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Heft 28: Soziale Arbeit - Akteurinnen und Instanzen

1988 | Inhalt | Editorial | Leseprobe

Titelseite Heft 28
  • September 1988
  • 108 Seiten
  • EUR 7,00 / SFr 13,10
  • ISBN 3-88534-0460-18

Zu diesem Heft

Bis in die 70er Jahren reduzierten sich die Positionen zur eigenen Tätigkeit - zumindest in den damaligen Ansätzen einer "Sozialarbeiter-Bewegung" - noch vielfach auf ein einfaches "Pro" oder "Contra".

"Pro" - sie leistet einen Beitrag zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wenn sie sich selbst überflüssig macht, wenn sie die Gelegenheiten nützt, ihre Klienten zu politischem Bewußtsein zu befähigen, damit diese den Kapitalismus abschaffen und damit Armut und Ausgrenzung beseitigen.

"Contra" - sie dient der Systemintegration der Arbeiterklasse durch die Herrschenden, indem sie ein minimales Lebensniveau erträglich macht. Mit der inzwischen behaupteten Unübersichtlichkeit der Verhältnisse scheinen sich auch alle Vorzeichen in der Diskussion verändert zu haben:

Die Hoffnung, proportional zu den enormen Steigerungsraten der Anzahl sozialer Einrichtungen (und deren Personal) eine entsprechende Problemlösungskapazität zu erreichen, ist geschwunden - im Gegenteil, es kommt das schale Gefühl auf, daß immer mehr Sozialarbeiterinnen den Betroffenen auch nichts nützen, vielleicht sogar eher schaden: als wohlmeinende Sozialkontrolleure.

Die Hoffnung, durch Verwissenschaftlichung der Methoden und Interventionsformen individuell gesellschaftliches Leid zu heilen, hat dort, wo es sich lohnt, einen Psycho-Markt entstehen lassen, der zu den Wachstumsbranchen gehört, und dort, wo schon immer die "Armen und Elenden" versorgt und kontrolliert wurden, immer "feinere" psychosoziale Diagnosen produziert, die sich immer weiter von der Lebenswirklichkeit der "Klientinnen" entfernen. Diagnosen als üble Nachrede oder: Foucault läßt grüßen.

Die Hoffnung, Gesellschaft und Staat sozial-reformerisch zu demokratisieren durch immer neue und/oder immer größere/differenziertere soziale Einrichtungen ist bestenfalls zu einem Modernisierungsschub der Sozialtechnik verkommen, der seine Fortschritts- und Wachstumsruinen gefestigt hat, in denen der Widerspruch zwischen eigenen Lohnarbeiterinteressen und Lebensweisen der "Klientinnen" auf Kosten letzterer gelöst wird.

In früheren Ausgaben der WIDERSPRÜCHE hatten wir diese Tendenzen unter dem Aspekt von Hilfe und Herrschaft (Heft 1), des Sozial-Spar-Staats (Heft 3), der Spaltung des Sozialstaats (Heft 4/5) bzw. der Frage nach dem anderen, dem "alternativen" Sozialstaat (Hefte 8 und 12) analysiert und kritisiert.

Die Frage, die dabei immer mitschwang, war die nach der (Re-)Politisierung der Sozialarbeit. Wurden die Antworten - auch zum Teil von uns - früher eher in Adressatengruppen der Sozialarbeit gesucht, sind wir heute "bescheidener" geworden: In diesem Heft wollen wir vor allem untersuchen, welche Interessen die Sozialarbeiterinnen selbst haben und verfolgen - und wie daraus eine Perspektive der (Re-)Politisierung zu gewinnen sei.

Diese Frage hat zugleich exemplarischen Charakter für andere Berufsgruppen im Reproduktionsbereich, denn hier wird sich entscheiden, ob wir "Kommis" des herrschenden Blocks an der Macht oder "kollektive Intellektuelle" der Gegenströmungen sind. Wir wollen diese Frage auf unserer öffentlichen Tagung diskutieren (siehe S. 5).

Als Einstieg in dieses Thema stellt Timm Kunstreich zwei Modelle - Ausbau und Umbau - einander gegenüber, in denen die Akteurinnen der Sozialen Arbeit ihre Instanzen gestalten. Er wendet sich damit gegen den instrumentalistischen Kurzschluß, Formen und Inhalte sozialer Arbeit entstünden aus den Problemlagen der Adressaten und nicht aus hegemonialen Klasseninteressen.

Richard Sorg vertieft diesen Aspekt, indem er soziale Arbeit und Erziehung in den Kontext der Dialektik von Produktivkraftentfaltung und Produktionsverhältnissen stellt. Gegen den Strom postmoderner Unübersichtlichkeit beharrt er auf der Aktualität materialistischer Analyse und rekonstruiert den widersprüchlichen Prozeß von Vergesellschaftung und Individualisierung, der den Spaltungen und Ausgrenzungen der kapitalistischen Gesellschaft eine neue Qualität verleiht. Vor diesem Hintergrund prüft er neue Konzepte der Sozialen Arbeit und Erziehung und fragt danach, wie diese über das "Überlebenstraining" in den Ghettos hinausweisen.

Ansatzpunkt der Kritik "herrschender Sozialarbeit von Monika Simmel-Joachim ist die - neben der Spaltung in Klassen - grundlegende Spaltung der Gesellschaft nach dem Geschlecht. Sie fordert, gegen die männliche Hegemonie die unterbrochenen eigenen weiblichen Traditionen in der Sozialarbeit wieder aufzunehmen, um so zu einem produktiven Verständnis von Sozialarbeit zu gelangen.

Timm Kunstreich und Friedhelm Peters fragen nach den "heimlichen" Adressaten der Sozialarbeit, indem sie bezweifeln, daß die sogenannten "Klienten" die wichtigsten Adressaten sind. Diese sehen sie vielmehr in den gesellschaftlichen Machtgruppen, von denen die SozialarbeiterInnen selbst ein Teil sind. An zwei Beispielen zeigen sie, wie wenig die Interessen der "Klienten" bei der Formulierung der eigenen eine Rolle spielen - und weshalb es trotzdem nicht gleichgültig ist, wer die Macht hat.

Eines dieser Beispiele - die Reform der Heimerziehung - nimmt Wolfgang Heinemann zum Anlaß, den komplizierten und widersprüchlichen Prozeß institutioneller Reform und dessen Begründungen, Wirkungen und Folgen zu analysieren.

Die sich in allen Artikeln andeutenden Überlegungen zu einem Perspektivwechsel der Sozialarbeit machen eines deutlich: die Frage nach der (Re-)Politisierung der Sozialarbeit kann/darf wieder gestellt werden - dieses Mal allerdings an die Akteurinnen in den Instanzen.

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