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Heft 60: Zur Krise der kommunalen Sozialpolitik

1996 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 60
  • Juni 1996
  • 104 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-128-X

Zu diesem Heft

Geneigte Leserinnen und Leser,

wenn unter den Oberbürgermeisterinnen, die sich jüngst zur Verbalrevolte zusammengeschlossen hatten, um gegen die Steuerreformpläne der Bundesregierung und den daraus resultierenden, weiteren Einnahmenschwund der Kommunen zu protestieren, selbst Parteikolleginnen über ihren Schatten sprangen; wenn eine internationale Konferenz wie "Habitat II" mit 3.000 offiziellen Delegierten ins Leben berufen wird, um einen "Aktionsplan" gegen "Wohnungsnot und Umweltelend" zu verabschieden; und wenn dann noch Claus Leggewie sich diesmal nicht über sein Lieblingsthema, die antiautoritären Fehler der 68er, sondern über die "eigenartige Schönheit der Hochhausarchitektur Atlantas", die "Urbanität", "Prosperität" und die integrativen Leistungen dieser geschäftigen Stadt (FR, 01.06.1996, S. ZB 3) verbreitet und - wie angekündigt - in lockerer Folge auch aus weiteren amerikanischen Städten berichten wird, dann scheint das Thema Situation der Städte unter den top ten der jeweils brennendsten Fragen der Gegenwart einen der Spitzenplätze einzunehmen. Gilt die Stadt, vornehmlich die Metropole, zum einen als Inkarnation von Dynamik, Modernität, Pluralität und Hauptwohnsitz der neu entdeckten "Bürgergesellschaft", so steht sie zum anderen für den Ort, an dem sich Interessengegensätze, Widersprüche und das, was vor allem Kommunalpolitikerinnen die meiste Angst einzuflößen scheint, am ehesten ausdrücken: soziale Spaltung als Vorbote des allgemeinen Chaos. Beide Vorstellungswelten sind indes so alt, wie es bürgerliche Verhältnisse sind. Schon die Mündigkeit und Freiheit der Bürger Athens, die sich auf der Agora versammelten, um gemeinsam über ihre politischen Angelegenheiten zu befinden, war an Geschlecht und Besitz gebunden, was die emphatische Proklamation "horizontaler Bürger-Bürger-Beziehungen" (L. Wingert, zit. nach J. Hirsch in links 5/6 1996, 55) heute unter den Tisch fallen zu lassen beliebt. Auch wenn man sich hier vielleicht lieber von gleich zu gleich beim Sushi-Suckeln auf der Frankfurter Freßgaß träfe, so ist doch zumindest "im Ernstfall" - so der Titel einer Tagung "Bürgergesellschaft im Ernstfall" im Frankfurter Institut für Sozialforschung - damit eher der Appell an Eigenverantwortlichkeit und die Substitution des Sozialstaates durch individuelle Moral gemeint. Möglicherweise zählt ja demnächst auch das Sammeln für die Bürgerwehr hierzu? Damit wären wir bei der zweiten Variante. Die Angst vor der "gespaltenen Stadt" entpuppt sich als Angst vor dem Verlust "sozialer Kontrolle" - so die Formulierung eines der in diesem Heft zu Wort Kommenden - angesichts beschworener Tendenzen zur Desintegration der Gesellschaft, die aus "soziokultureller Ausdifferenzierung" und "Liberalisierung" resultieren könnten und sich schließlich in "Verhaltenszumutungen durch Vandalismus, öffentliche Gewalt und Kriminalität" ausdrückten. Erinnert sei hier an die Aporien bereits der Hobbesschen Konstruktion des Staates, dessen Legitimation zwar auf einem Vertrag der Bürger gründet, dann aber per Gehorsamspflicht deren Unterordnung fordert: "Auctoritas, non veritas facit legem". Ob die Rede von der "sozialen Kontrolle" sich dieser ihrer autoritären Implikationen bewußt ist, sei dahingestellt. Das Problem der planerischen Integration der Gesellschaft von oben, das sich hier als Vorbild für die städtische Bürgerschaft darstellt, qua "Steuerung" oder - moderner ausgedrückt - "Regelung" scheint jedenfalls vor allem kommunale Politik(er) zu bedrücken. In diesem Sinne ist der vorliegende Band der Widersprüche als Panoptikum kommunalpolitischen Bewußtseins - nicht nur in Frankfurt - und als ein Überblick über teils gängige, teils neue Szenarien der "Krise der kommunalen Sozialpolitik" und ihrer Bewältigung zu lesen.

