der Schule oder auch Nachmittage zur Übersetzung von Berichtszeugnissen.

Für die Nutzer und Nutzerinnen ist der Dienst kostenfrei. Formale Voraussetzung ist, dass sie aus Schnelsen kommen. Eine räumliche Ausweitung des Übersetzungsdienstes wäre zwar - gemessen an dem Bedarf an Dolmetschern in Hamburg - sinnvoll, aber unter Kostengesichtspunkten nicht zu realisieren. Schon jetzt werden jährlich weit über 1.000 Stunden übersetzt. Die Übersetzer erhalten für ihre Übersetzungstätigkeit eine kleine Aufwandsentschädigung, die aus der Zuwendung für das Schnittstellenprojekt gezahlt wird. Diese liegt deutlich unter den Honorarsätzen, die für professionelle Dolmetscher bezahlt werden.

Aber nicht nur unter Kostengesichtspunkten sondern auch aus konzeptioneller Sicht wäre eine Ausweitung und damit eine Umwandlung zu einem allgemeinen Dienst nicht unbedingt sinnvoll. Zumindest würde dadurch das Profil des Übersetzungsdienstes Schnelsen deutlich verändert.

Der Übersetzungsdienst Schnelsen ist als ein Projekt aus dem Stadtteil für den Stadtteil konzipiert und umgesetzt worden: die sprachlichen Kompetenzen eines Teils der Bewohner des Stadtteils werden anderen Migranten und Migrantinnen des Quartiers zugänglich gemacht als Hilfestellung bei der sprachlichen Bewältigung von Gesprächen mit Ärzten, Behörden, Schulen etc.. Diese Konzeption folgt dem Ansatz lebensweltliche Ressourcen zu beteiligen und zu aktivieren.

Nutzer des Übersetzungsdienstes und Übersetzer sind gleichermaßen Bewohner des Quartiers und kommen aus gleichen, bzw. ähnlichen lebensweltlichen Zusammenhängen. Oder einfacher ausgedrückt, die Sorgen und Nöte der Nutzer und Nutzerinnen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Übersetzer. Diese Tatsache führt zum einen zu einem hohen Grad an Verständnis auf Seiten der Übersetzer für die Belange der Nutzer und es verhindert zum anderen weitestgehend paternalistische Sichtweisen, wie wir sie häufig in ehrenamtlichen Zusammenhängen oder aber auch in der sozialen Arbeit selber wieder finden.

Positiv wirkt sich in diesem Zusammenhang auch aus, dass in der Regel - wie bereits erwähnt - in über 90% der "Fälle" die Nutzer auch gleichzeitig die Auftraggeber für die Übersetzer sind und eben nicht Behörden und Institutionen. Der Übersetzer wird quasi vom Nutzer zum Termin mitgebracht und ist auf Grund des bestehenden Beziehungsgeflechtes eine Unterstützungsinstanz auf Seiten des Nutzers. Umgekehrt, wenn also der Übersetzer Auftragnehmer einer Behörde wäre, wäre dieser möglicherweise viel stärker eingebunden in restriktive Handlungen und Abläufe.

Neben der individuellen Unterstützung für die einzelnen Nutzer und Nutzerinnen und auch den Serviceleistungen für Einrichtungen, hat sich im Laufe der Zeit eine weitere Handlungsperspektive des Übersetzungsdienstes entwickelt. Bedingt durch die eigenen Erfahrungen und die Tätigkeit im Übersetzungsdienst und den Erfahrungen, die hier gemacht werden, beginnen die Übersetzer ihre Position, ihre Kontakte und ihr Wissen für die Gestaltung des Gemeinwesens zu nutzen, indem sie Wege suchen, die in den Übersetzungssituationen hervortretenden Themen auf breiterer Basis in den migrantischen Communities wie in den deutschen Einrichtungen bearbeitbar zu machen:

"In den Diskussionen auf den Arbeitstreffen tritt sukzessive ein Verständnis der eigenen Position, nicht der einzelnen ÜbersetzerInnen, sondern des Übersetzungsdienstes Schnelsen als Vermittler zwischen Einrichtungen und migrantischer Bewohnerschaft zu Tage. Im gemeinsamen Erfahrungsaustausch über die absolvierten Übersetzungseinsätze werden Annahmen, Erfahrungswelten, Haltungen und Handlungsweisen der migrantischen KundInnen wie der Einrichtungen (Schule, Arzt, Behörde etc.) reflektiert. Die individuellen 'Fälle' werden anhand ihrer Gemeinsamkeiten verallgemeinert. So entwickelt sich ein Wissen über Anliegen und Motivation der beiden 'Systeme' migrantische Bewohnerschaft und deutsche Einrichtungen/Institutionen, sowie über systematische Kommunikationsprobleme und Missverständnisse zwischen beiden. Nachfolgend entstehen Ideen, wie dieses Wissen über die einzelnen Übersetzungssituationen hinaus in größerem Rahmen nutzbar gemacht werden kann. Der Übersetzungsdienst entwirft sich als eine Art Drehscheibe, die Wege schafft und initiiert, Informationen und Anliegen des einen Systems erfolgreich an das jeweils andere weiterzugeben." (Zitat aus dem Evaluationsbericht Juni 2003; Der Schreib- und Übersetzungsdienst Schnelsen Süd, Institut für Migrations- und Rassismusforschung)

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