Wir knüpfen mit diesem Band an das Kooperationsprojekt "Armut in Frankfurt" zwischen der Redaktion der "Widersprüche" und der "Frankfurter Sozialpolitischen Offensive" aus dem Jahre 1992 an. "Armut am Main" - so lautete der Titel eines Sonderbandes, in dem dann 1994 "Vorarbeiten zu einer Frankfurter kommunalen Armutsberichterstattung" vorgelegt wurden. Während Heft 44, Jg. '92, mittlerweile vergriffen ist, kann der Sonderband noch über das Katholische Bildungswerk Frankfurt bestellt werden. Inhaltlich folgt das vorliegende Heft einer Veranstaltungskonzeption, wie sie der Kreis um die Frankfurter Sozialpolitische Offensive, der auch die Federführung für das folgende Editorial übernommen hat, entwickelt hatte, um das Projekt einer kommunalen Armutsberichterstattung und Sozialpolitik unter anderen Vorzeichen voranzutreiben. Die Verantwortung für die Beiträge tragen natürlich die Referenten selbst.

Des weiteren möchten wir darauf aufmerksam machen, daß in der letzten Ausgabe der Widersprüche einmal zu wenig und einmal zu viel des Guten getan wurde. So hat in dem Beitrag von Albert Krölls "Zwecke, Folgewirkungen und Ideologien staatlicher Privatisierungspolitik" (S. 45 - 55) auf S. 54, Abs. 2, Z. 5 der dort erwähnte "Staatshalt" seine Mitte, nämlich das "haus", verloren. Irrtümlich wurde dagegen die Schlußpassage seines Beitrags, die eigentlich dort gar nicht mehr hätte auftauchen dürfen, nicht gelöscht. Wir bitten, dies zu entschuldigen. Der Beitrag hätte auf S. 55 enden müssen nach "setzt dementsprechend weniger die schlechte Wirklichkeit als vielmehr ihre idealistischen Kritiker ins Unrecht" - der Rest entfällt ersatzlos.

Editorial

Kommunale Sozialpolitik in der Krise! Diese Aussage ist durchaus doppeldeutig gemeint, da sie auf zwei miteinander verschränkte Momente verweist. Im Manifest der Oberbürgermeister der Städte Dresden, Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Stuttgart und Frankfurt "Rettet unsere Städte jetzt!" (Kronawitter, Georg (Hg.): Rettet unsere Städte jetzt. Düsseldorf, Wien, New York, Moskau, 1994, 2. Aufl.) wird deutlich auf die krisenhafte Entwicklung der Städte hingewiesen. Diese ist zugleich Indikator einer insgesamt krisenhaften Entwicklung der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die Folgen der durch ökonomische Prozesse induzierten Entwicklungen sollen im wohlfahrtsstaatlichen Konzept der Bundesrepublik durch Sozialpolitik aufgefangen werden. Sozialpolitik findet daher ihre Bewährungsprobe besonders in der Krise. Kommunale Sozialpolitik in der Krise meint somit auch den Handlungsaspekt: wie reagiert und agiert die Sozialpolitik auf die ökonomischen und sozialen Entwicklungen? Dabei ist der kommunalen Sozialpolitik in den letzten Jahren immer mehr die Rolle der Ausfallbürgin zugewachsen, da sie - als letzte Instanz - all das auffangen und managen soll, was andere Instanzen und Strukturen nicht auffangen können oder wollen. Die Krisenreaktion des Bundes schob dabei Lasten und Verantwortungen immer wieder auf die Kommunen ab. Indem der kommunalen Sozialpolitik so eine immer größer werdende Verantwortung für die Kompensation der gesellschaftlichen und städtischen Krisenerscheinungen zugewiesen wurde, geriet die kommunale Sozialpolitik ihrerseits immer mehr in die Krise. Diese Krise der kommunalen Sozialpolitik läßt sich auffächern in eine Finanzierungs-, eine Legitimations- und eine Wirkungskrise.

Die Finanzkrise der kommunalen Sozialpolitik hat vielfältige Ursachen, die durch die Kommunen nicht oder kaum beeinflußbar sind. Strukturelle Veränderungen der Wirtschaft, Massenarbeitslosigkeit, Zuwanderung und steigende Sozialhilfeempfängerzahlen sind durch Kommunalpolitik kaum zu beeinflussen. Diese Entwicklungen verschärfen aber die Finanzkrise der Städte. Die Rede von den Grenzen der Finanzierbarkeit des Sozialen ist dann nur all zu schnell die Folge; lineare Etatpostenkürzungen, Verschlechterung sozialer Leistungen, Schließung von Einrichtungen und Einstellung von Aktivitäten ist inzwischen die praktische Konsequenz in fast allen Städten.

Hinzu kommt in einer 'individualisierten' Gesellschaft die Legitimationskrise der Sozialpolitik, die teilweise durch Politiker und Interessenverbände geschürt wird, um den fortschreitenden Abbau des Sozialstaates zu legitimieren. Hohe Abgabenbelastung und mehr individuelle Eigenvorsorge sind dabei die ideologischen Schlagworte, die inzwischen auch viele Bürgerinnen danach fragen lassen, warum sie für andere bezahlen sollen und ob nicht die Betroffenen selbst mehr in die Verantwortung genommen werden müßten.

Die steigenden Fallzahlen in den Sozial- und Arbeitsämtern stellen auch Anfragen an die bisherige Praxis Sozialer Arbeit. Abgesehen davon, daß dieser Praxis oft mangelnde Effizienz, d.h. unwirtschaftliches Arbeiten, nachgesagt wird, wird auch die Frage nach der Effektivität gestellt: hilft das, was getan wird, den Betroffenen überhaupt? Oder produziert das System Abhängigkeit der Betroffenen vom System und führt sie damit in die Unmündigkeit? Und ist das Finanzierungssystem nicht falsch angelegt, da es die Kosten der Träger finanziert, aber nicht auf die Wirkungen Sozialer Arbeit ausgerichtet ist?

Angesichts des Problemdruckes und der Nichtthematisierung des gesellschaftlichen Verteilungsspielraumes - die Debatte konzentriert sich nur auf die Kostenseite der Sozialpolitik, während der Frage nach einer Verbesserung oder Neustrukturierung der Einnahmenseite kaum nachgegangen wird - ist der Umbau des Sozialstaates schon längst im Gange: Der bisherige Wohlfahrtsmix verändert sich zusehends. Neben öffentlichen und Freien Trägern kommen mehr und mehr private hinzu. Eingespielte Besitzstände werden dadurch relativiert und bestritten. Gleichzeitig differieren die ideologischen Konzepte für die Sozialpolitik der Zukunft. Während die einen sich primär an Markt und Privatisierung ausrichten wollen, orientieren andere sich an der Aufforderung zu mehr bürgerschaftlichem Engagement und zu mehr Eigeninitiative. Wiederum andere halten eher traditionell am bisherigen wohlfahrtsstaatlichen Konzept fest. Dabei ist bisher unklar, wohin sich die kommunale Sozialpolitik entwickeln soll und wird.

Der Arbeitskreis "Frankfurter Sozialpolitik"

Die Finanzkrise der Stadt Frankfurt und ihre Auswirkungen auf die Sozialpolitik führten Ende 1993 zur Gründung des Arbeitskreises "Frankfurter Sozialpolitik" der Sozialpolitischen Offensive Frankfurt. Die Sozialpolitische Offensive Frankfurt ist ein Zusammenschluß der beiden Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Arbeitgeber und wissenschaftlicher Institute, um in Frankfurt eine Lobbyfunktion für Sozialpolitik zu übernehmen. Ziel dieses Arbeitskreises ist es, eine längst überfällige Diskussion über die Perspektiven kommunaler Sozialpolitik in Gang zu setzen. Ende 1994 fand eine erste Fachtagung zur "Sozialpolitik bei leeren Kassen" statt (die Tagungsdokumentation kann kostenlos angefordert werden bei: Katholisches Bildungswerk, Eschenheimer Anlage 21, 60318 Frankfurt), bei der der Arbeitskreis "Thesen zur Weiterentwicklung kommunaler Sozialpolitik" vorlegte (abgedruckt in: Blätter der Wohlfahrtspflege - Deutsche Zeitschrift für Sozialarbeit, Heft l u. 2,1995, S. 27 - 30). Ende 1995 veranstaltete der Arbeitskreis dann die "Frankfurter Gespräche zur Sozialpolitik", wodurch u.a. eine Weiterarbeit an den Thesen verfolgt werden sollte. Die Referate, die im Rahmen der "Frankfurter Gespräche" gehalten wurden, werden hiermit einem größeren Leserinnenkreis bekanntgemacht, ergänzt um die Aufsätze Thomas von Freybergs und Peter Bartelheimers sowie Hejo Manderscheids, da diese sich thematisch gut zuordnen.

Zur Zukunft städtischer Entwicklungen

Das Manifest der Oberbürgermeister von 1994 greift in seinem Kern die Polarisierungsthese auf, nach der sich die bundesrepublikanische Gesellschaft und insbesondere die Städte sozial auseinanderentwickeln. So heißt es dort: "Unsere großen Städte sind in Gefahr: In ihnen konzentrieren sich zuallererst die Mißstände unserer Gesellschaft. Schon heute sind die Großstädte Brennpunkt sozialer Konflikte. Die Stadtgesellschaft driftet auseinander. Die Armen werden immer mehr, aber auch die Wohlhabenden und Reichen" (Kronawitter, 8). Oberbürgermeister Henning Voscherau titelt seinen Aufsatz "Die Großstadt als sozialer Brennpunkt - am Beispiel Hamburg" (ebd., 77-106) und kommt hierin zu der Aussage, daß sich in den Städten eine deutliche soziale Segregation nachweisen läßt.

Hartmut Häußermann, Martin Wentz und Peter Bartelheimer / Thomas von Freyberg setzen sich in ihren Beiträgen mit dieser These einer zunehmenden sozialen Segregation in den Städten auseinander. Während die Städte in Europa sich in diesem Jahrhundert als "Integrationsmaschinen" erwiesen hätten - so die These Häusermanns -, sei die "Europäische Stadt" heute jedoch in Gefährt, sich zunehmend zu 'amerikanisieren', d.h. sozial auseinanderzufallen. Während sich die Politik bislang am Leitbild einer sozial durchmischten Stadt orientiert habe und dies insbesondere durch die Wohnungspolitik erreicht worden sei, brächten die neueren Entwicklungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt neue soziale Spaltungslinien hervor, die sich auch in neuen sozialräumlichen Strukturen niederschlagen würden. Die soziale Polarisierung in der Gesellschaft finde sich daher in Prozessen sozialer Segregation wieder. Wentz geht in seiner Darstellung der Frankfurter Situation ebenfalls von der Polarisierungsthese aus und sieht auch erste Anzeichen für soziale Segregationsprozesse. Auf deutlich anderem Niveau setzen sich Bartelheimer/von Freyberg mit dem Thema sozialer Segregation in Frankfurt auseinander. In ihrem umfänglichen Aufsatz wird der Aufbau eines Instrumentariums vorgestellt, mit dem sich Segregation in Städten messen läßt. Da es bisher noch kein standardisiertes Instrument für Segregationsanalysen in Städten gibt, das es erlauben würde, die Entwicklungen in den Städten auch untereinander zu vergleichen, darf das hier vorgestellte Vorgehen durchaus als ein Vorschlag für die Einführung eines solchen Instrumentariums auch für andere Kommunen verstanden werden. Aufgrund des für Frankfurt entwickelten Indikatorenmodells kommen Bartelheimer und von Freyberg zu dem Ergebnis, daß die neuen Spaltungen sich noch nicht signifikant in neuen sozialräumlichen Spaltungen wiederfinden. Die derzeitigen Segregationslinien in Frankfurt entsprechen immer noch weitgehend den alten, wenn die Jahre 1987 bis 1993 verglichen werden. Über diesen ziemlich kurzen Zeitraum kann also die Polarisierungsthese nicht dahingehend bestätigt werden, daß sich Polarisierung in einer deutlichen sozialen Segregation wiederfindet. Offensichtlich verlaufen die gesellschaftlichen Prozesse der sozialen Spaltung erheblich schneller als die Prozesse der sozialen Segregation. Dies dürfte ganz wesentlich mit der spezifischen Situation des Frankfurter Wohnungsmarktes zusammenhängen, da hier der hohe Anteil an Sozialwohnungen verhindert, daß Arbeitsmarktrisiken direkt in Wohnungsmarktrisiken übertragen werden und somit eine gewisse soziale "Durchmischung" bisher garantiert ist. Dies kann sich zukünftig allerdings deutlich ändern (z.B. durch das Auslaufen der Sozialbindungen). Der Befund von Bartelheimer und von Freyberg kann also nicht als politische Entwarnung verstanden werden.

Somit verweist die Zukunft des Städtischen eher auf eine Zunahme sozialer Problemlagen und eine soziale Spaltung der Stadtgesellschaft hin, die sich dann über kurz oder lang auch sozialräumlich stärker zeigen wird. Von daher wäre bereits vieles gewonnen, wenn es städtischer Politik gelänge, diese Tendenz zu stoppen.

Zur Zukunft kommunaler Sozialpolitik

Kommunale Sozialpolitik scheint angesichts solcher Entwicklungen hoffnungslos überfordert zu sein. Dennoch bleiben die Städte herausgefordert, ihren Beitrag zur Bearbeitung der Problemlagen zu leisten. Damit der kommunale Sozialstaat aber rational entscheiden kann, braucht er sichere Aussagen über die sozialen Entwicklungen in der Stadt. Eine kontinuierliche Armuts- und Sozialberichterstattung der Städte ist von daher eine notwendige Voraussetzung, um sichere Planungsgrundlagen zu erhalten.

Sichere Planungsgrundlagen sind das eine, was kommunale Sozialpolitik braucht, neue Strukturen und Konzepte das andere. Eine zentrale Antwort der Kommunen auf die Finanzkrise ist z.B. die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen. Dies geschieht durch die Übertragung solcher Dienste auf private oder Freie Träger oder durch die Ausgliederung dieser Dienste zu wirtschaftlich selbständigen Einheiten (z.B. Müllabfuhr). Auch die Sozialen Dienste werden zunehmend privatisiert. Christoph Strünck und Roland Schaeffer gehen in ihren Beiträgen diesem Privatisierungstrend nach, in dem sie danach fragen, ob diese Entwicklung dem Gemeinwohl dient oder nicht. Beide sehen die Antwort nicht in einem ideologischen Pro oder Contra zur Privatisierung, sondern sie stellen die Frage nach der "Art der Privatisierung" ins Zentrum. Eine Privatisierung, die zu mehr Bürgerinnenengagement, zu mehr Verbraucherinnenbeteiligung, zu mehr Effizienz und Effektivität führt, kann dann sicherlich nicht falsch sein. Eine Privatisierung jedoch, durch die sich Politik aus der Verantwortung zieht und die sich primär nur noch an betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert, wird die sozialen Spaltungslinien auch in das Feld Sozialer Dienste hineintragen, da bestimmte Leistungen dann nur noch für Einkommensstärkere zu haben sind. Die Spaltungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt würden sich dann auch in einem Markt sozialer Dienstleistungen fortsetzen.

Eine Antwort auf die Finanzkrise ist auch das Konzept der "Outputorientierten Steuerung". Hejo Manderscheid plädiert dafür, dieses Steuerungsmodell durch ein Regelungsmodell zu ersetzen, da die outputorientierte Steuerung die Struktur- und Konzeptkrise der Sozialpolitik nicht bearbeitet. Zwar enthält sie notwendige Elemente - z.B. die Einführung der Kostenstellenrechnung beim öffentlichen Träger -, aber sie hat auch ihre eindeutigen Grenzen: So existiert z.B. kein Intrumentarium zur Entwicklung von an den Bedarf angepaßten Produkten. Die Krise der Sozialpolitik kann durch primär finanztechnische Reformen aber nicht gelöst werden. Hierfür sind weiterreichende Reformüberlegungen nötig, die auf Regelung und auch auf mehr Markt hinzielen.

Das Konzept der Regionalisierung Sozialer Arbeit, so wie es in München realisiert wird, stellt Werner Weins vor. Dezentralisierung (verstanden als Verlagerung von Entscheidungskompetenzen) und Regionalisierung (verstanden als Schaffung von raumbezogenen Zuständigkeiten, Koordination und Vernetzung der Sozialen Dienste) sind dabei die entscheidenden Stichworte. Dieses Konzept wurde nicht als Antwort auf die Finanzkrise entwickelt. Entsprechend standen nicht Einsparziele im Vordergrund, sondern die sozialen Angebote einer Region sollten verbessert werden, d.h. die Effektivität der Arbeit steht im Mittelpunkt.

Für eine grundlegende Neuorientierung der Sozialpolitik, ebenfalls nicht festgemacht an der aktuellen Finanzierungskrise, plädiert auch Konrad Hummel, indem er das emanzipatorische Konzept eines bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereich skizziert. Als Antwort auf die Krise des sozialstaatlichen Modells wird die Stärkung des gesellschaftlichen Bereichs für dringend notwendig angesehen. Der Sozialstaat hat danach nicht nur dafür zu sorgen, daß die Hilfebedürftigen Hilfe erhalten, er hat genauso dafür zu sorgen, daß sich die Bürgerinnen sozial und gesellschaftlich engagieren können. Im Zentrum der Überlegungen steht somit die Frage, was zu tun ist, damit Menschen sich bürgerschaftlich engagieren können. Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement ist allerdings ein funktionierender Sozialstaat, denn Engagement erfolgt eher dort, wo soziale Sicherheit und soziale Kontakte bestehen, als dort, wo bereits alles gefährdet erscheint Bürgerschaftliches Engagement kann daher nicht gegen den Sozialstaat ausgespielt werden; es ist auch kein Sparkonzept in dem Sinne, daß Ehrenamtliche aus Gründen der Kostenersparung nun Arbeiten der Professionellen übernehmen sollen.

Fazit

Die Krise der kommunalen Sozialpolitik ist zugleich eine Chance, notwendige Reformen durchzuführen. Die bisherigen Reaktionen seitens der Kommunalpolitik in Frankfurt zeugen allerdings mehr von einer 'Verkämmerung' der Sozialpolitik als davon, daß sich die Reformpolitik an einem klar erkennbaren Leitbild kommunaler Sozialpolitik orientiert. Thesen zu solch einem Leitbild legte der Arbeitskreis "Frankfurter Sozialpolitik" bereits Ende 1994 vor. Diese Thesen beanspruchen noch immer, diskutiert zu werden, denn ein Leitbild, das die Frankfurter Sozialpolitikerinnen umsetzen wollen, ist nach wie vor nicht erkennbar. Die Ergebnisse der "Frankfurter Gespräche zur Sozialpolitik" müssen in solch eine Leitbilddiskussion einfließen.

Karl Koch

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